Fachkräftemangel: Die Krise der dualen Ausbildung

jugendarbeitslosigkeit in europa

Die Europawahl findet am 25. Mai 2014 statt. Angesichts der hohen Jugendarbeitslosigkeit in Europa bietet Deutschland an, sein duales Ausbildungssystem zu exportieren. Verträge der Bundesrepublik Deutschland mit einigen südeuropäischen Ländern existieren bereits, die exemplarisch den Aufbau der dualen Ausbildung ermöglichen sollen. Hinzu kommen vielfältige Anwerbestrategien für die Ausbildung junger Menschen aus Südeuropa in Deutschland im Rahmen der beruflichen Ausbildung. Sicherlich sind die damit verbundenen politischen Absichten zu unterstützen, die helfen können, die hohe Jugendarbeitslosigkeit zu vermindern. Eine „verlorene Generation“ von Menschen ohne berufliche Ausbildung und fehlende Beschäftigungsperspektiven kann damit jedoch nicht annähernd vermieden werden.

EU Beschäftigungsgarantie bis 25

Im Europawahljahr muss die Frage, wie Jugendarbeitslosigkeit in Europa effektiv bekämpft werden kann, in den Mittelpunkt der politischen Auseinandersetzung rücken. Was leistet die Initiative der Europäischen Union (EU) zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit, insbesondere in den südeuropäischen Ländern? Die seitens der EU beschlossene „Beschäftigungsgarantie bis 25“ bedeutet qualitativ keine Berufsausbildungsgarantie wie es sie z.B. in Österreich im Rahmen ihres dualen Ausbildungssystems gibt. Die europäische „Jugendgarantie“ bedeutet, dass jedem Jugendlichen spätestens vier Monate nach Verlassen des Bildungssystems oder eingetretener Arbeitslosigkeit ein Arbeitsplatz, ein Ausbildungsplatz, eine Ausbildungs- bzw. Praktikumsstelle oder eine Bildungsmaßnahme angeboten werden soll. Weil die „Jugendgarantie“ vom politischen Anspruch her so schwammig formuliert ist, ist es politisch sehr relevant zu analysieren, wie die verschiedenen südeuropäischen Länder die seitens der EU mit Milliardenaufwand ausgestattete „Jugendgarantie bis 25“ praktisch umsetzen. Kommt es nur zu einer vorübergehenden subventionierten Beschäftigungsmaßnahme oder zu einer qualifizierten Berufsausbildung?

Parallel zu der Umsetzung dieses EU-Programms der „Jugendgarantie“ vollzieht sich in der Europäischen Union eine Wanderungsbewegung von Süd- nach Nordeuropa, um der hohen Arbeitslosigkeit zu entgehen. Deutschland erlebt seit drei Jahren einen kontinuierlich zunehmenden Nettozuwanderungssaldo, insb. aus Ost- und Südeuropa. (2009/2010 +43.000 Menschen; 2010/2011 +216.000 Menschen; 2011/2012 +381.000 Menschen). 2012/2013 soll der Nettozuwanderungssaldo rund 400.000 Menschen betragen. Die verstärkte Zuwanderung nach Deutschland allein kann den akuten und sich abzeichnenden verstärkten Fachkräftemangel im Rahmen der demografischen Entwicklung nicht abwenden. Wie groß er tatsächlich ausfallen wird steht in kausaler Beziehung zur weiteren quantitativen Entwicklung der Zuwanderung in den nächsten Jahren und der Qualifikationsstruktur der Zuwander/innen (vgl. IAB Stellungnahme, Fachkräftebedarf 1/2013, S. 14).

Was bedeutet dieser Brain Drain für den europäischen Binnenmarkt? Haben wir es bereits mit einem Wandel zu einem funktionsfähigen europäischen Arbeitsmarkt zu tun? Gibt es auch Beispiele für eine spätere Rückkehr von Wissen und Investitionen in die jeweiligen Herkunftsländer?

Ein funktionsfähiger europäischer Binnenmarkt erfordert Solidarität und den Abbau von Disparitäten in der wirtschaftlichen Entwicklung. Davon sind wir derzeit weit entfernt, eher das Gegenteil ist der Fall. Die Lösung der europäischen Wirtschaft- und Finanzkrise steht und fällt mit dem Gelingen, Disparitäten wirklich zurückdrängen zu können.

Wir müssen uns fragen, wie eine bessere Berufsausbildung für viele Jugendliche mit mehr nachhaltigen Beschäftigungsperspektiven in Europa verbunden werden kann. Wirtschaft- und Ausbildungspolitik müssen strategisch ineinandergreifen, um erfolgreich zu werden. Hierzu gibt es bislang keine vorzeigbaren Ergebnisse.

Duale Berufsausbildung in der Krise

Die politische Absicht, die in Deutschland praktizierte duale Berufsausbildung zu exportieren, klingt gut. Dabei wird jedoch übersehen, dass Deutschland trotz seiner in der Statistik relativ geringen Jugendarbeitslosigkeit von 7,6 Prozent (Mai 2013) selbst gravierende Probleme mit der Qualität der beruflichen Bildung im sogenannten „Übergangssystem“ hat. Rund 280.000 Jugendliche sind darin jährlich „versteckt“, ohne dass sie als arbeitslos gezählt werden. Dabei werden viele von Ihnen hinsichtlich der Perspektive auf einen qualifizierten Berufsbildungsabschluss aussichtslos beschäftigt oder „beschult“.

