Auf dem Holzweg: Der Vorschlag der EU-Kommission zum TTIP-Investitionsschutz

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Der neue Vorschlag zum Investitionsschutz in TTIP würde zwar Verbesserungen bringen, ist aber im Ansatz falsch: Warum sollte es für ausländische Investor/innen einen Sonderrechtsweg geben, der normalen Bürger/innen nicht zur Verfügung steht?

Das Thema Investitionsschutz – das „I“ in der Transatlantic Trade and Investment Partnership (TTIP) – gehört, zumindest in Deutschland, zu den kontroversesten Themen in dem geplanten Handels- und Wirtschaftsabkommen zwischen der EU und den USA. Durch den Vorschlag der EU Kommission zum Investitionsschutz in TTIP (PDF) vom Herbst 2015 wird das dieser Kontroverse zu Grunde liegende Problem letztlich nicht gelöst.

Sollte der jetzt vorgeschlagene Text tatsächlich unverändert in TTIP aufgenommen werden, wozu auch die Zustimmung der US-Seite erforderlich wäre, würde er zwar gegenüber bisherigen Investitionsschutzverträgen wichtige Verbesserungen bringen. Das Grundproblem, dass Investitionsschutz in TTIP – einem Abkommen zwischen zwei im Prinzip gut funktionierenden rechtsstaatlichen Systemen – überflüssig ist und zudem bestimmte Risiken für staatliche Regulierung und öffentliche Budgets mit sich bringt, wird damit aber nicht gelöst. Auch Forderungen aus der Zivilgesellschaft, Rechte für Investor/innen nur gemeinsam mit Verpflichtungen für diese festzuschreiben, nimmt der Vorschlag nicht auf. Der Vorschlag geht damit zwar inhaltlich teilweise in die richtige Richtung, ist im Ansatz aber trotzdem falsch.

Die zwei Kritikpunkte

Zur Vorgeschichte des jetzigen Vorschlag gehört, dass laut dem Mandat (PDF), das die im Rat vertretenen Mitgliedstaaten der EU der Europäischen Kommission für die TTIP-Verhandlungen erteilt haben, in das Abkommen Klauseln zum Schutz von Investoren aufgenommen werden sollen. Diese sollen – ähnlich wie in anderen Abkommen – Investoren beispielsweise vor Enteignung schützen und ihnen eine „faire und gerechte“ Behandlung durch das Gastland garantieren. Die entsprechenden Rechte sollen von Investor/innen auch einklagbar sein. Diese Pläne hatten – auch vor dem Hintergrund bisheriger Abkommen mit Investitionsschutzverfahren – erhebliche öffentliche Kritik in der EU ausgelöst.

Diese Kritik hatte im Wesentlichen zwei Dimensionen:

  1. Schiedsgerichtsvefahren: Ein Hauptkritikpunkt war das bisherige System, mit dem Investoren die Verletzung von Investitionsschutzklauseln geltend machen konnten. Über die Entscheidung von Klagen von Investoren, die in der Regel auf Schadensersatz gerichtet sind, sind in der Regel Gerichte aus drei Personen zuständig, die teilweise Interessenskonflikte haben, das sie in unterschiedliche Verfahren in der Anwalts- bzw. Richter/innenrolle auftreten. Zudem sind die Verfahren nicht transparent – je nach Verfahren werden beispielsweise die Entscheidungen der Schiedsgerichte nicht veröffentlicht – und nur sehr begrenzt rechtlich durch andere Gerichte oder eine weitere Instanz überprüfbar. Die Kritik ist dabei unterschiedlich weitreichend: Einige halten das System von Schiedsgerichten grundsätzlich für sinnvoll und wollen die Verfahren nur anders ausgestalten. Andere kritisieren die Existenz einer internationalen „Paralleljustiz“ nur für ausländische Investor/innen - jedenfalls dort, wo es wie in der EU und den USA – nach rechtsstaatlichen Standards funktionierende Gerichte gibt, an die sich Investor/innen ebenfalls wenden könnten.
     
