Akademisierung: Trend oder Wahn?

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Leseterrassen im Jacob-und-Wilhelm-Grimm-Zentrum, der Zentralbibiliothek der Humboldt-Universität zu Berlin

Sie ist allen bekannt und dennoch immer wieder neu: Die Meldung, dass so viele Studierende wie noch nie an den Hochschulen eingeschrieben sind. So hat das Statistische Bundesamt vergangene Woche mitgeteilt, dass die Zahl an Studierenden im ersten Semester 2013 wieder um zwei Prozent gestiegen ist. Damit setzt sich in Deutschland ein bemerkenswerter Akademisierungstrend fort. Eigentlich dürfte man darüber erfreut sein, dass sich immer mehr junge Menschen für ein Studium entscheiden. Aber es gab auch immer schon zweifelnde Stimmen, ob sich für eine beständig wachsende Zahl an Akademikerinnen und Akademikern später eine gut bezahlte und angemessene Beschäftigung finden lässt. Handelt es sich also um einen bildungspolitisch richtigen Trend oder um eine Fehlentwicklung, einen Wahn? Die Meinungen darüber gehen weit auseinander und die Diskussion ist in vollem Gange.

Für ein Individuum mag es frustrierend sein, wenn es nach dem Studium keine ausbildungsadäquate Beschäftigung finden sollte. Für die Gesellschaft ist diese Überqualifikation nur insofern ein Problem, als dass mit dem Studium Kosten für die öffentliche Hand angefallen sind, die vermeidbar gewesen wären. Aus diesem Grund werden immer wieder Versuche unternommen, für bestimmte Berufsfelder den Bedarf an Akademikerinnen und Akademikern zu prognostizieren. Dass diese Prognosen jedoch mit vielen Unwägbarkeiten behaftet sind, konnten beispielsweise Lehramtsstudierende in der Vergangenheit wiederholt erfahren – obgleich Prognosen hier leichter zu berechnen sein dürften als in anderen Berufsfeldern. Vor dem Hintergrund der geringen Arbeitslosenquote unter Akademikerinnen und Akademikern stellt sich die Frage, ob es für den Einzelnen letztlich nicht doch eine kluge Entscheidung ist, sich mit einem Studium für das Erwerbsleben gut rüsten zu wollen.

Die zu beobachtende Akademisierung der Gesellschaft findet auf verschiedenen Ebenen statt. Heute erwirbt fast die Hälfte eines Altersjahrgangs eine Hochschulzugangsberechtigung und hat damit die Möglichkeit zu studieren. Dass immer häufiger ein Studium und keine Berufsausbildung aufgenommen wird, hat auch damit zu tun, dass zwischenzeitlich viele Berufe eine Akademisierung erfahren haben: Nachdem in den letzten zehn Jahren für die gesamte Breite der Gesundheitsbranche Studiengänge eingerichtet worden sind, gehören die Hebammenkunde und die Frühkindliche Erziehung zu den jüngsten prominenten Studiengängen für Berufe, die vormals allein dem beruflichen Ausbildungssystem angehörten. Die Verfügbarkeit von Hochschulbildung ist aber nicht nur in einzelnen Berufen größer geworden, sondern auch im regionalen Umfeld von jenen, die eine Hochschulzugangsberechtigung erworben haben: Wir wissen seit langem, dass die Nähe des Wohnortes zu einem Hochschulstandort die Entscheidung für ein Studium positiv beeinflusst. Bayern hat Mitte der 1990er Jahre und NRW 2009 einige neue Hochschulen und Standorte in mittelgroßen Städten eingerichtet, die nunmehr ihre Region akademisieren.

Das Statistische Bundesamt hat in seiner jüngsten Meldung zu den Erstsemesterzahlen vier MINT-Studiengänge gesondert ausgewiesen. Demnach wachsen im Maschinenbau die Studienanfängerzahlen proportional, in der Informatik, der Elektrotechnik und dem Bauingenieurwesen hingegen überproportional. Man kann diesen Trend als eine Reaktion der Studierenden auf die von Industrie und Arbeitgeberverbänden vielfach geäußerte Warnung vor einem Fachkräftemangel in den Technik- und Ingenieurwissenschaften interpretieren. Vielleicht sind die jungen Menschen auch zusehends technikaffin und treffen daher in ihrer Studienfachwahl andere Entscheidungen als ihre Vorgängergenerationen. Es ist diesen Studienanfängerinnen und -anfängern jedenfalls zu wünschen, dass sie ihr Studium in einigen Jahren erfolgreich abschließen  und auch sie dann noch eine gut bezahlte und angemessene Beschäftigung finden.

Die Debatte, ob eine weitere Akademisierung wünschenswert ist und wie sich dadurch unsere Hochschulen verändern, wird uns jedenfalls erhalten bleiben. Es gilt, sie aktiv zu führen.

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Veranstaltung zum Thema:

Berliner Hochschuldebatte #23
„Wie viele Studierende braucht das Land? Zur Debatte um akademische und berufliche Bildung“

Mit Julian Nida-Rümelin, Barbara Dorn, Laura Gersch, Kai Gehring und Ulrike Plewnia (Moderation)

Am Freitag, den 6. Dezember 2013, 18:00 Uhr in der Böllstiftung.