Eröffnungsrede: Verleihung des Friedensfilmpreises 2017

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Eröffnungsrede von Ralf Fücks auf der Verleihung des Friedensfilmpreises 2017

Der Friedensfilmpreis war immer ein politischer Preis. Er wird weiter gebraucht – als Mahnung und als Anstoß zur Einmischung von unten, sagt Ralf Fücks in seiner Eröffnungsrede zur Verleihung des Friedensfilmpreises 2017.

Sehr geehrte Gäste,
sehr geehrte Melisa Mirand, Carlo Nunez,
liebe Mitglieder der Jury,
meine Damen und Herren,

seit die Heinrich Böll-Stiftung vor beinahe 20 Jahren in den Trägerkreis des Friedensfilmpreises eingetreten ist, habe ich die Ehre, die Preisverleihung zu eröffnen.

Zur Routine ist mir das über die Jahre nie geworden - dafür waren die Zeiten zu stürmisch, die Debatten rund um diesen Preis zu kontrovers (oft auch innerhalb des Trägerkreises) und die preisgekrönten Filme zu interessant. Und doch ist das heute für mich ein besonderer Tag – es ist das letzte Mal, dass ich hier in meiner Eigenschaft als Vorstand der Stiftung stehe.

Ich habe deshalb ein wenig in meiner Erinnerung gekramt und in den Archiven geblättert.

Führt man sich die preisgekrönten Filme der letzten 20 Jahre vor Augen, entsteht daraus eine Art kollektives Gedächtnis, ein Archiv der Krisen, Kriege und Konflikte unserer Zeit. Sie handeln vom serbisch-kroatisch-bosnischen Krieg mit seinen ethnischen Säuberungen und Massakern; von den Kriegen in Afghanistan, im Irak und im Sudan; den gewaltsamen Konflikten zwischen Israel und seinen Nachbarn; von Menschenhandel und Gewalt gegen Frauen; von Flüchtlingslagern an den Randzonen des Krieges und der Suche nach einem besseren Leben in Westeuropa, die für viele Flüchtlinge tragisch endet.

Viele dieser Filme sind heute noch erschreckend aktuell.

Michael Winterbottoms Dokudrama „In this World“ – der Preisträger des Jahres 2003 – könnte auch heute spielen. Der Film erzählt die Geschichte zweier afghanischer Flüchtlinge, die dem Elend der Lager im pakistanischen Grenzgebiet entkommen wollen und sich auf den langen, gefährlichen Weg nach Europa machen. Wer ihn sieht, kann sich kaum der Einsicht verweigern, dass Stacheldraht und Greiftrupps keine Antwort auf das Flüchtlingsdrama sein können, das sich an unseren Grenzen abspielt.

Zugleich ist Winterbottoms Film ein Dokument des Versagens der europäischen Politik, die über viele Jahre hinweg die Augen vor dieser Herausforderung geschlossen hat. Man sollte ihn zur Pflichtveranstaltung für alle Abgeordneten und Minister machen.    

Manche preisgekrönte Arbeiten sind stärker in Erinnerung geblieben, andere weniger. Fast allen ist aber gemeinsam, dass sie nicht nur die Schrecken der Welt zeigen: sie sind zugleich Zeugnisse der Hoffnung und der Ermutigung. Sie erzählen Geschichte von Menschenwürde, Solidarität und Mut inmitten schrecklicher Ereignisse. Und sie lösen die großen Konflikte in die Geschichte einzelner Menschen auf, geben ihnen ein Gesicht und eine Stimme.

Vielleicht ist das ihre wichtigste Botschaft. Filme können die Welt nicht verändern, aber sie können uns empfindsamer machen, Empathie erzeugen und demokratisches Handeln ermutigen. Das ist die wichtigste Funktion des Preises, den wir heute verleihen.

Als 1989/90 die Mauer fiel und Europa wiedervereinigt wurde, hofften viele, dass damit ein Zeitalter des Friedens beginnen würde. Heute wissen wir, dass das eine Illusion war.

Der aggressive Nationalismus ist seither eher stärker geworden. Großmachtambitionen, ethnischer Hass, religiöser Fundamentalismus sind ebenso Treiber für Gewaltkonflikte wie der Kampf um knappe Ressourcen. Die Konfliktmuster sind zu vielfältig, um sie mit einfachen Antworten zu erledigen. 

Vermutlich haben viele hier im Saal ein gemeinsames Grundgefühl: dass wir gegenwärtig an einem gefährlichen Punkt der globalen Entwicklung sind.

Das selbstbewusste Auftrumpfen autoritärer Regimes – darunter China, Russland, der Iran und neuerdings auch die Türkei – trifft sich mit dem Vormarsch autoritärer, nationalistischer und fremdenfeindlicher Kräfte in Europa und Amerika. In Washington haben sie sogar das Weiße Haus erobert, in Paris greift Marine Le Pen nach der Präsidentschaft. Die liberale Demokratie ist in Gefahr, und mit ihr die internationale Friedensordnung.

Während wir uns hier versammeln, findet in der Ukraine ein unerklärter Krieg statt, dem schon zehntausend Menschen zum Opfer gefallen sind. Mehr als 1,5 Millionen haben ihre Heimat verloren. Auch der völkermörderische Krieg in Syrien tobt weiter.

Auch wenn wir uns hilflos fühlen und keine einfachen Lösungen in Sicht sind: wir dürfen nicht wegschauen und nicht gleichgültig werden. Die Opfer des Krieges brauchen unsere Solidarität, und Europa muss aktiver werden, um politische Lösungen für die Konflikte in unserer Nachbarschaft zu finden. 

So berechtigt der Zweifel am Sinn militärischer Interventionen ist – das Beispiel Syrien zeigt, dass auch Nicht-Handeln zur Eskalation der Gewalt beitragen kann. Wir müssen immer neu um den Weg ringen, wie Kriege verhindert oder zumindest gestoppt werden können.

Der Friedensfilmpreis war immer ein politischer Preis. Er wird weiter gebraucht – als Mahnung und als Anstoß zur Einmischung von unten.  
Ich danke unseren Partnern bei diesem Unterfangen – der Friedensinitiative Zehlendorf und dem Weltfriedensdienst für die gute Zusammenarbeit. 

Ein besonderer Dank gilt den Mitgliedern der Jury für ihren großen zeitlichen Aufwand und das ernsthafte Ringen, welche Produktion aus einer ganzen Reihe von preiswürdigen Filmen am Ende ausgezeichnet werden soll. 

Last not least möchte ich mich bei meinen Kollegen Christian Roemer und ganz speziell bei Karin Lenski bedanken - sie ist über die Jahre in eine zentrale Rolle in diesem anspruchsvollen Projekt gewachsen. Vielen Dank dafür!

Und jetzt Bühne frei für die Jury – und natürlich vor allem für die Preisträger des Friedensfilmpreises 2017. 

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!