Ukraine-Wahl: Poroschenkos schwerer Weg

Derr neue Präsident der Ukraine: Petro Proschenko
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Der neue Präsident der Ukraine: Petro Proschenko (das Bild entstand auf der Münchner Sicherheitskonferenz 2010)

Die Ukrainer haben gewählt. Bei den nach der Flucht von Wiktor Janukowytsch (63) notwendig gewordenen Präsidentschaftswahlen hat der Unternehmer Petro Poroschenko (48) bereits im ersten Wahlgang mit 54,7 Prozent der abgegebenen Stimmen gesiegt. Vor ihm gelang das nur Leonid Krawtschuk (80) unmittelbar nach der Unabhängigkeit von der Sowjetunion der noch überzeugender mit 61,59 Prozent gewann. Angesichts der vernichtenden Niederlage für Politiker aus dem ehemaligen Regierungslager der Partei der Regionen und der Kommunisten, die auf Wähler des Südostens gesetzt haben, ist damit der Westkurs des Landes bestätigt worden. Auch die trotz zahlreicher Boykottaufrufe und teils unter Lebensgefahr erfolgte Abstimmung in den Gebieten Donezk und Luhansk zeugt davon. Gleichzeitig ist diese Abstimmung auch als eindeutiges Votum gegen die Putinsche Politik gegenüber der Ukraine zu verstehen. Dennoch ist ein nicht geringer Teil der Wählerschaft vor allem in den östlichen und südlichen Regionen des Landes zu Hause geblieben. Der 48-jährige Poroschenko steht vor der Aufgabe eben in diesen Regionen eine andere Politik als seine Vorgänger zu betreiben, um den immer noch keine Mehrheit habenden Separatisten den Boden zu entziehen. Angesichts einer fehlenden Parlamentsfraktion und der eingeschränkten Vollmachten eine schier unlösbare Aufgabe.

Am 25. Mai waren über 35 Millionen Ukrainerinnen und Ukrainer einschließlich der Einwohner der von Russland annektierten Halbinsel Krym und von Sewastopol, aufgefordert einen neuen Präsidenten zu wählen. Im Vorfeld der Wahlen schien es teils, dass die Wahlen kaum stattfinden werden können. In den Gebieten Luhansk und Donezk übernahmen bewaffnete Separatisten in weiten Teilen die Kontrolle. Die von der Regierung gestartete teils äußerst chaotisch wirkende Antiterroroperation konnte die Situation nicht verbessern. In den Oblasten Charkiw und Odessa stand die Lage an einigen Tagen auf der Kippe. Schlussendlich fanden jedoch die Wahlen, bis auf die von Russland besetzten und den von Separatisten kontrollierten Gebiete, im ganzen Land statt. Selbst in den Oblasten Luhansk und Donezk konnten, den Angaben der Zentralen Wahlkommission nach, 38,94 bzw. 15,37 Prozent der registrierten Wählerinnen und Wähler zu den Urnen gehen. Behinderungen durch die Separatisten durch Überfälle  und Entführungen von Wahlkommissionsmitgliedern konnten das nicht verhindern. Erwartungsgemäß anerkannt durch die OSZE, gab es auch innerhalb der ukrainischen Politik, abgesehen von den offen mit den Separatisten kooperierenden Oleh Zarjow und Petro Symonenko keine Beanstandungen der Wahl.

 

Die Wahlbeteiligung im Detail:

