Myanmars steiniger Weg zur Demokratie: Die Rolle natürlicher Ressourcen

Jade-Stein

Vor einigen Monaten besuchte uns ein Bundestagsabgeordneter in Yangon. Zwar interessiert man sich im Bundestag nicht allzu sehr für Südostasien, Myanmar war aber lange Zeit eine Ausnahme. Die jahrelange Abschottung des Landes war Grund zur Sorge und Anlass für Kritik – aber auch für Interesse. Als dann, so dieser Abgeordnete, Thein Seins Regierung aus Militärs und Zivilisten das Land nach den Wahlen von 2010 öffnete, hakte die deutsche Politik den Fall als erledigt ab: Alles gut – das Land bewegte sich in Richtung Demokratie. Mit dem Interesse war es vorbei.

Als vergangenes Jahr die Ergebnisse der ersten freien und fairen Wahlen nach über einem viertel Jahrhundert veröffentlicht wurden zeigte sich, dass die Ikone für Freiheit und Demokratie, Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi und ihre Nationale Liga für Demokratie (NLD) einen Erdrutschsieg errungen hatten. Die internationale Gemeinschaft schloss sich dem Siegesjubel an: Fall gelöst –abhaken. Aber die Wirklichkeit in Myanmar sieht anders aus. Aung San Suu Kyi steht erst am Anfang eines langen, steinigen Wegs, und es ist alles andere als sicher, ob sie das Ziel erreichen wird.

Erfolg oder Misserfolg von Suu Kyi und ihrer NLD-Regierung hängen vor allem von zwei Faktoren ab: Zum einen, ob es ihr gelingen wird, in einem Land Frieden zu schaffen, in dem seit 70 Jahren bestimmte Volksgruppen bewaffneten Widerstand leisten. Und zum anderen, ob sie es im Unterschied zur Militärregierung schafft, die Wirtschaft auf nachhaltigere und gerechtere Art zu entwickeln. Myanmars Natur- und Bodenschätze – Erdgas, Bergbau, Wasser, Holz und Land – werden dabei entscheidend sein. Bislang waren diese natürlichen Ressourcen, wie so oft, für das Land eher Fluch als Segen, und auch heute sind die beteiligten Interessen grundverschieden. Im Laufe der nächsten Jahre wird Suu Kyi versuchen müssen, realpolitisch einen Ausgleich zwischen diesen Interessen herzustellen.

Gegensätzliche Interessen

Immer noch großen Einfluss hat Myanmars Militär (Tatmadaw), denn das Land ist alles andere als vollständig demokratisch. Die Verfassung sieht vor, dass die Streitkräfte in allen Kammern des Parlaments 25 Prozent der Abgeordneten stellen (und dadurch einer Sperrminorität für Verfassungsänderungen besitzen). Sie benennen zudem einen der beiden Vizepräsidenten und kontrollieren den Nationalen Verteidigungs- und Sicherheitsrat. Außerdem ernennt der Oberbefehlshaber all jene Ministerposten, die in Fragen der Sicherheit von besonderer Bedeutung sind, das heißt die für Inneres, Verteidigung und Grenzangelegenheiten. Die Verfassung sieht weiter vor, dass das Militär, sollte es zu politischen Unruhen kommen, das Parlament auflösen kann. Sozusagen als Sahnehäubchen gehören dem Militär mehrere große Unternehmen und auch sonst herrscht Vetternwirtschaft. Ehemalige Generäle sowie Geschäftsleute, die dem Militär nahestehen (die sogenannten „Cronies“), haben Zugriff auf einen erheblichen Teil der natürlichen Ressourcen des Landes. Allein beim Abbau von Jade geht es für sie dabei um einen Geldsegen von einhundert Milliarden US-Dollar oder mehr.

