Griechenland vor den Wahlen: "Das alte politische System befindet sich im Umbruch"

Am 20. September wählen die griechischen Bürger/innen zum dritten Mal in nur acht Monaten. Olga Drossou, Leiterin unseres Regionalbüros in Thessaloniki, erklärt im Interview, welche tiefgreifenden Veränderungen sich derzeit in der politischen Landschaft des Landes vollziehen.

Heinrich-Böll-Stiftung Nordamerika: An diesem Sonntag, den 20. September, werden die griechischen Bürger und Bürgerinnen zum dritten Mal in nur acht Monaten zu den Wahlurnen gerufen. Wie würden Sie die öffentliche Stimmung vor den Wahlen beschreiben?

Olga Drossou: Tatsächlich weist die Tatsache der wiederholten Wahlen in kurzen Abständen darauf hin, dass die Krise auch das politische System in Griechenland erschüttert hat. Das alte politische System befindet sich in einem Umbruch: Herrschaftsparteien wie die sozialdemokratische PASOK schrumpfen und geraten in Existenznot, Politikerclans wie die Familie Papandreou, die in der Nachkriegsgeschichte eine entscheidende Rolle gespielt haben, verschwinden von der politischen Bühne, neue Parteiformationen treten auf die Bühne. Vor allem interessant ist die Entwicklung des linken Bündnisses SYRIZA, das als Fundamentalopposition mit 3 Prozent Wähler/innen-Anteil in kurzer Zeit zur Regierungspartei gewachsen ist, und in fast ebenso kurzer Zeit nach 6 Monaten Regierung „eine Wende zur Realität“ vollziehen musste, das dritte Memorandum mit den Kreditgebern unterschreibt, sich spaltet, die Regierungsmehrheit verliert und erneut Neuwahlen provoziert. Die vielen Menschen, die in SYRIZA den Hoffnungsträger für einen Paradigmenwechsel weg von der Austeritätspolitik gesehen haben, sind enttäuscht und verwirrt. Bei den bevorstehenden Wahlen zeichnet sich ein Duell zwischen den zwei großen Lagern, dem linken und dem rechten, ab. Die Rhetorik ist trotz der großen Polarisierung viel zurückhaltender. Keine großen Versprechen, denn von den alten Versprechungen ist nicht sehr viel übrig geblieben.

Die jüngsten Umfragen zeigen, dass Tsipras Syriza etwa 10 Prozentpunkte seit den Wahlen im Januar verloren hat. Glauben Sie, dass der Anstieg der links- und rechtspopulistischen Parteien, den wir bei den Wahlen im Januar gesehen haben, sich bei diesen Wahlen umkehren wird?

Von dieser Polarisierung scheint nur die Golden Dawn, die radikale neonazistische, nationalistische Protestpartei zu profitieren. Sie scheint mit relativer Sicherheit als die drittstärkste politische Kraft aus den Wahlen hervorzugehen, vor den sozialdemokratischen Zentrumsparteien und vor der radikalen Linken, die sich nach der Spaltung von SYRIZA gegründet hat und die den Austritt aus dem  Euro und den nationalen Alleingang propagiert. Beide sind wie auch die Kommunistische Partei auf ihre Weise radikal, weil sie für eine Systemänderung eintreten, aber sind nicht populistisch, im Sinne von großen Versprechen ohne Systembruch. Die Zeiten für die Populisten scheinen vorbei zu sein.

Einige Kommentatoren sagen voraus, dass der Wahlausgang kaum einen Einfluss auf die griechischen Beziehungen zur EU und der Troika haben wird. Was steht wirklich auf dem Spiel bei diesen Wahlen?

Da ist wahr, das “linke Memorandum“, also das Memorandum, das die linke SYRIZA-Regierung unterzeichnet hat, gibt im wesentlichen den Kurs für die kommenden Regierungen vor. Neben der umstrittenen Haushaltkonsolidierungspolitik, die mit Einsparungen der Staatsausgaben verbunden ist, sollen große Reformen angeschoben und umgesetzt werden, die das Land zu einem modernen, europäischen Rechtsstaat entwickeln. Es soll von den Auswüchsen des Parteienklientelismus befreit werden, der in den vergangenen Jahrzehnten alle sinnvollen Reform verhindert hat. Die Notwenigkeit für diese Reformen, z.B. des Staatsapparats, der Sozialsysteme, der Steuerverwaltung, des Gesundheitssektors etc. sind offensichtlich und im Prinzip unstrittig.

SYRIZA behauptet, dass sie als eine nicht involvierte Partei einzig imstande ist, diese Reformen durchzuführen und spricht ihren Widersachern, die bloß das „alte System“ repräsentieren würden, diese Fähigkeit und den Willen zur Veränderung ab. Doch viele Menschen bezweifeln SYRIZAs Fähigkeit und Entschiedenheit, die Reformen umzusetzen, die sie in der Opposition noch als neoliberal verurteilt und bekämpft hat. Deshalb halten viele eine breite Koalition der politischen Reformkräfte für geboten als Garanten für die erfolgreiche Umsetzung der Reformen und die Einhaltung der Vereinbarungen mit den Kreditgebern.

Vor ein paar Monaten fürchteten viele Menschen, dass Griechenland die Europäische Währungsunion und möglicherweise auch die EU verlassen würde. Die öffentliche Frustration und Wut gegen Brüssel war groß. Was kann die EU tun, um ihr negatives Image in Griechenland wieder zu verbessern?

Die Zweifel an den vereinbarten Sparmaßnahen sind berechtigt, weil sie Griechenland tiefer in die Rezession treiben können. Das Bild der EU wird sich jedoch deutlich verbessern, sollte es mit deren Hilfe gelingen, in Griechenland einen modernen und faireren Staat aufzubauen. Erfolge in diesem Feld würden die EU als Helfer statt als Aufsicht erscheinen lassen.

Europa tut sich derzeit schwer mit der hohen Zahl von Flüchtlingen, die an seinen östlichen und südlichen Grenzen ankommen, umzugehen. Griechenland ist seit Jahren mit einer großen Zahl von Flüchtlingen konfrontiert. Was ist nötig, um die Situation im südlichen Griechenland zu verbessern?

Die Migrations- und Flüchtlingsströme an den Grenzen Griechenlands und Italiens können nicht von einem einzelnen Land bewältigt werden. Das müssen alle europäischen Länder solidarisch miteinander lösen. Sie müssen sich endlich auf eine konsistente Einwanderungspolitik einigen, und legale Einwanderungswege schaffen für die Aufnahme derjenigen Menschen, die man Wirtschafts- oder Arbeitsmigrant/innen nennt. Die Kriegsflüchtlinge aus Syrien gehören zu einer anderen Gruppe, sie sind Kriegsflüchtlinge und keine klassischen Asylbewerber/innen. Hier sehe ich auch die USA und die Golfstaaten in der Pflicht, die nicht wenig zur Destabilisierung im Nahen und Mittleren Osten oder in Afghanistan beigetragen haben. Es kann nicht sein, dass die Aufnahme dieser Kriegsflüchtlinge allein den Europäern überlassen wird.

Dieser Artikel erschien zunächst auf der Seite unseres Regionalbüros Nordamerika.