Wie man in Afghanistan eine Wahl gewinnt

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Afghanen bei der Wahl 2009

Am 17. Juli 1973 kam es in Kabul zu einem unblutigen Staatsstreich. Während sich König Sahir Schah im Ausland aufhielt, putschte Premierminister Mohammed Daoud Khan und rief die neue Republik Afghanistan aus. Nur wenige Jahre später sollte auch Daoud Khan durch einen Putsch gestürzt werden, als die Demokratische Volkspartei Afghanistans (DVPA), die von der Sowjetunion unterstützte kommunistische Partei Afghanistans, ihn 1978 mit Gewalt absetzte.

Seit dieser Zeit ist es in Afghanistan nicht ein einziges Mal zu einem friedlichen Machtwechsel gekommen. Sowohl die Regierung der DVPA (1978 – 1992) wie auch die der Mudschahidin (1992 – 1996) und der Taliban (1996 – 2001) wurden mit Gewalt aus Kabul vertrieben. Es ist also nur zu verständlich, wenn viele Beobacher der anstehenden Wahl, bei der ein Nachfolger für Hamid Karzai, der nicht mehr antreten darf, gefunden werden muss, mit Sorge entgegensehen.

Bei früheren Präsidentschaftswahlen gab es in Afghanistan heftige Rivalitäten, regelmäßig war von Korruption und Wahlbetrug die Rede, und in beträchtlichem Maß kam es zu Gewalt und Einschüchterung. Offiziell begann der Wahlkampf für die diesjährige Präsidentschaftswahl zwar erst am 2. Februar 2014, aber schon seit Jahren bereiten sich die jeweiligen Lager auf diesen Moment vor. Offiziell bewerben sich nicht weniger als elf Kandidaten um das Amt, wobei in den vergangenen 18 Monaten einige Dutzend mehr ihre Chancen ausgelotet haben.

In dem Maße, in dem der Wahlkampf an Fahrt aufnimmt, treten auch die vielfältigen politischen, ethnischen, religiösen, wirtschaftlichen und territorialen Identitäten im Lande deutlicher zutage. Prominente Vertreter der wesentlichen Gruppen beteiligen sich intensiv am Wahlkampf, sei es als Geldgeber, sei es, dass sie Gefälligkeiten versprechen, auf dem Lande Wähler mobilisieren oder versuchen, die Wahlordnung zugunsten ihrer Kandidaten zu ändern (oder zu unterlaufen).

Am interessantesten dabei jedoch: Obgleich in Afghanistan Wahlfälschung eine lange Tradition hat und Gesetzesbrecher, haben sie nur genügend einflussreiche Kontakte und Waffen, in der Regel nichts befürchten müssen, sind den Kandidaten dennoch bestimmte Grenzen gesetzt.

Um in Afghanistan eine Wahl zu gewinnen, muss man im großen Stil Stimmen kaufen, sich absprechen, Schmiergelder zahlen – und vieles mehr, was demokratischen Verhältnissen scheinbar zuwiderläuft. Wenn jemand andererseits aber die Wahl zu offensichtlich und gründlich manipuliert – und dadurch auf eine Art gewinnt, die vielen im Lande nicht legitim erscheint – kann das schnell zu einem Putsch gegen ihn führen.

Das bedeutet, obgleich Afghanistan heute scheinbar ein demokratischer Rechtsstaat ist, sorgt allein die sehr reale Gefahr eines Putsches oder Aufstands dafür, dass sich die politischen Kräfte an bestimmte „vernünftige“ Spielregeln halten.

Die Rahmenbedingungen für 2014

Zwar hat sich in Afghanistan im vergangenen Jahrzehnt viel gewandelt, u.a. politische Bündnisse und Gegnerschaften, aber vieles ist auch wie gehabt. Die Machtbasis wichtiger ethnisch-politischer Führer hat sich kaum verschoben, und auch an der regionalen Unterstützung für Präsident Karzai hat sich wenig geändert. Bei der ersten Runde der Wahlen von 2004 gingen fast alle paschtunischen Provinzen an Hamid Karzai, während Mohammed Mohaqiq (ein Hazara), Junus Ghanuni (ein Tadschike) und Raschid Dostum (ein Usbeke) jeweils dort gewannen, wo ihre Ethnie die Mehrheit stellt. Die folgende Karte stellt die räumliche Verteilung der Stimmen dar (die Farbe markiert, welcher Kandidat die jeweilige Provinz gewann).[1]

Zwar gelang es Karzai 2004 mehrere Provinzen im Norden des Landes für sich zu gewinnen, doch lag dies vor allem daran, dass sich seine Konkurrenten gegenseitig Stimmen abnahmen. Die folgende Karte[2][B1]  zeigt den Anteil der Stimmen, den Karzai pro Provinz 2004 für sich gewinnen konnte. Die Provinzen Balch und Kunduz gingen an ihn nicht mit absoluter sondern nur mit relativer Mehrheit.

 

Das Stimmenverhältnis, auf das es in Afghanistan bei Präsidentschaftswahlen jedoch tatsächlich ankommt, ist allein das auf nationaler Ebene. Entsprechend ist eine Stimme in Kandahar (wo Karzai über 90 Prozent holte) gleich viel wert, wie eine Stimme in Balch. Warum also versuchte Karzai, und warum versuchen die aktuellen paschtunischen Kandidaten, Wähler im Norden und Nordosten des Landes für sich zu gewinnen – obwohl das ungleich schwieriger ist?