Die Interessen der ethnischen Minderheiten sind ganz andere. Myanmar ist eines der Länder mit der größten ethnischen Vielfalt weltweit. Angaben der Regierung zufolge gibt es 135 Ethnien, die zusammen etwa ein Drittel der 52 Millionen Einwohner des Landes stellen. Ein Großteil von Myanmars Reichtum an natürlichen Ressourcen befindet sich in Gebieten, in denen diese Ethnien leben. Diese haben – oft zurecht –tiefsitzende Sorgen, da  die Militärs in der Vergangenheit geplündert haben, was sie als ihr Eigentum betrachten.

Die International Crisis Group führt für Myanmar 17 größere bewaffnete Organisationen ethnischer Gruppen auf.[i] Am 15. Oktober 2015 schlossen acht dieser Gruppen einen Waffenstillstand mit der Regierung. Bei einigen der Unterzeichner handelt es sich jedoch um Kleingruppen mit, zum Teil, nur an die hundert Kämpfern. Gleichzeitig blieben mehrere bedeutende Kräfte dem Friedensprozess fern, so die United Wa State Army, die möglicherweise an die 20.000 Soldaten hat, und die Shan State Army sowie die Kachin Independence Army, beide mit geschätzten 8.000 Kämpfern.[ii] Zwar ist aktuell vor allem die Rede von ethnischer Identität, kulturellem Erbe und dem Recht, das eigene Schicksal selbst bestimmen zu können, jedoch ist auch die Aufteilung des volkswirtschaftlichen Vermögens einer jener sechs Themenbereiche, die für die Union Peace Conference (UPC) festgelegt wurden. Ich bin überzeugt, dass, wenn es hart auf hart kommt, wirtschaftliche Fragen darüber entscheiden werden, ob ein dauerhafter Frieden möglich ist oder nicht.

In Myanmar kann man heute eine moderne Version jenes „Great Game“ beobachten, wie es sich einst zwischen Russland und Großbritannien abspielte. Myanmar liegt zwischen China und Indien, den beiden bevölkerungsreichsten Staaten der Welt, und das Land ist für die beiden asiatischen Großmächte sowie für die USA von grundlegender geopolitischer Bedeutung. Ganz besonders für China steht in Myanmar einiges auf dem Spiel, ist das Land doch ein entscheidendes Puzzlestück im Programm „One Belt, One Road“ (mit dem China seine Verkehrsanbindungen in Eurasien verbessern will). Für China bietet Myanmar einen Zugang zum Indischen Ozean, durch den sich die gefährliche und teure Handelsroute durch die Straße von Malakka umgehen lässt. China, einst der „brüderliche Freund“ Myanmars, ist der mit Abstand wichtigste ausländische Investor im Land und hat, zusammen mit Hong Kong, seit 1988 rd. 38 Prozent der ausländischen Direktinvestition getätigt.[iii] China ist auf große Mengen Energie und Rohstoffe angewiesen und hat in Myanmar erheblich investiert, vor allem in Wasserkraft, eine Gaspipeline, Bergbau und in bedeutende Infrastruktur-Projekte.

Es war folglich ein schwerer Rückschlag für die Beziehungen zwischen Myanmar und China, als Präsident Thein Sein im September 2011 den Bau des 6.000 MW Myitsone-Staudamms auf Eis legte, da es großen Widerstand gegen dieses Projekt gab. Viele Menschen in Myanmar sahen in der gewaltigen Talsperre im Bundesstaat Kachin am Irrawaddy Fluss, der Lebensader Myanmars, einen Ausverkauf des nationalen Erbes ihres Landes. Zwar haben sich die chinesischen Direktinvestitionen seither erholt, aber die Beziehungen zwischen den beiden Staaten sind immer noch angespannt. Kein Staatsoberhaupt von Myanmar kann es sich jedoch leisten, China allzu lange die kalte Schulter zu zeigen.

