Wohin mit den Schuldenbergen?

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Die Schuldenkrise in Europa ist nicht mehr täglich auf den Titelseiten der Zeitungen zu finden, die Probleme aber sind bis Ende 2013 nicht wirklich weniger geworden. Bei der Podiumsdiskussion „Wohin mit den Schuldenbergen?“ waren sich die Diskutanten in einem Punkt weitgehend einig: Wenn die Schuldenberge in der Eurozone sinken sollen, dann müssen auch die Vermögensberge schrumpfen: Vermögen sind immer die Kehrseite von Schulden.

In dieser Hinsicht unterscheidet sich die Strategie der USA deutlich von den Europäern, erklärt Torsten Windels, Chefvolkswirt der NordLB. Die USA versuchen, in ihren Schuldenmantel, der zugleich ein Vermögensmantel ist, hineinzuwachsen. Die Europäer hingegen wollen ihre Schulden und Vermögen abzubauen, um dann „auf einem solidem Produktionsfundament“ aufzubauen. Das sinkende Bruttoinlandsprodukt vor allem in Griechenland ist in diesem Sinne nichts anders als Vermögensvernichtung.

Ob die offizielle Strategie der Europäer aufgehen kann, den Schuldenabbau der Fiskalpolitik der Mitgliedsstaaten zu überlassen, darüber gingen die Meinungen auseinander. Windels sieht insbesondere Irland auf einem guten Weg, da es kein Produktivitätsproblem im eigentlichen Sinne hatte; Portugal werde hingegen noch länger brauchen, „um sich an die Weltproduktivität heranzuarbeiten“. Selbst Griechenland könnte seine Schuldenlast tragen, wenn die Eurozonen-Länder bereit sind, die Kredite lang genug zu strecken und die Zinsen extrem zu senken. Windels befürwortet das, im Gegensatz zu einem Schuldenschnitt – der könnte zwar moralisch angemessen sein, die Gesamtsituation aber durch die Reaktionen der Finanzmärkte sogar verschlechtern.

Daniel Stelter ist weniger optimistisch. Der Autor des Buches „Die Billionen Schuldenbombe“, bis vor kurzem Senior Partner der Boston Consulting Group, hält die Gesamtverschuldung der Volkswirtschaften die entscheidende Ziffer, also auch die Schulden der Unternehmen und Privathaushalte. Legt man einetragbare Schuldenquote von 60 Prozent für jeden Sektor zugrunde, dann ist die Schuldenlast der USA 10 Billionen Euro zu hoch, in Europa sind es 7 Billionen Euro. Volkswirtschaften wie Irland oder die USA sind aus dieser Perspektive trotz sinkender Staatschulden noch lange nicht aus dem Gröbsten heraus. Hinzu kommt ein weiteres Problem, erklärt Florian Kern, Finanzmarktreferent der Grünen Bundestagsfraktion. Die Finanzkrise hat deutlich gezeigt, dass aus privaten Schulden am Ende oft Staatschulden werden. Die Politik wäre also gut beraten, dass Schuldenproblem in seiner ganzen Breite offensiv anzugehen.

Statt dessen vermuten derzeit viele, dass der Schuldenabbau durch die Hintertür passieren soll. Die derzeitige Niedrigzinspolitik der europäischen Zentralbank und anderer Zentralbanken erlaubt Staaten und Privatschuldnern günstige Konditionen bei der Rückzahlung ihrer Kredite. Theoretisch könnte diese Strategie, die unter dem Namen „financial repression“ debattiert wird, Erfolg haben, meint Daniel Stelter. Solange aber in den Krisenländern die Zinsen weit über der nominalen Wachstumsrate liegen, „so lange sind wir von financial repression weit entfernt“. Und selbst bei günstigen Annahmen für Zinsen und Wachstum würde der Schuldenabbau auf diese Weise in Irland 85 Jahre dauern, selbst in Deutschland wären es zwei Jahrzehnte.

Auch das Schreckgespenst der Inflation kann trotz der Niedrigzinsen derzeit keine Panik erzeugen, nicht einmal im traditionell von Inflationsangst getriebenen Deutschland. Zwar versuchten viele Notenbanken derzeit, durch Inflation zum Schuldenabbau beizutragen, ist Stelter überzeugt. Es funktioniert nur nicht, weil dank der hohen Schuldenstände keiner das billige Geld haben will. Einen Rest Gefahr sieht er dennoch: Wenn die Konjunktur irgendwann anzieht und sich die Umlaufgeschwindigkeit des Geldes wieder erhöht, dann seien Inflationsraten von 5000 Prozent nicht ausgeschlossen. Florian Kern sieht die Sache wesentlich gelassener. Selbst wenn die Konjunktur überraschend anspringt und die Arbeitslosigkeit stark sinkt, dann hätte die EZB immer noch die Möglichkeit, die Geldmenge wieder zu verkürzen, durch Anleihenverkäufe etwa.