 
1. Wahlgang 2010
2. Wahlgang 2010
1. Wahlgang 2014
 Ukraine
66,76
69,15
60,29
 Autonome Republik Krym
63,10
67,10
-
 Winnyzja
68,06
70,89
66,04
 Wolhynien (Luzk)
74,09
75,52
71,82
 Dnipropetrowsk
66,18
66,78
55,47
 Donezk
69,66
76,98
15,37
 Schytomyr
64,53
66,90
66,02
 Transkarpaten
56,74
56,37
51,08
 Saporischschja
67,90
68,88
51,14
 Iwano-Frankiwsk
70,71
75,41
73,95
 Kyjiw
64,80
66,38
68,39
 Kirowohrad
63,26
63,27
60,25
 Luhansk
71,00
74,42
38,94
 Lwiw
73,69
75,32
78,20
 Mykolajiw
63,84
66,23
51,61
 Odessa
62,97
63,39
46,01
 Poltawa
65,98
66,79
64,67
 Riwne
71,25
73,76
70,97
 Sumy
64,92
66,72
62,16
 Ternopil
73,11
77,78
76,63
 Charkiw
64,93
67,19
47,90
 Cherson
60,47
60,29
51,42
 Chmelnyzky
69,37
71,66
69,61
 Tscherkassy
63,97
66,10
65,50
 Tscherniwzi
59,61
61,58
61,54
 Tschernihiw
66,13
68,81
64,48
 Stadt Kyjiw
65,99
67,17
62,70
 Stadt Sewastopol
65,77
67,48
-

Quelle: Zentrale Wahlkommission

Profitiert vom Scheitern der Wahl in einigen ostukrainischen Wahlkreisen und der geringen Beteiligung in den ehemals für die Partei der Regionen und Wiktor Janukowytsch stimmenden Gebieten hat Petro Poroschenko in jedem Fall. Wären die Wählenden im Südosten ähnlich wie 2010 zur Abstimmung gegangen, läge der Stimmanteil für den Ex-Vizeministerpräsidenten Serhij Tihipko (54) oder den Kandidaten der Partei der Regionen Michailo Dobkin (44) und auch für Ex-Ministerpräsidentin Julija Tymoschenko (53) mit einiger Wahrscheinlichkeit höher. Die Angst vor einem Scheitern des zweiten Wahlgangs und der Wunsch schnell wieder ein legitimes Staatsoberhaupt zu erhalten, spielte dem Milliardär zusätzlich in die Hände. Viele Unentschlossene folgten letztendlich dem Wahlkampfargument des Stabes von Poroschenko die Entscheidung im ersten Wahlgang herbeizuführen, um eher wieder Ruhe und Stabilität in das seit November vorigen Jahres von Unruhen erschütterte Land zu bekommen. Das Argument wurde von den Umfragewerten untermauert, die bereits zum Teil Wochen vor dem Wahlgang einen überzeugenden Sieg von Poroschenko prognostizierten und dabei lediglich die Frage offen ließen, ob es Tymoschenko gelingt, die Stimmung zu drehen und einen zweiten vielleicht gesichtswahrenden Wahlgang zu erzwingen. Der teilweise Boykott der Wahl in den östlichen und südlichen Landesteilen führte dabei auch zu der bemerkenswerten Tatsache, dass Poroschenko in allen Oblasten die meisten der abgegebenen Stimmen bekommen hat. Lediglich im Wahlkreis Tschuhujiw im Gebiet Charkiw erhielt mit Michailo Dobkin ein anderer Kandidat mehr Stimmen.

Die Wahlergebnisse der einzelnen Präsidentschaftskandidatinnen und -kandidaten:

 Kandidat
Prozent der abgegebenen Stimmen
Stimmen
 Petro Poroschenko 
54,70
9.856.911
 Julija Tymoschenko
12,81
2.309.812
 Oleh Ljaschko
8,32
1.500.333
 Anatolij Hryzenko
5,48
989.028
 Serhij Tihipko
5,23
943.451
 Michajlo Dobkin
3,03
546.138
 Wadym Rabinowytsch
2,25
406.368
 Olha Bohomolez
1,91
345.386
 Petro Symonenko
1,51
272.858
 Oleh Tjahnybok
1,16
210.504
 Dmytro Jarosch
0,70
127.818
 Andrij Hrynenko
0,40
73.277
 Walerij Konowaljuk
0,38
69.569
 Jurij Bojko
0,19
35.927
 Mykola Malomusch
0,13
24.105
 Renat Kusmin
0,10
18.689
 Wassyl Kujbida
0,06
12.408
 Olexander Klymenko
0,05
10.545
 Wassyl Zuschko
0,05
10.440
 Wolodymyr Saranow
0,03
6.239
 Sorjan Schkirjak
0,02
5.021

