ISIS, IS oder Daesh? Ein Sturm im Buchstabensuppenteller

Alphabet Soup
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Bei der Verwendung ihres arabischen Akronyms „Daesh“ hört für viele Islamisten der ohnehin nicht vorhandene Spaß auf

Die Bestialität von ISIS versetzt die Welt in Schockstarre. Während der Westen keine Strategie hat, wie er mit der neuen Bedrohung umgehen soll, laufen die Satiriker zu Hochform auf - und Bashar al-Assad versucht, sich in Syrien als kleineres Übel zu inszenieren.

„Daesh – möge ihrer ‚Herrlichkeit’ ein kurzes Dasein beschieden sein,“ ruft der syrische Intellektuelle Yassin Al Haj Saleh im Dokumentarfilm „Our Terrible Country“ in einer höhnischen Imitation des pompös-bedrohlichen Tons von ISIS’ eigenen Äußerungen. „Daesh,“ sagt er an anderer Stelle und rollt das Wort im Mund, „das klingt, wie eines der Monster aus den Märchen, die man uns als Kinder erzählt hat.“

Die Monstrosität von ISIS übersteigt in vielerlei Hinsicht jedes Fabelwesen. Materiell labt sich ISIS an vielen Quellen – an Financiers fehlt es nicht, auch wenn die Golfstaaten jede Verantwortung von sich weisen: ISIS erpresste Schutzgelder von Geschäftsleuten, Lösegeld für Geiseln, verkaufte die Beute, die sie bei ihren Eroberungen gemacht haben - Geld, Waffen und Öl – bevorzugt an das syrische Regime und sichert so den eigenen Fortbestand.

Ideell lebt ISIS von blanker Bestialität. Diese Bestialität zieht diejenigen an, die sich entrechtet fühlen und meinen, als ISIS-Kämpfer über anderen zu stehen und Macht ohne Verantwortung, ohne an Regeln gebunden zu sein, ausüben zu können. Das versetzt ihre Gegner in der Region in eine Schockstarre oder treibt sie in die Flucht: „Ich habe vieles Schlimme erlebt, aber meine Angst war nie größer als in dem Moment, in dem ich gesehen habe, wie ISIS in einen Ort eingefallen ist. Maskierte Bewaffnete, die ohne lange zu fackeln kurz und brutal ihre Macht demonstrieren – das hat ein größeres Grauen ausgelöst als alles zuvor,“ sagt eine Aktivistin.

Baghdadi's Choice
Genau hier setzen arabische Aktivisten und Medienschaffende an: Trotz, oder gerade wegen der ernsthaften Bedrohung durch ISIS laufen die Satiriker zur Hochform auf. So spottet zum Beispiel Anthony al Ghosseini, ISIS hätte den Libanon nicht als Eroberungsziel ins Auge gefasst, weil sie schlicht nicht wüssten, wen sie hier stürzen sollten. Auch die Verkehrsprobleme im Land seien einem Vormarsch nach Beirut extrem hinderlich.

Dass “der Kalif” mit einer teuren westlichen Uhr gesichtet wurde, war Anlass für Spott auf Twitter: “Baghdadis Wahl - #Omega, nun verfügbar in allen #ISIS Läden in #Syrien und #Irak", twitterte @Al_Khateeb. Die Aufmerksamkeit glich dem zuvor durch sein pinkfarbenes “Hello Kitty”-Notizbuch berühmt gewordenen Extremistenführers Zahran Alloush.

ISIS weiß um den Wert der öffentlichen Inszenierung von Brutalität. Anders als viele andere Barbaren, die sich als die „eigentlich Guten“  vermarkten und Gewalt angeblich nur ausüben, weil sie dazu gezwungen seien, legt ISIS größten Wert darauf, sich so schrecklich wie möglich in Szene zu setzen. Das macht ISIS zum Feind, auf den man sich leicht einigen kann. Gegen ISIS zu sein, ist eine Selbstverständlichkeit. Keine Regierung kann es sich noch leisten, zu schweigen.

Wer stört sich schon an 11.000 zu Tode gefolterten Syrern?

