Die FMLN gewinnt erneut die Präsidentschaftswahlen in El Salvador

Überraschend knapp war der Vorsprung, mit dem Salvador Sánchez Cerén und Oscar Ortiz, beides ehemalige Guerrilleros der FMLN, die Wahlen gewonnen haben. Nachdem sie im ersten Wahlgang mit einem Vorsprung von 10 Prozent gesiegt hatten, erzielten sie nun in der Stichwahl nur noch eine Mehrheit von weniger als einem halben Prozentpunkt. Die FMLN erhielt 50,11 Prozent, die ARENA 49,89 Prozent der Stimmen.

Nicht nur die Umfragewerte, sondern auch die politische Stimmung und insbesondere die Ergebnisse des ersten Wahlgangs gaben allen Grund für die Annahme, dass die FLMN einen derart klaren Sieg davontragen würde, dass keine Zweifel daran aufkommen würden, dass der Wahlsieg nicht dem Willen der Mehrheit entsprechen könnte. Nun hat die FMLN im zweiten Wahlgang jedoch nur mit 6.364 Stimmen Unterschied gewonnen.

Zwischen den beiden Wahlsonntagen des 2. Februars und 9. März, einem Zeitraum von nur etwas über einem Monat, änderte sich die Wahlsituation grundlegend, und zwar ohne dass dies von den angesehensten Umfrageinstituten erfasst wurde. Es liegt bislang keine wissenschaftliche Untersuchung zu den Ursachen vor, weshalb sich der Vorsprung der FMLN gegenüber dem ersten Wahlgang um über 9 Prozent verringerte; Es stehen aber einige Hypothesen, Daten und Fakten im Raum, mit denen man die Lage analysieren kann:

  • Erstens nahmen an der zweiten Wahlrunde nicht mehr drei, sondern nur noch zwei Parteien teil (ARENA und FMLN); die 11 Pozent, die UNIDAD im ersten Urnengang erhalten hatte, wurden also neu vergeben.
  • Aufgrund der ideologischen Nähe zwischen ARENA und den Parteien des Wahlbündnisses stimmte ein Großteil der 300.000 UNIDAD-Wähler im zweiten Wahlgang sehr wahrscheinlich für ARENA.
  • An der Stichwahl beteiligten sich über 300.000 Personen mehr als am ersten Wahlgang. Dies war entgegen dem historischen Trend und machte damit die Wahlprognosen zunichte, die von einer niedrigeren Wahlbeteiligung im zweiten Wahlgang und einem ähnlichen Wahlverhalten ausgingen.
  • Zwischen den beiden Wahlgängen nutzte ARENA die aktuelle Lage in Venezuela, um Ängste zu schüren und die Wahl als Entscheidung zwischen zwei Systemen darzustellen: für die FMLN zu stimmen, hieße für Sozialismus, Armut und staatliche Kontrolle zu stimmen; für ARENA zu stimmen, hieße der Freiheit die Stimme zu geben.
  • Die FMLN unternahm zu wenig, um der diffusen Beklemmung und Angst, die von der Lage in Venezuela ausging, entgegenzuwirken, sondern vertraute ganz auf die guten Ergebnisse des ersten Wahlgangs und die letzten Umfragewerte. Die FMLN agierte starr und unflexibel, ihr gesamter Wahlkampf war eindimensional. Sie reagierte nicht auf die Wahlkampagne des Kontrahenten, sondern verwies immer wieder auf die Errungenschaften der Regierung, die sie sich auf die eigene Fahne schrieb und versprach, zu verteidigen und auszubauen. Auch nach dem ersten Wahlgang hielt sie in ihrer Wahlkampagne an Wahlspots mit heiteren, freundlichen und positiven Bildern und Botschaften fest.
  • Anders als die FMLN verstand die ARENA die Ergebnisse des ersten Wahlgangs und Umfragen im Vorfeld des zweiten Wahlgangs, die der FMLN einen erneuten Wahlsieg voraussagten, als Aufforderung, ihren Wahlkampf zu intensivieren, und bewies damit ein hohes Reaktionsvermögen und einen starken parteiinternen Zusammenhalt. Eine der Maßnahmen, die ARENA mit großem Nachdruck vorantrieb, bestand darin, einer großen Anzahl von Personen, die aus finanziellen Gründen bislang davon abgesehen hatten und daher am ersten Wahlgang nicht teilgenommen hatten, die Erneuerung ihrer Personalausweise zu finanzieren.
  • Wie viele andere, hoffte auch die FMLN, dass die Angst schürenden Parolen der ARENA von “Venezuelarisierung” und einer “Verbrecherregierung”, die beim ersten Urnengang keinerlei Wirkung gezeigt hatten, auch später keinen Einfluss entfalten würden; aus heutiger Sicht kann man jedoch feststellen, dass die Strategie durchaus erfolgreich war, denn ARENA konnte einen Wählerzuwachs von 42 Prozent verzeichnen, während die FMLN lediglich um 14 Prozent zulegte. Laut Analysten war sowohl die Zunahme der Wahlberechtigten im zweiten Wahlgang, als auch die derart hohen Stimmenzuwächse der ARENA untypisch und damit nicht vorhersehbar.

