"Für mich wirken Filme wie eine Art Einstiegsdroge"

Ruth Marianne Wünderich-Brosien und Elias Gottstein
Teaser Bild Untertitel
Marianne und Elias

Marianne und Elias, Ihr seid beide Mitglieder der 29. Friedensfilm­preisjury. Marianne, Du bist eine der GründerInnen des Friedensfilm­preises und warst in jedem Jahr in der Jury dabei.  Elias, Du warst noch gar nicht gebo­ren, als Marianne und die Friedensgruppe Zehlendorf den ersten Friedens­filmpreis auf der Berlinale 1986 verlie­hen haben. Jetzt habt ihr gemeinsam mit weiteren JurorInnen die Auf­gabe, den Friedensfilm 2014 auszuwählen – was meint ihr, wird das gehen?

Marianne:  Ich denke ja. Ich bin neugierig auf Dich, Elias. Du musst doch vieles ganz anders sehen als ich, die den 2. Weltkrieg noch erlebt hat.

Elias: Ja, da kommen wir sicher nicht darum herum, dass ich nicht so viel Lebenserfahrung habe. Aber vielleicht ist es auch gerade das, was ich zur Juryarbeit beitragen kann: einen anderen Blick auf das Ganze. Und ich bin sicher dass wir gemeinsam einen Film auswählen werden.

Marianne: Ich freue mich darauf, Deinen Blick auf die Welt kennen zu ler­nen. Als ich so alt war wie Du, war meine Lebenswelt so ganz anders als jene, die Du heute erlebst. Das finde ich sehr spannend. Und da immerhin alle Altersgruppen Filme gucken, ist es wichtig, dass alle Altersgruppen in der Jury sind.

Marianne, warum gibt es den Friedensfilmpreis noch immer und wa­rum bist Du noch immer dabei?

Marianne: Es war sehr schwierig, diesen Preis zu gründen, damals 1986. Es  war das UNO-Jahr des Friedens, und die bezirklichen Friedensgrup­pen in West-Berlin wollten etwas machen, was über die üblichen Friedens­aktivitäten hinaus ging. West-Berlin war ja eine Insel, Frontstadt, und wir wollten, dass man auch anderswo weiß, dass es auch in West-Berlin frie­densbewegte Leute gibt, die gegen Atomwaffen sind, gegen die Nachrüs­tung und auch gegen Atomenergie. Von der damaligen Berlinale-Leitung als unabhängige Jury akzeptiert zu werden war sehr schwierig. Heute ist das ganz anders. Und ich bin nach wie vor der Meinung, dass Filme die Menschen eher erreichen und ihnen unsere Themen eindringlicher nahe bringen können als Zeitungen oder Bücher. Die Emotionen werden direkt an­gesprochen. Damals, am Anfang, war meine Vorstellung – und das ist bis heute geblieben – dass Friedensfilme einen Einfluss auf die Gesell­schaft haben. Wenn zum Beispiel in der Stadt Berlin mal eine Woche lang nur Friedensfilme gezeigt würden, gäbe es dann nicht weniger Aggressio­nen, weniger Gewalt? Die Berliner sind ja fleißige Kinogänger.

Elias,  warum engagierst Du Dich in der Jury des Friedensfilmprei­ses? Die Berlinale ist das Glamour-Kulturereignis – sehr weit entfernt von Straßen­musik und deinem Lebenskonzept. Was sind Deine Erwar­tungen an die Jury-Arbeit?

