Deutschland muss in New York Atomwaffen-Verbot unterstützen: Zur Komplementarität von Verbots- und Nichtverbreitungsvertrag

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Gedenken an die Atombombenabwürfe in Hiroshima

Vom 27. April bis 22. Mai 2015 findet in New York die fünfjährliche Überprüfungskonferenz des Nuklearen Nichtverbreitungsvertrages (NVV) statt. Um den Druck auf nukleare Abrüstung zu erhöhen und das Nichtverbreitungsregime zu stärken, müssen Atomwaffen wie andere Massenvernichtungswaffen völkerrechtlich verboten werden. Ein Verbotsvertrag würde den Nichtverbreitungsvertrag ergänzen und stärken. Deutschland sollte daher nächste Woche in der Generaldebatte auf der Überprüfungskonferenz für eine Ächtung von Atomwaffen eintreten. Ein Policy Paper der Heinrich-Böll-Stiftung.

Einleitung

2015 jähren sich die Atombombenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki zum 70. Mal. Diese Ereignisse haben sich tief in das Bewusstsein der Menschheit eingeprägt und sind zugleich Mahnung, die Welt von der Geißel eines Atomkrieges zu befreien. In diesem Geiste und um eine weitere Verbreitung von Atomwaffen zu verhindern, wurde 1968 der Atomwaffensperrvertrag bzw. Nichtverbreitungsvertrag unterzeichnet, dessen Überprüfungskonferenz vom 27. April -22. Mai 2015 in New York ansteht. Der Nichtverbreitungsvertrag ist bis heute mit insgesamt 190 Vertragsstaaten die wichtigste Säule des nuklearen Rüstungskontrollregimes. Wegen der mangelnden Anstrengungen zur nuklearen Abrüstung seitens der Atomwaffenstaaten hagelt es allerdings Kritik von den Nichtatomwaffenstaaten.

Vor diesem Hintergrund könnte der am 2. April 2015 in Lausanne ausgehandelte Deal der P5 +1[1] mit dem Iran ein Glücksfall für die Konferenz in New York darstellen. Im Austausch zur Entlastung von Sanktionen scheint Teheran für die kommenden zehn Jahre umfassende Inspektionen und eine Begrenzung der Urananreicherung zu akzeptieren. Damit ist es auf absehbare Zeit gelungen, das Land im Nichtverbreitungsvertrag zu halten. Der Präzedenzfall Nord-Korea hat sich nicht wiederholt.[2] Von einer Revitalisierung kann jedoch noch lange keine Rede sein. Lediglich eine weitere Schwächung des wegen mangelnder Abrüstungsschritte vor sich hin dümpelnden Vertragsregimes scheint vorerst abgewendet.

Wesentliche Bausteine des Aktionsplans der letzten Überprüfungskonferenz in 2010 wurden nicht umgesetzt. Der Überdruss der Nichtatomwaffenstaaten darüber, immer wieder auf spätere Abrüstungsschritte vertröstet zu werden, hat dazu geführt, dass das bisherige Framing der Debatte um nukleare Abrüstung an sich in Frage gestellt wurde. Neben den militärpolitischen Gesichtspunkten rücken zunehmend die humanitären Folgen eines Atomwaffeneinsatzes ins Zentrum der Auseinandersetzung. Diese Entwicklung mündete in den vergangenen beiden Jahren in die Ausrichtung dreier diplomatischer Konferenzen, deren Abschluss die Wiener Konferenz zu den humanitären Auswirkungen von Kernwaffen im Dezember 2014 bildete. Das wohl bedeutsamste politische Ergebnis dieser Konferenzen ist der von zahlreichen Staaten geteilte Ruf nach einem baldigen völkerrechtlichen Verbot von Atomwaffen. Mit einem solchen Verbotsvertrag wäre nicht nur die Verbreitung, sondern auch der Einsatz und Besitz von Atomwaffen delegitimiert. Diejenigen Staaten, die ein Verbot unterstützen, erhoffen sich dadurch mehr Druck auf die Atomwaffenstaaten, abzurüsten.

