"Uns bleibt immer Paris' - eine Analyse zur Klimakonferenz in Marrakesch

COP22 in Marrakech
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Marrakesch war noch kein Durchbruch, aber das Momentum von Paris lebt weiter

Trotz der Wahl von US-Präsident Trump (oder gerade deswegen?) ist die Staatengemeinschaft auf der UN-Klimakonferenz COP 22 in Marrakesch näher zusammengerückt. Das Tempo bei der Umsetzung des Paris-Abkommens muss jedoch deutlich zunehmen, sonst ist das 1,5-Grad-Limit nicht mehr zu schaffen.[1]

Zwei Tage vor Eröffnung der Klimakonferenz in Marrakesch, am 4. November, trat das Pariser Klimaabkommen in Kraft. Eine Mehrheit der Staaten hatte den Vertrag in den nationalen Parlamenten bestätigen lassen. Noch nie waren einem internationalen Abkommen in so kurzer Zeit – innerhalb von zehn Monaten – so viele Länder beigetreten. UN-Generalsekretär Ban Ki Moon lobte diese Entschlossenheit der Staaten in der letzten Rede seiner Amtszeit auf der Konferenz in Marrakesch. Wenige Tage später – der Klimagipfel lief schon zwei Tage – schlug die Hochstimmung in Katerstimmung um.

Der klare Sieg von Donald Trump bei den US-Wahlen, der den Klimawandel als chinesische Verschwörung bezeichnet hatte und das gesamte internationale kollaborative Engagement der USA, gerade in UN-Kontexten, in Frage stellt, drückte die Stimmung in Marrakesch. Die begründete Sorge, Trump könnte aus dem Paris-Abkommen aussteigen und alle Errungenschaften seines Vorgängers Barack Obama rückgängig machen oder gleich die Mitgliedschaft der USA in der Klima-Rahmenkonvention kündigen, beherrschte fast alle Diskussionen. Das eigentliche Überthema des Gipfels – der Klimawandel in Afrika – geriet so aus dem Blick.

Für den Kontinent steht viel auf dem Spiel: Afrika leidet bereits heute massiv unter den Folgen des Klimawandels und die Regierungen fordern finanzielle und technologische Unterstützung sowie Hilfe beim Aufbau von Kapazitäten für die Umsetzung ihrer nationalen Klimapläne – und das nicht nur beim Klimaschutz, sondern vor allem auch bei der viel dringlicheren Anpassung an den Klimawandel.

Das „Paris rule book”

"Casablanca"

„You must remember this

The fundamental things apply
As time goes by.”

Ein Großteil der Verhandlungen in Marrakesch drehte sich um die Interpretation der Vereinbarungen von Paris und das Ausbuchstabieren des sogenannten „Paris rule book“ – also einer Art Bedienungsanleitung für die Umsetzung der verschiedenen Beschlüsse. Hinter den technisch anmutenden und komplexen Themen verbergen sich hochpolitische Konflikte.

Konkret wurde darüber diskutiert, wie die Länder ihre jeweiligen nationalen Anstrengungen in den Bereichen Klimaschutz, Anpassung, Klimafinanzierung, Technologietransfer und Kapazitätsaufbau an das UN-Klimasekretariat melden sollen und inwiefern sie für eine mangelnde Umsetzung und Einhaltung zur Rechenschaft gezogen werden können. Ein internationales Register soll hier für Transparenz und Vergleichbarkeit sorgen. Bei diesem Thema wurde hart und emotional verhandelt: Viele Länder argumentieren, dass die Elemente der nationalen Klimapläne freiwillig sind und folglich die Berichterstattung über die Fortschritte bei der Planerfüllung ebenfalls dem Gutdünken der Länder unterliegen sollte.

Außerdem seien allzu strenge Kontrollen ein Eingriff in ihre nationale Souveränität. Die Industriestaaten fordern, dass alle Länder nachweisen müssen, was ihre Klimapolitik konkret an Ergebnissen hervorbringt. Dem wollen viele Entwicklungsländer aber nur zustimmen, wenn für Industrie- und Entwicklungsländer unterschiedliche Regeln bei der Berichterstattung gelten. Für die Industriestaaten ist dies wiederum ausgeschlossen. Sie betrachten die Überwindung der schematischen Zweiteilung der Welt als größte Errungenschaft des Paris-Abkommens. Das Thema Klimagerechtigkeit („equity“ im Sinne der berühmten Formel „common but differentiated responsibilities“, CBDR) ist also mit den Beschlüssen von Paris noch lange nicht als Zankapfel verschwunden.

Ein weiteres Thema für das „Paris rule book“ ist die Frage, wie die Länder zur Einhaltung ihrer Zusagen angehalten werden. In einem Bottom-up-Regime wie dem Pariser Klimaabkommen, das auf freiwillige Selbstverpflichtungen anstelle von ausgehandelten Zwangsverpflichtungen nach CBDR setzt, ist diese Frage keineswegs leicht zu beantworten. Das Vorgängerabkommen, das Kyoto-Protokoll, bot hier noch einige Handlungsmöglichkeiten (auch wenn das eher watteweiche Peitschenhiebe waren). In der Klimawelt von Paris muss die Vertragserfüllung vor allem über Transparenz und Rechenschaftspflicht laufen.

