Nur die gesetzliche Quote wird Chancengleichheit bringen

Die Ergebnisse des dritten Genderrankings von Prof. Lars Holtkamp und Dr. Elke Wichmann, Fernuniversität Hagen, zeigen, dass sich seit der ersten Studie von 2008 nichts wirklich geändert hat. Der Anteil kommunaler Mandats- und Amtsträgerinnen in den 79 untersuchten Großstädten ist nach wie vor erschreckend gering: nur knapp 14 % Oberbürgermeisterinnen,  33,4 % Stadträtinnen, 25 % weibliche Ausschussvorsitzende, 21 % weibliche Fraktionsvorsitzende und 23,6 % Dezernatsleiterinnen! Da Frauen generell nicht weniger an Politik interessiert sind als Männer – und Männer nicht weniger als Frauen – lässt das Ergebnis den Rückschluss auf immer noch bestehende, Frauen benachteiligende Strukturen in der Kommunalpolitik zu. Durch die historisch bedingte „demokratische Verspätung“ von Frauen in der Politik konnten sich hier bekanntlich Strukturen verfestigen, die von Männern dominiert werden und Männer bevorzugen. Angeknüpft wird an neutral formulierte Regelungen und Verfahren, die sich jedoch einseitig zu Lasten von Frauen auswirken, z.B. bei der Aufstellung von Wahlvorschlägen für Kandidatenlisten oder Direktkandidaturen.

Das dritte Genderranking verdeutlicht, dass eine gleichberechtigte demokratische Teilhabe von Frauen und Männern in der Kommunalpolitik, wie von der Verfassung vorausgesetzt (Artikel 38, 28, 21, 20, 3 Absatz 2 Grundgesetz), nur dann gewährleistet werden kann, wenn alle Parteien oder Wählergruppen ihr Nominierungsverfahren so ausgestalten, dass je zur Hälfte und abwechselnd Kandidatinnen und Kandidaten aufgestellt werden. Erst dann erhalten Frauen ebenso wie Männer eine faire Chance, ein Kommunalwahlmandat zu erlangen. Erst dadurch wird die notwendige Chancengleichheit von Frauen und Männern gewährleistet, der entscheidende erste Schritt zu gleichberechtigten paritätischen Verhältnissen auf allen Ebenen der Kommunalpolitik.

Dies zeigt das Beispiel der bestplatzierten Stadt Trier: Das fast ausgeglichene Verhältnis zwischen Frauen und Männern im Stadtrat (45,5 % Frauen, 54,5 % Männer) lässt sich allein auf zwei Parteien mit internen Frauenquoten zurückführen, SPD und Grüne, die ihre internen Vorgaben übererfüllen. Nur dadurch wird ein „genderdemokratischer Gap“, den Parteien ohne interne Paritévorgaben verursachen, verhindert.

Allerdings lässt das „worst case“-Beispiel der letztplatzierten Landeshauptstadt Magdeburg auch erkennen, dass allein interne Regelungen nicht reichen. Denn sie werden selbst von den recht quotentreuen Grünen umgangen – ohne Rechtsfolgen. So besteht die Grünenfraktion im Magdeburger Stadtparlament nur aus Männern, ein erstaunliches Bild: „Es ist kaum vorstellbar, dass man in einer Landeshauptstadt mit mehr als 200.000 Einwohnern/-innen als Fraktion nicht eine politisch interessierte Frau für ein Ratsmandat finden kann, falls man nach ihr suchen würde“, so Prof. Dr. Holtkamp zu Recht. Da Parteien dazu aber nicht verpflichtet sind, suchen sie auch nicht.

Einen ersten Versuch dies zu ändern, startete der baden-württembergische Landesgesetzgeber 2013. Nach dem neuen § 9 des Kommunalwahlgesetzes (KWG) „sollen“ Parteien/Wählergemeinschaften nun ihre Wahlvorschlagslisten abwechselnd mit Kandidatinnen und Kandidaten besetzen („Reißverschlussverfahren“). Dadurch „soll“ der strukturellen, verschleierten Diskriminierung von Politikerinnen entgegengewirkt werden. Denn seit Gründung des Landes Baden-Württemberg sind Frauen in kommunalen Vertretungsorganen dort evident unterrepräsentiert, wie z.B. bei den Kommunalwahlen 2009: Lediglich 22 % Frauen sind in den Gemeinderäten. Dass es überhaupt zu diesem minimalen Anteil an Mandatsträgerinnen gekommen ist, liegt vor allem an den Grünen, die einen Frauenanteil von 43 % in die Kommunalparlamente entsenden – hier wirkt sich die parteiinterne Frauenquote aus, die in rechtstreuer Anwendung zu einem fast ausgewogenen Anteil von Kandidatinnen und Kandidaten geführt hat. Das „soll“ nun § 9 KWG mit Blick auf alle Parteien und Wählergemeinschaften erreichen. Ob aber eine solche Soll-Regelung ausreicht, ist angesichts der zu erwartenden und bereits erkennbaren Umgehungsstrategien der Parteien/Wählergemeinschaften zu bezweifeln. Zumal der Landesgesetzgeber – bestehend aus 82 % männlichen Abgeordneten - für die voraussehbaren Rechtsverstöße ausdrücklich auf Sanktionen und Rechtsfolgen verzichtet hat. Die Wirkungslosigkeit von § 9 KWG ist damit vorprogrammiert.

Nicht solche Regelungen, sondern effektive, wirksame gesetzliche Regelungen sind erforderlich, um die tatsächlichen Gleichstellung von Frauen und Männern in der Politik zu erreichen. Sie dienen gleichzeitig der Durchsetzung fundamentaler Grundsätze der deutschen und europäischen Verfassung – Gleichberechtigung und Demokratie. Beide fordern die gleichberechtigte demokratische Teilhabe von Frauen am politischen Leben. Dem widerspricht die anhaltende, evidente Unterrepräsentanz von Frauen in den Kommunalparlamenten, den Landesparlamenten und im Deutschen Bundestag. „Die mangelnde Heranziehung von Frauen zu öffentlichen Ämtern und ihre geringe Beteiligung in den Parlamenten ist doch schlicht Verfassungsbruch in Permanenz,“ so sehr klar die „Verfassungsmutter“ Dr. jur. Elisabeth Selbert (SPD) 1981. Als Mitglied des Parlamentarischen Rats sorgte sie 1948/49 gegen den Widerstand der 61 männlichen Ratsmitglieder, spät unterstützt durch ihre drei Ratskolleginnen und zahllose, von ihr mobilisierte Trümmerfrauen („Postkartenaktion“) dafür, dass das Grundrecht der Gleichberechtigung von Frauen und Männern heute in Artikel 3 Absatz 2 Grundgesetz verankert ist. Um den von ihr beschriebenen verfassungswidrigen Zustand zu ändern, bedarf es einer klaren gesetzlichen Steuerung. Dazu empfiehlt die EU-Kommission aktuell (GD Justiz, 10/2013) nachdrücklich allen Mitgliedstaaten effektive gesetzliche Regelungen nach dem Vorbild des französischen Parité-Gesetzes. Solche gesetzlichen Paritéregelungen, die insbesondere paritätisch mit Frauen und Männern besetze Kandidatenlisten vorschreiben, brauchen wir – die Studie zum dritten Genderranking belegt dies eindrücklich!