 

Reaktionen und Lesart(en) des Wahlergebnisses

Die ARENA spricht von Wahlbetrug und hat das Wahlergebnis nicht anerkannt. Aus Verzweiflung darüber, dem Wahlsieg bereits so nahe gewesen zu sein, hat ARENA das Militär um Hilfe gebeten, zum Aufstand aufgerufen und ihre Anhängerschaft wie selten zuvor in ihrer Parteigeschichte zum Straßenprotest organisiert. Gleichzeitig hat sie von einigen Rechtsmitteln Gebrauch gemacht, um eine Einzelstimmenauszählung und Annullierung der Wahlen zu erwirken. Keinem dieser Rechtsmittel hat die Wahlbehörde stattgegeben, da keinerlei Beweise vorliegen, die ihre Forderungen untermauern.

Neben einem Großteil der öffentlichen Meinung haben auch die staatlichen und ausländischen Behörden, die den gesamten Verlauf der Wahlen beobachtet haben, die Arbeit des Obersten Wahlgerichts (TSE) und damit das Wahlergebnis hingegen für rechtmäßig erklärt; Sie haben bestätigt, dass das Wahlgericht die Transparenz und gleichberechtigte Partizipation der politischen Parteien und übrigen staatlichen Organe in jeder Phase der Wahlen dem Wahlrecht entsprechend gewährleistet hat.

Die FMLN muss sich allerdings kritisch mit diesem knappen Ergebnis auseinandersetzen und Konsequenzen daraus ziehen. Denn der Vorsprung ist denkbar gering ausgefallen, wenn man berücksichtigt, dass die FMLN keiner politischen Versuchung erlegen ist und Bündnisse mit gesellschaftlichen Gruppen, Personen und Fraktionen eingegangen ist, die vorher undenkbar gewesen waren.

Es muss jedoch auch betont werden, dass die FMLN trotz ihres hauchdünnen Vorsprungs als Gewinner gelten darf, und zwar nicht nur weil sie ihren Kontrahenten nach Stimmen besiegt hat, sondern auch, weil sie mit traditionellen Parteiführern als Kandidaten ins Rennen ging. Dies ist ein entscheidender Unterschied zur vorangegangenen Wahl, bei der die FMLN einen parteiunabhängigen Kandidaten aufstellen musste, den amtierenden Staatspräsidenten Mauricio Funes, der – so das damalige Kalkül – vor allem wegen seiner Person gewählt würde.

Das ist bei dieser Wahl nicht der Fall. Sánchez Cerén ist ein ehemaliger Guerillakommandeur, der als Vizepräsident und Bildungsminister in der auslaufenden Legislaturperiode eine eher zurückhaltende Rolle gespielt hat, ausschließlich für die FMLN steht und daher von den Anhängern der FMLN gewählt wurde.

Während Mauricio Funes mit einem Vorsprung von etwas mehr als 68.000 Stimmen gewann, hat sich Sánchez Cerén mit einem Unterschied von etwas über 6.000 Stimmen durchgesetzt. Allerdings hat die FMLN bei dieser Wahl im Vergleich zum Urnengang von 2009 um etwa 150.000 Stimmen zugelegt, was als positive Beurteilung ihrer ersten Regierungszeit und Vertrauensbeweis für die FMLN gewertet werden kann.

Im Gegensatz zur ARENA haben sich die FMLN und Sánchez Cerén als Parteiführer in der gegenwärtigen Situation nicht nur die erforderliche ausgewogene Rhetorik bewahrt, sondern auch wiederholt ihre Bereitschaft zum Dialog und zur Einigung mit ARENA und dem Großunternehmertum zum Ausdruck gebracht. Wahrscheinlich liegt es an der ruhigen Persönlichkeit, die der gewählte Präsident nach außen trägt, die ihn – obwohl er das traditionelle Gedankengut der Partei vertritt – gesprächsbereiter und versöhnlicher als Präsidenten Funes erscheinen lässt.

