Gute Mode ist fair

Renate Künas
Teaser Bild Untertitel
Renate Künast, Bundestagsfraktion Bündnis90/Die Grünen, bei der Preisverleihung am 4. März 2016 in der Heinrich-Böll-Stiftung

Gisela Burckhardt kämpft seit Jahren für die Verbesserung der Lebenssituation der Arbeiterinnen in der internationalen Textilindustrie. In Ihrer Laudatio dankt Renate Künast ihr für ihre beharrliche Arbeit.

Was ist das eigentlich: Gut angezogen?

Wir mühen uns ja alle darum. Denke ich. Wenn wir alle hier im Raum mal in uns hinein horchen: Gut angezogen. Was fällt uns ein? Geschmackvoll. Farblich und im Schnitt zu uns passend. Vielleicht sogar ein Teil von einer höherpreisigen Marke?

Unsere heutige Preisträgerin Gisela Burckhardt sagt da glasklar: „Gute Mode muss es sein.“

Und sie sagt auch: „Gute Mode ist fair.“ Für sie geht „gut angezogen“ irgendwie nur auf eine besondere Art und Weise.

Anders als heute noch vorherrschend. Wie ist es heute? Shopping geht immer schneller und die Jahreszeiten werden immer mehr. Erst hatten wir fünf: Frühling, Sommer, Herbst, Winter und den Karneval als sogenannte fünfte Jahreszeit.

Aber inzwischen gibt es den Vorfrühling, den Frühling, den Voll-Frühling und den Spätfrühling und passend dazu alle 2 Wochen eine neue Kollektion in den Läden. Die Kundinnen und Kunden eilen von einer Rushhour des Modediktats zur nächsten. Hier und da ein paar besondere Angebote wie: hier jetzt mit Öko-Baumwolle und schon sind die Regale leer. Ist ja immerhin etwas in Bewegung.

Aber das bisschen Veränderung kann ja nicht hinweg täuschen über die desaströse Situation der Arbeiterinnen in der globalen Produktions- und Lieferkette der Modeindustrie. Spätestens seit Naomi Klein und ihrem Buch „No logo“ kann es jede und jeder wissen. Seit dem Brand in Tazreen im Jahr 2012, kann es jede und jeder wissen. Seit dem Einsturz des Rana-Plaza- Gebäudes in Dhaka/Bangladesch im April 2013 kann es jede und jeder wissen.

Jede und Jeder kann wissen wer eigentlich die Menschen sind hinter all unseren T-Shirts, Hosen, Hemden und Blusen. Wie sie arbeiten, wohnen und wo in diesem globalen Prozess die Wertschöpfung hängen bleibt.

Erst mal überhaupt Wissen können und dann noch Wissen wollen – der Weg dazwischen ist ziemlich weit. Unsere Preisträgerin des Anne-Klein-Preises im Jahr 2016 hält sich genau auf dieser Strecke auf. Gisela Burckhardt kämpft für Transparenz, Veränderung und Fairness. Damit wir nicht mehr auf Kosten anderer „Gut angezogen“ sind.

Wie ist sie dahin gekommen. Um was geht es ihr genau?

Studiert hat sie Pädagogik, Französisch, Geschichte und Politikwissenschaften. Mit der Promotion dann den Blick auf die Erwerbsbiographien von Frauen in Ruanda gelegt. Und dann hat sie die Situation in vielen Ländern durch längere Aufenthalte kennen gelernt: Nicaragua, Pakistan, Afghanistan, Indien, Iran, Malawi, Uganda, Senegal, Venezuela und Peru. Unterwegs ist sie Feministin geworden. Und hat später den gemeinnützigen Verein FEMNET mit anderen zusammen gegründet.

Zwei Zitate von ihr will ich erwähnen:

  1. „Ich kam nicht aus der Bewegung der Feministinnen, sondern aus der linken Nach-68-Studentenbewegung. Feministin bin ich erst geworden, als ich in Pakistan lebte.“ Sie hat dort in Peshawar mit Flüchtlingen gearbeitet.
  2. „Ich habe in meinem ganzen Umfeld erlebt, wie Frauen als Arbeitstiere und Gebärmaschinen behandelt wurden. Das hat mich wahnsinnig wütend gemacht.

So hat sie begonnen die Rechte der Frauen zu ihrem Lebensthema zu machen und ist dann Gründerin und Vorsitzende von FEMNET geworden und hat sich auf die internationale Textilindustrie konzentriert. Den Schwerpunkte legte sie auf Bangladesch und Indien.