Nimmt man die zurückliegenden Altersjahrgänge mit in die Analyse, dann sind sogar rund 1,5 Mio. Jugendliche ohne Berufsabschluss heute auf dem hiesigen Arbeitsmarkt unterwegs. „Die Abgehängten“: „Fast ein Fünftel aller Jugendlichen findet keine richtige Arbeit.“ titelte deshalb die Zeit zu Recht am 26.09.13. Mehr oder weniger frustrierte Jugendliche in Maßnahmen der Bundesagentur für Arbeit oder einer Warteschleife in berufsbildenden Schulen sind keine gute Antwort auf die Herausforderung Jugendliche zu einem qualifizierten Berufsabschluss zu führen, um den beklagten Fachkräftemangel abwenden zu können. Das Testat mangelnder Ausbildungsreife gegenüber Jugendlichen seitens der Unternehmensverbände hilft niemandem weiter.

Der demografische Wandel erfordert mehr duale Ausbildungsplätze und nicht etwa weniger seitens der Unternehmen und des Handwerks. Die Neuabschlüsse von Berufsausbildungsverträgen gingen in Deutschland von 561.171 in 2009 auf 549.003 in 2012 zurück. Dieser Trend setzte sich auch im Jahr 2013 fort: Das Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB) meldete in einer Pressemitteilung am 05.11.13, dass zum 30. September 2013 83.600 (ca. 15 Prozent) Ausbildungsstellenbewerber/innen noch auf Lehrstellensuche waren. Der Präsident des BIBB, Friedrich Hubert Esser, forderte: „Die Selbstorganisation der Wirtschaft müssen ihre Bemühungen verstärken, wieder mehr Betriebe für die Ausbildung zu gewinnen. Ein weiterer Rückzug der Zahl der Ausbildungsbetriebe gefährdet die Leistungsfähigkeit des dualen Systems.“

Deshalb ist der politische Dialog mit den Verantwortlichen in Industrie – und Handelskammern sowie Handwerkskammern verstärkt zu suchen, um die Krise in der dualen Ausbildung in Deutschland zu lösen. Dies gilt insbesondere auch für die Umsetzung der ehrgeizigen Ziele, die sich die Europäische Union zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit gesetzt hat und für die Deutschland im Rahmen von Verträgen mit EU-Ländern Mitverantwortung übernommen hat.

In Deutschland ist der Anteil junger Erwachsener im Alter von 20 bis 30 Jahren ohne abgeschlossene Berufsausbildung von 16,5 Prozent in 2005 auf 13,4 Prozent in 2011 zurückgegangen (vgl. Bildungsmonitor 2013, Studie des Institut der deutschen Wirtschaft, S. 9).

Hohe Jugendarbeitslosigkeit unter Jugendlichen mit Migrationshintergrund

Diese im Trend gute Nachricht wird jedoch von der Tatsache konterkariert, dass überproportional viele Jugendliche mit Migrationshintergrund von Arbeitslosigkeit betroffen sind. „Mehr als ein Drittel der 2,8 Mio. Arbeitslosen haben einen sogenannten Migrationshintergrund und damit deutlich mehr, als es ihrem Anteil an der Gesamtbevölkerung von knapp 20 Prozent entspricht (…) Demnach gibt es in Deutschland 465.000 geringqualifizierte Arbeitslose mit Migrationshintergrund und damit sogar mehr als Inländer (452.000). Auch in der Kategorie ‚ohne Berufsausbildung‘ (52 Prozent) und ‚kein Hauptschulabschluss‘ (54 Prozent) sind die Migranten stärker vertreten, obwohl die Gruppe weitaus kleiner ist.“ (vgl. FAZ 29.05.13) Anhand dieser Zahlen wird das Versagen des dualen Berufsausbildungssystems besonders deutlich. Nachholende allgemeinbildende Qualifizierung und berufliche Ausbildung der betroffenen Jugendlichen ist bei uns unzureichend oder gar nicht organisiert und erreicht bei weitem nicht die älteren Jahrgänge der Jugendlichen, die bereits ohne Schul- und/oder Berufsabschluss auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt mit geringen Jobchancen unterwegs sind.

Die Kammern und die Berufsschulen sowie die Jobcenter müssen mit regionalen Jugendberufsagenturen gemeinsam aufeinander abgestimmte Anstrengungen unternehmen, um verstärkt die Jugendlichen mit Migrationshintergrund zu einem erfolgreichen Berufsabschluss zu führen. Der demografische Wandel der Gesellschaft verträgt es nicht, dass fast ein Fünftel der Jugendlichen ohne Berufsabschluss bleibt. Die volkswirtschaftlichen Kosten sind für solch eine Größenordnung ohne Berufsausbildung viel zu hoch. Deshalb sind auch die angekündigten Nachqualifizierungsprogramme seitens der Bundesagentur für Arbeit zu begrüßen, die in Modulen ältere Jahrgänge zu einem berufsbildenden Abschluss führen sollen. Die Bundesagentur für Arbeit hat sich in Zusammenarbeit mit den Bundesländern und den Jobcentern verstärkt vorgenommen direkt in dual angelegte Ausbildungswege zu investieren, die in den ersten Arbeitsmarkt führen sollen. Diese strategische Absicht ist sehr begrüßenswert erfordert aber, dass mehr Unternehmen und Handwerksbetriebe für die duale Berufsausbildung auch von bisher weniger qualifizierten Jugendlichen gewonnen werden. Allein mehr Anstrengungen und Investitionen durch Unternehmen in die berufliche Bildung können die Misere fehlender Fachkräfte in Deutschland beheben helfen. Berufsschulen können den notwendigen Praxisbezug allein nicht gewährleisten. Das duale Berufsausbildungssystem in Deutschland benötigt die gemeinsame Wiederbelebung seiner Leistungsfähigkeit. Der Export des dualen Berufsausbildungssystems ist gerechtfertigt, wenn der Erfolg des dualen Berufsbildungssystems in Deutschland kontinuierlich nachgewiesen werden kann. Derzeit gibt es leider viele Mängel zu beklagen.