Elias:  Oh, ich denke es ist näher an mir dran als so manche Bühne auf der ich gestanden habe. Ich war noch nie auf der Berlinale, aber ich habe die Erwartung, dass dort nicht die absoluten Mainstream-Filme gezeigt werden, sondern auch Filme mit einer gewissen Qualität. Und die Friedensfilm­preisjury bringt noch mehr Nähe, dadurch, dass wir einen speziellen Film suchen, der mit dem Thema Frieden zu tun hat, nicht nur irgendeinen tollen Film der uns gefällt. Ich bin sehr gespannt auf die anderen Jury-Mitglieder, ihre Meinungen, und wie sie das Ganze betrachten. Ich bin gespannt auf die Inhalte der Filme. Für mich ist der Weg spannend, der zu dem Ziel führt, den besten Film auszuwählen. Die Filme anzuschauen ist für mich eine Möglichkeit mich zu bilden. Und wir als Jury werden eine demokrati­sche Lösung finden für unsere Entscheidung.

Auf sehr unterschiedliche Weise seid Ihr beide bestrebt, mit Euren Lebensweisen die Welt positiv zu verändern. Worauf kommt es Euch an im Großen und im Kleinen?

Marianne: Für mich ist wichtig bewusst zu leben. Nicht nur für mich, dazu gehört auch ein bewusstes Leben in meinem Freundeskreis, in der Familie, in der Nachbarschaft. Dass ich etwas weiter gebe, nicht nur an mein Kind. Und dieses Weitergeben heißt auch aufpassen. Dass wir eine Demokratie haben, heißt ja nicht nur dass wir viel Freiheit haben, sondern wir müssen diese auch nutzen. Demokratie muss man machen. Das kann man nur weiter geben im Kontakt mit der Familie und der größeren "Familie", der Nachbarschaft, der Gesellschaft. Und da können letztlich auch Friedens­filme etwas beitragen.

Elias: Dem kann ich mich anschließen. Nach den Vorführungen unseres Films habe ich gleichaltrigen Zuschauern gerne erklärt, wie wichtig es mir ist, etwas tun zu können was mich begeistert. Ich habe das Gefühl, dass das immer weniger Menschen ermöglicht wird. Weil so viel Sicherheitsden­ken da ist, weil vielen jungen Menschen so viel Druck gemacht wird. Sie lernen nicht, ihr eigenes Leben zu gestalten und die Welt zu gestalten son­dern leben immer nach gewissen Mustern, nach Sicherheitsgedanken. Da­durch werden viele dann letzten Endes sehr egoistisch. Wenn wir die Ver­antwortung für uns selber und für die Welt übernehmen beginnen wir auch mehr mitzubestimmen, mehr Demokratie zu machen. Aber jetzt läuft es ge­rade in die andere Richtung: Wir haben eine Demokratie, geben alle 4 Jahre unsere Stimme ab und geben ansonsten alle Verantwortung ab.

Elias, veränderst Du etwas in Richtung Frieden mit deiner Musik und Dei­nem Leben so wie Du es lebst, als Straßenmusiker?

Elias: Das wäre schön. Am Anfang stand ja für Carl Luis und mich eher der Groll auf die Schule und das davon beherrschte Leben, und natürlich war da auch der Wunsch, ein bisschen Bestätigung zu finden. Jetzt ist es ein Ziel, eine positive, auf Frieden in jeder Form abzielende gesellschaftliche Teilnahme anzuregen.

Marianne: Sprechen Euch viele Jugendliche darauf an?

Elias: Ja, das passiert manchmal. Aber man muss sich da auch keine Illu­sionen machen. Es gibt viel mehr Leute, die uns in die Kategorie "Hippies" stecken oder denen es überhaupt nicht passt, was wir machen.

Habt Ihr beiden jeweils einen Lieblingsfilm?

Marianne: "Les enfants du Paradis", "Kinder des Olymp". Das ist auch ein Lieblingsfilm von unserer Jury-Kollegin Helgard Gammert, jedes Jahr um die Weihnachtszeit läuft er im Bali-Kino.

Elias: Ich habe keinen Lieblingsfilm. Dadurch, dass ich mit Sobo Swobodnik zu tun habe und ja auch mit ihm befreundet bin, habe ich viele von seinen Filmen und von der Art wie er Filme macht kennengelernt, und das gefällt mir sehr gut. Aber ich habe bislang nicht viele Filme angeguckt - das wird sich ja nun ändern.