Doch wie ist es um das Verhältnis eines möglichen Verbotsvertrages mit dem Nichtverbreitungsvertrag bestellt? Würde ein Verbot das bestehende Rüstungskontrollregime ergänzen und eine völkerrechtliche Lücke schließen? Oder würde es durch eine weitere Spaltung zwischen Atomwaffenstaaten und Nichtatomwaffenstaaten den wichtigsten Pfeiler der nuklearen Rüstungskontrolle ins Wanken bringen und am Ende zum Sargnagel des Nichtverbreitungsvertrages werden? Welche Rolle spielt Deutschland in dieser Kontroverse und was sind die Ausgangsbedingungen, unter denen sich die deutsche Regierung zu einem möglichen Verbotsvertrag verhalten muss? Das vorliegende Papier versucht diese Fragen zu erörtern, indem es einen kurzen Überblick über die Hintergründe und Entstehung der so genannten Humanitären Initiative gibt (I.), die Ausgangssituation Deutschlands beleuchtet (II.), um dann das dynamische Verhältnis zwischen einem möglichen Verbotsvertrag und dem Nichtverbreitungsvertrag zu diskutieren (III.) und schließlich Handlungsempfehlungen für die Bundesregierung anlässlich der 15. Überprüfungskonferenz des Nichtverbreitungsvertrages zu geben (IV).

I. Die Humanitäre Initiative und der Weg zu einem Verbot

Die so genannte Humanitäre Initiative[3] wirft die beiden grundsätzlichen Fragen auf, ob Atomwaffen mit den Prinzipien des humanitären Völkerrechts vereinbar sind und ob eine Gesellschaft die Folgen eines Atomwaffeneinsatzes überhaupt bewältigen kann - Fragen, die während des Kalten Krieges und danach immer wieder unterdrückt wurden. Mit dem Argument, dass die Abschreckung selbst der Garant dafür sei, einen Einsatz und alles Folgende zu verhüten, sollte die Diskussion im Keim erstickt werden. Dahinter steht der aus der Angst voreinander erwachsende Irrglaube, dass die Androhung gegenseitiger Vernichtung (mutual assured destruction) Sicherheit und Frieden stiftet. Tatsächlich hat die Abschreckungsdoktrin die Welt bereits zwei Mal an den Rand des nuklearen Abgrunds getrieben.[4] Trotzdem blieb dieser Wahnsinn grenzenloser Eskalationsbereitschaft bis heute, ein Vierteljahrhundert nach dem Fall der Mauer, in den Militärstrategien weitestgehend unangetastet und gewinnt mit den Spannungen zwischen NATO und Russland wieder Brisanz.

Spieltheoretische Überlegungen und die Vermeidung eines dritten Einsatzes von Atomwaffen seit Hiroshima und Nagasaki werden als Beleg für die Gültigkeit der Abschreckungsdoktrin herangezogen. Die Humanitäre Initiative durchbricht diesen Horizont und rüttelt an einem Tabu: Sie besteht darauf, die Dinge zu Ende zu denken. Was passiert, wenn es trotzdem zum Einsatz kommt, sei es beabsichtigt, unbefugt oder in Folge eines Unfalls? Wie wäre dies völkerrechtlich zu bewerten und könnte man mit den Folgen umgehen? Vor allem aber: welche Schlussfolgerungen sind letztlich aus dieser Befragung zu ziehen?

Das humanitäre Völkerrecht setzt Mindeststandards der Einschränkung von Gewalt, die auch innerhalb bewaffneter Konflikte eingehalten werden müssen.[5] Um unnötiges Leid zu verhindern, ist der Einsatz eines Waffensystems nur dann erlaubt, wenn zwischen Soldaten und Zivilisten unterschieden und die Verhältnismäßigkeit gewahrt werden kann. Massenvernichtungswaffen werden diesen Grundsätzen per definitionem nicht gerecht. Weder unterscheiden sie zwischen Kombattanten und Nicht-Kombattanten, noch spielt bei ihrem Einsatz Verhältnismäßigkeit eine entscheidende Rolle. Nach der Ächtung von biologischen und chemischen Waffen[6], sind Atomwaffen die einzigen Massenvernichtungswaffen, aus deren Unvereinbarkeit mit dem humanitären Völkerrecht noch nicht die entsprechenden Konsequenzen für ein Verbot von Herstellung und Besitz gezogen wurden.