Allerdings wurde in Marrakesch erstmals unter völlig neuen Vorzeichen verhandelt: Die unter der Klimarahmenkonvention übliche Unterteilung aller Parteien in Entwicklungs- und Industrieländer wurde durch das Paris-Abkommen aufgeweicht. Zwar gibt es die Zweiteilung formal noch immer, aber freiwillige Selbstverpflichtungen (nationally determined contributions, NDCs) müssen alle Staaten einreichen. Im Unterschied zum Kyoto-Protokoll geben sich damit alle 197 Mitglieder der Klimarahmenkonvention Klimaziele – wenn auch die Ambition in den Klimazielen der Entwicklungsländer unter dem Vorbehalt steht, dass es für deren Erreichen entsprechend großzügige Finanzhilfen aus reicheren Ländern gibt.

Der Klimagipfel und die Einhaltung von Menschenrechten

Für die internationale Zivilgesellschaft beim Gipfel in Marrakesch war beim Ausbuchstabieren der Umsetzungsregeln für den Paris-Vertrag vor allem eine Frage wichtig: Inwiefern gelingt es, die Voraussetzungen und Zugänge dafür zu schaffen, dass die hart erkämpften und wichtigen Formulierungen zu Menschenrechten, Geschlechtergerechtigkeit, gerechten Gesellschaftsumbrüchen und anderen wichtigen Prinzipien aus der Präambel des Paris-Abkommens in den einzelnen Umsetzungsschritten und -instrumenten, wie zum Beispiel im Transparenzrahmen, verankert werden können? Und welche Staaten sind willens, als Menschenrechts-Champions diese Agenda zu verfechten?

Offenbar noch zu wenige. So ging es in Marrakesch in Sachen Menschenrechte nur in winzigen Schritten vorwärts, zum Beispiel mit Referenzen zu Menschenrechten in den Diskussionen zur Unterstützung von Ländern bei der Kapazitätsbildung oder zum Einbeziehen von Menschenrechten in die Richtlinien für die NDC-Berichterstattung.

Erfolgreicher waren dagegen Bemühungen außerhalb des Paris-Abkommens für den Zeitraum bis 2020 ein bei der COP 20 in Lima 2014 aufgelegtes zweijähriges Arbeitsprogramm zu Gender und Klima um weitere drei Jahre zu verlängern und zu intensivieren. Damit wird ein ursprünglich auf Genderbalance begrenzter Ansatz in den Delegationen ausgeweitet. Durch Konzentration auf die Kapazitätsbildung von Verhandelnden aller Arbeitsbereiche der Klimarahmenkonvention soll die Genderintegration gerade in den technischen Expert/innengremien und beim Finanzierungsmechanismus gestärkt werden, ebenso wie die Rechenschaftspflicht aller Parteien und Verhandlungsorgane in Sachen Gender-Mainstreaming. Allerdings fehlen noch die konkreten Finanzzusagen für die Umsetzung des Arbeitsprogramms.

Verhandelt wurden diese Themen in verschiedenen Gremien, etwa im Rahmen der „Ad Hoc Working Group on the Paris Agreement“ (APA) sowie in den verschiedenen „Subsidiary Bodies“ der Klimarahmenkonvention (SBSTA und SBI). Erstmals tagte in Marrakesch auch die „Conference of the Parties serving as the meeting of the Parties to the Paris Agreement” (CMA). Doch das war eher Zeremonie und Formsache, wirkliche Entscheidungen werden wohl erst 2018 unter der CMA getroffen. Übrigens: Auch die Vertragsstaaten des Kyoto-Protokolls tagten in Marrakesch, und zwar unter der Abkürzung CMP.

Der nächste richtige Meilenstein in der internationalen Klimapolitik ist für 2018 geplant. Dann kommen drei Ereignisse zusammen. Zum einen legt der Weltklimarat IPCC seinen Sonderbericht zum 1,5-Grad-Ziel vor. Das zweite Element ist die geplante Fertigstellung der beschriebenen „Bedienungsanleitung“ für das Paris-Abkommen. Und drittens soll es eine Überprüfung der nationalen Ziele und Maßnahmen, der NDCs, geben.

In Marrakesch ging es auch darum, wie sichergestellt werden kann, dass alle Länder (und allen voran die Industrieländer) ihre bisher auf den Tisch gelegten Zusagen noch mindestens einmal nachschärfen und erhöhen müssen. Nach jetzigem Stand bringen uns die NDCs auf einen Pfad von voraussichtlich über drei Grad Erwärmung und widersprechen damit dem Zwei- und dem 1,5-Grad-Ziel.

Für eine solche Überprüfung der Verpflichtungen gibt es verschiedene Meilensteine. Der eine war der sogenannte „2016 Facilitative Dialogue“, der aber bis auf ein gegenseitiges Anprangern und „finger pointing“ nicht viel gebracht hat. Ein nächster Dialog dieser Art steht 2018 an. Dieser muss wesentlich umfangreicher ausfallen und besser vorbereitet werden. Umso beunruhigender ist es, dass die COP 24 im Jahr 2018 erneut in Polen stattfinden soll – in Europas „Heartland of Coal“. 2023 ist dann der erste „Global Stocktake“ des Paris-Abkommens fällig, eine Art Fünf-Jahres-Inventur.