Ich glaube dazwischen lag die Erkenntnis, dass die eine Seite der Medaille die konkrete Situation der Frauen vor Ort ist, die dringend geändert gehört. Dass Empowerment der Frauen nötig ist. Ein Beispiel wäre die Aktion im indischen Bangalore, wo mit der lokalen Organisation Cividep Kindergärten bei Fabriken eingerichtet werden, um die für Kinder unmenschliche Situation des Allleinseins während Mutter arbeitet, zu beenden. Oder die Situation in Tamil Nadu, wo sehr junge Frauen in die Spinnereien gelockt werden und quasi zu Leibeigenen werden. Hinter hohen Mauern und Stacheldraht produzieren sie Mode für Europa. Für uns.

„Beim Einsatz für die Arbeitsrechte ging es mir immer darum, das System der Ausbeutung hier wie dort als zwei Seiten einer Medaille kenntlich zu machen."

Gisela Burckhardt moralisiert nicht. Sie sagt: „Frauen sind nicht nur Opfer, sondern sie können auch stark sein. Das müssen wir fördern.“

Aber die andere Seite der Medaille, das sind die grundsätzlichen Strukturen in den Beziehungen zwischen den Staaten. Sind die Prinzipien und Verträge nach denen sie Handel miteinander betreiben. Es sind die gesetzlichen Regeln, die Regierungen und Unternehmen klare Rahmen vorgeben. Oder eben auch nicht.

Seit 15 Jahren ist sie deshalb aktiv in der Kampagne für Saubere Kleidung (auch als clean clothes campaign bekannt), damit der globale Wanderzirkus textiler Produktion sich nicht im Verborgenen aufhalten kann. Das Ziel sind andere Strukturen und ein neuer gesetzlicher Rahmen.

Gisela Burckhardt geht dabei niemandem aus dem Weg. Sie legt sich an mit KIK und Lidl, denen sie in Bangladesch Arbeitsrechtsverletzungen nachwies. Da bleibt sie aber nicht stehen, CCC unterstützt nun die Klage der Verbraucherzentrale Hamburg gegen Lidl, damit Schluss ist mit der unwahren Behauptung, man würde weltweit „fair“ produzieren.

Auch der TÜV und die Organisation Social Accountability (SAI) werden nicht geschont, wenn klar gestellt wird, die seien zwar hochwertig, hätten aber nichts Relevantes gesehen; Beweis, sie werden in den Produktionsorten quasi gekauft oder hinters Licht geführt.

Sie lobt – oder besser: erwähnt positiv die 200 Unternehmen (55 Deutsche Unternehmen) die dem Bangladesh Accord beigetreten sind. Das ist eine Vereinbarung nach Rana Plaza, die Zulieferbetriebe offen zu legen und alle ausnahmslos auf Statik und Feuerschutz zu untersuchen. Gisela Burckhardt sagt stets: die von Hugo Boss sind nicht dabei. (so viel zu Markenkleidung). Überhaupt, die Lieferkette, man muss sie selber kennen und sich um die dortigen Arbeitsbedingungen kümmern, statt nur Aufträge irgendwo hin zu geben.

Und: KIK wird immer wieder beharrlich aufgefordert, ob nun lange Zeit um endlich einen Beitrag in den Entschädigungsfonds Rana Plaza zu zahlen oder auch mit Blick auf die Lohnsklaverei hier im Einzelhandel. Ja, dabei hat sie immer Bündnispartner, hier ver.di.

Wie Sie sehen, es geht beileibe nicht nur um das Anprangern, nein, die Verhältnisse sollen sich ändern. Es sollen weitere Akteure rein gesogen werden. Mehr werden, die sich wehren.

Textilbündnis

Gisela Burckhardt ist nun wirklich eine angesehene Expertin für den Textilsektor, so wundert es uns nicht, dass sie inzwischen im sogenannten Steuerungskreis des „Bündnis für nachhaltige Textilien“ des Bundesministers Gerd Müller ist. Da geht es nun mehr um strukturelle Veränderung, sprich für die Verankerung von Sozial- und Umweltstandards durch die gesamte textile Produktions- und Lieferkette.

Ich lasse mal all die Debatten beiseite, welche Grenzen dieses Bündnis selbst hat, weil es freiwillig ist statt einen allgemeingültigen Standard fest zu zurren. Lasse mal weg welche Grenzen es hat, weil es beschränkt auf Deutschland ist, weil die Bundesregierung sich nicht traut klare und EU-weite Regelwerke zu schaffen.

Gisela sieht, was jetzt geht, sieht Chancen und Perspektiven und fasst sie beim Schopfe. Bringt ihren guten Namen mit ein, um auch klar zu machen, dass etwas dabei heraus kommen muss und soll.

Gesetze

Wie Gisela Burckhardt  selber mal sagte, „ Das eine schließt das andere nicht aus.“ Die Teilnahme am Bündnis ist keine Engführung für sie im Rahmen einer Kooperation, nein sie bleibt an anderen Fragestellungen dran.

