Südafrika: Die Wahlen 2014 aus feministischer Perspektive

Protestierende m Rahmen des UN-Klimagipfels 2011 in Durban, Südafrika
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500 Frauen protestieren im Rahmen des UN-Klimagipfels 2011 in Durban, Südafrika

Frauen stellen mehr als die Hälfte der Bevölkerung Südafrikas und bei den Wahlen im Jahr 2013 waren erstmals mehr Frauen als Männer wahlberechtigt[1]. Im internationalen Vergleich gehört das Parlament Südafrikas was Geschlechtergerechtigkeit angeht zu den Spitzenreitern, denn der Frauenanteil beträgt beinahe 50 Prozent. Entsprechend könnte angenommen werden, dass die Parteien in Frauen eine wichtige Wählergruppe sehen. Die starke Präsenz und Teilhabe von Frauen am politischen Leben hat jedoch zu keiner merklichen politischen Veränderung geführt. Grundlegende Reformen in Sachen Geschlechtergleichheit gelten als nachrangiges Thema und stehen im Schatten der Debatten über Rasse, Armut, Klasse und Wachstum.

Das soll nicht heißen, seit 1994 habe sich nichts verbessert. Die ersten beiden Parlamente (zwischen 1994 und 2004) verabschiedeten zahlreiche Gleichstellungsgesetze, reformierten das Eherecht und schufen Regelungen gegen häusliche Gewalt und für Gleichberechtigung am Arbeitsplatz. Südafrikas Verfassung ist zudem international eine der wenigen, welche die Rechte sexueller Minderheiten festschreibt. In den letzten Jahren sind Gender- und Frauenfragen in der Politik aber zunehmend in der Versenkung verschwunden, was dafür spricht, dass Gleichstellung aktuell nur mehr eine geringe politische Bedeutung hat. Wie viele, die in der Gender-Arbeit aktiv sind wissen, dass Geschlechterblindheit den Rechten von Frauen und geschlechtsspezifischen Minderheiten nicht zuträglich ist.

Südafrika: rechtlich gleich, praktisch ungleich

Obwohl Frauen in der Mehrheit sind, spiegelt sich dies bei der Besetzung von Machtpositionen in Politik und Wirtschaft nicht wider. Frauen stoßen in der Wirtschaft oft an eine gläserne Decke[2] und sind häufiger arbeitslos als Männer[3]. Frauen müssen zudem weiterhin den Großteil der Hausarbeit erledigen – und das unabhängig davon, ob sie berufstätig sind oder nicht[4].

Die hohe Zahl von Schwangerschaften im Jugendalter bedeutet, dass viele Mädchen die Schule vorzeitig verlassen. Geschlechtsbezogene Gewalt ist weit verbreitet und allein in den vergangenen fünf Jahren zeigten Frauen 163.264 Sexualdelikte an. Viele in diesem Bereich Tätige gehen davon aus, dass die Mehrheit der Opfer von Vergewaltigung und anderen sexuellen Straftaten diese nicht zur Anzeige bringen[5]. All das sowie die häufigen Angriffe auf Lesben deuten auf eine Krise der Männlichkeit hin. Die Tatsache, dass nur wenige Opfer von Vergewaltigungen auch erleben, dass ihre Vergewaltiger verurteilt werden, ist ebenfalls von Bedeutung.

Rechtlich mögen Frauen in Südafrika zwar gleichgestellt sein, dennoch ist klar, dass sich sehr viele Frauen in Südafrika nicht sicher fühlen und die zahlreichen Menschen-, sozialen und wirtschaftlichen Rechte, die ihnen gemäß der Verfassung zustehen, nicht ausüben können.

Durch einen Blick auf die Regierungspartei ANC, die größte Oppositionspartei Democratic Alliance (DA) und die beiden neuen, vielbeachteten Parteien, Agang und Economic Freedom Fighters (EFF) an, fällt auf, dass sie sich zwar zu Genderfragen und Frauenrechten äußern, aber selten auf die konkreten Probleme von Frauen eingehen. Im Folgenden werde ich diese vier Parteien aus feministischer Sicht betrachten.