Quelle: Zentrale Wahlkommission

Die große Verliererin Julija Tymoschenko

Neben den Vertretern der ehemaligen Regierungsparteien ist auch die durch den Maidan in Freiheit gekommene Julija Tymoschenko als große Verliererin anzusehen. Auch wenn Umfragen und die Ablehnung des Maidans nach ihrer Freilassung ihr deutliche Signale gaben, ließ sie es sich nicht nehmen erneut anzutreten. Ihre 12,81 Prozent sind für sie wohl eine herbe Enttäuschung, da sie anscheinend bis zuletzt auf ihre stille Reserve gehofft hatte, die sie diesmal entweder nicht aktivieren konnte oder die es vorzog andere Kandidaten zu unterstützen, wie beispielsweise den Überraschungsdritten Oleg Ljaschko. Ihre Partei würde einer Umfrage des Rasumkow-Zentrums von Ende April zufolge von bis zu 20 Prozent der Wähler unterstützt werden. Damit wäre Tymoschenko zumindest sieben Prozent unter dem Potenzial ihrer Partei Batkiwschtschyna (Vaterland) geblieben. Angesichts der Tatsache, dass Batkiwschtschyna bei den Parlamentswahlen im Oktober 2012 überraschend trotz aller Behinderungen 25 Prozent und sie selbst 2010 im ersten Wahlgang ebenfalls noch knapp 25 Prozent der Wählerstimmen erhielt, müsste sich in einer demokratischen Partei die Frage des Parteivorsitzes stellen. In den ukrainischen postsowjetischen Verhältnissen und den nach dem Führerprinzip aufgebauten Parteistrukturen stellt sich die Frage allerdings scheinbar nicht. Zumindest hat Tymoschenko am Wahlabend keine Konsequenzen aus dieser Niederlage gezogen und lediglich ihren Anhängern, Mitarbeitern und der Familie gedankt, dabei auch nur indirekt den Sieg Poroschenkos anerkennend. Eine Gratulation für den Wahlsieger steht noch aus.

Ihre politischen Optionen beschränken sich in der jetzigen Situation auf der Durchsetzung von vorgezogenen Parlamentswahlen. Sie könnte, wenn sie das Potenzial ihrer Partei ausschöpft und das Umfeld stimmt, mit Poroschenkos bisher virtuellem Projekt Solidarnost, um den Status der stärksten Fraktion wetteifern und bei äußerst günstigen Umständen Anspruch auf den Ministerpräsidentenposten erheben. Solidarnost werden dabei gerade bereits über 30 Prozent prognostiziert. Die Abneigung gegen Timoschenko selbst ist in der ukrainischen Gesellschaft inzwischen wohl einfach zu groß. Für sie stellt sich insgesamt die Frage der Zweckmäßigkeit einer weiteren Beteiligung am ukrainischen Politbetrieb. Dabei kann sie offenbar nur auf Fehler ihrer politischen Opponenten hoffen. Ein günstiger Moment für ihre Rückkehr ergäbe sich, wenn Poroschenko es nicht vermag, sein Versprechen der Auflösung des Parlaments und der Ansetzung von Wahlen einzulösen oder die Nichtauflösung gut zu begründen. Der Präsident kann das Parlament gemäß Artikel 90 der Verfassung nur in drei Fällen auflösen: (1) bei einer fehlenden Koalition im Verlauf von 30 Tagen, (2) 60 Tage ohne Regierungsbildung, (3) 30 Tage Untätigkeit des Parlaments innerhalb einer Sitzungsperiode.