Das Vermächtnis schlechter Regierungsführung

Aung San Suu Kyi hat mit einem schweren Vermächtnis zu kämpfen, nämlich schlecht geplanten, schlecht ausgehandelten und schlecht umgesetzten Riesenprojekten wie Bergwerken, Wasserkraftwerken und Plantagen. Im Laufe der Jahre hat die Militärregierung unter der Hand viele fragwürdige Geschäfte mit ausländischen Partnern gemacht. Diese Projekte zeichnen sich durch einige Gemeinsamkeiten aus:

  • Die Verträge sind fast immer intransparent. Es ist nach wie vor nahezu unmöglich, etwas über die abgeschlossenen Verträge zu erfahren. Zwar könnte Myanmars Antrag, der Initiative für Transparenz im Rohstoffsektor (Extractive Industries Transparency Initiative - EITI) beizutreten, zu größerer Transparenz führen - bislang wurden die bestehenden Rohstoffverträge jedoch nicht offengelegt.
  • Keine, bzw. keine aussagekräftigen Umwelt- und Sozialverträglichkeitsprüfungen, ganz zu schweigen von einer Folgenabschätzung für Menschenrechte und Konfilkte.
  • Keine wirkliche Bürgerbeteiligung. Gegen den Grundsatz des „free prior informed consent (FPIC)“, d.h. der informierten Zustimmung der Betroffenen vor Durchführung der Projekte, wurde in allen Projekten verstoßen.
  • Entschädigungslose Enteignung und Vertreibung von Bauern und Bäuerinnen sowie weitere Menschenrechtsverletzungen.

Meist waren ethnische Minderheiten die Opfer solcher Verstöße. Wesentliche Ursache vieler Konflikte ist die Verfassung aus dem Jahr 2008, die im Auftrag und ganz im Sinne der Militärs verfasst wurde. Die Streitkräfte Myanmars verstehen sich als Hüter dieser Verfassung. So heißt es in § 37(a): „Dem Bund gehören letztlich das gesamte Land sowie alle natürlichen Ressourcen über und unter der Erde, über und unter dem Wasser sowie in der Atmosphäre des Bundes.“[iv] Dies entspricht fast vollständig dem Artikel 18 der Verfassung von 1974. Derartige Regelungen sind keine Besonderheit Myanmars. Mit Ausnahme weniger Länder – überwiegend handelt es sich um Industriestaaten – gehören Natur- und Rohstoffe vielerorts dem (Zentral)Staat. In Myanmar haben die alten Militäreliten diese Regelungen jedoch über Jahre dazu benutzt, die Ressourcen des Landes unkontrolliert (und oft zum eigenen Profit) zu verkaufen. Die Bevölkerung wurde dabei von ihrem Land vertrieben, wenn sie im Weg war.

Hiergegen führen Vertreter und Vertreterinnen der ethnischen Minderheiten an, der Artikel 26 der UN-Erklärung der Rechte indigener Völker gebe ihnen Verfügungsrechte und Entscheidungsgewalt über „das Land, Gebiete und Ressourcen, die sie traditionell besessen, bewohnt oder anderweitig genutzt oder erworben haben“.[v] Sie fordern ein föderales System, das ihnen pikanterweise Aung San Suu Kyis Vater, dem Held der Unabhängigkeit General Aung San, auf der Konferenz von Panglong im Jahre 1947 zugesagt hatte. Um die nach Unabhängigkeit strebenden Minderheiten vom Verbleib in der Union zu überzeugen sicherte er ihnen innerhalb ihrer Siedlungsgebiete grundsätzlich vollständige Autonomie zu. Verwirklicht wurde dieses Versprechen jedoch nie, es erklärt aber, warum den Minderheiten so sehr daran liegt, über ihre Gebiete selbst bestimmen zu können.

Es blieb die gewichtige Frage, wem die natürlichen Ressourcen Myanmars gehören. Das Natural Resource Governance Institute (NRGI) gab kürzlich einen Bericht zur Frage der Aufteilung der Einnahmen aus Ressourcen heraus.[vi] Eine mögliche Lösung wäre eine faire Aufteilung der Einnahmen auf nationaler wie regionaler Ebene, wofür wahrscheinlich weder eine Verfassungsänderung noch die endgültige Klärung der Eigentumsfrage notwendig wäre. Sind die maßgeblichen Beteiligten aber bereit, einen solchen Kompromiss zu schließen?

