Polen und Europa: Ein klares Jein!

"Nigdy więcej wojny" - Nie wieder Krieg
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"Nigdy więcej wojny" - Nie wieder Krieg. Polen litt von allen europäischen Staaten vielleicht am meisten unter dem Zweiten Weltkrieg. Es verwundert also kaum, dass sich über 89 Prozent der Polinnen und Polen für das Friedensprojekt Europa aussprechen

Die Ergebnisse der Wahlen zum Europaparlament in Polen sind auf den ersten Blick verwirrend: Trotz der immensen Zustimmung der Polen zu Europa – 89 Prozent befürworten laut der neuesten Umfrage die EU – hatte der Ausgang der Wahl einige Überraschungen zu bieten: Die 2010 neugegründete, extrem rechte, anti – europäische Partei von Janusz Korwin-Mikke hat aus dem Stand 7 Prozent und damit 4 Sitze im Europaparlament geholt. Gleichzeitig stürzte das pro-europäische Wahlbündnis "Europa Plus-Twoj Ruch" ("EuropaPlus-Deine Bewegung"), das bei Umfragen zwischenzeitig bei 9 Prozent stand, auf nur noch 3,5 Prozent ab und scheiterte damit an der Fünf-Prozent-Hürde. Janusz Palikot und Aleksander Kwasniewski, die mit anderen das Bündnis ins Leben gerufen hatten, kündigten an, Konsequenzen zu ziehen: Palikot stellt seinen Führungsanspruch zur Debatte, Kwasniewski will sich endgültig aus der Politik zurückziehen.

Weniger überraschend waren die Ergebnisse der beiden großen Parteien: Der Abstand von fast zehn Prozentpunkten von der Regierungspartei PO (Bürgerplattform) auf die konservative Partei des ehemaligen Präsidenten Kaczynski und größte Oppositionspartei PiS, hatte sich in den letzten Monaten stetig verringert und drehte sich sogar dank hoher Wahlbeteiligung in den großen Städten zu Gunsten der Regierungspartei, welche die Wahl mit 32,8 Prozent und damit einem Prozentpunkt Vorsprung auf die PiS gewann. Die Sitzverteilung im Europäischen Parlament veränderte dies aber nicht, beide Parteien erlangen 19 Mandate. Weitere Sitze gingen an die linke Partei SLD (5) und die Bauernpartei PSL (4). Die polnische Grüne Partei, "Partia Zieloni", holte in Polen bescheidene 0,32 Prozent, wobei sie aber lediglich in fünf von dreizehn Wahlkreisen antrat.

Politischer Rechtsruck oder anti-politischer Protest

Bei genauerer Betrachtung der polnischen Parteienlandschaft und der Wahlprogramme lassen sich die Ergebnisse jedoch besser einordnen: Viel schärfer als die rechtpopulistischen Parteien Englands und Frankreichs, die in diesen Wahlen so überraschend den Sieg davon getragen haben, ist die "Neue Rechte" in Polen eine offen rechtsradikale Protestpartei. Sie versteht sich als Gegner des Systems und sucht damit keinerlei Anschluss auf europäischer Ebene. Diesem Bild entspricht auch ihr Programm, das sich auf die Auflösung der EU, die Abschaffung des Frauenwahlrechts und die Leugnung des Holocausts reduzieren lässt. Den großen Wahlerfolg verdankt die "Neue Rechte" wohl auch den polnischen Medien, die auf der Suche nach Schlagzeilen überdurchschnittlich viel über den skandalträchtigen Wahlkampf Korwin-Mikkes berichtet haben. Erschreckend ist, dass vor allem junge Wählerinnen und Wähler ihre Stimme dieser Protestpartei gaben – 70 Prozent ihrer Wählerschaft sind zwischen 18-39 Jahre alt(e Männer). Gleichzeitig haben ca. 30 Prozent aller Wählenden zwischen 18 und 24 Jahren die neue Rechte gewählt, also jede/r Dritte.

Auch das schlechte Abschneiden des pro-europäischen Wahlbündnisses "EuropaPlus-Deine Bewegung" lässt sich erklären: Erstens misslang es dem Wahlbündnis, das aus sehr unterschiedlichen Gruppierungen bestand, dem Wähler ein kohärentes Programm zu präsentieren. Zweitens wurde ihr dezidiert pro-europäisches Programm, einschließlich der Forderung nach Einführung des Euros in Polen und einer Integration des polnischen Militärs in eine gemeinsame europäische Armee unter Leitung der OSZE angesichts der Euro-Krise sowie des Konflikts um die Ukraine-Krise und des Aufmarschs des russischen Militärs zunehmend unpopulär.

Faktor Ukraine

Die anhaltende Krise im Nachbarland Ukraine und das Auftreten Russlands haben sicherheitspolitische Themen in den Vordergrund des nationalen Diskurses gestellt. Die starke Aufholjagd und der letztendliche Erfolg der Regierungspartei sind eng verknüpft mit dem Verlauf der Ukraine-Krise. Hier konnten die PO, hauptsächlich Donald Tusk und sein Außenminister Sikorski, sich als aktive Europapolitiker wie als Vertreter polnischer Interessen profilieren, z.B. durch die gemeinsame Mission mit dem deutschen und französischen Außenminister in Kiew oder durch Tusks Vorschlag zur europäischen Energie-Union und die dazugehörige Tour durch EU-Hauptstädte.

Wahlbeteiligung: Fehlanzeige

Ein zweiter Widerspruch zu der grundsätzlich pro-europäischen polnischen Haltung zeichnet sich in der Wahlbeteiligung ab: Diese ist wie in den letzten Wahljahren auf einem extrem niedrigen Niveau. Mit nur 23,3 Prozent und damit der Hälfte der Beteiligung an nationalen Wahlen landet Polen auf dem viertletzten Rang, nur noch vor der Slowakei, Slowenien und Tschechien. Die anhaltend niedrige Wahlbeteiligung mag an dem geringen Wissen der polnischen Bevölkerung über europäische Institutionen (z.B. können 79,4 Prozent der Polinnen und Polen keinen polnischen MdEP nennen) oder ihrem historisch bedingten Misstrauen gegenüber politischen Eliten liegen. Gleichzeitig sehen die Mehrheit der Polinnen und Polen ihre Interessen innerhalb der EU eher durch ihre Regierung als durch das Europaparlament repräsentiert. Eine weitere Erklärung ist, dass die Wahl speziell von Politikerinnen und Politikern der PiS, aber auch der Regierungspartei PO, als richtungsweisend für die anstehende Parlamentswahl 2015, also als nationale Testwahl gehandhabt wurde. Dieses interne Parteienspiel und Kräftemessen wollten die meisten politikmüden Wähler nicht mitmachen.

Die paradoxen Ergebnisse der Europawahl in Polen lassen sich möglicherweise mit einer zeitlichen Komponente erklären: Die generelle Einstellung der Polinnen und Polen zu Europa ist unverändert positiv, jedoch hat sich die Wahl in Polen thematisch auf die aktuelle sicherheitspolitische Lage verengt, die vor allem von Unsicherheit aufgrund der russischen Politik geprägt ist. Es war dieser Fokus, der die Regierungspartei begünstigt und aufgrund der geringen Wahlbeteiligung die extreme Rechte unterstützt hat. Dies heißt jedoch auch, dass noch ungenutzte Potentiale schlummern, auf die man in Zukunft bauen kann und muss.