Die Staatengemeinschaft traf sich im März 2013 in Oslo zur ersten diplomatischen Konferenz zu den humanitären Auswirkungen von Kernwaffen. Daran nahmen auch das Internationale Komitee vom Roten Kreuz, humanitäre Organisationen der Vereinten Nationen sowie das zivilgesellschaftliche Bündnis der Internationalen Kampagne zur Abschaffung von Atomwaffen (International Campaign to Abolish Nuclear Weapons, ICAN) teil. Im Jahr 2014 folgten zwei weitere Konferenzen in Nayarit (Mexiko) und Wien.[7] Bei allen drei Konferenzen stellten die teilnehmenden Staaten fest, dass jeder Einsatz von Nuklearwaffen katastrophale humanitäre Auswirkungen hätte. Das Internationale Komitee vom Roten Kreuz betonte, dass eine wirksame Hilfe für die Opfer nicht möglich sei.[8] Es sei daher eine humanitäre Pflicht, sicher zu stellen, dass diese Waffen nie wieder zum Einsatz kommen, sie also zu verbieten und vernichten. Am 20. Oktober 2014 forderten 155 Staaten in der UN-Generalversammlung[9], Nuklearwaffen aufgrund ihrer katastrophalen humanitären Auswirkungen zu ächten. Zum Abschluss der Wiener Konferenz am 9. Dezember  2014 verbürgte sich Österreich mit dem Austrian Pledge[10] dafür, in Zusammenarbeit mit allen relevanten Akteuren auf eine Schließung der völkerrechtlichen Lücke hinzuwirken.

II. Ausgangssituation Deutschlands

Deutschland nimmt in der nuklearen Abrüstung eine Art Zwitterrolle ein. Einerseits gehört es zum Selbstverständnis deutscher Außenpolitik,[11] nukleare Abrüstung voranzutreiben und selbst auf Nuklearwaffen zu verzichten. Andererseits beteiligt sich die Bundesrepublik an der Abschreckungsdoktrin der NATO und ist im Rahmen der so genannten nuklearen Teilhabe Stationierungsort für US-Nuklearwaffen. Wie ist es zu diesem Widerspruch zwischen Verzicht und Teilhabe gekommen, der die deutsche Abrüstungspolitik immer wieder in entgegen gesetzte Richtungen zerrt und zeitweilig paralysiert?

Wenngleich der Verzicht auf Nuklearwaffen gerne als Akt der Freiwilligkeit dargestellt wird, ist er vor allem dem militärpolitischen Korsett geschuldet, in dem sich das zurechtgestutzte Nachkriegsdeutschland nach 1949 wieder fand. Es war eine Zeit des weder noch: Weder durften die beiden deutschen Staaten eigenständige Militärmacht wiedergewinnen, geschweige denn zur Nuklearmacht werden, noch sollten sie für längere Zeit gänzlich auf eine eigene Wehrfähigkeit verzichten. Als sich der Eiseshauch des Kalten Krieges über Europa ausbreitete, wurde das geteilte Deutschland zum zentralen Schauplatz des Rüstungswettlaufs und Stationierungsgebiet amerikanischer und sowjetischer Atomwaffen. Sowohl die Bundeswehr, als auch die Nationale Volksarmee waren dabei massiv an der Nuklearwaffenstationierung- und Einsatzplanung im jeweiligen Bündnis beteiligt.[12]

Im Rahmen der so genannten „Nuklearen Teilhabe“ der NATO pflegt die Bundesrepublik spätestens seit dem Bundestagsbeschluss vom 25. März 1958[13] das hybride Dasein eines Staates, der selbst keine Atomwaffen besitzt, sich aber aktiv an der Politik der mutual assured destruction beteiligt. Zwar sind die meisten US-Nuklearwaffen inzwischen aus Deutschland abgezogen. Doch noch immer lagern auf einem Fliegerhorst in der Eifel etwa zwei Dutzend amerikanische Atombomben.[14] Die Bundeswehr stellt für deren Abwurf Tornados und Piloten bereit, die regelmäßig den Ernstfall üben. Die Bundesregierung sichert sich hierüber ihren Einfluss auf die Nuklearstrategie, Nuklearwaffenstationierung und -einsatzplanung.