Myanmars „großes Staatsgeheimnis“

Einer Bestandsaufnahme der Myanmar Extractive Industries Transparency Initiative (MEITI) zufolge ist Myanmar weltweit der zehntgrößte Produzent von Erdgas, das wichtigste Förderland für Rubine und die einzige Quelle für Jade.[vii] Zudem werden Vorkommen an Erdöl, Saphiren, Kupfer, Blei, Silber, Zink, Zinn, Gold und Kohle aufgeführt. Ein erster Bericht von MEITI führt für das Haushaltsjahr 2013/14 gut 3.011.283 Millionen Kyat[viii] steuerlicher und nicht-steuerlicher Einnahmen auf, von denen 85 Prozent von der Öl- und Gasförderung herrühren, 13 Prozent von Jade und anderen Edelsteinen und etwa zwei Prozent von sonstigem Abbau.[ix] Im Jahr 2013/14 machten Rohstoffindustrien demnach 23,6 Prozent der staatlichen Einnahmen aus. Zwar klingt das nach einer Menge, dennoch ist fraglich, ob das Volk in Myanmar tatsächlich einen gerechten Anteil am Reichtum des Landes erhält.

Die Förderung von Erdöl und Erdgas ist sehr kapitalintensiv, weshalb diese Branche von internationalen Konzernen beherrscht wird, zu denen Total, Petronas und Daewoo gehören und neuerdings auch Shell und Woodside. Zwar ist der Inhalt der geschlossenen Verträge streng vertraulich, immerhin aber gibt es für den Sub-Sektor ein gewisses Maß an Transparenz. Die Anteile der Beteiligten, darunter des staatlichen Myanmar Oil & Gas Enterprise (MOGE), sind bekannt. Wirklich verblüffend ist aber, wie die myanmarische Regierung diese Posten budgetiert. Über die Hälfte der Einnahmen werden nicht zentral im Staathaushalt verbucht, sondern in sogenannten „anderen Haushalten“; denen staatlicher Firmen und von Ministerien. Was diese Einrichtungen mit den Geldern anfangen, bleibt völlig undurchsichtig. Sicher ist nur, sie fließen nicht an den myanmarischen Fiskus.

Noch undurchsichtiger ist die Branche, die von der internationalen NGO Global Witness als Burmas „großes Staatsgeheimnis“ bezeichnet wird[x] – der Handel mit Jade. Offiziell geht es dabei um drei Milliarden US-Dollar. Handelsdaten der UNO zeigen jedoch, dass 2014 Jade im Wert von 12,3 Milliarden US-Dollar[xi] nach China eingeführt wurde, und Global Witness schätzt den Bruttowert der Jadeförderung für 2014 auf ungefähr 31 Milliarden US-Dollar![xii] Dies ist eine Zahl, die man auf den ersten Blick kaum glauben mag. Bei einem Treffen bezeichnete ein Regierungsvertreter diese Angabe aber unlängst als „plausibel“. Die Regierung Myanmars erhielt hiervon nur etwa ein Prozent in Form von Steuern und Abgaben.

Global Witness führt auf, wer von diesen undurchsichtigen (und teilweise illegalen) Geschäften profitiert. Die Liste reicht von Ex-Dikator Than Shwe über den früheren Landwirtschaftsminister Ohn Myint, bis hin zu Drogenbaron Wei Hsueh-Kang (auf den die USA ein Kopfgeld von zwei Millionen Dollar ausgesetzt haben) und ist ein Who’s Who des alten Militärestablishments und seiner Vetternwirtschaft. Gleich, wie viel die geförderte Jade auf dem Markt genau Wert ist, sicher ist, Staat, Volk und ganz besonders die Kachin, auf deren Gebiet ein Großteil der Förderung stattfindet, werden um gewaltige Summen und damit um ihre Zukunft gebracht.