Die neuen Parteien: Gender-Politik nach Schema F

Von den genannten Parteien gilt Julius Malemas populistische EFF vielen als die umstrittenste aber auch die vielversprechendste Kraft. Obwohl bei der EFF mehrere Frauen zur Parteispitze gehören, findet sich im Parteiprogramm[6] nicht viel zum Thema Frauenpolitik. Im 20-Punkte-Programm der EFF werden Frauen nur zweimal explizit erwähnt, nämlich beim Ausbau sozialer Leistungen und beim Thema Schutz und Sicherheit. Die Frage der Sozialausgaben will die EFF lösen, indem "nachhaltig Arbeitsplätze sowie Bildungs- und Ausbildungsmöglichkeiten für Frauen, die Kindergeld erhalten" geschaffen werden, "damit Frauen Kinder nicht nur bekommen, um dann Sozialleistungen zu erhalten". Zwar wird so anerkannt, dass Frauen in Sachen Wirtschaft und Bildung gestärkt werden müssen, um ihre demokratischen Recht auch wahrnehmen zu können. Übersehen werden jedoch die ungleichen Geschlechterverhältnisse, die es für Frauen schwierig machen, von ihren Partner zu verlangen, dass sie Kondome benutzen sowie der unzureichende Zugang zu Verhütungsmitteln und Gesundheitsberatung. Schlimmer aber ist noch, dass hier Frauen unterstellt wird, sie würden nur deshalb schwanger werden, um in den Genuss von Sozialleistungen zu kommen.

Ähnlich verhält es sich mit der Forderung der EFF, durch größere Polizeipräsenz Frauen zu schützen und die Strafjustiz zu verbessern. Zwar ist dies an sich lobenswert, jedoch wird dabei übersehen, dass geschlechtsspezifische Gewalt in Südafrika vor allem häusliche Gewalt ist. Um hier etwas zu bewirken, sind Präventionsprogramme nötig. Außerdem müssen Mittel bereitgestellt werden, um die Polizei zu schulen, sowie um Schutzräume und psychosoziale Betreuungsangebote für die Opfer einzurichten und zu unterhalten.

Von diesen beiden Punkten abgesehen, kommen Frauen im Programm der EFF so gut wie nicht vor – und das, obgleich sie einen hohen Anteil bei denjenigen stellen, an die sich die EFF richtet: die Landlosen, zahlreiche Jugendliche und die Arbeitslosen. In diesen sehr weit gefassten Kategorien gehen Frauen als Gruppe leicht unter und es ist zu befürchten, dass die EFF wahrscheinlich geschlechterblind handeln wird. Interessanterweise hat die Partei versucht, die marginalisierten LGBTIQ einzubeziehen, ein Forum für sie eingerichtet und sich öffentlich für sexuelle Vielfalt ausgesprochen. Da jedoch der Chef der EFF wiederholt durch sexistische Bemerkungen über Politikerinnen aufgefallen ist und auch abwertende Bemerkungen über Opfer von Vergewaltigungen gemacht hat, sind diese Versprechungen mit Vorsicht zu genießen. Es war bislang nicht möglich zu beobachten, ob die EFF ihre Versprechungen auch umsetzten wird, aber einige ältere Verlautbarungen der Partei sind auf jeden Fall problematisch.

In Frauenfragen konzentriert sich das Wahlprogramm von Agang auf Schutz und Sicherheit sowie auf Arbeitsplätze. Im Programm heißt es, dass "Frauen weiterhin Gewalt und Missbrauch ausgesetzt sind, und Männer darum kämpfen, ihre Würde zu wahren und ihre Frustrationen zu überwinden". Anerkannt wird so immerhin, dass eine zweifelhafte Männlichkeit, die sich in einer demokratischen Gesellschaft nicht zurechtfindet, ursächlich für Gewalt gegen Frauen ist. Agang versteht auch, dass Frauen sowohl innerhalb als auch außerhalb des Hauses Angriffen ausgesetzt sind. Die Partei fordert ein Südafrika "in dem Frauen und Kinder sowohl in ihren Häusern als auch auf der Straße sicher sind“. Nach Angaben dazu, wie mehr Sicherheit für Frauen geschaffen werden soll, sucht man in dem Programm aber vergeblich.

An anderer Stelle geht es im Programm von Agang um Arbeitsplätze für Frauen, die für ihre Würde und ihr Wohlergehen wichtig seien. Die Partei möchte ein "Südafrika, in dem jeder Mann und jede Frau eine Arbeit finden und würdig und gut leben kann" ohne von Sozialleistungen abhängig zu sein. Der Abschnitt zur Arbeitsmarktpolitik ist jedoch geschlechtsneutral formuliert. Da in Südafrika Frauen viel eher die Arbeitslosigkeit droht als Männern, da es vor allem sie sind, die die Hausarbeit machen und es für Frauen aus einer Reihe von Gründen schwer ist, an die Spitze eines großen Unternehmens zu gelangen, muss eine Partei, die Geschlechtergerechtigkeit auf dem Arbeitsmarkt fordert, diesen konkreten Problemen auch Rechnung tragen. Agang tut dies nicht. Wie bei der EFF war Agang nie an der Regierung und es lässt sich demnach nicht beurteilen, wie die Partei ihr Programm umsetzen wird. Agangs Programm könnte jedenfalls sehr wohl von Aussagen profitieren, die deutlich geschlechtsspezifischer sind.