In der Frage des vollständigen Verzichts auf und eines Verbotes von Nuklearwaffen kommt also ein tief sitzender Interessens- und Identitätskonflikt deutscher Außenpolitik zum Ausdruck. Darin reibt sich die friedenspolitische Tradition konsequenter Abrüstungspolitik mit den militärpolitischen Pfadabhängigkeiten des Kalten Krieges. Hier kämpft das außenpolitische Selbstbild der souveränen Friedensmacht mit den sicherheitspolitischen Rahmenbedingungen von Bündniszwängen. Heraus kommt eine Art Atomwaffenstaat light. Im Zweifelsfall hält sich Deutschland lieber alle Optionen offen.

III. Verbotsvertrag und Nichtverbreitungsvertrag - das nukleare Rüstungskontrollregime der Zukunft

Einige Beobachter fürchten, dass der Ruf nach einem Verbotsvertrag die Staaten spalten und so den Nichtverbreitungsvertrag schwächen könnte.[15] Er widerspreche dem Ansatz der schrittweisen nuklearen Abrüstung und würde die ohnehin bestehende Kluft im Nichtverbreitungsvertrag zwischen Atomwaffenstaaten[16] und Nichtatomwaffenstaaten noch vertiefen. Die Suche nach radikalen Lösungen verkenne, dass sich alle Vertragsparteien in Geduld und Ausdauer üben müssten.[17] Mit Spannung wird daher erwartet, wie die Vertragsstaaten bei der Überprüfungskonferenz auf den Austrian Pledge reagieren werden.

Die Sorge um die Standfestigkeit des Nichtverbreitungsvertrages ist nicht unberechtigt. Seine Fragilität geht jedoch nicht von einem drohenden Verbotsvertrag aus. Sie ist im Nichtverbreitungsvertrag selbst angelegt und entspringt der darin verankerten Diskriminierung zwischen Atomwaffenstaaten und Nichtatomwaffenstaaten. Den beteiligten Atomwaffenstaaten hatte man das Recht eingeräumt, Atomwaffen zu besitzen, während sich die Nichtatomwaffenstaaten dazu verpflichten mussten, darauf zu verzichten. Zum Ausgleich erklärten sich die Atomwaffenstaaten dazu bereit, im Geiste der Verwirklichung einer atomwaffenfreien Welt radikal abzurüsten.[18] Ein Versprechen, das nie zufriedenstellend eingelöst wurde. Mit dieser Erschleichung von Privilegien haben die Atomwaffenstaaten die Saat für einen immer wieder aufkeimenden Konflikt gelegt.

Die Humanitäre Initiative ist zugleich Ausdruck und Folge des Unmuts der Nichtatomwaffenstaaten über die Weigerung der Atomwaffenstaaten, substantiell abzurüsten. In ihr brach der im Nichtverbreitungsvertrag verwurzelte Konflikt aus den herkömmlichen Abrüstungsforen aus. Mit der Forderung nach einem Verbot kehrt er nun in die Hallen des Nichtverbreitungsvertrages zurück.[19] Die steigende Frustration der Nichtatomwaffenstaaten über mangelnde Vertragstreue der Atomwaffenstaaten hat guten Grund. Auch 25 Jahre nach Ende des Kalten Krieges gibt es noch keine signifikanten Fortschritte bei der Umsetzung der im Nichtverbreitungsvertrag verankerten umfassenden Abrüstungsverpflichtung. Zwar wurden die Arsenale kräftig abgebaut.[20] Sie überschreiten jedoch noch immer alle Dimensionen sicherheitspolitischer ratio. Auf der letzten Überprüfungskonferenz des Nichtverbreitungsvertrages in 2010 wurde ein Aktionsplan beschlossen, der wichtige Abrüstungsschritte vorsah und die Verwirklichung einer massenvernichtungswaffenfreien Zone im Nahen und Mittleren Osten vorantreiben sollte. Dieser Aktionsplan wurde jedoch bis heute in seinen wesentlichen Elementen nicht umgesetzt.[21]