  2. Inhaltliche Schutzstandards: In vielen existierende Investitionsschutzverträgen sind Klauseln zum Schutz von Investor/innen sehr allgemein gehalten. Solche sehr vagen Klauseln wurden von Schiedsgerichten unterschiedlich ausgelegt; Investor/innen haben in der Vergangenheit auf Grundlage solcher Klauseln teilweise erfolgreich gegen staatliche Maßnahmen geklagt, die Ziele im öffentlichen Interesse (wie z. B. den Schutz der Umwelt) verfolgten.

Angesichts der anhaltenden öffentlichen Kritik an den Plänen zu Investitionsschutz führte die EU-Kommission im Jahr 2014 eine öffentliche Konsultation dazu durch; in Reaktion wurden fast 150.000 Stellungnahmen eingereicht, die sich in ihrer Mehrheit kritisch zum bisherigen internationalen Investitionsschutz äußerten. Das Spektrum reichte dabei von grundlegender Ablehnung eines Investitionsschutzkapitels in TTIP bis hin zu Reformvorschlägen zu Details. Das Europäische Parlament forderte danach in einer Resolution vom Juli 2015 die Kommission dazu auf, sicherzustellen, dass die bisherigen Investitions-Schiedsgerichte ersetzt werden durch „ein neues Verfahren für die Beilegung von Streitigkeiten zwischen Investoren und Staaten“, das

„demokratischen Grundsätzen entspricht und der demokratischen Kontrolle unterliegt, in dessen Rahmen etwaige Streitsachen in öffentlichen Verfahren transparent von öffentlich bestellten, unabhängigen Berufsrichtern verhandelt werden, eine Berufungsinstanz vorgesehen ist, die Kohärenz richterlicher Urteile sichergestellt wird, die Rechtsprechung der Gerichte der EU und der Mitgliedstaaten geachtet wird und die Ziele des Gemeinwohls nicht durch private Interessen untergraben werden können“.

Die vorgeschlagenen Neuerungen

Der jetzige Textvorschlag der Kommission hat im Wesentlichen zwei Teile. Im ersten Teil wird inhaltlich definiert, an welche Regeln sich die USA und die EU (und ihre Mitgliedstaaten) in Bezug auf Investitionen von Unternehmen der jeweils anderen Partei halten würden. Das Kapitel enthält Klauseln, die auch in bisherigen internationalen Wirtschaftsabkommen regelmäßig zu finden sind:

  • Das Gebot, das Investor/innen „fair und gerecht“ behandelt werden müssen (Art. 3)
  • Ein Verbot von Enteignungen, außer wenn sie einem öffentlichen Zweck dient,   in einem rechtmäßigen Verfahren und nicht-diskriminierender Art und Weise und gegen Zahlung von unverzüglicher, angemessener und wirksamer Entschädigung erfolgt (Art. 4)

Eine Neuerung im Vergleich zu einigen früheren Abkommen ist dabei, dass einige der vorgeschlagenen Artikel, wie diejenigen zur „fairen und gerechten Behandlung“ sowie zum Verbot von Enteignungen relativ detaillierte Definitionen beziehungsweise eine nicht abschließenden Liste von Beispielen erhalten, was eine Verletzung der jeweiligen Verpflichtung darstellt und was nicht. Diese Definitionen sind erkennbar darauf angelegt, zu verhindern, dass ein Gericht die Klauseln zu Lasten nationalstaatlicher Regulierungshoheit auslegt. So ist z. B. festgelegt, dass außer in extremen Ausnahmefällen Maßnahmen, die nicht-diskriminierend sind und legitimen Zielen im öffentlichen Interesse dienen, wie z. B. dem Schutz von Gesundheit, Sicherheit, der   Umwelt, öffentlichen Moral oder dem Verbraucherschutz keine indirekten Enteignungen darstellen.