Kohleausstieg und langfristige Transformationspläne

„Ich glaube, dies ist der Beginn einer wunderbaren Freundschaft.“

In Marrakesch wurden sogenannte NDC-Partnerschaften ins Leben gerufen, mit denen Industrieländer arme Länder im Süden unterstützen wollen, damit diese ihre nationalen Klimapläne, die NDCs, erfüllen können. Interesse angemeldet haben Länder wie die Malediven, Indonesien oder Uganda. Aufseiten der Industriestaaten haben Deutschland, Frankreich, aber auch die USA und Kanada ihre Hilfe angeboten. Eine lange Planung ist nötig, um Land für Land den Weg in eine globale Wirtschafts- und Lebensweise zu ebnen, die das Zwei-Grad-Limit respektiert. Für Paris hatten die Staaten ihre Ziele eingereicht, in Marrakesch stellten die ersten von ihnen langfristige Pläne zur Umsetzung vor.

Auf deutscher Seite konnte Umweltministerin Barbara Hendricks mit der Vorstellung des ersten Klimaschutzplans bis 2050 einen Coup landen. Während sie sich zu Hause monatelang vorwerfen lassen musste, der Plan sei nur „Klimaschutz light“ und vermeide Aussagen zu einem konkreten Kohleausstiegsfahrplan, applaudierte die internationale Klimagemeinschaft in Marrakesch. Dem Vorbild Deutschlands folgten wenig später die USA mit einem Klimaplan ebenfalls bis 2050 – auch wenn dieser in den nächsten Jahren wohl in den Schreibtischen der Trump-Regierung verstauben wird.

Andere Länder wie Mexiko und Kanada zogen nach. Die Schwäche dieser Ziele und der darauf aufbauenden Pläne ist sicherlich ihre Freiwilligkeit – was erst eine Voraussetzung für das Zustandekommen des Paris-Abkommens war und in der Trump-Ära durchaus der Schlüssel für dessen Überleben sein könnte. Die Verwässerung des deutschen Klimaplans durch CSU-geführte Ministerien, aber auch durch Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel in Sachen Kohleausstieg, zeigt, wie schwer es selbst für sogenannte Vorreiter ist, den Pfad der Transformation einzuschlagen.

Bemerkenswert war in dieser Hinsicht die Ankündigung von 47 besonders vom Klimawandel betroffenen Ländern, fast alle Mitglieder im Climate Vulnerable Forum (CVF). Die Staaten erklärten, sie wollten so schnell wie möglich – bis 2030 oder spätestens 2050 – auf hundert Prozent erneuerbare Energien umsteigen. Hierfür wurden sie zu Recht von der Zivilgesellschaft und den Medien gefeiert. Allerdings ist diese Ansage für das globale Klima nur ein Tropfen auf den heißen Stein, da die Treibhausgasemissionen der CVF-Mitglieder im Weltmaßstab kaum von Belang sind.

Politisch spielen sie aber eine wichtige Rolle bei den Verhandlungen – auch wenn einige Beobachter/innen ihre Rolle als Schwächung einer einheitlichen Front der Entwicklungsländer gegen verzögerte Ambitionen und unerfüllte Zusagen der Industrieländer ansehen. Interessanterweise soll die COP 23 im nächsten Jahr unter der Präsidentschaft Fidschis stattfinden – und zwar in Bonn, da dem kleinen Inselstaat die Mittel für die Ausrichtung einer solchen Konferenz fehlen.

Der Land- und Waldsektor im Klimaregime

„Oh, bitte Monsieur. Das ist ein kleines Spiel das wir spielen. Sie setzen es auf meine Rechnung, ich zerreiße die Rechnung. Das ist sehr befriedigend!“

Der Land- und Waldsektor spielt eine entscheidende Rolle bei der Umsetzung des Pariser Klimaabkommens und war deshalb in Marrakesch auch Gegenstand verschiedener Arbeitsgruppen und Diskussionen. Lösungen und Instrumente, die hier diskutiert werden, könnten dazu beitragen, eine Agrarwende einzuleiten, Landrechte zu schützen und die Entwaldung zu stoppen.

Sie könnten aber auch die industrielle Land- und Forstwirtschaft intensivieren, die Vertreibung indigener und lokaler Gemeinschaften verstärken und neue Hintertüren öffnen, um Emissionen aus dem fossilen Sektor durch dubiose Kompensationsmaßnahmen, sogenannte Offsets, auszugleichen. Es steht also viel auf dem Spiel und die entscheidenden politischen Fragen sind oft hinter komplizierten und technisch anmutenden Tagesordnungspunkten versteckt.

Böden und Wälder können erhebliche Mengen CO₂ absorbieren. Maßnahmen im Wald- und Landsektor dürfen aber unter keinen Umständen dazu genutzt werden, ein Nichthandeln in anderen Sektoren zu entschuldigen. Das CO₂-Budget, das sich die internationale Staatengemeinschaft in Paris gesetzt hat, lässt keinen Raum für Offsets. Anders gesagt: Industrieländer können ihr wenig ambitioniertes Handeln beim Ausstieg aus den Fossilen gar nicht mit billigeren Emissionsreduzierungsprojekten in Entwicklungsländern oder in anderen Sektoren (Wald, Land) schönrechnen!

Denn die Buchhaltungsregeln aus dem Kyoto-Protokoll enthalten einen entscheidenden Fehler bei der Berechnung von Emissionen aus dem Land- und Waldsektor. Laut Weltklimarat IPCC wäre es theoretisch möglich, die Verbrennung von Biomasse als CO₂-neutral anzusehen, wenn es ein separates Erfassungssystem für Emissionen gibt, die bei der Produktion von Biomasse – also bei Anbau, Ernte, Rodung und Ähnlichem – entstehen. Ein solches gibt es aber im Kyoto-System nicht – sodass die Emissionen zwar entstehen, aber weder an der Quelle noch bei der Verbrennung erfasst werden.

