Die Zukunft der Arbeit hat längst begonnen

Niemand weiß genau, wie die Digitalisierung unsere Arbeitswelt verändern wird. Einige Entwicklungen zeichnen sich aber schon heute deutlich ab. Hier müssen wir ansetzen, um die Zukunft der Arbeit sozial, ökonomisch und ökologisch erfolgreich zu gestalten, findet Brigitte Pothmer.

Noch kann niemand mit Bestimmtheit sagen, wie unsere Arbeitswelt künftig aussehen wird. Die Digitalisierung bietet ökonomische und ökologische Chancen und sie hat das Potenzial, die Arbeitswelt positiv zu verändern. Genauso gilt aber, dass die Digitalisierung Risiken für die Erwerbstätigen birgt. Deswegen müssen im Zuge der Digitalisierung soziale, ökologische und ökonomische Ziele gleichzeitig und gleichberechtigt verfolgt werden.

Die breit angelegte Analyse unter Einbindung vieler relevanter Akteur/innen ist sicher das große Plus des Dialogprozesses 4.0 des Bundesarbeitsministeriums. Allerdings liefert das jetzt vorliegende Weißbuch zu viele Konjunktive und bleibt auf der Handlungsebene oft zu vage. Damit wird die Chance vertan, offensiv in den Gestaltungsprozess der Arbeit 4.0 einzusteigen.

Die Zukunft der Arbeit hat für viele Erwerbstätige und Arbeitslose schon längst begonnen. Dabei werden Probleme und Chancen sichtbar, die an Bedeutung gewinnen werden. Sie sind unsere Ansatzpunkte zum Gestalten und Gegensteuern. Dabei können wir lernen und neues Vertrauen in unseren Willen und unsere Fähigkeit zur Gestaltung aufbauen. Das ist gleichzeitig eine Strategie gegen die zunehmende gesellschaftliche Polarisierung.

Drei Beispiele sollen verdeutlichen, wie im Hier und Jetzt die Weichen für eine gute Zukunft der Arbeit gestellt werden können.

Qualifikation zählt!

Risikofaktor Nummer eins für (anhaltende) Arbeitslosigkeit sind fehlende oder veraltete Qualifikationen. Im Zuge der Digitalisierung wird die Halbwertzeit von Wissen weiter abnehmen. Arbeitsplätze und -inhalte werden sich immer rasanter verändern. Regelmäßige Weiterbildungen und Qualifizierungen werden daher künftig so wichtig wie die Erstausbildung sein.

Davon sind wir allerdings weit entfernt. Die Hälfte der Erwachsenen in Deutschland bleibt bei der Weiterbildung außen vor. Das sind vor allem diejenigen, die sie am nötigsten hätten: Geringqualifizierte, Ältere oder Menschen mit Migrationshintergrund. Es fehlen zukunftstaugliche Strukturen und Angebote für diese Gruppen. Mit einem Recht auf Weiterbildungsberatung ist es dabei nicht getan. Alle – Betriebe, Beschäftigte, Arbeitsförderung und Staat – müssen stärker in die Pflicht genommen werden.

Bezogen auf die Institutionen bedeutet das, dass die berufsbegleitende Qualifizierung Erwerbstätiger zur zweiten zentralen Säule der Arbeitsmarktpolitik werden muss. Arbeitsagenturen und Jobcenter müssen umfassende Dienstleister für Beschäftigte, Arbeitslose und Betriebe werden. Sie sollen beraten, Qualifizierungen vermitteln oder anbieten und mitfinanzieren – vorbeugend und bei Arbeitslosigkeit.

Auch jenseits der Arbeitsförderung ist eine Weiterbildungsförderung notwendig. Wir haben dafür die Bildungszeit Plus entwickelt. Das ist ein Mix aus Darlehen und Zuschuss, mit dem Menschen, die sich weiterbilden wollen, bei Maßnahmekosten und Lebensunterhalt sozial gestaffelt unterstützt werden.