Was fasziniert Euch an Filmen und der Arbeit in der Jury des Friedensfilmpreises?

Elias: Das ist ja wahrscheinlich besser als jedes Studium. Ich gehe in die Jury, habe acht Fachleute zur Seite, darf dabei sein und mit diskutieren. Es ist ein Studium des Lebens, der Welt.

Marianne: Nach der Berlinale bin ich erschöpft – nach ungefähr 30 Filmen. Aber ich bin auch wirklich sehr viel schlauer. Man lernt auch als fast 77jährige noch viel.

Welche Kriterien sind für Euch ausschlaggebend, um einen Film mit dem Friedensfilmpreis zu würdigen? Was macht einen Friedensfilm aus?

Marianne: Das ist eine Frage die man auf 5 bis 10 Seiten beantworten müsste. Neben der Thematik Krieg und Frieden sollte ein Friedensfilm vielleicht auch darauf aufmerksam machen, dass wir im Überfluss ertrinken und damit den Hunger anderswo verursachen. Wir sind beteiligt. Wenn ich traurig in der Ecke sitze und nachdenke, komme ich zu dem Schluss, dass wir an den Kriegen in der Welt beteiligt sind und gewissermaßen selbst im Krieg sind, nicht nur durch Bundeswehrsoldaten im Auslandseinsatz.

Elias: Da kann ich mich nicht festlegen. Ich kann Friedens-Aspekte in vie­len Filmen finden. Vielleicht wäre es ein Kriterium, inwieweit dieser Film sich mit einer Sache auseinandersetzt die besonders aktuell ist. Und, das wäre für mich auch ein Kriterium, dass der Film Ereignisse, Verhältnisse in größerem Zusammenhang  betrachtet.

Was, glaubt Ihr, können Friedensfilme bewirken?

Marianne: Ich hoffe, dass die Würdigung dieser Filme beim Festival und die Erwähnung in der Presse dazu verhilft, dass sie gezeigt werden. Beim Publikum dieser Filme bleibt etwas haften, dass hoffe ich. Und dass die Zuschauer, wenn sie aus dem Kino kommen, nachdenken und etwas än­dern in ihren Gedanken, in ihrem Leben.

Elias: Was ein Film bewirkt, hängt davon ab wie viele Menschen er erreicht und was er mit dem Einzelnen macht. Für mich wirken Filme wie eine Art Einstiegsdroge in ein Thema. Ich kann in den 90 Filmminuten sehr schnell emotional angefixt werden. Ein Film kann viele Bilder vermitteln, Emotionen auslösen, bestenfalls einen Push geben und man fängt an, sich doch noch über andere Filme oder Bücher mit der Sache auseinander zu setzen.

Marianne, Du begleitest den Friedensfilmpreis und damit die Berlinale nun schon fast 30 Jahre.  28 Friedensfilmpreise wurden seither verlie­hen. Kann der Preis etwas bewirken?

Marianne: Wenn wir die Medienresonanz betrachten, eher nicht. Aber es ist sicher nicht unwichtig, dass der Preis mit 5.000 Euro dotiert ist. Oft sind es ja Filme, die von sehr jungen Leuten gemacht wurden. Filme machen ist teuer, und engagierte Filme werden nicht immer unterstützt. So bewirkt der Preis, dass manche Filmemacher ihre  Schulden verringern können oder eine Unterstützung für ein neues Projekt haben. Ich hoffe, dass auch darü­ber hinaus der Preis die Filmemacher in ihrem Engagement bestärkt und ermutigt. Und dass die Auszeichnung dazu beiträgt, dass der Film in vielen Kinos, zum Beispiel den Filmkunst-Kinos in ganz Deutschland, die auf qua­litätsvolle Filme achten, gespielt wird und sein Publikum findet.