In Marrakesch haben zahlreiche zivilgesellschaftliche Organisationen und einige Staaten hart dafür gekämpft, dass die Buchhaltungsregeln für das Erfassen und Berichten zu Emissionen im Landsektor nicht den Fehler aus dem Kyoto-Protokoll wiederholen. Sie müssen stattdessen transparent machen, welche Emissionen wo entstehen und welche Treibhausgase wo wieder in Senken wie Böden oder Wäldern verschwinden. Fortschreitende Entwaldung darf nicht durch das Verrechnen mit Aufforstungsprojekten anderswo unsichtbar gemacht werden. Andere Treibhausgase als CO₂ aus der Landwirtschaft, also zum Beispiel Methan, dürfen nicht im Zuge der Verrechnung mit der CO₂-Speicherung in Böden versteckt werden. Bioenergie darf nicht als CO₂-neutral erfasst werden, wie es etwa die EU gerne hätte.

Im Klimaschutz geht es aber um viel mehr als um CO₂. Deshalb ist es wichtig, dass im Rahmen der umfassenden Transparenz- und Berichtspflichten der Länder festgehalten wird, dass sie nicht nur über Tonnen CO₂ berichten, sondern auch Rechenschaft ablegen, wie sie Menschenrechte, die Rechte Indigener, Frauenrechte, Ernährungssicherheit und all die anderen Fragen einbeziehen, zu deren Beachtung sie sich in Paris verpflichtet haben. All diese Themen müssen sowohl bei den Berichten zu den nationalen Klimaplänen (NDCs) als auch bei der gemeinsamen Überprüfung im Rahmen des „2018 Facilitative Dialogue“ und des „Global Stocktake 2023“ eine Rolle spielen.

Ebenfalls nicht neu ist die Debatte um die Risiken der Einbeziehung von Land- und Waldsektor in den Emissionshandel. In Marrakesch ging es darum zu verhindern, dass sich bei der Ausgestaltung des neu geschaffenen „Sustainable Development Mechanism“ (SDM) Tür und Tor für Offsets öffnen. Eine wichtige Debatte (außerhalb der Klimarahmenkonvention, aber mit klarem Bezug und Auswirkungen auf die Klimaverhandlungen in Marrakesch) ist dabei die Entscheidung der Internationalen Zivilluftfahrtorganisation ICAO, mit „CORSIA„ einen neuen globalen Marktmechanismus für Emissionen aus dem Flugverkehr zu schaffen. Man kann wohl davon ausgehen, dass damit in Zukunft die größte Nachfrage nach Kompensationsgutschriften (auch aus dem Wald- und Landsektor, also auch durch sogenannte REDD+-Zertifikate) von den Fluggesellschaften kommen wird.

Die offiziellen Klimaverhandlungen zur Landwirtschaft sind ziemlich verfahren und kommen kaum voran, die Interessenkonflikte zwischen Industrie- und Entwicklungsländern sind einfach zu groß. Die großen Agrarnationen in der Gruppe der G77, wie Brasilien, Argentinien oder Indien, wollen darüber auf keinen Fall unter der Überschrift „Klimaschutz“ verhandeln und sehen Landwirtschaft einzig und allein als Thema für die Anpassung an den Klimawandel. Industrieländer wie die EU sehen das anders und wollen zudem dafür sorgen, dass der Landsektor zum Beispiel über die problematische Produktion von Agrartreibstoffen zum Ziel der „Klimaneutralität“ beiträgt – dafür gab es in Marrakesch starke Kritik aus der Zivilgesellschaft.

Einige NGOs forderten ein Arbeitsprogramm zu Landwirtschaft und Ernährungssicherheit, das sich sowohl mit Klimaschutz als auch mit Anpassung befasst und dafür sorgt, dass die umfassenden Themen – keine Offsets, Agrarökologie statt industrieller Landwirtschaft, Menschenrechte und sozial-ökologische Kriterien – ganz klar im Vordergrund stehen. Die Verhandlungen wurden jedoch abgebrochen und auf Mai 2017 vertagt.

Die Global Climate Action Agenda

„Verhaften Sie die üblichen Verdächtigen.“

Weil sich bei den nationalen Klimaschutzplänen erstmal nicht viel bewegt, setzt die internationale Staatengemeinschaft – wie in so vielen Bereichen – auch im Klimaschutz auf Beiträge der Privatwirtschaft im Sinne von freiwilligen Selbstverpflichtungen. Spätestens seit dem Klimagipfel COP 20 in Lima 2014 gehört die Präsentation von „Climate Actions“ der „non-actors“ (dazu gehören neben der Privatwirtschaft auch Städte, subnationale Regierungen und NGOs) zum festen Bestandteil jeder COP. Zu den bereits existierenden Plattformen der sogenannten Global Climate Action Agenda (in der sowohl die staatliche Lima-Paris Action Agenda als auch die Klimaaktionsplattform der nichtstaatlichen Akteure NAZCA aufgehen) ist nun in Marrakesch eine neue hinzugekommen: Die „Climate Champions“ Laurence Tubiana und Hakima El Haité lancierten die „Marrakesch Partnership for Global Climate Action„.