Allenfalls eine Selbstauflösung käme theoretisch noch infrage. Jedoch hat ein Großteil der Parlamentsabgeordneten vor allem bei den Resten der Partei der Regionen und der Kommunisten, aber auch bei Batkwischtschyna kaum eine Chance auf Wiederwahl. Damit gingen ihnen parlamentarische Immunität, Posten, Ansehen und der Zugang zu Einnahmequellen verloren, was verständlicherweise nicht in ihrem Interesse liegt. Batkiwschtschyna nennt bereits in Person des geschäftsführenden Präsidialamtschefs Serhij Paschynskyj die unsichere Situation in den östlichen Gebieten als Hinderungsgrund. Der geschäftsführende Fraktionschef Serhij Sobolew stellt vor der Ansetzung von Wahlen die Rückkehr zum rein proportionalen Parlamentswahlgesetz der Parteilisten ohne Direktmandate zur Bedingung. Das Wahlgesetz war erst im November 2011 mithilfe von Batkiwschtschyna auf den jetzigen Stand gebracht worden.

Swoboda und der Rechte Sektor

Eine weitere Kraft, die kein Interesse an einer Parlamentsauflösung oder einem Regierungsrücktritt hat, ist dabei die rechtsradikale Swoboda, die augenscheinlich ihre Funktion als Widerpart zur Partei der Regionen erfüllt hat. Die 35 Abgeordneten und die drei verbliebenen Minister (Olexander Sytsch - Vizeministerpräsident, Ihor Schwajka – Agrarminister, Andrij Mochnyk – Umweltminister) haben nach dem verheerenden Wahlergebnis für ihren Führer Oleh Tjahnybok (knapp über einem Prozent) kaum eine Chance wiedergewählt zu werden und erneut an lukrative Positionen zu gelangen. Der geschäftsführende Generalstaatsanwalt Oleh Machnyzky dürfte vor allem nach der unbefriedigenden Aufklärung der Ermordung der Demonstranten während der Maidanproteste und auch der Zusammenstöße am 2. Mai in Odessa als Erster von Poroschenko durch eine andere Personage ersetzt werden. Der voraussichtliche stille Abgang von Swoboda und das schlechte Abschneiden der Führungsfigur des Rechten Sektors, Dmytro Jarosch, ist ein deutlicher Hinweis auf die eher auf Stabilität und Ordnung ausgerichtete Wählerschaft in der Ukraine. Das Rechtsbündnis des sogenannten Rechten Sektors hat wohl inzwischen einen höheren Anteil an Anhängern in den russischen Medien, als in der realen ukrainischen Politik.

Andererseits konnte der Populist Oleh Ljaschko mit seiner auf Jahrmarkteffekte ausgerichteten Dauerkampagne ohne substanzielles Programm (was ihn mit seinen Opponenten verbindet) einen Achtungserfolg von über acht Prozent erzielen und sich als Drittplazierter für höhere Posten empfehlen. Der 41-jährige kam zwar über Batkiwschtschyna ins Parlament, wurde aber für eine angeblich "europaorientierte Partei" unter unwürdigen Umständen nach der Veröffentlichung eines Videos über seine angebliche Homosexualität aus der Fraktion ausgeschlossen. Seine öffentlichkeitswirksamen "direkten Aktionen" gegen die Separatisten im Osten scheinen bei einem gewissen Wählerpotenzial auf Resonanz zu stoßen. Naheliegend ist eine Überschneidung mit der sogenannten "stillen Reserve" von Julija Tymoschenko. Damit hätte sie ein unmittelbares Interesse daran, ihn wieder in ihren Orbit zurückzuholen, Für ihn wiederum ist diese Option angesichts der sich eröffnenden Möglichkeiten bei einer vorgezogenen Parlamentswahl vorerst uninteressant. Allerdings könnte sich angesichts des gemeinsamen Interesses an vorgezogenen Wahlen zur Werchowna Rada ein zeitweiliges Bündnis ergeben. In dem mit dem Maidan sympathisierenden Wählerumfeld hat Ljaschko in jedem Fall gute Karten.