Versprechen und Wirklichkeit: ANC und DA

Beim ANC und der DA lassen sich die Parteiprogramme gut mit der Wirklichkeit vergleichen. In Südafrika hat Geschlechtergerechtigkeit einen hohen Verfassungsrang. Auf Landes- wie auf kommunaler Ebene hat Südafrika mehr weibliche Abgeordnete als die meisten Länder der Welt[7]. Der Grund dafür ist vor allem die paritätische Verteilung der Sitze bei den ANC-Abgeordneten. Eine Ausnahme ist allerdings die Parteispitze, in der kaum Frauen zu finden sind.

An den strukturellen Ungleichheiten hat sich in Südafrika nur wenig geändert und Justiz wie auch Wirtschaft bewegen sich auf alten Pfaden. In den vergangenen zwanzig Jahren hat die Umsetzung fortschrittlicher Gesetze nicht nur an fehlendem Geld und politischem Willen gelitten. Auch patriarchale Werte gewannen an Bedeutung und Einrichtungen sowie Projekte, die gegründet wurden um die Gleichstellung voranzutreiben, verschwanden. Ein Beispiel hierfür ist das Gender-Budgeting-Projekt für eine geschlechtergerechte Haushaltspolitik. Sie sollte durch ein genderblindes Finanzministerium erreicht werden. Doch Südafrikas zweites demokratisch gewähltes Parlament strich diesen Ansatz wieder und machte das Erreichte zunichte. Mittel für Einrichtungen zur Gleichstellung der Frau wurden ebenfalls gekürzt[8]. Das vierte Parlament stellte die Commission of Gender Equality ganz in Frage, indem es das Dezernat für Frauen, Kinder und Menschen mit Behinderung ins Leben rief. Verschoben hat sich hiermit die Sicht auf Frauenrechte, da diese nicht mehr eigenständig behandelt, sondern mit den Rechten anderer benachteiligten Gruppen in einen Topf geworfen wurde.

Sorge macht auch, dass die ANC-Frauenliga, gegründet als das "feministische Gewissen" der Partei, weiter eine Rolle in den Debatten innerhalb des ANC spielt – obgleich viel dafür spricht, dass die Frauenliga die Gleichstellung links liegen lässt und diese vor allem als Sprungbrett für höhere Parteiposten dient. 2013 erklärte die Frauenliga beispielsweise, Südafrika sei noch nicht reif für eine Präsidentin[9]. Auch zu Rückfällen in alte Geschlechterrollen und zu für Frauen nachteiligen Gesetzen wie dem Traditional Courts Bill war von der Organisation nichts zu hören.

Entsprechend des fortschrittlichen und emanzipatorischen Profils des ANC gibt es in seinem Wahlprogramm für 2014 aber auch eine Reihe von Versprechungen, die sich an Frauen richten. Dazu gehören:

  • Rechtssicherheit bei Pachtverträgen und Zugang zu Land
  • Wirtschaftsförderung für von Frauen geführten Kleinunternehmen
  • durch Aufklärung und Zugang zu Empfängnisverhütung die Zahl der Schwangerschaften bei Jugendlichen sowie die Müttersterblichkeit absenken
  • Gebärmutterhalskrebs soll mit Impfungen bei allen Viertklässlerinnen bekämpft werden
  • Beschleunigung des Programms zur Senkung der Mütter-und Kindersterblichkeit in Afrika
  • Bekämpfung häuslicher Gewalt und Vergehen gegen Frauen durch Spezialeinheiten der Polizei und Umsetzung eines multidisziplinärer Ansatzes zur Bekämpfung von geschlechtsspezifischer Gewalt.

Verglichen mit den Wahlprogrammen von EFF und Agang bietet das Programm des ANC verbindlichere Aussagen und es zeigt mehr Verständnis für die Probleme, mit denen Frauen zu kämpfen haben. In der Praxis ist es in der Vergangenheit gelungen, die Müttersterblichkeit zu senken und die sexuelle und reproduktive Gesundheit von Frauen zu verbessern.

Frauenmangel an der Spitze

Um geschlechtsspezifische Gewalt effektiv zu bekämpfen, werden die erforderlichen Ausgaben wesentlich genauer budgetiert werden müssen, damit die Dienste für alle Frauen tatsächlich verfügbar sind[10]. Auch muss der politische Wille vorhanden sein, Beamte (in Polizei, Gesundheitswesen, Gerichten und sozialen Einrichtungen) zu entlassen, die ihre gesetzlichen Pflichten vernachlässigen. Besonders wichtig ist, dass das Gesetz zu häuslicher Gewalt[11] von der Polizei auch umgesetzt wird und ausreichend Frauenhäuser geschaffen werden.