Suu Kyi in der Zwickmühle

Eine vor kurzem erschienene Titelgeschichte in der Wochenzeitschrift Mizzima hatte die Überschrift: „Staudämme – Suu Kyis Zwickmühle“.[xiii] Die NLD wird schon bald Stellung zu einer Reihe umfangreicher Verträge mit China beziehen müssen, bei denen es um die Nutzung von Wasserkraft geht. Wie der Fall Myitsone zeigt, sind die Risiken enorm und die Interessenlagen gehen weit auseinander. Keine Frage, das Land braucht Energie. Zahlen des IFC zufolge haben zwei Drittel der Bevölkerung keinen Zugang zu Strom.[xiv] Im regionalen Vergleich ist der Pro-Kopf-Verbrauch an Strom sehr gering und beläuft sich beispielsweise auf nur ein Drittel dessen in Laos. Die Asiatische Entwicklungsbank schätzt, dass sich bis zum Jahre 2030 die fehlende verfügbare Kapazität zwischen 13,3 und 17,5 GW belaufen wird. Gleichzeitig sieht man in Myanmar einen potenziellen Energieriesen, der in Zukunft mit Wasserkraft 100 GW produzieren und zum Teil exportieren könnte.[xv]

Die Regierung selbst hat 92 mögliche Standorte für Staudämme ausgemacht, mit denen sich 46 GW produzieren ließen. Allein der Mong Ton-Staudamm am Than Lwin Fluss, ein Gemeinschaftsprojekt von China, Thailand und Myanmar, hätte eine Kapazität von 7,11 GW und überträfe damit die Myitsone-Talsperre. Mit einer Höhe von 241 Metern handelt es sich bei dem Bauwerk um eine der größten Staumauern der Welt, und der entstehende Stausee würde den von Konflikten zerrütteten Bundesstaat Shan praktisch zweiteilen.[xvi] Insgesamt plant man in den fragilen Grenzregionen des Landes 13 Wasserkraftwerke mit einer Kapazität von jeweils über einem Gigawatt. Diese Großprojekte im Bereich Wasserkraft zeichnen sich, neben den bereits oben aufgeführten Merkmalen schlechter Regierungsführung, noch durch weitere Mängel aus:

  • Die Menschen vor Ort haben nichts von dem Projekt, denn der erzeugte Strom soll vor allem exportiert werden. Wie im Fall der Myitsone-Talsperre würden in Mong Ton 90 Prozent der erzeugten Energie nach China und Thailand fließen.
  • Viele der Projekte befinden sich in Konfliktregionen und würden die dortigen Konflikte wahrscheinlich weiter aufheizen.
  • Viele der Staudämme sollen in aktiven Erdbebengebieten gebaut werden, was sie zu einem großen Risiko macht.

Ganz besonders die Staudämme am Than Lwin Fluss (in Thailand heißt er Salween, in China Nag-Tschu) sind Grund zur Sorge, denn die geplanten Wasserkraftwerke würden nicht nur das letzte unberührte Flusstal der Region zerstören, sondern möglicherweise auch hunderttausenden Menschen, die ethnischen Minderheiten angehören, die Lebensgrundlage entziehen. Auch die Geologie dieser Gegend ist problematisch. Bereits im Jahr 2004 erklärte der chinesische Premier Wen Jiabao, man werde den Bau von 13 Staudämmen am Nag-Tschu auf Eis legen.[xvii] Soweit bekannt, wurde diese Entscheidung erst kürzlich von der Regierung der Provinz Yunnan bekräftigt, und es ist wahrscheinlich, dass China am Nag-Tschu keine Staudämme errichten wird. Die Frage ist, ob China und Thailand versuchen werden, ihre Umweltprobleme und die damit einhergehenden Externalitäten nach Myanmar zu exportieren?