Ministerpräsident Arseni Jazenjuk wird zur Schlüsselfigur

Als eine Schlüsselfigur in dem neuen Machtgefüge dürfte vorerst wohl Ministerpräsident Arseni Jazenjuk anzusehen sein. Faktisch der mächtigste Mann im Staat und notorisch unterschätzt, aber ein Rücktritt von ihm und seinen Ministern könnte das Ziel von Parlamentsneuwahlen näher bringen. Ein Rücktritt der Regierung läge im Interesse von Tymoschenko, die über Wahlen die Chance hätte zumindest die parlamentarische Plattform zurückzubekommen. Welchen Grund sollte jedoch Jazenjuk haben ihr entgegenzukommen? Zudem ist nicht ausschließbar, dass Poroschenko zusammen mit Jazenjuk sich eine Parlamentsmehrheit über Witalij Klytschkos UDAR (41 Abgeordnete), zusammen mit den Überresten der Partei der Regionen (103 Abgeordnete plus diversen "unabhängigen" Abgeordnetengruppen) und von Teilen von Batkiwschtschyna (88 Abgeordnete) sichern kann. Entscheidend dürfte hierbei die Position der Oligarchen sein, die Poroschenko und auch Klytschko unterstützt haben. Insbesondere das nachweisliche Treffen von Poroschenko und Klytschko mit Dmytro Firtasch und Ex-Präsidialamtschef Serhij Ljowotschkin in Wien Ende März ließ viele Beobachter aufhorchen. Nach dem Treffen zog Klytschko plötzlich zugunsten von Poroschenko zurück und kündigte seine Kandidatur für den Bürgermeisterposten in Kyjiw an. Diese Entscheidung wurde prompt in Pressemitteilungen sowohl von Firtasch als auch von Ljowotschkin honoriert. Damit wurden endgültig die lange verleugneten Beziehungen zwischen Klytschko und dem Duo Firtasch und Ljowotschkin offengelegt. Unklar in diesen Überlegungen ist aber, inwieweit Firtasch und Ljowotschkin noch Einfluss auf Abgeordnete nach der Zerstörung des Systems von Abhängigkeiten und Absprachen infolge des Maidans haben. Eine weitere Unbekannte ist, inwiefern Poroschenko sich überhaupt auf derartige Absprachen einlässt und einlassen will und was im Falle dessen, Gegenstand dieser Absprachen sein könnte. Bisher galt Poroschenko eher als eigenständiger Spieler.

Angeschlagen: der Pate des Donbass Rinat Achmetows

Die Position Rinat Achmetows, des Paten des Donbass und einem weiteren wichtigen Mitspieler, scheint hingegen erheblich angeschlagen zu sein. Sein Liebäugeln beziehungsweise die ihm unterstellte anfänglich aktive Unterstützung der Antiregierungsproteste in Donezk scheint sich nicht ausgezahlt zu haben. Der Aufstand ist mit russischer „Anteilnahme“ offensichtlich außer Kontrolle geraten. Nicht einmal für seine eigene Sicherheit scheint er noch garantieren zu können. Sein sich betont russisch-orthodox gebender Geschäftspartner Wadym Nowynsky hat augenscheinlich die Kontrolle über die Fraktion der Partei der Regionen (103 Abgeordnete) übernommen, inwieweit das mit Achmetows Interessen übereinstimmt, ist derzeit unklar. Nowynskys herausragende Rolle bei den pro forma organisierten Runden Tischen für einen nationalen Dialog ist nicht zu übersehen.