Dass einer Verurteilung nicht unbedingt Taten folgen müssen, zeigt am besten das syrische Regime, das sich von Anfang an in vornehmer Zurückhaltung übt, wenn es darum geht, ISIS anzugreifen. Die Terrormiliz ist Assads Gelegenheit, sich als das ‚kleinere Übel’ zu inszenieren. Innenpolitisch war es stets ein Herzstück der Assad-Propaganda, sich nicht als normale Herrscherfamilie zu präsentieren, sondern mit gottgleichen Attributen: „Assad bis in die Ewigkeit“ und „Assad, der ewige Führer“ waren nur einige der Slogans, die 40 Jahre lang beharrlich auf Stadtmauern und Plakate gepinselt wurden. Die Poster mit den Konterfeis von Hafez al-Assad, Bashar und seinem verstorbenen Bruder Basel wurden als augenzwinkernde Anspielung auf die Dreifaltigkeit „Vater, Sohn und der heilige Geist“ verstanden.

Von diesem göttlichen Personenkult in Syrien selbst und einer hoffnungsvollen Schönschreibung des Diktators als Beschützer der Minderheiten als säkulares Bollwerk gegen den Extremismus ist es ein weiter Weg, auf dem die eigentliche Höllendimension des Assad-Regimes vermessen werden kann. Auf Youtube mangelt es nicht an Videos, in denen Schergen des Regimes Gefangene zu Tode zu quälen. Doch über die 55.000 aus dem Land geschmuggelten Bilder von 11.000 in Assads Gefängnissen zu Tode gefolterten Menschen - auch noch im Auftrag des Regimes fotografiert - lässt sich augenscheinlich leichter hinwegsehen als über die Butalität von ISIS. Anders als bei ISIS’ Enthauptungsvideos stand bei den Fotos schließlich nicht dabei, dass sie als Botschaft an Amerika oder den Westen zu verstehen seien. Wozu also die Aufregung?

Auf internationaler Ebene ruft ISIS blinden Aktionismus hervor, der sich bislang auf unausgegorene Militärstrategien ohne eine entsprechend starke politische Untermauerung beschränkt. Luftschläge gegen ISIS sind zwar ein Anfang. Aber dass nicht gleichzeitig über ein vehementeres Vorgehen gegen Assad diskutiert wird, er in manchen Kreisen sogar als potentieller Partner betrachtet wird, führt in der Region zu Unmut. Und den kann der Westen wiederum nicht nachvollziehen: „Jetzt tun wir mal etwas, und dann ist es auch wieder nicht recht." Dabei sehen viele Syrerinnen und Syrer Assad und ISIS als zwei Formen ein und desselben tyrannischen, menschenverachtenden Geistes. Sie gleichen sich in manchen Dingen im wahrsten Sinne bis aufs i-Tüpfelchen: „Als ich nach Raqqa kam und die von ISIS neu angebrachten Ruhmesparolen sah, habe ich mir die Augen gerieben,“ erzählte ein Künstler. „Die Schriftzüge zeigten, dass der gleiche Kalligraph am Werk gewesen war.“

Während ISIS’ Attitüde international von Größenwahn zeugt, regiert bei ihrer eigenen Benennung die Kleinlichkeit. Sie wollen nicht nur als ‚Islamischer Staat in Irak und Syrien’ (oder der Levante) gesehen werden, da es keine vorkoloniale einheitlich benannte Entität gibt, auf deren Wiederherstellung sie sich gerne berufen würden. Sie wollen als der islamische Staat schlechthin auftreten. Ihre Größe soll nicht durch Abkürzungen geschmälert werden, die sie zu einem beliebigen Teil der Buchstabensuppe machen würden. Deswegen hört bei der Verwendung ihres arabischen Akronyms „Daesh“ („al-Dawla al-Islamiya fi al-Iraq wa al-Sham“) der ohnehin nicht vorhandene Spaß auf. Sie ahnden die weltliche Abkürzungsfreude mit drakonischen Strafen. Dass auch „Dawla“ (Staat) ein moderner Begriff ist, der mit einem historischen Kalifat wenig zu tun hat, ist da Nebensache.

In der allgemeinen Ratlosigkeit, wie ISIS beizukommen sei – ganz zu schweigen von einer politischen Lösung, die die Region befrieden könnte-, greift man jedoch auch zu rhetorischen Strohhalmen. So gibt es derzeit in Frankreich Bestrebungen, ISIS weder "ISIS" noch "IS" zu nennen, sondern stattdessen genau diesen unter Extremisten verhassten Begriff „Daesh“ zu verwenden. Wie der französische Außenminister Laurent Fabius sagte: „Es handelt sich hier um eine terroristische Gruppe, nicht um einen Staat. Ich empfehle, nicht den Terminus ‚Islamischer Staat' zu verwenden, denn damit verwischt man die Trennlinien zwischen Islam, Muslimen und Islamisten. Die Araber nennen sie ‚Daesh’ und ich nenne sie die ‘kehlenaufschlitzenden Daesh’.”