Ukraine: Parlamentswahlen im Zeichen des Krieges

Parlament der Ukraine
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Parlament der Ukraine, Kiew

Am 26. Oktober 2014 finden vorgezogene Parlamentswahlen in der Ukraine statt. Präsident Petro Poroschenko hat damit trotz Schwierigkeiten eines seiner Wahlkampfversprechen teilweise, und gleichzeitig eine der Hauptforderungen des Maidans zumindest formal, umgesetzt. Nach den Präsidentschaftswahlen besteht mit den Parlamentswahlen die Chance auf eine weitgehende Erneuerung der politischen Landschaft und den Beginn umfassender Reformen im krisengeschüttelten Land. Allerdings lassen die politischen Verhältnisse seit dem Sturz von Wiktor Janukowytsch in den vergangenen sieben Monaten nur wenig Hoffnung auf einen tiefgreifenden Wandel. Angesichts der zu erwartenden weiteren Zuspitzung der wirtschaftlichen Zwänge sind das neue Parlament und die neue Regierung zu wirklichen Änderungen gezwungen. Bei einem Scheitern drohen der Ukraine das völlige Versinken im Chaos und eine Stärkung der separatistischen Tendenzen im Osten. Präsident Petro Poroschenko sprach bereits vom „Sein oder Nichtsein“ des ukrainischen Staates.

Poroschenko ist nun mehr als 100 Tage im Amt. Den übergroßen Erwartungen, die teils von ihm selbst genährt wurden, konnte er bisher nicht immer gerecht werden. Weder wurde der Krieg im Osten innerhalb von zwei Wochen beendet, noch die Beziehungen zu Russland wieder normalisiert, wie er vollmundig im Wahlkampf versprach. Dennoch kann der Präsident in dem ihm obliegenden Gebieten der Außen- und Sicherheitspolitik auf einige Erfolge verweisen. Momentan gilt ein, wenn auch brüchiger, Waffenstillstand in den umkämpften Gebieten Luhansk und Donezk. Das Assoziierungsabkommen mit der Europäischen Union wurde unterzeichnet und ratifiziert, auch wenn der ökonomische Teil dem augenblicklichen Stand nach erst 2016 in Kraft tritt, womit sich Russland vorerst durchgesetzt hat. Außenpolitisch ist die Unterstützung für das Land angesichts der russischen Aggression zumindest auf verbaler Ebene so groß wie nie seit der Unabhängigkeit.

Wahlen wie im Oktober 2012

Nach dem formalen Bruch der Regierungskoalition am 24. Juli 2014 mit dem Austritt der rechtsradikalen Freiheitspartei (Swoboda) und von Wiltalij Klytschkos Schlag (UDAR) wurde nach dreißig Tagen fehlender Regierungskoalition der Weg zu vorgezogenen Parlamentswahlen frei. Poroschenko setzte diese dann auch am 27. August für den 26. Oktober 2014 an und machte damit eines seiner Wahlkampfversprechen wahr. Begründung für die Notwendigkeit von Neuwahlen war nicht nur die nach den Opfern bei den Maidan-Protesten moralisch notwendig gewordene Erneuerung des Parlaments, sondern auch die angeblich fehlende Mehrheit für Reformen, denen die Vertreter des „alten Regimes“ im Wege stehen würden. Ziel der Auflösung ist daher für Poroschenko auch eine ihm hörige bequeme Mehrheit in Parlament und Regierung zu bekommen, um versprochene Reformen und Verfassungsänderungen durchsetzen zu können. Als Ziel hat er – ähnlich wie nach der Orangen Revolution 2005 – in einem „Strategie 2020“ genannten Plan einen Mitgliedsantrag für die Europäische Union bis 2020 formuliert.