Folgenlos bleiben die niedrigen Zinsen trotzdem nicht. Torsten Windels sieht in der Zinspolitik der EZB zwar keine heimliche Entschuldungsstrategie, sie wirkt sich aber negativ auf die Entwicklung der Sparguthaben aus. Windels hält diesen „Beitrag der deutschen Sparer zum Schuldenabbau auf der Welt“ grundsätzlich nicht für unangemessen, allerdings muss man sich auch hier die genaueren Verteilungseffekte anschauen. Vor allem risikoaverse Kleinsparer haben in die Titel investiert, die jetzt negative Realzinsen bringen, während es vor allem hohe Vermögen sind, die über Dividenden von den Konjunkturmaßnahmen aus der Krisenzeit profitieren.

Wenn weder die offizielle noch die inoffizielle Strategie zum Schuldenabbau verfangen, stellt sich die Frage nach den Alternativen. Die Grünen hatten in ihrem Wahlprogramm einen Schuldentilgungsfond vorgeschlagen, mit dem die Euro-Staaten für ihre Schulden oberhalb von 60 Prozent gemeinsam garantieren, um diese dann mit nationalen Vermögensabgaben reduzieren. Daniel Stelter schlägt vor, in diesen Tilgungsfond auch private Schulden mit einzubeziehen. Weil der Privatsektor mehr veräußerbare Vermögenswerte hält, könnte man den Schnitt hier bei 90 Prozent zu machen. Eine Vermögensabgabe, um diesen Schnitt über alle Sektoren hinweg zu finanzieren, müsse bei Vermögen ab 100.000 ansetzen, „nicht weil dort Reichtum anfängt, sondern weil wir die Masse benötigen“.

Auf dem Reißbrett lässt sich das Schuldenproblem so leicht lösen. Im Bundestagswahlkampf sind die Grünen mit ihrem Vorschlag aber so gut wie gar nicht durchgedrungen. Florian Kern macht dafür das allgemeine Gefühl verantwortlich, dass in Deutschland die Krise schon so gut wie vorbei ist: „Da ist es schwer zu vermitteln, dass schmerzhafte Belastungen notwendig sind.“

Dass die Krise an Deutschland eben nicht spurlos vorüber geht, dass zeigt aus seiner Sicht schon die Differenz zwischen Exporterlösen und Vermögen: Ein großer Teil der Gewinne aus den deutschen Exporten ist – oft im Ausland – schlecht angelegt worden, zwischen 300 und 600 Milliarden Euro haben die Deutschen laut Schätzungen im Verlauf der Krise verloren.

Bleibt die Frage, ob das ein temporäres Versagen der Anlageberater war, oder ob es ein strukturelleres Problem mit den Vermögen gibt. Für Kern und Stelter ist klar, dass es in Deutschland und anderswo zu viel Vermögen gibt, dass nicht durch reale Werte unterlegt sind. Da die bisherigen Anstrengungen zum Schuldenabbau insgesamt wenig gebracht haben, und offensivere Strategien wenig Aussicht auf Erfolg haben, laute die Frage aus Sicht von Stelter jetzt: „Wie enteignen wir die Vermögenden so, dass sie es nicht merken?“

Auch der Banker in der Runde kann sich dieser Sichtweise nicht ganz verschließen. Richtig sei, dass höhere Einkommen weniger konsumieren und mehr sparen, und weil es dann weniger Investition und Wachstum gibt, kommt es regelmäßig zu Überakkumulation. Diese Krisen werden normalerweise zyklisch ausgeglichen, manchmal aber komme es zu Monsterwellen wie 1929 oder 2007. In diesen Fällen muss man tatsächlich von zu viel Vermögen sprechen. Windels wünscht sich aber eine andere Lösung für das Problem: “Wir brauchen ein Beschäftigungsprogramm für Kapital, dafür muss die Politik den richtigen makroökonomische Rahmen setzen“.

Aus Sicht von Daniel Stelter müsste dieses Beschäftigungsprogramm bei den Unternehmen ansetzen. Der Steuersenkungswettbewerb der vergangenen Jahre habe die Unternehmen entlastet und zur Verschuldung von Staaten und Privathaushalte beigetragen. Anstatt ihre Vermögen zu investieren, seien viele Unternehmen zum Sparer geworden. „Müssten wir nicht die Unternehmen zwingen, mehr zu investieren?“, fragt er daher. Zumindest wünscht er sich, dass die Investitions-Anreize deutlich steigen, indem Investitionen steuerlich entlastet werden, Aktienrückkäufe und Dividenden hingegen belastet.

 

Hinweis: Die nächste Veranstaltung in der Reihe Jenseits der Krise fragt am 12. Februar 2014: „Reindustrialisierung Europas?

 

 

Diese Veranstaltung fand statt mit Unterstützung der Europäischen Union - Programm "Europa für Bürgerinnen und Bürger": Strukturförderung für zivilgesellschaftliche Organisationen auf europäischer Ebene.

 

 

 

 

 

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