Der ‚Staudamm als Zwickmühle’ ist Teil eines weit größeren Problems von Myanmars Energiepolitik. Mit Unterstützung der japanischen Entwicklungsbehörde JICA wurde ein Masterplan erstellt, der vorsieht, bis 2030 den Energiemix des Landes umzustellen. Aktuell werden von den vorhandenen 4,84 GW installierter Leistung 65 Prozent durch Wasserkraft, 33 Prozent durch Erdgas und zwei Prozent durch Kohle erzeugt (erneuerbare Energien gibt es nicht). Bis 2030 soll die Gesamtkapazität auf 23,6 GW gesteigert werden, wovon 38 Prozent Wasserkraft, 20 Prozent Erdgas, 33 Prozent Kohle und neun Prozent erneuerbare Energien sein sollen.[xviii] Dies bedeutet eine Steigerung der durch Wasserkraft erzeugten Energiemenge um etwa fünf GW; bei der Kohleverstromung wären es etwa 7,6 GW. Das Land wäre hierdurch auf Jahrzehnte an Netze mit Steinzeittechnologie gefesselt. Das IFC untersucht derzeit im Auftrag der Regierung, wie nachhaltig die geplanten Staudämme wären – von denen viele womöglich gebaut werden.[xix] Die Weltbank hat kürzlich 400 Millionen US-Dollar bewilligt, mit denen das Projekt der landesweiten Elektrifizierung unterstützt werden soll. Von diesem Betrag sind nur 80 Millionen Dollar für netzferne bzw. für Insellösungen vorgesehen.[xx] In einem Land, in dem die meisten Menschen in sehr abgelegenen Gebieten leben, scheint dies zu wenig.

Prof. U Aung Myint, Direktor von Myanmars Vereinigung für Erneuerbare Energie (REAM) und Mitglied des nationalen Energierats, kritisierte den Masterplan, da er (i) den zu erwartenden Verbrauch übertreibe, (ii) es an Lösungen für eine dezentrale Versorgung mit erneuerbaren Energien fehle und (iii) der Schwerpunkt auf netzbasierten Ansätzen liege.[xxi] Dass Kohlekraftwerke dem Klima schaden, ist weitgehend anerkannt. Ein weltweites Bündnis von etwa 500 zivilgesellschaftlichen Organisationen hat jedoch 2015 beim Klimagipfel in Paris wissenschaftliche Argumente vorgelegt, dass Großstaudämme, speziell in den Tropen, keine „saubere und grüne“ Technologie sind.[xxii] Sie führen an, dass der Methanausstoß, zu dem es durch die notwendigen großen Stauseen komme, ähnliche, wenn nicht schlimmere Folgen für das Klima habe, als die Verstromung von Kohle. Hinzu kommt, dass die meisten Staudammprojekte finanziell nicht gangbar seien und sich die Mehrkosten auf, im Schnitt, 96 Prozent beliefen.[xxiii]

Land weg, Lebensunterhalt weg

Landraub hat in Myanmar eine lange Geschichte, und einige Fälle reichen zurück bis in die 1970er und 1980er Jahre. Aber erst in den vergangenen Jahren kam es massiv zu Landraub und heute findet er „in einem beispielosen Ausmaß“ statt.[xxiv] Im Jahr 2012 ging es laut dem Asian Legal Resource Center (ALRC) bei der Mehrheit der 1.700 Beschwerden, die bei der Nationalen Menschenrechtskommission eingingen, um Landraub.[xxv] Nach Angaben der Food Security Working Group beschlagnahmte die Militärregierung zwischen 1988 und 2010 etwa 800.000 Hektar Land.[xxvi] Im Jahr 2013 wurde ein sogenanntes Zentralkommittee zur Steuerung der Landnutzung („Land Utilization Management Central Committee“) eingerichtet, das in 699 Fällen, bei denen es um über 190.000 Hektar Land ging, beschloss, das Land müsse zurückgegeben bzw. die ehemaligen Besitzer entschädigt werden.[xxvii] Bis Juli 2014 wurden hiervon jedoch nur etwa 60.000 Hektar zurückgegeben.[xxviii] Raubt man Bauern das Land, nimmt man ihnen die Lebensgrundlage, denn nur selten können sie auf andere Art für ihren Unterhalt sorgen. Aus diesem Grund wächst der Widerstand gegen Landraub und Konflikte um Landbesitz nehmen zu.