Die Glaubwürdigkeit der Atomwaffenstaaten hat inzwischen schwer gelitten.[22] Zu groß ist die Enttäuschung über die gescheiterte Global-Zero-Initiative Obamas von 2009. Die Erinnerung an seine historische Prager Rede über die Befreiung der Welt von Atomwaffen ist erblasst. Sechs Jahre danach investieren alle Nuklearmächte massiv in die Modernisierung und eine verbesserte Einsatzfähigkeit ihrer Nuklearwaffenarsenale.[23] Allen voran Russland, China, Pakistan und die USA.[24] Dabei besitzen Russland und die USA noch immer über 90% der weltweiten Atomwaffenarsenale. Es wäre ungerecht, den amerikanischen Präsidenten dafür alleine verantwortlich zu machen, schließlich kam auch die jüngste Initiative für eine weitere russisch-amerikanische Reduktion nach dem New-START-Vertrag von 2010 seitens der Obama-Administration. Die Nichtatomwaffenstaaten wollen sich jedoch nicht länger mit innenpolitischen Erklärungen und dem Verweis auf den ungünstigen militärpolitischen Kontext, wie nun mit Blick auf die Ukraine-Krise, abfinden.

Durch einen Verbotsvertrag würde der im Nichtverbreitungsvertrag schwelende Konflikt über mangelnde nukleare Abrüstung in Form zweier Vertragswerke offen gelegt. Ihm könnten nur Nichtatomwaffenstaaten beitreten sowie Atomwaffenstaaten, die sich zur vollständigen nuklearen Abrüstung verpflichten.[25] Der Druck auf Atomwaffenstaaten, abzurüsten, würde steigen. Würde deswegen der splitterige Nichtverbreitungsvertrag auseinander brechen? Gewiss nicht. Denn nukleare Abrüstung ist gerade das Ventil dafür, den Nichtverbreitungsvertrag zu stabilisieren. Die Weigerung abzurüsten ist es, was ihn immer wieder aus der Balance bringt. Staaten, die sich einem Verbotsvertrag anschließen, haben nicht das geringste Interesse an einem Kollaps des Nichtverbreitungsregimes. Für sie ist der Nichtverbreitungsvertrag eine Rückversicherung, auf die sie nicht verzichten können. Ebenso, wie auch die bereits existierenden regionalen atomwaffenfreien Zonen[26] auf einen intakten Nichtverbreitungsvertrag angewiesen sind. Ihr Zusammenschluss zu einer erweiterten atomwaffenfreien Zone wird an diesem existentiellen Interesse nichts ändern.

Verbotsvertrag und Nichtverbreitungsvertrag können sich aus der Logik der ihnen inhärenten politischen Interessen heraus nicht voneinander abkoppeln. Sie ergänzen sich und leben von einem dynamischen Verhältnis zueinander, das im Ringen um Gleichgewicht keine Verknöcherung des anderen zulässt. Ihr Verhältnis zueinander ist nicht eines der Konkurrenz, sondern der Komplementarität. Aus ihrer Konvergenz heraus würde sich schließlich das nukleare Rüstungskontrollregime der Zukunft herausbilden, welches die Verwirklichung einer atomwaffenfreien Welt völkerrechtlich absichert.

IV. Handlungsempfehlungen für die Bundesregierung

Die Enttabuisierung der Diskussion um ein Atomwaffenverbot erleichtert es der Bundesregierung, einen neuen Pfad zu einer atomwaffenfreien Welt zu öffnen. Bisher hieß es, Global Zero ließe sich einzig auf der Schiene des Nichtverbreitungsvertrages verwirklichen. Zum selben Ziel führen jedoch meist mehrere Wege und es ist besser, sie alle offen zu halten, bevor einer zur Sackgasse wird. Auch für die deutsche Positionierung gilt: ihr Verhältnis zu Verbotsvertrag und Nichtverbreitungsvertrag ist keine Frage des entweder oder. Sondern des sowohl als auch.