Die positiv zu bewertende Tatsache, dass es nach der Veränderung der politischen Verhältnisse im Februar auch zu vorgezogenen Wahlen des Parlaments (Werchowna Rada) kommt, wird durch die ausgebliebene Änderung des Wahlrechts getrübt. Damit bleibt das im November 2011 vor den Wahlen 2012 von der Partei der Regionen (Partija Rehioniw) gemeinsam mit den Kommunisten (Komunistytschna Partija Ukrajiny) und Teilen der Vaterlandspartei (Batkiwschtschyna) geänderte Wahlgesetz mit einer Mischung aus Verhältnis- und Mehrheitswahlrecht bestehen. 225 der Mandate werden demnach über geschlossene Parteilisten und 225 direkt in den Wahlkreisen bestimmt. Änderungsvorschläge in der Rada komplett zum Verhältniswahlrecht wie bei den Parlamentswahlen 2007 zurückzukehren und zugleich offene Wahllisten, mit dem Recht einzelne Kandidaten in den Listen zu bevorzugen, einzuführen, scheiterten Anfang August in der Rada. Ebenso besteht weiterhin die Fünfprozenthürde. Das Scheitern der Wahlrechtsänderungen ist dabei vornehmlich auf Vertreter der Überreste der Partei der Regionen und der „alten Garde“ von Unsere Ukraine (Nascha Ukrajina) bzw. der neuen Präsidentenpartei Petro-Poroschenko-Block (Block Petra Poroschenka) zurückzuführen, die sich damit eine Chance auf Direktmandate sichern. Zu erwarten ist, dass damit ähnlich - wie 2012 - im Wahlkampf auf alle Mittel der Manipulation bis hin zum Wählerstimmenkauf zurückgegriffen wird.

Folge dieses unterlassenen Schrittes ist auch, dass das eigentlich 450 Abgeordnete umfassende Parlament nur aus etwa 413 Vertretern bestehen wird, was eine Mehrheitsfindung erschweren könnte. Zurückzuführen ist das darauf, dass weder Wahlen auf der von Russland annektierten Halbinsel Krim (zwölf Mandate), noch in den von den Separatisten kontrollierten Gebieten stattfinden werden (voraussichtlich bis zu 25 Mandate). Die einfache Mehrheit ist dabei per Verfassung auf 226 Abgeordnete festgelegt (Artikel 91 der Verfassung). Verfassungsänderungen benötigen 300 Stimmen.

Die neue Partei der Macht – der Petro-Poroschenko-Block (Block Petra Poroschenko) oder Nascha Ukrajina 2.0

Extra für die Wahlen wurde von Präsident Poroschenko sein altes Parteiprojekt namens Solidarität (Solidarnist) aus dem Jahre 2001 wiederbelebt. Eine der ersten Maßnahmen auf dem Wahlparteitag war dabei die Umbenennung in Petro-Poroschenko-Block (Block Petra Poroschenka). Den Wählerinnen und Wählern soll sofort klar sein, welche Partei diejenige der „Macht“ ist. Die Strategie scheint zumindest in den Umfragen aufzugehen. In allen bisherigen Befragungen liegt das Parteiprojekt vorn, teilweise mit hohem Abstand. Wie bei allen anderen Parteien wird vor allem Wert auf die Kandidaten gelegt, da sich die Programmatiken – vor allem bei der praktischen Umsetzung - in der Regel nur unwesentlich unterscheiden.

Die Wahlliste wurde dabei gewissermaßen traditionell im Vorfeld in Hinterzimmern ausgehandelt. Aushängeschild war dabei der Kyjiwer Bürgermeister Witalij Klytschko. Er erklärte sofort, sein sicheres Mandat nicht annehmen zu wollen. Vertreter seiner Partei UDAR (Schlag) bekamen etwa 30 Prozent der sicheren Listenplätze. Sie kehren damit gewissermaßen in die ihnen bekannte Umgebung von Unsere Ukraine aus Juschtschenko-Zeiten zurück. Das Projekt UDAR dürfte damit auch vorerst seine Existenzberechtigung verlieren.

Bemerkenswert sind die sicheren Listenplätze der langjährigen Stars des regierungskritischen Journalismus Mustafa Najem (Hromadske.tv, Ukrajinska Prawda) und Serhij Leschtschenko (Ukrajinska Prawda), von NGO-Vertretern, wie Switlana Salischtschuk von der Abgeordnetenüberwachungsorganisation Tschesno und Oleksandr Tschernenko, dem bisherigen Vorsitzenden des Wählerkomitees der Ukraine.