In den vergangenen Jahren wurde das Problem durch zwei Gesetze noch weiter verschärft. Das Gesetz zur Nutzung von Brachland und Neuland („Vacant Fallow and Virgin (VFV) Land Management Law“) aus dem Jahre 2012 hat das Ziel, aus so genanntem Ödland möglichst hohen Gewinn zu schlagen. Dies steht im Einklang mit dem Vorhaben des Landwirtschaftsministeriums, bis 2030 „vier Millionen Hektar Ödland in Nutzland umzuwandeln, auf welchem Privatfirmen im industriellen Maßstab Gummi, Palmöl, Hülsenfrüchte und Zuckerrohr für den Export anbauen.“[xxix] Daneben soll solches „Ödland“ auch für Industrie, Bergbau, Infrastruktur sowie weitere Zwecke genutzt werden. Das Gesetz für Landwirtschaftliche Flächen aus dem Jahr 2012 regelt, dass die Rechte an landwirtschaftlichen Flächen frei durch Personen übertragen werden können, die hierfür einen rechtlichen Besitztitel vorlegen.[xxx] Hierdurch wird das Konzept des persönlichen Eigentums auf eine Situation übertragen, in der vormals Kleinbauern Flächen im Fruchtwechsel (shifting cultivation) und gemeinschaftlich verwaltete Flächen bewirtschafteten. Ein Großteil des Landes, um das es geht, ist somit nie „Ödland“ gewesen, sondern wurde nach Gewohnheitsrecht oder nach örtlichen Gepflogenheiten bewirtschaftet. Solche Rechte werden jedoch von dem neuen Gesetz nicht anerkannt, das heißt, „die überwältigende Mehrheit der Besitzer wird ausgeschlossen.“[xxxi]

Ausblick

All diese Fragen sind äußerst brisant, können sie doch dazu führen, dass eine der oben genannten Interessengruppen verprellt wird. Ein mögliches Beispiel dafür, wie Aung San Suu Kyi in Zukunft mit solchen Konflikten umgehen wird, kann der Fall des Kupferbergwerks Letpadaung sein. Hier beging sie den taktischen Fehler, den Vorsitz einer parlamentarischen Kommission zur Lösung des erbitterten lokalen Widerstands gegen die Mine zu übernehmen. Die Kommission entschied, dass die Mine grundsätzlich weiter betrieben werden könne, denn man müsse den bestehenden internationalen Verträgen nachkommen. Sie empfahl allerdings, Myanmars Anteil an dem Projekt zu erhöhen und strengere Sozial- und Umweltauflagen zu erlassen.

Aung San Suu Kyi hat wiederholt gesagt, sie wolle verstärkt ausländische Direktinvestitionen ins Land holen. Entsprechend muss sie den Eindruck vermeiden, ihre Regierung halte sich nicht an bestehende Verträge – selbt wenn diese Verträge von einer illegitimen Regierung geschlossen wurden. Zugleich weiß sie aber auch, was das Volk in Myanmar und besonders die Minderheiten von ihr erwarten. Vermutlich wird die NLD jedes Projekt einzeln unter die Lupe nehmen und von Fall zu Fall entscheiden, ob Kompromisse möglich sind. Das heißt, ob Projekte neu ausgehandelt werden können und zwar mit einer Umwelt- und Sozialverträglichkeitsprüfung (ESIA) und echter Beteiligung der Betroffenen. Oder ob ein bestimmtes Projekt einfach stillgelegt wird, auf die Gefahr hin, dadurch bestimmte einflussreiche Interessengruppen zu verprellen. Die neue Regierung muss hier rasch auf sämtliche maßgebliche Daten zugreifen können und sie benötigt erstklassige technische und rechtliche Beratung. Die EU könnte hierbei eine wichtige Rolle spielen.