Die DA ist Südafrikas Oppositionspartei. Bis zur Wahl von 2014 war sie die einzige Partei an deren Spitze eine Frau steht. In der Vergangenheit waren auf Wahlplakaten der DA drei Frauen zu sehen, nämlich Helen Zille (Vorsitzende), Patricia De Lille (Bürgermeisterin von Kapstadt) und Lindiwe Mazibuko (Fraktionschefin). Zum ersten Mal wurden so in Südafrika von einer großen Partei Frauen in den Mittelpunkt gestellt. Trotz dieses Auftretens hat die DA aber keine Frauenquote[12]. Als Regierungschefin der Westkap-Provinz ernannte Helen Zille ausschließlich Männer zu Ministern und erklärte, es gebe keine ausreichend kompetenten Frauen für diese Posten[13]. Da die DA es ablehnt, strukturelle Probleme bei der Gleichstellung durch Quoten zu lösen, erschwert sie Frauen den Zugang zu politischen Machtpositionen.

Im Wahlprogramm der DA werden Frauen nur am Rande erwähnt – auch hier in Verbindung mit Gewalt. Als wichtigste Punkte nennt die Partei die Unterstützung von Gewaltopfern. Sie fordert, dass die Einhaltung von Gesetzen regelmäßig überprüft wird, die Erfassung geschlechtsspezifischer Gewalt verbessert und die Polizei so ausgebildet wird, dass entsprechende Straftaten wirksam verfolgt werden können. Diese Forderungen sind zweifellos gut. Aber Frauen sind nicht nur Opfer. Frauen müssen auch in ihren positiven Rollen anerkannt und unterstützt werden, nämlich als treibende Kräfte in der Zivilgesellschaft und auf kommunaler Ebene, als Unternehmerinnen und Landbesitzerinnen. Hierauf geht die DA in ihrem Wahlprogramm nicht genügend ein.

Was den Frauenanteil betrifft, fällt auf, dass in allen vier Parteien unter den zehn höchstplatzierten Abgeordneten Männer immer noch in der Überzahl sind. Bei der EFF sind unter den zehn Top-Kandidaten drei Frauen, bei Agang sind es vier, bei der DA und dem ANC drei. Insgesamt sind somit nur 13 der 40 Top-Kandidaten Frauen. Zwar werden die DA und Agang von Frauen geführt, doch auch bei ihnen sind Frauenfragen kein Spitzenthema.

Wie sieht die Wirklichkeit aus?

Was können Feministinnen tun? Die Parteien tun zu wenig, um geschlechterspezifische Ungleichheit zu bekämpfen und im Wahlkampf spielt das Thema eine nachgeordnete Rolle. Während bei einigen Parteien Frauen an der Spitze stehen und geschlechterspezifische Gewalt thematisiert wird, werden strukturelle Ungleichheiten zwischen den Geschlechtern kaum behandelt und es fehlt das Bewusstsein dafür, dass Frauenfragen für eine aufstrebende Demokratie von entscheidender Bedeutung sind. Meist werden Geschlechterfragen und Frauenrechte mit anderen Themen verquickt, wodurch sich nur schwer ermitteln lässt, welche Veränderungen Frauen und ihren Rechten helfen könnten[14]. Jene Partei, die am besten versteht, wobei es bei der Ungleichheit der Geschlechter geht, ist eben die, von der weder eine gute Regierungsführung noch eine nachhaltige Genderpolitik zu erwarten ist. Bei den anstehenden Wahlen, würde ich gerne erleben, dass eine Partei gegründet wird, die die Rechte von Frauen und die Gleichstellung der Geschlechter zum Kern ihres Programms macht. Gelingen kann das nur, wenn Feministinnen es schaffen, eine lautstarke, eigenständige Wählerbasis zu mobilisieren.

 

[1] South African Institute of Race Relations (2013): 2013 South Africa Survey, S. 864

[2] The World Economic Forum (2013): Top 10 most gender equal countries in Africa. Für den Gesamtüberblick siehe den vollständigen Bericht als PDF.

[3] International Labour Organisation (2012): Global Employment Trends for Women. Genf: The International Labour Organisation.

[4] Statistics South Africa (2013). A survey of time use, 2010. Pretoria: Statistics South Africa, 2013.

[5] South African Police Services (2012): South African Police Service Annual Report 2012/2013, Oktober 2013, S. 117.

[6] Lesbian, gay, bisexual, transgender, intersex, and questioning.

[7] South African Institute of Race Relations (2013): 2013 South Africa Survey. S. 861f.

[14] Keine der genannten Parteien sagt, was sie tun will, um Institutionen wie die Menschenrechtskommission (Human Rights Commission), die Kommission für Geschlechtergleichheit (Commission for Gender Equality) oder die Gleichstellungsgerichte (Equality Courts) zu stärken. Diese Institutionen spielen eine entscheidende Rolle bei Überwachung und Durchsetzung der Geschlechtergleichheit in Südafrika.