Doch hat Deutschland nicht ein Interesse daran, dass Einfluss und Reputation der verbündeten Atomwaffenstaaten gewahrt bleiben, zur Not selbst auf Kosten der Verwirklichung einer atomwaffenfreien Welt? Und wären nicht auch der eigene Einfluss und die eigene Reputation durch eine Delegitimierung von Atomwaffen bedroht? Wie sehr der Besitz von Atomwaffen mit Macht und Prestige verknüpft ist, spiegelt sich darin wieder, dass alle fünf offiziellen Atomwaffenstaaten zugleich Mitglieder des UN-Sicherheitsrates sind. Historisch gesehen ist es reiner Zufall. Aber für die internationale Sicherheit ist die Assoziation von Atomwaffen mit geopolitischer Potenz der gefährliche Ansporn dafür, dass weitere Staaten nach der Superbombe greifen. Freilich hat Deutschland ein sicherheitspolitisches Interesse an der Wahrung des Einflusses und der Reputation der USA, Großbritanniens und Frankreichs. Die für die deutsche Außenpolitik wichtige Strategie der gegenseitigen Unterstützung und Imagepflege muss sich aber im Interesse der human security von der Verbindung mit Atomwaffen lösen. Denn Waffen mit einer solchen Zerstörungskraft bedrohen die Menschheit als Ganzes.[27]

Innerhalb der NATO ist Deutschland nicht verpflichtet,[28] sich an der Nuklearen Teilhabe zu beteiligen. Würde es die politische Initiative ergreifen, Bündnistreue und Nuklearpakt voneinander zu unterscheiden, könnte Deutschland seine einengende Zwitterrolle ablegen. Andere Teilhabestaaten, die traditionell für nukleare Abrüstung eintreten, wie Belgien und die Niederlande, würden sehr wahrscheinlich mitgehen und sollten daher einbezogen werden. Norwegen, Dänemark und Island haben mit ihrer Unterstützung der gemeinsamen Erklärung zu den humanitären Folgen von Nuklearwaffen bereits einen ersten Schritt in Richtung Ächtung vollzogen.[29] Um die Legitimität und Stabilität des Nichtverbreitungsvertrages zu stärken, sind glaubwürdige Veränderungen in der Nuklearstrategie der Atommächte und des einzig verbliebenen Nuklearbündnisses unabdingbar. Dies betrifft ein Ende der ständigen Alarmbereitschaft ebenso wie negative Sicherheitsgarantien gegenüber Nichtatomwaffenstaaten[30] und eine Rücknahme der Abschreckungsdoktrin. Deutschland sollte innerhalb der NATO, aber auch in seiner Vermittlerrolle gegenüber Russland auf eine solche Entspannung in der Nuklearpolitik hinwirken.

Um das eigene Image muss sich die Bundesrepublik dabei nicht sorgen. Im Gegenteil. Deutschland zeigt gerade, dass Einfluss und Reputation losgelöst von der nuklearen Wehrfähigkeit wachsen können. Berlin kommt somit eine besondere Verantwortung für die Verwirklichung einer atomwaffenfreien Welt zu. Deutschland könnte beweisen, dass eine Regionalmacht auch ganz auf Atomwaffen verzichten kann. Dass sich Weltpolitik auch ohne nukleares Potenzmittel entscheidend mitgestalten lässt. Der Entzug vom Atomwaffenstaat light zu German Zero wäre ein gewaltiger Schub in Richtung Global Zero. Ein Verbotsvertrag könnte dabei den längst überfälligen Abzug der in Deutschland stationierten Atomwaffen[31] beschleunigen. Für das außenpolitische Image und die abrüstungspolitische Glaubwürdigkeit Deutschlands wäre dies ein großer Gewinn.

Es gilt daher, die Dynamik in der Diskussion über einen Verbotsvertrag in eine Dynamik des Handelns zu übertragen. Die diesjährige Überprüfungskonferenz des Nichtverbreitungsvertrages bietet hierfür eine Gelegenheit. Die Bundesregierung sollte in New York den Austrian Pledge unterstützen, um Verhandlungen für ein völkerrechtliches Verbot von Atomwaffen anzustoßen. Deutschland sollte in der Generaldebatte seinen Beitritt erklären und andere Staaten dazu ermutigen, sich ebenfalls Österreichs Selbstverpflichtung anzuschließen. Verbotsvertrag und Nichtverbreitungsvertrag sind die beiden Grundpfeiler zur Verwirklichung einer atomwaffenfreien Welt. Es braucht sie beide und es braucht sie im wechselseitigen Verhältnis zueinander. Das Ziel der weltweiten Eliminierung aller Massenvernichtungswaffen sollte für Deutschland sicherheitspolitisch Grund genug sein, seinen Beitrag für den Aufbau des nuklearen Rüstungskontrollregimes der Zukunft zu leisten.