Dies führt zu einem weiteren Faktor auf dem Weg zu vorgezogenene Wahlen zur Rada. Der Maidan, soweit er noch als Organisation besteht, hatte als eine der unmittelbaren Forderungen die Ansetzung vorgezogener Parlamentswahlen. Sollte Tymoschenko oder auch Poroschenko wirklich an der Auflösung des Parlamentsgelegen sein, ließe sich die Unterstützung des Maidans aktivieren. Unter entsprechendem öffentlichen Druck ist eine Selbstauflösung des Parlaments zumindest theoretisch vorstellbar. Theoretisch unbevollmächtigt wäre das Parlament gemäß Artikel 82 der Verfassung, wenn gleichzeitig ein Drittel plus ein Abgeordneter des verfassungsmäßigen Bestands der Rada sein Mandat niederlegt. Das wären 151 Abgeordnete. Angesichts der derzeitigen 446 Abgeordneten, wären noch 147 Parlamentarier zu überzeugen, um dem neuen Präsidenten formal einen Anlass zur Auflösung des Parlaments zu geben. Zusätzliche Bedingung für dieses Szenario ist allerdings, dass alle Kandidaten der Parteilisten von der Parlamentswahl 2012 keinen Anspruch auf einen Nachrückerposten beheben oder dass direkt gewählte Abgeordnete ihre Mandate niederlegen. Ohne öffentlichen Druck, wird sich aber wohl kaum ein Abgeordneter dazu durchringen können.

Separatisten-Pulverfass: die östlichen Oblasten Luhansk und Donezk

Poroschenko größtes Problem ist es wohl aber, Erfolge in der Bekämpfung oder zumindest Eindämmung des von außen gesteuerten Separatismus in den beiden östlichen Oblasten Luhansk und Donezk vorzuzeigen. Welchen Anteil die Steuerung von Russlands Seite oder doch vielmehr vonseiten der gestürzten Regierung Janukowytsch hat , wird wohl erst nach einiger Zeit zu beurteilen sein. Nicht anzuzweifeln ist jedoch der äußere Einfluss. Ohne die Dauerpropaganda des russischen Fernsehens, ohne Finanzierung, Waffenlieferungen und Verstärkungen von interessierten Personen aus Russland hätte der anfängliche Miniaufstand kaum Folgen gehabt und wäre ähnlich wie im Gebiet Charkiw oder Mykolajiw alsbald verebbt.

Ein großer Teil derjenigen, die früher für Janukowytsch und die Partei der Regionen oder Petro Symonenko und die Kommunisten gestimmt oder sich der Stimmabgabe enthalten haben, sind inzwischen gegenüber der Zentralregierung in Kyjiw mit Abneigung oder gar offensichtlicher Feindseligkeit eingestellt. Repräsentative Umfragen zeugen zwar davon, dass es keine mehrheitliche Stimmung für eine Abtrennung von der Ukraine, wie mutmaßlich auf der Krym gibt, aber ein Anteil von 27 oder 30 Prozent, wie in den Gebieten Donezk und Luhansk ist signifikant. Nach dem Beginn der Antiterroroperation am 14. April und den Ereignissen von Odessa am 2. Mai könnten einige der eher Unentschlossenen ihre Meinung zudem noch geändert haben. Die teils sehr offene Unterstützung für die sogenannten Volksrepubliken von Donezk und Luhansk ist als Beleg dafür anzusehen.

Sinnbildlich für die fragile Stimmung im Gebiet Donezk könnte die Situation in Mariupol sein. Nach den Toten vom 9. Mai schlug die Stimmung in der den Separatisten eher reserviert entgegentretenden Stadt zum Teil um und viele Einwohner beteiligten sich am Pseudoreferendum vom 11. Mai und votierten, wenn nicht unbedingt für eine Loslösung von der Ukraine, so doch zumindest gegen die Regierung in Kyjiw. Kurzzeitig die Stabilität wieder herstellen konnte Milliardär Rinat Achmetow, der gemeinsame Patrouillen von Stahlarbeitern und Milizionären organisierte. Dennoch fanden die Präsidentschaftswahlen nur zum Teil statt. Achmetow selbst, kann für seine Sicherheit nicht einmal mehr in Donezk sorgen. Er zieht es momentan vor, sich in Kyjiw aufzuhalten.

Sind Sie dafür, dass Ihre Oblast sich von der Ukraine lossagt und Russland anschließt?