Aus dem Englischen übersetzt von Bernd Herrmann.

 

Anmerkungen

[i] International Crisis Group (2015): Myanmar’s Peace Process: A Nationwide Ceasefire Remains Elusive, ICG Asia Briefing Nr. 146, Yangon/Brussels.

[ii] Ye Mon and Lun Min Mang in Myanmar Times, 16 October 2015: Ceasefire pact is ‘historic gift’: president.

[iii] Siehe Rubrik „Data and Statistics“ auf der Website des Department of Investment and Company Administration (DICA): http://dica.gov.mm.x-aas.net/

[iv] Verfassung der Republik der Union Myanmar (2008).

[v] Erklärung der Vereinten Nationen über die Rechte der indigenen Völker (2008). Das Militär sieht allerdings in ethnischen Minderheite keine „indigenen Völker“.

[vi] Andrew Bauer, Paul Shortell, Lorenzo Delesgues (2016): Sharing the Wealth: A Roadmap for Distributing Myanmar’s Natural Resource Revenues, NRGI, NY.

[vii] Moore Stephens (2015): Myanmar Extractive Industries Transparency Initiative (MEITI). Scoping Study for the first EITI Report.

[viii] Das entspricht etwa drei Milliarde US-Dollar (Kurs von 2014).

[ix] Moore Stephens (2016): Myanmar Extractive Industries Transparency Initiative (MEITI). EITI Report for the Period April 2013 – March 2014. Oil, Gas and Mining Sectors.

[x] Global Witness (2015): Jade: Myanmar’s “Big State Secret”. London.

[xi] In: Andrew Bauer, Paul Shortell, Lorenzo Delesgues (2016): Sharing the Wealth: A Roadmap for Distributing Myanmar’s Natural Resource Revenues, NRGI, NY.

[xii] Global Witness (2015): Jade: Myanmar’s “Big State Secret”. London.

[xiv] IFC and the Government of Myanmar to Improve Environmental and Social Standards in Hydropower Projects, Presseerklärung der IFC vom 22. September 2015.

[xv] Ebd.

[xvi] Mizzima Weekly, Ausgabe Nr. 4, Band 5, 28. Januar – 3. Februar 2016.

[xvii] Ebd.

[xviii] Aung Shin, Clare Hammond in: Myanmar Times, 23. September 2015: „IFC to lead sustainable hydro in Myanmar“.

[xix] Ebd.

[xx] The World Bank (2015): IDA Project Appraisal Document on a Proposed Credit in the Amount of SDR 286.9 Million (US$ 400 Million Equivalent) to the Republic of the Union of Myanmar for a National Electrification Project. P152936, 25. August 2015, Washington D.C.

[xxi] Persönliche Mitteilung von Prof. U Aung Myint an den Autor.

[xxii] Siehe: International Rivers: 10 Reasons Why Climate Initiatives Should Not Include Large Hydropower Projects. A Civil Society Manifesto for the Support of Real Climate Solutions. www.internationalrivers.org/node/9204.

[xxiii] Ebd.

[xxiv] Transnational Institute (2013): Access Denied. Land Rights and Ethnic Conflict in Burma. Burma Policy Briefing Nr. 11, Amsterdam.

[xxv] Asian Legal Resource Center: Myanmar at Risk of Land-Grabbing Epidemic. Pressemitteilung vom 6. Juni 2012.

[xxvi] In: Swan Ye Htut in: Myanmar Times, 12. Februar 2016: „Land feud heats up the capital“.

[xxvii] Ebd.

[xxviii] Myanmar Centre for Responsible Business (2015): Land. Briefing Paper, Yangon.

[xxix] Ebd.

[xxx] Ebd.

[xxxi] Transnational Institute (2013): Access Denied. Land Rights and Ethnic Conflict in Burma. Burma Policy Briefing Nr. 11, Amsterdam.