 

[1] Die aus den fünf ständigen Mitgliedern des Sicherheitsrates (P5) und Deutschland (+1) bestehende Verhandlungsgruppe konnte sich am 2. April 2015 in Lausanne mit dem Iran auf ein für die nächsten 10 Jahre gültiges Rahmenabkommen zu seinem Atomprogramm einigen.

[2] Nordkorea hatte den Vertrag am 12. Dezember 1985 ratifiziert, gab jedoch am 10. Januar 2003 seinen Austritt bekannt, nachdem ihm seitens der USA ein illegales Urananreicherungsprogramm vorgeworfen wurde. Nordkoreas Austritt trat am 10. April 2003 in Kraft.

[3] für einen weiteren Überblick zur Humanitären Initiative siehe auch: Leo Hoffmann-Axthelm et al. (2015): Atomwaffen ächten. Die humanitäre Notwendigkeit eines Verbotsvertrages. Berlin; John Borrie (2014): Humanitarian Reframing of Nuclear Weapons and the Logic of a Ban. In: International Affairs, vol. 90, no 3, pp. 625-646.

[4] Während der Kubakrise 1960-1962 und durch einen Fehlalarm der sowjetischen Satellitenüberwachung im September 1983. Arnold Piok (2003): Kennedys Kuba-Krise – Planung, Irrtum und Glück am Rande des Atomkrieges 1960–1962. Reihe diplomica, 1. Auflage, Marburg; Peter Anthony (2014): The Man Who Saved the World. Dokumentarfilm.

[5] Der zunächst als ius in bello bzw. Kriegsvölkerrecht bekannte Rechtskörper wurde nach und nach kodifiziert, 1899 in den Haager Abkommen, 1907 in der Haager Landkriegsordnung, 1949 in den vier Genfer Abkommen und 1977 in zwei zugehörigen Zusatzprotokollen.

[6] Biowaffenkonvention vom 10. April 1972, in Kraft seit 26. März 1975; Chemiewaffenkonvention vom 13. Januar 1983, in Kraft seit 29. April 1997

[7] Die Wiener Konferenz zu den Humanitären Auswirkungen von Kernwaffen im Dezember 2014 war die größte der Konferenz-Trias. An ihr nahmen 158 Staaten teil, darunter auch die Atomwaffenstaaten USA, Großbritannien, Indien und Pakistan.

[8] Peter Maurer, Präsident der Internationalen Komitees vom Roten Kreuz (2014): Statement auf der Wiener Konferenz zu den Humanitären Auswirkungen von Nuklearwaffen. Dezember, Wien.

[9] United Nations, General Assembly, First Committee, 69th session (2014): Joint Statement on the humanitarian consequences of nuclear weapons. Delivered by Ambassador Dell Higgie of New Zealand. Oktober, New York.

[10] Bundesministerium für europäische und internationale Angelegenheiten (2014): Austrian Pledge. Dezember, Wien.

[11] Die Bundesrepublik beteiligt sich an zahlreichen abrüstungs- und rüstungskontrollpolitischen Verträgen und war treibender Motor in der konventionellen und nuklearen Rüstungskontrolle nach dem Kalten Krieg. Daher genießt sie international hohes Ansehen und Glaubwürdigkeit als Anwältin für Abrüstung und Rüstungskontrolle.

[12] Harald Nielsen (1998): Die DDR und die Kernwaffen – Die nukleare Rolle der Nationalen Volksarmee im Warschauer Pakt. Nuclear History Program (NHP), Baden-Baden.

[13] Hans Karl Rupp (1970): Außerparlamentarische Opposition in der Ära Adenauer: Der Kampf gegen die Atombewaffnung in den fünfziger Jahren. Köln.

[14] Otfried Nassauer (2012): BITS-Stichwort: US-Atomwaffen in Deutschland und Europa. Aktualisierte Fassung.