Kennzeichnend für den neuen alten Nepotismus in der Partei der Macht ist die Kandidatur von Poroschenkos ältestem Sohn Olexij im Heimatwahlkreis des Clans. Ausgehend davon lässt sich vermuten, dass das Scheitern der Wahlrechtsänderungen mit dem Präsidialamt abgestimmt ist. Ein Nichteinzug des 29-Jährigen, der auch gleichzeitig in den Parteivorstand einzog, wäre eine große Überraschung. Exemplarisch angeführt werden sollte noch, dass die Partei im Transkarpatengebiet vom Baloha-Clan vertreten wird. Vier der fünf Direktmandate werden von Juschtschenkos ehemaligem Präsidialamtschef Wiktor Baloha, zwei seiner Brüder und einem Cousin beansprucht. Bereits 2012 holten sie drei der fünf Mandate. Die Parteilistenwahl dürfte in den Transkarpaten damit auch für den Poroschenko-Block eine sichere Sache sein.

Wer folgt der „Partei der Macht“?

Den bisherigen Umfragen nach scheint der zweite Platz bei den Listenwahlen unstrittig an die Radikale Partei (Radykalna Partija) des nationalistischen Populisten Oleh Ljaschko zu gehen. Seine langjährige clowneske Fernsehpräsenz beim Marktführer Inter und die Zusammensetzung seiner Liste scheinen die Gerüchte zu bestätigen, dass er insgesamt ein Projekt des Präsidialamtschefs unter Janukowytsch, Serhij Ljowotschkin, ist. Inwieweit das stimmt, wird sich allerdings erst nach den Wahlen anhand des Abstimmungsverhaltens zeigen. Wählerpopularität, aber auch Entführungs- und Misshandlungsvorwürfe von Amnesty International,  brachten ihm seine extralegalen Feldzüge gegen das „Unrecht“, die „korrupte Macht“ oder „Landesverräter“ ein. Das augenblickliche und sein beinahe sicheres Abgeordnetenmandat werden ihn aber weiter vor Strafverfolgung schützen.

Um den dritten Platz bei den Listenwahlen bewerben sich drei politische Kräfte aus dem Batkiwschtschyna-Umfeld. In ihrer nationalistischen Rhetorik unterscheiden sie sich nur marginal. Das betrifft Ex-Ministerpräsidentin Julija Tymoschenko mit den ihr verbliebenen Mitgliedern der Vaterlandspartei. Ein Großteil ihrer ehemaligen Parteigenossen um Ministerpräsident Arsenij Jazenjuk tritt für die bereits im März gegründete Volksfront (Narodnyj Front) an. Der Bruch mit Tymoschenko wurde bereits vor den Präsidentschaftswahlen deutlich, als Jazenjuk und Turtschynow intern gegen eine Kandidatur Tymoschenkos auftraten. Verwechslungen mit der 2012 in der Batkiwschtschyna aufgegangenen Front der Veränderungen (Front Smin) sind dabei sicherlich beabsichtigt. Jazenjuk angeschlossen haben sich Parlamentschef Oleksandr Turtschynow, Innenminister Arsen Awakow, Justizminister Pawlo Petrenko, Sozialministerin, Ljudmyla Dennissowa und Ex-Sicherheitsratschef und Maidan-Kommandant Andrij Parubij. Ex-Verteidigungsminister Anatolij Hryzenko, der sowohl für Batkiwschtschyna als auch für Nascha Ukrajina bereits im Parlament saß, vereinigte sein Projekt der Bürgerposition (Hromadjanska Posizija) gleich mit der während der Maidan-Proteste bekanntgewordenen Demokratischen Allianz (Demokratytschnyj Aljanz). Allen diesen Parteien ist eigen, dass sie durch die Aufnahme von Journalisten, Vertretern der Maidan-Proteste und der im Osten kämpfenden Freiwilligenbataillone versuchen, ihren Listen den Anstrich der Erneuerung zu geben.

Die neu antretende Partei Selbsthilfe (Samopomitsch) des Lwiwer Bürgermeisters Andrij Sadowyj könnte zudem vielleicht einen Überraschungserfolg erzielen. Die Kandidaten stehen zumindest nicht mit den etablierten Politikern, die seit den 1990ern aktiv sind, in Verbindung. Die Spitzenkandidatin Hanna Hopko fiel allerdings auch eher durch populistische hyperpatriotische Äußerungen denn durch reale Lösungsansätze auf.