FMLN, die anderen Parteien und die Regierbarkeit

In dieser Legislaturperiode wird die FMLN erstmals ganz im Zeichen ihrer eigenen Parteiideologie regieren.

Die FMLN ist eine Partei, die von einer politischen Kommission geführt wird und keine exponierten individuellen Führungsämter kennt. Sie ist gesellschaftlich stark verwurzelt und hat unlängst die Fähigkeit entwickelt, mit ideologisch nicht nahestehenden gesellschaftlichen Gruppen, politischen Kräften und Verbänden Vereinbarungen zu treffen; Sie hat sich in der letzten Zeit als Partei präsentiert, die imstande ist, zwischenparteiliche Spannungen zu überwinden und mit der notwendigen Offenheit zu regieren.

Das Bündnis, das die FMLN mit dem ehemaligen Präsidenten Saca und dessen parlamentarischer Gruppe GANA eingegangen war und das während des Präsidentschaftswahlkampfes bekräftigt wurde, wird in dieser Legislaturperiode wahrscheinlich fortgeführt, d. h. bis mindestens Mitte 2015, wenn das neue Parlament gewählt wird.

Über die Beziehung zwischen der FMLN und GANA gilt es sorgfältig nachzudenken. Im Moment scheint sie reibungslos zu funktionieren. Es ist jedoch wahrscheinlich, dass sich GANA kurzfristig gezwungen sieht, sich inhaltlich stärker von der FMLN abzusetzen, um bei den nächsten Parlaments- und Kommunalwahlen Stimmen bei ihrer traditionellen, rechten Wählerschaft sammeln zu können. Aus diesem Grund muss die FMLN alle denkbaren Szenarien zulassen und durchspielen, sogar das Szenarium, Vereinbarungen mit ARENA zu treffen. Die FMLN muss also für die momentane Situation, in der sich ARENA und der Unternehmenssektor (deren Interessen ARENA vertritt und dem ARENA angehört) und die FNLM konfrontativ gegenüberstehen, eine konstruktive Lösung finden.

ARENA hat zwischen dem ersten und zweiten Wahlgang bewiesen, dass sie in der Lage ist, innerhalb kürzester Zeit ihre parteiinternen Reihen zu schließen. Trotz der heftigen innerparteilichen Auseinandersetzungen der vergangenen Wochen und Monate gingen Parteiapparat und Geldgeber mit großer Disziplin ans Werk und machten erhebliche Gelder frei.

ARENA ist zweifelsohne das wichtigste politische Instrument des Großkapitals. Auch wenn es in den vergangenen Jahren mehr in anderen Ländern und weniger in El Salvador investiert hat, besitzt es dort nach wie vor großen wirtschaftlichen und politischen Einfluss, ist weiterhin stark vor Ort präsent und kontrolliert außerdem wichtige Meinungsbildungsforen und Medien.

Es ist aber auch anzumerken, dass ARENA den alleinigen Führungsanspruch der Rechten, den sie über Jahrzehnte besaß, verloren hat, da mit den Parteien um das Wahlbündnis UNIDAD neue politische Organisationen auf den Plan getreten sind, die ins Parlament und andere staatliche Institutionen eingezogen sind. Die FMLN und Präsident Funes haben sich in der laufenden Legislaturperiode mit den “anderen” rechten Parteien verbündet und ARENA so bei den meisten parlamentarischen Entscheidungen an die Seitenlinie gedrängt. Das kann, wie oben erwähnt, im ersten Regierungsjahr durchaus weiter funktionieren, vorausgesetzt, die FMLN “versteht sich” weiterhin mit den anderen rechten Parteien. Diese Situation kann sich allerdings bei den beiden Parlamentswahlen, die während der Regierungszeit im Mai 2015 und Mai 2018 stattfinden, schlagartig ändern, sofern sich dann die Kräfteverhältnisse zwischen den Parteien verschieben und sich damit die Szenarien für die Regierbarkeit verändern.

Der Pressesprecher des FMLN-Leitungsausschusses, Roberto Lorenzana, hat kürzlich unumwunden bekannt gegeben, dass diese neu gewählte Regierung volle Verhandlungsfähigkeit besitzen werde, da sie die eigentliche Macht sei, ganz im Gegensatz zum Präsidenten Funes, die sie nicht sei (in Bezug auf die FMLN).