Die Botschaft ist: Unternehmen, Zivilgesellschaft und Politik können die Klimakrise nur zusammen lösen. Best-Practice-Beispiele können dem gegenseitigen Ansporn dienen und außerdem ein „race to the top“ befördern. Abseits der Verhandlungen (aber räumlich komplett integriert) gab es also wieder ein Feuerwerk an Ankündigungen. Darunter mischen sich auch immer einige, die weniger dem Klimaschutz als dem Greenwashing derjenigen Konzerne dienen, die die größte Verantwortung für die Klimakrise tragen.

Ein großer Renner in Marrakesch war dabei Carbon Capture and Storage (CCS) – nicht nur als Trumpf in der Hand der fossilen Konzerne, die damit ihr Geschäftsmodell in eine klimafreundliche Zukunft retten wollen, sondern auch als wichtigste Technologie für die Erzeugung sogenannter „negativer Emissionen“, die vielen als unabdingbar für die Einhaltung des 1,5-Grad-Limits gelten.

Prinzipiell ist die Verankerung des 1,5-Grad-Ziels im Klimavertrag ein Meilenstein. Denn die Schwelle kommt für viele kleine Inselstaaten einer Existenzfrage gleich. Inzwischen gehen viele Klimaforscherinnen und -forscher davon aus, dass schon in fünf Jahren das Emissions-Budget überschritten sein wird, um das Ziel noch zu erreichen. Der Fünfte Sachstandsbericht des Weltklimarats von 2014 baut deshalb in seinen Szenarien auf das Konzept der „negativen Emissionen“ – in weiten Teilen auch schon für das Zwei-Grad-Ziel. Das heißt: Die Erde darf sich um mehr als 1,5 oder zwei Grad erwärmen, nur müssen am Ende des Jahrhunderts genügend Klimasenken existieren, damit die Schwelle wieder unterschritten wird. Senken werden dabei vor allem technologisch gedacht, zum Beispiel in Form von Biomasseverbrennung in Kombination mit der unterirdischen Speicherung von CO₂ (Bioenergie plus CCS, BECCS). Dafür wäre allerdings mindestens die 1,5-fache Landfläche Indiens zum Anbau von Energiepflanzen nötig – was zu einem Anstieg der Nahrungsmittelpreise und weiterem Landgrabbing führen dürfte. Eine andere Möglichkeit für Senken wäre großflächige Aufforstung auf der ganzen Welt, was abermals eine Konkurrenz zu den Anbauflächen für Nahrungsmittel darstellt – und eine ökologische Katastrophe, weil dabei vor allem auf Plantagenanbau in Monokulturen gesetzt würde. Sollte sich die Denkweise erst einmal durchsetzen, dass wir uns eine vorübergehende Überschreitung der Temperaturziele leisten können, könnte das noch Tür und Tor öffnen für ganz andere Formen des Geoengineerings, etwa die Abschirmung der Sonneneinstrahlung durch riesige Sonnensegel oder die Imitation von Vulkanausbrüchen. So etwas hätte Folgen für unseren Planeten, die kaum noch zu kontrollieren wären – und würde uns vor wichtige und grundsätzliche Fragen der Demokratie stellen: Wer kontrolliert das globale Klima?

Besonders besorgniserregend ist, dass auch viele problematische Ansätze, die auf industrielle Landwirtschaft mit Monokulturen, hohem Düngemitteleinsatz und Gentechnik hinauslaufen, über die Hintertür der Climate Action Agenda Einzug in die Klimadebatte erhalten. So präsentieren sich die Großen des Agrobusiness hier gerne mit „Lösungen“ wie BECCS und „Climate Smart Agriculture„.

Die 100-Milliarden-Dollar-Frage

„Liebchen, äh, Sweetheart – what watch?“ – „Äh, ten watch“ – „Such much?“

Wie auch in den Vorjahren, so war auch in Marrakesch die Klimafinanzierung eines der heikelsten Themen – ein Dauerbrenner seit 2009, als die Industriestaaten in Kopenhagen versprachen, die Entwicklungsländer ab dem Jahr 2020 mit jährlich 100 Milliarden US-Dollar zu unterstützen. Damit soll ihnen sowohl bei der Reduktion ihrer Emissionen als auch bei der Anpassung an den Klimawandel geholfen werden.

Das Paris-Abkommen hatte, anstatt eine rasche, deutliche Erhöhung des Kopenhagener Versprechens in Aussicht zu stellen, die Verantwortung der Industrienationen für die Bereitstellung adäquater langfristiger Finanzmittel für Entwicklungsländer weiter geschwächt und alle Vertragsstaaten eingeladen, zur Erfüllung der Finanzzusagen beizutragen. So war die COP 22 in Marrakesch auch ein Lackmustest dafür, wie ernst die Industriestaaten ihre Finanzverpflichtungen nach dem Inkrafttreten des Paris-Abkommens nehmen würden, besonders bei der Bereitstellung der Gelder für die Anpassung, das ewige Stiefkind der Klimafinanzierung. Die Antwort fiel eindeutig aus: offenbar nicht sehr ernst.

Zwar veröffentlichten die OECD-Industrieländer kurz vor Marrakesch endlich eine Art Stufenplan, wonach ihre öffentlichen Klimamittel für Entwicklungsländer bis zum Jahr 2020 auf 67 Milliarden Dollar anwachsen sollten und letztlich zwischen 93 und 133 Milliarden Dollar durch die Hebelung von Privatmitteln generiert werden könnten. Eine solche Roadmap hatten Entwicklungsländer und die internationale Zivilgesellschaft seit Jahren gefordert. Allerdings zog die von den OECD-Ländern benutzte überaus optimistische Rechnungsführung breite Kritik auf sich, weshalb die COP-22-Entscheidung zur Langzeitfinanzierung den Stufenplan nicht einmal als solchen erwähnt und den Versuch der Industrienationen zurückwies, die OECD-Rechnungsmethode für die Berichterstattung der Industrieländer-Finanzhilfen nach dem Paris-Abkommen zu übernehmen.