Es soll also möglich bleiben, dass die USA oder die EU Gesetze oder andere Maßnahmen mit allgemeiner Geltung zum Schutz von Umwelt, Gesundheit oder Arbeitnehmer/innenrechten ergreifen, ohne dass sie sich nach TTIP gegenüber Investor/innen schadensersatzpflichtig machen.

Die regulatorische Freiheit der Vertragsparteien wird ausdrücklich betont. Solche Ansätze sind grundsätzlich gegenüber vage formulierten Investitionsschutzklauseln vorzugswürdig, da eine enge Formulierung den Auslegungsspielraum von Gerichten begrenzt. Damit wird auch das Risiko geringer, dass sich Staaten durch drohende Klagen von Investor/innen von Regulierung abhalten lassen würden. Der jetzige Vorschlag der Kommission ist allerdings nicht völlig neu – andere neuere Abkommen wie beispielsweise das Investitionsschutzkapitel in dem Comprehensive Economic and Trade Agreement (CETA) (PDF) zwischen der EU und Kanada enthalten bereits ähnliche Ansätze.

Wir brauchen TTIP als Modell nicht

Inhaltlich innovativer ist daher der zweite Teil des vorgeschlagenen EU-Textes zu Investitionsschutz. Hier wird statt der bisher existierenden Schiedsgerichtsbarkeit ein permanenter internationaler Investitionsgerichtshof vorgeschlagen, der zwei Instanzen haben soll. Für die Richter/innen sollen Regeln zur Auswahl und zu ihrer Tätigkeit gelten, die Interessenskonflikte vermeiden sollen; Entscheidungen sollen öffentlich sein. Auch dieser Vorschlag stellt grundsätzlich gegenüber dem jetzigen System der Schiedsgerichtsbarkeit eine Verbesserung dar. Die besonders heftig kritisierten und in der Tat besonders problematischen Aspekte des jetzigen Systems würden damit behoben.

Obwohl der Kommissionvorschlag gegenüber dem heute praktizierten System wichtige Verbesserungen bringen würde, stellt er aber letztlich einen Holzweg dar: nach wie vor gilt nämlich, dass ein Investitionsschutzkapitel im Verhältnis zwischen EU und USA nicht nötig ist. Ausländische Investor/innen können hier problemlos denselben Rechtsweg nutzen wie einheimische: den zu nationalen Gerichten.
Befürworter/innen eines Investitionsschutzkapitels in TTIP argumentieren dagegen, dass mit einem solche Kapitel Maßstäbe auch für künftige Abkommen mit Drittstaaten mit weniger rechtsstaatlich ausgeprägten innerstaatlichen Justizsystemen (wie z. B. China) gesetzt werden könnten; Drittstaaten könnten darauf bestehen, dass die USA oder EU ihnen gegenüber ähnlichen Regeln zustimmen wie untereinander.

Das überzeugt jedoch nicht: Es ist völkerrechtlich keineswegs ungewöhnlich, dass mit unterschiedlichen Staaten unterschiedliche Abkommen ausgehandelt werden; tatsächlich haben die USA und die EU auch bisher mit unterschiedlichen Staaten Wirtschaftsabkommen ausgehandelt, die sich teilweise deutlich voneinander unterscheiden. TTIP wird also als Modell nicht benötigt. Zudem ist auch im Verhältnis zu Staaten mit weniger rechtsstaatlich oder effizient arbeitenden innerstaatlichen Gerichten keineswegs ausgemacht, dass es für ausländische Investor/innen einen Sonderrechtsweg zu einem internationalen Gericht geben sollte, wenn es diesen für normale Bürger/innen eines Staates und in Bezug auf die Durchsetzung von Verpflichtungen zum Schutz von Umwelt, Arbeitnehmer/innen- oder Menschenrechten nicht gibt.