Ehemaliges Regierungslager

Von der ehemaligen Regierung aus Partei der Regionen und Kommunisten treten nur Überreste an. Die Kommunistische Partei hat trotz laufendem Verbotsverfahren eine Registrierung für die Wahlen bekommen. Aufgrund der fehlenden (sowjetnostalgischen) Wählerbasis von der besetzten Krim und der Nichtteilnahme großer Teile des Donbass an den Wahlen dürfte ihre Chance, die Fünfprozenthürde zu überwinden, nur marginal sein. Größere Aussichten wieder ins Parlament zu gelangen, hat hingegen Ex-Vizeministerpräsident Serhij Tihipko mit seiner wiederbelebten Starken Ukraine (Sylna Ukrajina). Sie positioniert sich als Partei des Friedens und setzt auf die Unterstützung von Großindustriellen wie Tariel Wassadse, der bereits für den Block Julija Tymoschenko und die Partei der Regionen im Parlament saß. Überraschend ist die Rückkehr von Walerij Choroschkowskij als Nummer zwei in der Liste, der unter Janukowytsch Erster Vizeministerpräsident für die Eurointegration war und sich Ende 2012 in die Europäische Union absetzen musste. Über seine Geschäfte war er mit Dmytro Firtasch und Serhij Ljowotschkin verbunden, an die er auch – so zumindest offiziell – die Fernsehsender der Inter-Gruppe verkaufte.

Ebenfalls als „Partei des Friedens“ positioniert sich der Oppositionsblock, der von Ex-Vizeministerpräsident Jurij Boiko angeführt wird. Ihm gehören einige weitere Mitglieder der Partei der Regionen an. Trotz ausreichender finanzieller Unterstützung scheinen die Chancen für einen Einzug ins Parlament aber eher gering zu sein. Ähnlich wie bei den Kommunisten fehlen die Gebiete der Stammwähler auf der Krim und im Donbass. In den übrigen russischsprachigen Gebieten könnte zudem wie bei den Präsidentschaftswahlen die Wahlbeteiligung geringer ausfallen.

Rechtsradikale

Trotz des allgemein herrschenden Hurrapatriotismus und der nationalen Stimmung in der ukrainischen Gesellschaft vor dem Hintergrund des von Russland stimulierten Krieges im Osten steht der Wiedereinzug der rechtsradikalen Partei Swoboda unter einem großen Fragezeichen. Swoboda als Widerpart zur Partei der Regionen scheint sich nach Dutzenden von Korruptionsskandalen und ihrer Regierungsbeteiligung überlebt zu haben. Ebenso geringe Aussichten hat der Rechte Sektor (Prawyj Sektor). Zumindest scheitern sie in Umfragen bisher an der Fünfprozenthürde. Der militante Rechte Sektor diente vor allem bisher dem russischen Fernsehen als Schreckgespenst für den vermeintlich allgegenwärtigen wieder auferstandenen ukrainischen Faschismus eines Stepan Bandera der 1930er und 1940er Jahre. Die nationalistische Ecke des Parlaments wird daher voraussichtlich vor allem vom Rechtspopulisten Ljaschko und den verschiedenen Spaltprodukten Batkiwschtschynas besetzt werden.

Freie Wahlen?

Diese Wahlen im Zeichen des Krieges können allerdings nur bedingt als frei bezeichnet werden. Niemand kann derzeit in der Ukraine Kandidaten, die nicht im patriotischen Mainstream schwimmen, freie Bewegung und eine freie Kampagne garantieren. Die radikalisierten und zum Teil bewaffneten Teile der ukrainischen Gesellschaft gehen gewaltsam gegen Vertreter anderer Meinungen vor. Diffamierungen als „Agent des Kremls“, „Separatist“, „Kollaborateur“ oder „Vaterlandsverräter“ und darauffolgende Selbstjustiz sind angesichts des fehlenden Vertrauens in die Rechtsorgane an der Tagesordnung. Eine Teilschuld hierfür liegt bei der Postmaidan-Regierung, die außer Ankündigungen nichts für eine Reform der Justiz oder der Miliz unternommen hat - dabei immer wahlweise auf die nichtkooperative Rada, den Krieg oder „Vertreter des alten Regimes“ verweisend. Vor dem Hintergrund von Durchsuchungen durch den Geheimdienst SBU bei der Tageszeitung Westi und der Druckerei (!) und öffentlichen Drohungen gegen den Journalisten kann nur schwer von einer freien Meinungsäußerung im Land die Rede sein. Das dabei erzeugte Klima der Angst dürfte eher radikalen Kräften nutzen, da ein Teil der Ukrainer aus Mangel an Alternativen erst gar nicht zur Wahl gehen könnte.