 Region Ja Unentschlossen Nein Antwort
verweigert
 Südosten insgesamt 15,40 12,50 69,70 2,40
 Charkiw 16,10 17,30 65,60 1,00
 Cherson 3,50 11,40 84,60 0,50
 Dnipropetrowsk 6,90 6,90 84,10 2,00
 Donezk 27,50 17,30 52,20 3,00
 Luhansk 30,30 12,40 51,90 5,50
 Mykolajiw 7,20 6,00 85,40 1,50
 Odessa 7,20 11,90 78,80 2,20
 Saporischschja 6,20 9,90 81,50 2,50

Quelle: Kyjiwer Institut für Soziologie, Daten leicht aggregiert, Umfrage vom 8. - 16. April 2014.

Poroschenkos erste Reise: ein wichtiges Signal für den Zusammenhalt des Landes

Poroschenkos erste Reise als Präsident und womöglich gar die Amtseinführung, die innerhalb einer Fünftagesfrist nach Veröffentlichung des offiziellen Wahlergebnisses erfolgen muss, soll in den Donbass führen. Wie seine Sicherheit garantiert werden kann, ist dabei derzeit völlig unklar. Andererseits wäre gerade diese Reise ein wichtiges Signal für den Zusammenhalt des Landes. Nach den Opfern der vergangenen Monate ist das Land mehr als bereit für Veränderungen. Trotz aller Defizite ist wohl das Tandem Poroschenko/Jazenjuk momentan als die optimalste Lösung für die Ukraine anzusehen. Für ihren Erfolg bedarf es aber eines wirklichen Konsens innerhalb der Eliten und einer Unterstützung im wohl neuzuwählenden Parlament.

Zusätzliche Unruhe könnte Moskau in die Situation bringen. Die 2009 abgeschlossenen Gasverträge sind weiterhin bis Ende 2019 gültig. Dies beinhaltet Mindestabnahmemengen von 41,6 Milliarden Kubikmeter pro Jahr. Allein die Strafzahlungen der vergangenen Jahre - für 2012 und 2013 – für nichtabgenommenes Erdgas belaufen sich auf über 18 Milliarden Dollar. Hinzu kommen Schulden aus den laufenden Rechnungen von derzeit 3,5 Milliarden Dollar. Selbst die in Aussicht gestellten 17 Milliarden Dollar des Internationalen Währungsfonds, von denen die erste Tranche von mehr als drei Milliarden Anfang Mai in Kyjiw eintrafen, wirken angesichts dieser Forderungen, wie ein Tropfen auf den heißen Stein. In diesem Jahr dürften weitere Strafzahlungen wegen Unterschreitung der Mindestabnahmemenge hinzukommen. Gewichtige Gründe, um dem Kreml entgegenzukommen. Dieser verlangt aber wohl als Minimum die Anerkennung der Annexion der Krym, was für jede ukrainische Regierung das Ende bedeuten würde.

Wie wird das erste Treffen mit Putin?

Ein erstes wohl schwieriges Treffen Poroschenkos mit Präsident Wladimir Putin steht bereits bei den Feierlichkeiten zum 70. Jahrestag der Landung der Allierten am 6. Juni in der Normandie an. Von den Einigungen hängt nicht nur das Schicksal Poroschenkos, sondern auch des Landes ab. Angesichts der wohl existierenden Rückversicherung mit Dmytro Firtasch, der ein jahrelanger direkter Geschäftspartner von Gasprom ist, scheint zumindest theoretisch die Möglichkeit einer Einigung mit Gasprom bzw. dem Kreml zu bestehen. Allein droht dem in Wien unter Hausarrest stehenden Firtasch die Auslieferung an die USA. Damit ist ein weiterer Spieler zumindest auf der internationalen Ebene aktiv. Angesichts dieser Gemengelage bleibt den Ukrainern nur auf das Verhandlungsgeschick von Poroschenko zu hoffen, der zumindest unter ukrainischen Verhältnissen mit allen Machthabern eine gemeinsame Sprache gefunden hat.