Dies führt uns zurück zur Frage der politischen Legitimität. Zwar hört man viel über die ethnischen und religiösen Verwerfungen in Afghanistan, es gibt jedoch, in den Worten der Afghanistan-Spezialistin Martine van Bijlert, eine große „Entschlossenheit bei vielen Afghanen, sich nicht noch einmal durch Gewalt spalten zu lassen“. [3] Für jemanden wie Karzai, dessen Sieg von vornherein so gut wie sicher ist, ist es deshalb weniger wichtig, seine Stimmenzahl durch Drohungen oder Wahlbetrug zu erhöhen, vielmehr will man landesweit ein gewisses Maß an Unterstützung gewinnen, um so die Legitimität der eigenen Regierung zu stärken.

Im Jahr 2009 war dies deutlich zu sehen, denn die hart umkämpfte Wahl stellte die Fähigkeit der Regierung auf die Probe, einen Sieg abzuliefern, der sowohl formal als auch vom Gesamtergebnis her überzeugend war.

Die internationale Gemeinschaft, der sehr daran gelegen war, dass die Wahlen im Ausland als legitim und transparent galten, richtete eine Kommission für Beschwerden (ECC) ein, deren Mitglieder teils aus Afghanistan, teils aus anderen Staaten stammten. Den Ausländern, die die Mehrheit stellten, oblag es dabei, Berichte über Unregelmäßigkeiten zu untersuchen. Aufgabe der ECC war es, das Wahlergebnis zu prüfen und zu bestätigen.

Die folgende Karte zeigt, wieviele Beschwerden pro 10.000 Einwohner in den Provinzen eingingen. Zwar gab es nicht wenige Beschwerden über Wahlbetrug aus dem Landessüden, am stärksten konzentrierten sich diese jedoch im Nordosten, mit den Provinzen Baglan, Panjshir und Nuristan als Spitzenreiter.

Aus den Daten ist nur schwer abzulesen, gegen wen sich die Vorwürfe richteten und welche Kandidaten von Betrug am meisten profitierten. Durch die Prüfung der ECC wurden Karzai mehr Stimmen aberkannt als seinem größten Konkurrenten, Dr. Abdullah (der mit Karzai in die Stichwahl ging). Die meisten Anzeichen sprechen dafür, dass Wahlbetrug überwiegend von regierungsfreundlichen Netzwerken ausging und vor allem Karzai profitierte.[4]

Neben Anschuldigungen, es sei zu Wahlbetrug gekommen, kam es 2009 am Wahltag auch zu vielen Gewalttaten, etwas das sich 2010 bei den Wahlen zu den Provinzräten fortsetzte. Die Gewalt am Wahltag 2009 entsprach den „normalen“ Trends zur Gewalt im Lande, d.h. die pro Kopf höchste Zahl an Zwischenfällen ereignete sich im Osten und Süden.

Bei Wahlen in Afghanistan ging Gewalt vor allem von den Taliban, dem Haqqani-Netzwerk und anderen bewaffneten, regierungsfeindlichen Gruppen aus – und kam eher nicht aus dem „Mainstream“ der afghanischen Politik. Allerdings gab es auch zahlreiche Fälle von Einschüchterung und von Drohungen gegen Wähler und gegen jene örtlichen Eliten, die die Wähler mobilisieren.[5] Die meisten der Einschüchterungsmanöver ereignen sich jedoch schon lange vor der Wahl, d.h. erfasst werden hier vor allem solche Aktionen, mit denen die Legitimität und der Ablauf der Wahlen sabotiert werden sollte.

Wie gewinnt man die Wahl?

Da Sicherheitslage und politische Landschaft schwierig und schwankend sind, lässt sich eine Präsidentschaftswahl in Afghanistan nur durch eine fein austarierte Strategie gewinnen, eine Strategie, die traditionelle Faktoren von Demokratie wie Mobilisierung der Wähler, Abmachungen und Deals kombiniert mit einer realistischen Einschätzung der Macht bewaffneter Gruppen, der realen Gefahr eines Putsches sowie der Gefahr, dass sich einem erneut aufflammenden Aufstand neben extremen Kräften wie den Taliban auch etablierte politische Akteuere anschließen können.

Es ist die Gefahr eines von den Eliten getragenen Staatsstreichs oder eines massenhaften Aufstands des Volkes – sowie die zwar geringe, aber durchaus denkbare Möglichkeit, dass internationale Spender sich zurückziehen – welche die politischen Eliten bei Wahlen zumindest in einem gewissen Maße verantwortsbewusst handeln lässt. Wie sich das dieses Jahr im April darstellen wird, werden wir sehen

 


[1] Nach Angaben der Unabhängigen Wahlkommission (IEC) und des National Democratic Institute (NDI)

[2] Nach Angaben der IEC und von UNAMA

[3] Martine van Bijlert: „Fear, Hope and Determination: Afghanistan and the 2014 Syndrome“. Afghanistan Analysts Network (AAN)

[4] Siehe z.B. Dexter Filkins, Carlotta Gall: Fake Afghan Poll Sites Favored Karzai, Officials Assert. The New York Times, 6. September 2009.

[5] Democracy Now: Afghan Election Marred by Fraud, Intimidation, Violence, Low Turnout, 25. August 2009.