Kroatien: Rückkehr in die dunklen Neunziger

Jurišićeva Straße in Zagreb, aufgenommen 2004
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Die Wahl hat erneut die tiefe Spaltung der kroatischen Gesellschaft offenbart

Kroatien hat zum ersten Mal eine Präsidentin gewählt. Eigentlich eine gute Nachricht. Doch der Sieg der konservativen Grabar Kitarović ist ein Symbol für die Rückkehr der neunziger Jahre - geprägt von Isolation und Nationalismus.

Nach angespannter Wahlkampagne und einem Kopf-an-Kopf-Ergebnis hat Kroatien mit Beginn des Jahres 2015 die erste weibliche Präsidentin in der Geschichte des Landes: Kolinda Grabar Kitarović. Das wäre eine gute Nachricht, handelte es sich nicht um die Kandidatin der konservativen HDZ (Hrvatska demokratska zajednica - Kroatische Demokratische Union). Die Partei hat in jüngster Zeit erneut die öffentliche Debatte radikalisiert durch ihre Rückkehr zur nationalistischen Rhetorik Tudjmans in den 90er Jahren. Noch wird zwar über die Rechtmäßigkeit der Wahlergebnisse debattiert, es ist aber höchst wahrscheinlich, dass die Präsidentin am 19. Februar 2015 in ihr Amt eingeführt werden wird.

Grabar Kitarović ist erfahrende Diplomatin, ehemalige Botschafterin in den USA und Außenministerin der Sanader-Regierung (der damalige Premier Ivo Sanader wurde wegen einer Reihe von Korruptionsaffären verklagt). In den Wahlkampf als Vertreterin der konservativen Rechten ging sie als stellvertretende Generalsekretärin der NATO mit Zuständigkeit für den Bereich Public Diplomacy.

Während der Sanader-Regierungszeit zählte Kolinda Grabar Kitarović zu den moderaten, proeuropäischen Politikfiguren, dem modernen Verbindungsstück der HDZ zur EU-Integration. In ihrer Präsidentschaftswahlkampagne warb sie für nationalen Konsens (Einigkeit), der ihrer Ansicht nach erforderlich sei, damit das Land zu Wohlstand komme. Auf Druck der Parteiführung wurde ihr Diskurs im Laufe der Kampagne radikaler, es bleibt also abzuwarten, in welche Richtung sie sich weiter entwickelt. Abgesehen davon wird sie in der neuen Funktion bald auf die Probe gestellt werden, denn ihre Versprechen waren extrem unrealistisch und populistisch, möglicherweise wegen ihrer langen Abwesenheit. 

Anti-Establishment-Stimmen gegen den Mainstream

Diese Präsidentschaftswahl war entgegen aller Erwartungen hochdynamisch und führte zu einer starken Polarisierung der öffentlichen Meinung. In der ersten Runde errangen der amtierende Präsident Ivo Josipović (gestützt von der regierenden Sozialdemokratischen Partei und ihren Koalitionspartnern sowie ORaH, der neugegründeten Grünen Partei) und Kolinda Grabar Kitarović (unterstützt vom konservativ-nationalistischen Block) die meisten Stimmen.

Für die größte Überraschung sorgte der Kandidat von Živi zid (Living wall) Ivan Vilibor Sinčić, der mit 16,4 Prozent auf den dritten Platz kam. Sinčić ist ein 25-jähriger Anti-Räumungs-Aktivist, der Proteste gegen Zwangsräumungen und Verschuldung in Wählerstimmen umsetzen konnte. Während die meisten Wahldebatten programmatische Diskussionen vermissen ließen und von populistischen Losungen geprägt waren, erwies sich das Problem der privaten Verschuldung vieler Bürger in dem von einer tiefen Wirtschaftskrise geschüttelten Land als Nische für den Erfolg des Präsidentschaftskandidaten Sinčić. Die zweite Wahlrunde am 11. Januar wurde mit einer Wahlbeteiligung von 59 Prozent zu einem Kopf-an-Kopf-Rennen, das mit 49,26 Prozent für den amtierenden Präsidenten Ivo Josipović und 50,74 Prozent für Kolinda Grabar Kitarović endete.

Die Wahl hat insbesondere in der zweiten Runde erneut die tiefe Spaltung der kroatischen Gesellschaft offenbart. Da beide Kandidaten dabei vor allem darauf abzielten, in der politischen Mitte Stimmen zu gewinnen, lagen die Ergebnisse andererseits aber dicht beieinander. Offenbar waren jedoch die Forderungen der konservativen Opposition nach Veränderungen zu stark für Josipović, dem es nicht gelang, sich vom fehlenden Erfolg der aktuellen Regierung bei der Überwindung der Wirtschaftskrise abzugrenzen.

Zudem wollte ein Teil der Linken, unter ihnen auch enttäuschte Sozialdemokraten, nicht darauf verzichten, seine Unzufriedenheit deutlich zu machen. 2,7 Prozent ungültige Stimmen hätten einen Unterschied machen können. Es ist unwahrscheinlich, dass sie von HDZ-Wählern kamen, eher waren sie wohl Ergebnis von Sinčićs Anti-Establishment-Aussagen, die den Wahlausgang beeinflussten. Darüber hinaus war die Kampagne von unrealistischen Versprechungen der anderen Kandidaten geprägt, Versprechungen, die weit über die realen Möglichkeiten eines Präsidenten hinausgehen, aber leider ausreichten für Wählerwanderungen. 