Wer wird Ministerpräsident?

Poroschenkos Favorit dürfte mit der Nummer vier in seiner Liste der augenblickliche Vizeministerpräsident und Minister für Regionalentwicklung, Wolodymyr Hrojsman, sein. Bei einer entsprechenden Mandatsmehrheit dürfte zudem der Posten des Parlamentspräsidenten an einen Vertreter des Blocks gehen. Gehandelt wird dabei vor allem Ex-Innenminister Jurij Luzenko, der Nummer zwei in der Liste ist. Augenblicklich wird scheinbar in der Partei mit einer stabilen eigenen Mehrheit von bis zu 100 Mandaten über die Parteiliste und weiteren 140 Direktmandatsträgern gerechnet.

Arsenij Jazenjuk würde sich bei diesem Szenario in der Opposition wiederfinden. Bisher kann seine Partei kaum mit einem zweistelligen Ergebnis rechnen oder gar darauf hoffen, stärkste Kraft zu werden. Nicht ausgeschlossen werden sollte aber, dass es Absprachen über das getrennte Antreten von Jazenjuks Volksfront und Poroschenkos Block gibt. Dies könnte auch darauf abzielen, die Radikalen in Person von Swoboda und dem Rechten Sektor zu schwächen bzw. aus dem Parlament heraus zu halten, was auch im Ausland goutiert werden würde. Ministerpräsident Jazenjuk spielt dabei den radikalen Widerpart zu dem sich kompromissbereit gebenden Poroschenko. Auf diese Weise könnten für Swoboda entscheidende Stimmen an Jazenjuk gehen und die jetzige Regierungsmannschaft im Endeffekt ohne Swoboda eine vielleicht sogar verfassungsändernde Mehrheit aus beiden Kräften bilden, ohne auf die unzuverlässige und der Zusammenarbeit mit dem Kreml verdächtigte Tymoschenko zurückgreifen zu müssen oder sich dem prinzipientreu gebenden Hryzenko ins Boot zu holen.

Viel hängt dabei vom Fortgang des Konflikts im Osten ab. Sollte die Waffenruhe bis zum Wahltag halten, dürfte dies Poroschenkos Kompromisskurs und damit seiner Partei zugutekommen. Wenn jedoch die Separatisten mit Moskauer Rückendeckung eine neue Offensive starten sollten, würde das den radikalen Kräften in die Hände spielen und eine klare Mehrheit verhindern. Ein Ministerpräsident Oleh Ljaschko oder gar die Rückkehr von Julija Tymoschenko versprechen keine stabile Entwicklung des Landes. Es stünde eine Wiederholung des Kompetenzgerangels und der Streitigkeiten zwischen Präsident und Ministerpräsident wie in der Periode von 2005-2010 auf dem Plan.

Unabhängig davon, wer die Parlamentsmehrheit stellt, könnte erstmals eine kritische Masse von neuen nicht korrumpierbaren Abgeordneten ins Parlament gelangen, die wirklich ernsthafte Änderungen vorantreiben. Ex-Journalisten wie Mustafa Najem, Serhij Leschtschenko, Wiktorija Sjumar, Natalija Solonenko oder NGO-Vertreter und Aktivisten wie Switlana Salischtschuk, Oleksandr Tschernenko, Jurij Luzenko, Jehor Sobolew haben einen Ruf zu verlieren. Sie müssen allerdings unter Beweis stellen, dass sie nicht nur Gesetze kritisieren, sondern auch schreiben können. Sollten sie scheitern, ähnlich wie die Generation der Orangenen Revolution, dürfte die Frustration in Verbindung mit den ökonomischen Problemen zu neuen Erschütterungen in der ukrainischen Gesellschaft führen. Der nordöstliche Nachbar scheint vor allem darauf zu setzen.