Die FMLN hat die Sympathien der meisten Linken auf ihrer Seite und konnte die eigene Anhängerschaft geschlossen hinter sich bringen, was ein gutes Zeichen für den inneren Zustand der Partei ist.

Was wird aus ARENA?

Wahrscheinlich hat der knapp verfehlte Sieg im zweiten Wahlgang die ARENA-Partei vor einer unumkehrbaren Spaltung bewahrt, für die in erster Linie der Kandidat Norman Quijano und dessen Hauptgeldgeber verantwortlich gemacht worden wäre, da dessen Kandidatur ausgesprochen umstritten war. In jedem Fall hat der verpasste Wahlsieg die ARENA im Inneren geschwächt, was in den kommenden Monaten deutlicher zutage treten könnte, sobald sich die momentane Aufregung und ihr Protest gegen den angeblichen Wahlbetrug gelegt hat.

Die unmittelbaren Herausforderungen ...

Diese Regierung wird bei ihrem Amtsantritt in wirtschaftlicher und steuerlicher Hinsicht nur minimalen Handlungsspielraum besitzen, denn aufgrund der jahrzehntelangen Stagnation und grassierenden Korruption liegen die Wirtschaft und der Staatshaushalt in El Salvador am Boden. Eine der größten Herausforderungen dieser Regierung wird sein, das Land in die Produktivität zurückzuführen, d. h. vor allem sein Produktionspotential zu erhöhen und reale Chancen für jenen großen Teil der Bevölkerung zu schaffen, der im informellen Sektor tätig ist oder sich in Unterbeschäftigung befindet. Es wird aber auch dringend notwendig sein, die erforderlichen Einnahmen zu schaffen, damit Investitionen und Staatsausgaben über Steuern finanziert werden können; hierfür muss die Regierung die großen Steuerhinterzieher angehen, eine mehrstufige Reform des Steuersystems durchführen und bereit sein, die damit verbundenen politischen Kosten zu tragen.

Das andere gravierende Problem, für das die Regierung effiziente Lösungen finden muss, ist die Unsicherheit. Die menschlichen und wirtschaftlichen Kosten der Unsicherheit sind derart hoch, dass diese Regierung, falls es ihr gelingt, die allgegenwärtige Unsicherheit merklich zu reduzieren, bessere Beurteilungen als alle Vorgänger-Regierungen erhalten wird, denn das Problem der Unsicherheit prägt nachhaltig das Leben und die Alltagsroutine aller Bürger, insbesondere der Bevölkerung der großen Armenviertel. Sollte ihr dies nicht gelingen, hat sie geringe Chancen auf Wiederwahl.

Die FMLN wird auf alle verfügbaren Finanzmittel zurückgreifen müssen, um die enormen Herausforderungen meistern und die Sozialprogramme fortführen bzw. weiter ausbauen zu können, für die die jetzige Regierung soviel Lob erhalten hat. Kurzfristig kommen die wichtigsten Einnahmen, der sie ich bedienen kann und muss, aus zwei Quellen: dem Entwicklungshilfefond FOMILENIO II der US-Regierung und den Mitteln der venezolanischen Regierung im Rahmen des ALBA-Bündnisses.

Für ersteres muss sich die FMLN mit der Regierung der Vereinigten Staaten verständigen, die für die Freigabe dieser Gelder die Einbindung des Unternehmerverbands (ANEP) und die Änderung der Rechtslage zur Gewährleistung öffentlich-privater Partnerschaften zur Voraussetzung gemacht hat. Dies würde die FMLN jedoch in Bedrängnis bringen, da sie in dieser Frage eine andere Meinung vertritt als die US-Regierung.

Um die ALBA-Mittel zu erhalten, muss die FMLN eine weitere schwierige Entscheidung treffen und notwendige Verhandlungen führen, da sie die neuen Bedingungen für den Beitritt zu diesem Bündnis mit der venezolanischen Regierung beschließen muss, die sie bis dato nur als Partei ausgearbeitet hat; nun muss sie sie als Staatsregierung aushandeln. Dieses Thema könnte ARENA ausnützen, um der FMLN vorzuwerfen, das Land “Venezuela anzunähern”. Die FMLN kann wegen der Haushaltskrise zu Beginn ihrer Regierungszeit jedoch nicht auf diese Gelder verzichten.

Auch wenn die Finanzmittel der ALBA aufgrund der aktuellen Lage in Venezuela momentan nicht sonderlich üppig ausfallen dürften, so sind die Gelder – ganz gleich wie hoch – dennoch dringend notwendig, um überhaupt erste Ergebnisse liefern zu können.