Und in einer „afrikanischen COP,“ die die marokkanische Präsidentschaft vollmundig angepriesen hat, war auch das Versprechen der Industrieländer, die Finanzmittel für die Anpassung an den Klimawandel bis zum Jahr 2020 auf rund 20 Milliarden Dollar verdoppeln zu wollen, eher ein Armutszeugnis. Als im Paris-Abkommen die „Balance“ zwischen Klimaschutz- und Anpassungsfinanzierung vereinbart wurde, hatten die Entwicklungsländer eher 50 zu 50 im Sinn als 80 zu 20.

Aus diesem Grund forderten sie nun statt der Verdopplung auf 20 Milliarden mindestens eine Vervierfachung auf 40 Milliarden Dollar für Maßnahmen zur Anpassung an die Folgen des Klimawandels. Auch deshalb ist im Übrigen die Selbstverpflichtung des Grünen Klimafonds (GCF), gut die Hälfte der für ihn zugesagten 10 Milliarden US-Dollar für Anpassungsmaßnahmen ausgeben zu wollen, beispielhaft. 2,5 Milliarden Dollar davon sind nun allerdings von US-amerikanischer Seite unter der Trump-Präsidentschaft infrage gestellt.

Es gab zwar in Marrakesch einige neue Finanzzusagen für die Klimaanpassung, allerdings nur in zweistelliger Millionen-, nicht Milliardenhöhe. Deutschlands Bereitschaft, dem stets um sein finanzielles Überleben kämpfenden Anpassungsfonds in Marrakesch 50 Millionen Euro zuzusagen, ist sicherlich lobenswert. Aber wirklich großzügige Unterstützung für Anpassung in Entwicklungsländern sieht anders aus. Dass der Anpassungsfonds Jahr für Jahr als Bittsteller bei der COP erscheinen muss, ist symptomatisch. Dabei ist es gerade dieser Fonds, der sich durch Innovationen bei der Unterstützung konkreter Projekte zur Klimaanpassung, wie zum Bespiel den direkten Finanzzugang für nationale Institutionen aus Entwicklungsländern, einen guten Namen gemacht hat.

Der Anpassungsfonds wurde im Rahmen des Kyoto-Protokolls geschaffen, das im Jahr 2020 ausläuft, soll aber nun unter das Dach des neuen Paris-Abkommens kommen, ein Gewinn für die Entwicklungsländer. Mit rund 81 Millionen US-Dollar, die Deutschland und andere EU-Staaten in Marrakesch zugesagt haben, ist die Finanzlücke des Fonds erst einmal – bis zur nächsten COP? – gestoppt. Sinnvoller wäre allerdings, eine langfristige Finanzierungsstrategie für den Anpassungsfonds zu erarbeiten.

Der Fonds sollte eigentlich aus einer Gebühr gespeist werden, die auf CO₂-Zertifikate aus dem Clean Development Mechanism (CDM) erhoben wird. Über eine ähnliche Finanzierungsunterstützung durch den neuen SDM wird nachgedacht. Auch diese kann allerdings kein Ersatz für eine signifikante Erhöhung öffentlicher Klimamittel aus Industrieländern für Anpassungsleistungen in den bereits am stärksten betroffenen Entwicklungsländern sein. Private Finanzmittel für Anpassungsinvestitionen, zum Beispiel durch die von der deutschen G7-Präsidentschaft 2015 initiierte „InsuResilience“-Versicherungsinitiative, können dabei nur begleitend, nicht als Ersatz wirken.

Der CDM ist ein UN-Programm, das es Industriestaaten ermöglicht, in Klimaschutzprojekte in Entwicklungsländern zu investieren, statt zu Hause selbst Emissionen einzusparen. Doch der Markt funktioniert nicht: Die Nachfrage nach den entsprechenden Zertifikaten ist kaum noch messbar – eine Tonne CO₂ wird derzeit für 40 Cent gehandelt. Die Gebühr bringt folglich nichts mehr ein. Auch sind viele CDM-Projekte umstritten, beispielsweise Wasserkraft- oder Waldprojekte. Die Organisation Carbon Market Watch schätzt, dass nur rund 40 Prozent der deklarierten Emissionsminderungen auch wirklich realen Einsparungen entsprechen. Problematisch war in Marrakesch das Aufflammen der Debatte um die Einbeziehung von CCS-Projekten in den CDM. Die Zukunft des CDM über 2020 hinaus ist derzeit ungewiss.

Ein weiterer Schwerpunkt aus „Süd“-Perspektive bei der COP war der Zugang zu Finanzmitteln aus dem Grünen Klimafonds (GCF) und anderen Fonds. Zwar hat Afrika bereits mehrere nationale und regionale Organisationen beim GCF akkreditiert (aus Marokko, Senegal, Kenia, Togo, Nigeria und Äthiopien), die direkt Gelder einsetzen können. Allerdings wird ein großer Teil der Gelder durch multilaterale Entwicklungsbanken wie die Europäische Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (EBRD) eingesetzt, die aber auch Projekte zur Förderung fossiler Brennstoffe finanziert. Größtes Hindernis beim Zugang sind die Finanz-Transparenz-Standards, die viele nationale Agenturen und Organisationen (noch) nicht erfüllen. Mehr Kapazitätsbildung sowie eine Bevorzugung nationaler Umsetzungsagenturen über das GCF-Akkreditierungsverfahren sind hier zwingend geboten.