Das ist:

  1. Für einen freiwilligen Entschädigungsfonds für die Verletzten und Hinterbliebenen von Rana Plaza, verwaltet durch die Internationale Arbeitsorganisation (ILO), hat sie gekämpft, auch für seine finanzielle Ausstattung. Aber Freiwilligkeit reicht ihr nicht aus, denn es geht um „Rechte für die Menschen und Regeln für Unternehmen“. Strukturelle Änderungen statt Almosen, wenn gerade mal die Katastrophe so groß ist, dass sie öffentliche Aufmerksamkeit und Druck schafft.
  2. Und so bleibt die Forderung nach gesetzlichen Regelungen bestehen. Ein Werkzeug gegen das Versteckspiel so mancher Unternehmen. Die notwendigen verbindlichen Regeln lauten für die Ebene der EU: Festschreibung menschenrechtlicher Sorgfaltspflichten und die Einführung einer Unternehmenshaftung. Der UN-Menschenrechtsrat hat ja Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte als unternehmerische Sorgfaltspflichten formuliert. Aber diese sind noch freiwilliger Natur.
  3. So fordert Gisela Burckhardt die Politik auf, den Rahmen zu definieren in dem eine verantwortliche Textilproduktion gehört. Er beinhaltet nicht nur Haftungsregelungen, sondern auch eine verpflichtende Rückverfolgbarkeit und Transparenzregelungen. (Das trifft sich ja gut, ich hätte da gerade einen fertigen Antrag für den Bundestag zu diesem Thema). So könnten wir genau hin schauen und in der Praxis den Gegencheck machen, ob die Angaben stimmen.
  4. Womit wir schon bei den Verbrauchern wären, die durch Transparenz und wirklich aussagekräftige Label anders konsumieren können. Gisela scheut sich auch nicht, diese aufzufordern hinzuschauen. Fangt doch schon mal mit Einkäufen von Produktion an, die mit GOTS oder Fair Wear Foundation gekennzeichnet sind.

Aber: nichts ist wirklich einfach, das etablierte Strukturen und Wertschöpfungen verändern will.

Ihr Credo lautet folgerichtig: Man muss Widerstand aushalten können.

Aushalten, wenn man weder Luxuslabeln noch Discountern einfach glaubt. Den Audit-Imperien und dem TÜV auf die Finger schaut, sich als Konsument nicht für dumm verkaufen lässt und schon gar nicht Politikern allein die schönen Worte glaubt.

Wenn man so rum fragt bei anderen Aktiven – was ich getan habe - dann hört man:

  • Gisela ist eine Frau, die nicht nur eine Utopie hat, sie ist ergebnisorientiert.
  • Gisela ist immer ganz firm in ihren Themen, hat eine sehr große Detailkenntnis.
  • Sie konfrontiert ihr Gegenüber mit der unbequemen Wahrheit. Und bleibt dran!

Aber es heißt auch:

  • Gisela ist eine der größten Pragmatikerinnen.
  • Sie baut Brücken. Aber sie macht keine Kompromisse.
  • Und sie wird ernst genommen. Genau deswegen.

Wie das alles zusammen geht? Ich glaube viele hier im Saal haben das schon mal gesehen oder miterlebt. Dieses dran bleiben und klare sowie beständige hinweisen, wie die Situation vor Ort ist. Präzise seziert sie was da genau der Skandal ist.

Bei der Frage welches Ziel am Ende zu erreichen ist, macht Gisela Burckhardt eben keine Kompromisse. Aber Ton und Stil der Auseinandersetzung sind ganz fokussiert auf die Sache. Darauf, dass sich etwas ändern soll und muss.

Deshalb – weil sie auf das Ergebnis fixiert ist – nimmt sie die Akteure in der Textilindustrie ernst, sieht aber auch deren Grenzen. So ist sie kooperativ und rollenklug, doch lässt sich nie den Schneid abkaufen.

Sie ist Brückenbauerin, solide Brückenbauerin. Für Konstruktionen über die mehrere Akteure gehen können um wirklich das andere Ufer zu erreichen.

Um wirklich eine andere Lebenssituation zu erreichen für all die Frauen in der ganzen langen Textil-Produktionskette.

Liebe Gisela, danke für die beharrliche Arbeit, danke für das Vorbild. Danke, dass einige von uns auch Stücke dieses Weges mit Dir gemeinsam gehen können. Und vor allem mit Blick auf all die Millionen weltweit betroffenen Frauen: Danke für Deine bisherige Arbeit und die, die noch kommt.

Rechte für Menschen. Regeln für Unternehmen. Eine würdige Trägerin des Anne-Klein-Frauenpreises 2016. Anne hätte sich gefreut.