Sicherheit auch jenseits der klassischen Erwerbsbiografie

Neben dem Normalarbeitsverhältnis wird es schon jetzt immer bunter. Zu den Befristeten, Leiharbeiter/innen und Solo-Selbstständigen treten Crowd-, Click- und Co-Worker. Sie stoßen damit an die Grenzen unserer Systeme – mit zum Teil erheblichen Nachteilen für ihre soziale Sicherheit.

Die Sorge ist berechtigt, dass die neuen digitalen Erwerbstätigen durch alle Raster fallen. Das zeigt sich schon heute, u. a. an der Arbeitslosenversicherung. Nur noch 30 Prozent der Arbeitslosen werden von der Arbeitslosenversicherung betreut. Fast ein Viertel aller Beschäftigen, die eine Arbeit verlieren, fallen sofort in den Hartz-IV-Bezug.

Die Arbeitslosenversicherung orientiert sich nach wie vor am Normalarbeitsverhältnis. Das schafft hohe Hürden beim Leistungsbezug, die viele kurzfristig oder prekär Arbeitende nicht nehmen können. Dieses Problem müssen wir angehen. Die Arbeitslosenversicherung muss so flexibel werden, wie die Menschen längst arbeiten. Sie muss allen Erwerbstätigen Sicherheit bieten, egal ob jemand abhängig beschäftigt oder selbstständig ist, unbefristet, auf Zeit oder in Projekten arbeitet.

Zu Ende gedacht stellt sich damit auch die Systemfrage. Wenn der Umbau zu einer wirklichen Arbeitsversicherung gelingt, hat meines Erachtens das jetzige Nebeneinander von Arbeitslosenversicherung und Grundsicherung für Arbeitssuchende ausgedient.

Mehr Souveränität für Beschäftigte

Die Digitalisierung bietet die Chance, Beschäftigten mehr Mitspracherechte darüber einzuräumen, wie viel, wo und wann sie arbeiten wollen. Nachdem in der Vergangenheit vor allem die Flexibilitätsansprüche der Arbeitgeber/innen im Vordergrund standen, ist das nicht nur angemessen, sondern auch notwendig: Die Lebensentwürfe der Menschen haben sich gewandelt, und gerade Paare wollen die Erwerbs- und Familienarbeit zunehmend partnerschaftlicher organisieren. Das ist auch eine Frage der Geschlechtergerechtigkeit.

Wir wollen daher Wahlarbeitszeiten für Beschäftigte. Ein flexibler Vollzeitkorridor soll den Beschäftigten mehr Möglichkeiten einräumen, ihre Erwerbstätigkeit lebensphasenorientiert zu gestalten. Auch einen Anspruch auf Homeoffice soll es geben. Davon könnten auch die profitieren, für die das Arbeiten von zu Hause keine Option ist: Statt verstopfter Straßen und Stress im Stau kämen sie flotter und entspannter zur Arbeit. Auch die Umwelt würde entlastet. So stellen wir uns eine echte Win-win-Situation durch die Digitalisierung vor.

Wir können Wahlarbeitszeit und Homeoffice mit klaren gesetzliche Spielregeln gestalten, die sagen, was wann wie geht – und was nicht. Es gibt keinen Grund, diese Weichenstellungen auf die lange Bank zu schieben.

Aber es muss auch weiter Grenzen geben. Denn Digitalisierung kann zu Entgrenzung, dauernder Verfügbarkeit und Mehrarbeit führen. Selbstbestimmung kann leicht in (Selbst-)Ausbeutung umschlagen. Deswegen ist das Arbeitszeitgesetz noch lange kein alter Zopf. Wir brauchen zwar Regelung, die es z. B. Eltern ermöglichen, sich am Nachmittag um ihre Kinder zu kümmern, ihre Arbeit am Abend fortzusetzen und trotzdem am nächsten Morgen um 8.30 Uhr wieder bei der Arbeit sein zu können, ohne gegen die Auflagen für Ruhezeiten zu verstoßen.

Aber mehr Flexibilität heißt nicht Beliebigkeit. Auch hier gilt: Ohne klare Regeln, die die Erhaltung der Gesundheit aller Beschäftigten im Auge haben, geht es auch in Zukunft nicht.