[15] Siehe auch Argumente und Gegenargumente in Tom Sauer (2015): The NPT and the Humanitarian Initiative: Towards and beyond the 2015 NPT Review Conference. Deep Cuts Working Paper, no. 5, p.8f.

[16] Zu den im Nichtverbreitungsvertrag anerkannten Atomwaffenstaaten gehören Russland, die USA, China, Großbritannien und Frankreich.

[17] Vgl. Robert Wood, U.S. Special Representative to the Conference on Disarmament (2014): U.S. Perspectives on the Opportunities and Challenges of Nuclear Disarmament, Vienna, December 17.

[18] Die Verpflichtung der Nuklearwaffenstaaten zur nuklearen Abrüstung ist in Artikel VI des Nichtverbreitungsvertrages festgeschrieben.

[19] Der Streit um nukleare Abrüstung innerhalb des Nichtverbreitungsvertrages ist die Wiege der so genannten Humanitären Initiative. Ihre erste offizielle Verlautbarung ist im Abschlussdokument der Überprüfungskonferenz aus dem Jahr 2010 festgehalten: „The Conference expresses ist deep concern at the catastrophic humanitarian consequences of any use of nuclear weapons and reaffirms the need for all states at all timest o comply with applicable international law, including international humanitarian law.“ NPT Review Conference (2010): Final Document, NPT/CONF.2010/50, vol. 1.

[20] Im Jahr 1986 betrug die Anzahl ca. 65 000, heute geht man von ca. 16.000 aus. Hans M. Kristensen, Robert S. Norris (2014): Bulletin of the Atomic Scientists. Nuclear Notebook.

[21] Reaching Critical Will (2015): The NPT Action Plan monitoring report.

[22] Zur Krise des nuklearen Rüstungskontrollregimes siehe auch Alexander Kmentt (2013): How Divergent Views on Nuclear Disarmament Threaten the NPT. In: Arms Control Today, vol. 43, no. 10; Alexei Arbatov (2015): An Annoticed Crisis: the End of History for Nuclear Arms Control? In: Carnegie Moscow Center Website.

[23] John Mecklin (2015): Disarm and Modernize. In: Foreign Policy Website.

[24] The Economist (2015): Nuclear Weapons: The New Nuclear Age. 7 März 2015.

[25] Ähnlich der Biowaffen- und Chemiewaffenkonvention, in denen die Besitzerstaaten zur vollständigen Abrüstung und Vernichtung verpflichtet wurden.

[26] Derzeit gibt es insgesamt sechs vertraglich abgesicherte atomwaffenfreie Zonen, darunter die Antarktis, Lateinamerika/Karibik, der Südpazifik, die Mongolei, Südostasien, Afrika, Zentralasien und die Gebiete der ehemaligen DDR und West-Berlins.

[27] Die internationale Rotkreuz- und Rothalbmondbewegung argumentiert in diesem Sinne: „(...) weapons that risk catastrophic and irreversible humanitarian consequences cannot seriously be viewed as protecting civilians or humanity as a whole.“ ICRC (2015): Nuclear Weapons: Ending a Threat to Humanity, Statement of 18 February 2015.

[28] Der Nordatlantikvertrag enthält keine Bestimmungen hierzu. Innerhalb der NATO gibt es unterschiedliche Auffassungen zur Rolle von Nuklearwaffen, die Mitgliedsstaaten sind nicht rechtlich dazu verpflichtet, an der Nuklearen Teilhabe mitzuwirken oder gar Nuklearwaffen auf ihrem Territorium zu stationieren.

[29] United Nations, General Assembly, First Committee, 69th session (2014): Joint Statement on the humanitarian consequences of nuclear weapons. Delivered by Ambassador Dell Higgie of New Zealand. Oktober, New York.

[30] Darunter versteht man die rechtlich verbindliche Zusicherung eines Atomwaffenstaaten, Nuklearwaffen nicht gegen Nichtatomwaffenstaaten einzusetzen.

[31] Deutscher Bundestag (2010): Deutschland muss deutliche Zeichen für eine Welt frei von Atomwaffen setzen, Drucksache 17/1159. Auf Antrag der Fraktionen CDU/CSU, SPD, FDP und Bündnis 90/Die Grünen.