Besondere Aufmerksamkeit bekam in Marrakesch die „Africa Renewable Energy Initiative“ (AREI), eine im Dezember 2015 in Paris lancierte afrikanische Initiative, die sogar konkret in den Beschlüssen der COP 21 Erwähnung findet. AREI steht unter einem Mandat der Afrikanischen Union. Der Verwaltungsrat setzt sich aus Vertreterinnen und Vertretern verschiedener afrikanischer Institutionen, u.a. der Afrikanischen Entwicklungsbank AfDB, zusammen. AREI hat sich das ambitionierte Ziel gesetzt, bis zum Jahr 2030 in Afrika 300.000 Megawatt an zusätzlichen Erneuerbaren-Kraftwerkskapazitäten zu errichten. Allein bis 2020 sollen es mindestens 10.000 Megawatt sein.

Der Geist von Warschau

„Aber es ist noch immer eine Geschichte ohne Schluss. Wie geht's jetzt weiter?“

Eingestürzte Häuser, Tote und Verletzte, Hinterbliebene ohne jegliches Eigentum – heftige Stürme und Fluten bringen Zerstörung. Ganz vermeiden kann man die Folgen des menschengemachten Klimawandels auch mit einem radikalen Klimaschutz nicht mehr, nur noch abmildern. Klimawandelbedingte Verluste und Schäden (englisch: Loss and Damage) gehören bereits heute zur Realität für Millionen Menschen auf der Welt.

Längst nicht alle Schäden lassen sich mit Geld aufwiegen. Dennoch stellt sich immer mehr die Frage: Wer kommt dafür auf? Besonders stark sind die Entwicklungsländer im globalen Süden betroffen. Das Klimageld, das ihnen schon versprochen wurde, ist eigentlich für andere Zwecke gedacht, nämlich für Emissionsminderung und Anpassung. „Loss and Damage“ meint aber genau die Folgen des Klimawandels, vor denen man sich nicht mehr durch Anpassung schützen kann.

Seit Jahren streiten sich die UN-Staaten darüber, ob es hier eine Extra-Finanzierung geben muss. Konkret ging es in Marrakesch um den sogenannten Warschau-Mechanismus zu Schäden und Verlusten (WIM). Er wurde 2013 in der polnischen Hauptstadt beschlossen und soll nun überprüft werden. Während die Industrieländer das gerne schnell abgehakt hätten, wollten die Entwicklungsländer einen ausführlichen und gründlichen Überprüfungsprozess. Den bekommen sie jetzt auch, aber erst 2019.

Immerhin wurde beschlossen, dass sich der WIM ab 2017 auch konkret mit der Frage der Finanzierung von Loss and Damage befassen muss – ein wichtiger Durchbruch, gegen den sich viele Industrieländer heftig gewehrt hatten. 2017 wird es demnach hoffentlich neuen Schwung für dieses wichtige Klimathema geben – nicht zuletzt durch die Präsidentschaft des kleinen Inselstaates Fidschi bei der COP 23. In Fidschi kennt man sich mit Klimaschäden und -verlusten nur allzu gut aus: Anfang 2016 tötete der Zyklon „Winston“ 44 Menschen und zerstörte 40.000 Häuser sowie wichtige Infrastruktur wie Schulen, Häfen und Stromleitungen.

Mitten im Klimawandel

„Quellen? Was für Quellen? Wir sind in der Wüste.“

Nordafrika hat schon jetzt mit zahlreichen Folgen des Klimawandels zu kämpfen. Die Küstenlinie ist durch Meeresspiegelanstieg und Erosion gefährdet, die Wüste hingegen breitet sich immer mehr aus. Es wird trockener und heißer, aber wenn es regnet, dann immer häufiger so stark, dass die Kanalisation überlastet ist. Städte und auch ganze Landstriche werden immer häufiger überflutet. Ernten werden vernichtet und die wirtschaftliche Aktivität kommt zum Erliegen.

In der Bevölkerung wird dennoch kaum eine Verbindung zum Klimawandel gezogen. Das beklagen auch marokkanische Umweltschützer. Die COP 22 in Marrakesch hat zumindest zivilgesellschaftlichen Klima-Aktivitäten einen kleinen Anschub gegeben. Drei Tage vor der COP kamen internationale Aktivistinnen und Aktivisten mit zahlreichen marokkanischen Gruppen zu der von Attac Marokko organisierten Konferenz „Change the system, not the climate“ in Safi zusammen. In dieser Stadt in der Region Marrakesch sind Luft, Böden und Küste stark von Verschmutzung durch Zement-, Sand- und Phosphatindustrie geprägt. In der „Déclaration von Safi“ fordern die Gruppen, dass fossile Ressourcen unter der Erde bleiben, und betonen, dass die Folgen des Klimawandels die soziale Ungleichheit lokaler Bevölkerungen, besonders von Frauen, verstärken.

Auf parlamentarischer Ebene ist das allerdings noch nicht angekommen: 30 Parteien gibt es in Marokko, ins Parlament kommen immer ungefähr ein Dutzend – keine davon hat Umwelt- und Klimaschutz auf der Agenda.