Rückkehr in die dunklen 90er?

Seit dem EU-Beitritt im Sommer 2013 ist Kroatien wirtschaftlich immer tiefer in die Krise geraten. Wachsende Armut und Arbeitslosigkeit haben zur allgemeinen Unzufriedenheit mit der amtierenden Regierung beigetragen und sich auch in der Präsidentschaftswahl niedergeschlagen. Diese Wahl war nicht nur ein Lackmustest, sondern ein Alarmsignal für die Sozialdemokratische Partei SDP und ihre Unterstützer, sich in Vorbereitung auf die für Ende 2015 oder Anfang 2016 anstehenden Wahlen gut zu rüsten.

Es ist anzunehmen, dass der Sieg und die zukünftige Position der Präsidentin, auch wenn sie nur ein begrenztes Mandat hat, dem Ringen der HDZ um die Rückkehr an die Macht einen Schub verleihen wird. In ihrer Rede nach dem Wahlsieg unterstrich Grabar Kitarović die Unterscheidung zwischen Kroatien und der Region und sprach sich für den besonderen Schutz der nationalen Interessen und Rechte kroatischer Minderheiten in Nachbarländern aus. Kroatien scheint nun der in der Region vorherrschenden nationalistischen Prägung der Politeliten zu folgen.

Für einen nicht unbedeutenden Teil der Bevölkerung symbolisiert Grabar Kitarovićs Sieg einen ernsten Rückschlag für das Land und eine Rückkehr zu den dunklen 1990er Jahren, die durch Nationalismus und Selbstisolierung geprägt waren. Angesichts der Situation in Kroatiens Nachbarschaft, z.B. in Ungarn, Serbien oder Bosnien-Herzegowina, aber auch des Anwachsens rechtsgerichteter, antiliberaler und neokonservativer politischer Kräfte in der EU wächst die Sorge, dass dieser Sieg zwei Schritte zurück für das Land bedeutet.

Für die nächste Zeit erwachsen aus dem Wahlergebnis vielfältige Konsequenzen. Durch die zu erwartenden politischen Spannungen zwischen Regierung und Präsidentin, die zumindest bis zu den Parlamentswahlen anhalten werden, könnte es zum Stillstand im Land kommen. In der sozialdemokratischen Partei und bei ihren Partnern hingegen sind Verschiebungen und Turbulenzen nicht auszuschließen, die sich auf die Machtstrukturen in der Partei und den amtierenden Premierminister Zoran Milanović auswirken. Offen ist, ob Ivo Josipović zur SDP zurückkehrt und sich an den parteiinternen Kämpfen beteiligt. Gestärkt durch diesen Wahlsieg wird die HDZ weiter daran arbeiten, ihre Politik der Ausplünderung während ihrer Regierungsphase(n) vergessen zu machen und die kollektive Amnesie der Wähler, die offenbar nur vier Jahre währt, zu vergrößern.

Die größte Frage ist: In welchem Maße wird es Kolinda Grabar Kitarović gelingen, sich von HDZ-Parteichef Tomislav Karamarko zu emanzipieren? Er nimmt für sich in Anspruch, diesen Sieg errungen zu haben, um neuer Premierminister zu werden. Während sie in der Kampagne häufig wie eine Marionette erschien, wird nun viel davon abhängen, ob es ihr gelingt, sich von den Machtstrukturen der Partei unabhängig zu machen und zur Präsidentin für alle Bürger/innen zu werden.

Auch die Grünen sind gefordert

Orah (ORaH, Održivi razvoj Hrvatske - Nachhaltige Entwicklung Kroatiens), die vor gut einem Jahr neu entstandene grüne Partei, nominierte keinen eigenen Präsidentschaftskandidaten, sondern unterstützte Ivo Josipović, da dessen Programm den von ihr geforderten Veränderungen am meisten entsprach. Der Zuspruch für Orah, der zwischen 10 und 15 Prozent liegt, litt unter dem Auftauchen von Ivan V. Sinčić, der durch seine Anti-Establishment-Rhetorik zahlreiche Proteststimmen auf sich ziehen konnte. Das kommende Jahr wird daher sowohl für grüne wie auch für linke politisch Aktive besonders herausfordernd, wenn sie nicht in die politischen Zustände der 90er Jahren zurückkehren wollen. Die SDP braucht dringend eine Katharsis, die zu erneuerter Unterstützung für Milanović und zur Einigung in der Partei führen müsste, was weniger wahrscheinlich ist, oder zu einer neuen Führung, um so die Fähigkeit zur Machtausübung und zur Bildung von Koalitionen unter Beweis zu stellen. Für Orah wird die Aufgabe darin bestehen, sich einerseits von der SDP zu unterscheidbar zu machen und andererseits ihre Wählerbasis zu verbreitern und für Proteststimmen attraktiv zu werden, die in der Präsidentschaftswahl von neuen politischen Akteuren absorbiert wurden.

Aus dem Englischen übersetzt von Gudrun Fischer.