In Tunesien, einem anderen Land der Region, ändert sich dagegen gerade der Stellenwert der Umweltpolitik. Bei den politischen Parteien wächst das Interesse an dem neuen Politikfeld, mit dem sich Fragen der Lebensqualität in Städten und Industrieregionen ansprechen lassen. Hinzu kommen immer mehr zivilgesellschaftliche Initiativen zu Umweltschutz, Ressourcenpolitik und seit dem Klimagipfel in Paris auch zu Klimapolitik.

Klimaaktivistinnen und -aktivisten vernetzen sich inzwischen zudem im gesamten arabischen und Mittelmeerraum. Ein Beispiel ist der „Aufruf von Ain Soltan“. Vor dem Marrakesch-Gipfel brachte die tunesische Organisation RAJ junge NGO-Vertreter/innen von beiden Seiten des Mittelmeers zusammen. Der Aufruf, den Teilnehmer/innen aus Frankreich, Spanien, Italien sowie Tunesien, Ägypten und Algerien unterzeichnet haben, wirbt für mehr Transparenz bei der Zusammensetzung der Delegationen, mehr zivilgesellschaftlichen Einfluss, bessere Vermittlung der nationalen Klimaschutzpläne zu Hause, konkrete Anpassungsprojekte und nicht zuletzt eine bessere Vorbereitung der Verhandlungsführung.

Gerade der letzte Punkt war in Marrakesch von Bedeutung angesichts des Einflusses, den traditionell die gut ausgebildeten Verhandler aus Saudi-Arabien auf die anderen arabischen Staaten ausüben. Auch wenn sich der Ölstaat bis 2030 energetisch diversifizieren will und den Paris-Vertrag kurz vor der COP ratifizierte, spielt Saudi-Arabien offenbar weiter auf Zeit und blockiert klimapolitische Fortschritte unter den arabischen Ländern. Ein Land wie Tunesien, das viel in den Verhandlungen zu gewinnen hätte, wird dagegen von einem einzigen Klimadiplomaten vertreten.

Abseits der COP-Zelte kamen in Marrakesch Aktivistinnen und Aktivisten aus aller Welt im „Espace auto-geré“ (autonome Zone) zusammen, um sich auszutauschen. Heraus kam ein flammender Appell für Klimagerechtigkeit, das 1,5-Grad-Ziel und 100 Prozent Erneuerbare – verbunden mit dem Menschenrecht auf eine gesunde Umwelt. Dabei geht es den Beteiligten vor allem um lokale Bewegungen wie „Stop Pollution“ aus Gabes in Tunesien, die sich gegen die Chemie- und Phosphatindustrie organisiert. Sie verbündeten sich in Marrakesch mit Anti-Fracking-Gruppen aus Ain Salah in Algerien und Imider in Marokko sowie mit den im Westen bekannteren Bewegungen von Standing Rock in den USA oder Notre Dame des Landes in Frankreich.

Was von Marrakesch bleibt

„Spiel’s noch einmal, Sam.“

Marokko als Gastgeber der COP hat sich sichtlich bemüht und eine gelungene Organisation der Konferenz ermöglicht. Seine Rolle als klima- und energiepolitisches Vorreiterland für den Maghreb und Afrika war besonders bei der Energie spürbar. Allerdings ordnen sich dem königlichen Oberziel, die Elektrizitätsversorgung so schnell wie möglich auf Erneuerbare umzustellen, soziale und ökologische Gesichtspunkte klar unter, wie bei dem thermischen Solarkraftwerk in Ouarzazate. Ob die Elektro-Ubers und Fahrräder bleiben werden und die vielen Aufrufe zum Umweltschutz auf Großbildflächen überall im Land etwas bewirken, wird die Zukunft zeigen. Der Erfolg muss sich auch daran messen lassen, inwieweit die Bevölkerung bei diesen Vorhaben mitgenommen wird.

Mit der „Marrakech Action Proclamation„ wollte die COP-Präsidentschaft dem Gipfel noch einen eigenen Stempel aufdrücken. Zunächst hatten verschiedene Entwicklungsländer die Sorge geäußert, es könnte bei dem Dokument um einen ähnlichen Prozess gehen wie den, der 2009 in Kopenhagen die Verhandlungen zum Scheitern brachte. Damals hatte die COP-Präsidentschaft mit dem „Copenhagen Accord“ parallel zu den offiziellen, mühsamen Verhandlungen ein neues Dokument mit einigen wenigen Ländern abgestimmt. Doch die Befürchtungen stellten sich bald als unbegründet heraus. Allerdings enthält die Proklamation auch nicht viel mehr als warme Worte und vollmundige Beschwörungen bereits abgegebener Zusagen und Versprechen.

Für die internationale Gemeinschaft ist wichtig, dass nun alle Staaten zum Pariser Klimaabkommen stehen. Auch wenn Marrakesch kein Durchbruch-Gipfel war, konnte das Momentum von Paris beibehalten werden. Was vom Marrakesch-Gipfel bleibt – auch angesichts der Trump-Wahl –, ist die Botschaft: Wir gehen gemeinsam weiter voran.

 

[1] Die Zitate bei den Überschriften im Text stammen allesamt aus dem Film „Casablanca“ (1942) von Michael Curtiz. Dieser Text ist in Kooperation mit KlimaJournalisten UG entstanden. Die Autor/innen bedanken sich zudem für wertvollen Input und Einschätzungen bei Dorothea Rischewski, Kate Dooley, Alden Meyer, Julia-Anne Richards und Hans Verolme.