Ukraine: Wie kämpft die Gesellschaft gegen Fake News und für Demokratie?

Die Podiumsgäste diskutierten die Rolle der Medien als einem der wichtigsten Schauplätze des Konflikts mit Russland. Welche Lehren für das Land selbst und für die Zivilgesellschaften in anderen europäischen Ländern können aus den aktuellen Erfahrungen mit Desinformation gezogen werden?

Podium v.l.n.r. Andreas Prothmann, Matthew Karnitschnig, Susann Worschech, Andrey Kurkov, Oleg Rybachuk
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Andreas Prothmann (Head of the Ukraine Task Force, Federal Foreign Office), Moderator: Matthew Karnitschnig (POLITICO’s chief Europe correspondent), Susann Worschech (Research associate at the European University Viadrina), Andrey Kurkov (Ukraine novelist and independent thinker), Oleg Rybachuk (Founder of Centre UA, New Citizen Public Campaign and the Civil Movement “Chesno”) Foto

Podiumsdiskussion am 13. September 2017 in Kooperation mit Democracy Reporting International (DRI)

Zwar ist eine gezielte (Falsch-)Informationspolitik schon lange Bestandteil der Austragung von Konflikten, ob in der innenpolitischen Auseinandersetzung oder zwischenstaatlich. Die massive Nutzung von Fake News als Mittel der Außenpolitik Russlands – sowohl zur Stimmungsmache gegen eine EU-Annäherung der Ukraine schon vor den Maidan-Ereignissen, als auch dann im weiteren Verlauf der kriegerischen Eskalation des Konflikts um Krim und Donbass – kann jedoch als ziemlich beispiellos gelten. Von der bloßen Auslassung „unpassender“ Fakten bis hin zur aktiven Manipulation von Bildern und dem regelrecht schauspielerischen Darstellen einer erfundenen Realität sowie die aktive schnelle Verbreitung über soziale Netzwerke ist der Werkzeugkasten groß. Patentrezepte zum Umgang mit dieser Herausforderung hat auch von den in die Heinrich-Böll-Stiftung eingeladenen Expert/innen niemand erwartet. Deutlich wurde aber, dass aufgrund der massiven und sogar existenziellen Betroffenheit der Ukraine der gesellschaftspolitische Diskurs zu dieser Frage offenbar schon weiter vorangeschritten ist als etwa in Deutschland. Der Einsatz von Fake-News zur Beeinflussung von Stimmungen und z.B. auch Wahlkämpfen ist jedoch mittlerweile generell ein verbreitetes Phänomen.

Dmytro Zolotukhin, Stellvertretender Minister für Informationspolitik der Ukraine, stellte zunächst heraus, dass inzwischen das Bewusstsein für die Herausforderung europaweit gestiegen ist und internationale Organisationen begonnen haben, sich systematisch mit der Gefahr der informationellen Kriegführung zu befassen. Mit Journalist/innen, die unter dem Deckmantel der Pressefreiheit als „Informationskrieger“ im Auftrag etwa einer fremden Regierung agieren, gibt es keinen einfachen Umgang – das räumte auch Yevhen Fedchenko, Mitbegründer der unabhängigen Watchdog-Organisation „StopFake.org“, ein und fordert Vorsicht und eine Differenzierung zwischen kritischem Journalismus und der Verbreitung von Hasskommentaren und Falschinformationen, die die nationale Sicherheit gefährden können. Die Ukraine hat bereits mehrere Journalist/innen, zumeist Russen, des Landes verwiesen. Ein allgemein anerkanntes rechtsstaatliches Verfahren, wieviel ein Journalist nachweislich manipulieren muss, um als „Informationskrieger“ des Landes verwiesen werden zu können, gibt es nicht. Hier muss die Praxis erst gangbare Wege erproben. Die Festlegung von Grenzen zwischen erlogenen Fakten und freier Meinungsäußerung ist nicht einfach. Tetiana Popova, Vertreterin der ukrainischen NGO „Informationssicherheit“, unterstrich, dass immer unabhängige Gerichte in solche Entscheidungen einbezogen werden müssen, damit Regierungen das hohe demokratische Gut der Pressefreiheit nicht insgesamt gefährden und kritischen Journalismus unterdrücken können. Einig waren sich die Beteiligten, dass vor allen Dingen die Medienkompetenz der Menschen im ganzen Land gestärkt werden muss. Im Umgang mit Informationen aus unklaren Quellen ist große Vorsicht geboten. Medien sollten Strukturen zur Selbstregulierung und –kontrolle entwickeln, die im Zweifelsfall die Nichteinhaltung von journalistischen Standards durch bestimmte Medien transparent machen können. „StopFake.org“ bietet im Netz bereits Hinweise an, wie sich Informationen und Fakten leicht überprüfen lassen.

Die zweite Diskussionsrunde befasste sich mit der Entwicklung und der Bedeutung der Zivilgesellschaft in der Ukraine als Ganzem. Gemeinhin gilt sie als der wichtigste Motor für den Reformprozess seit dem Maidan und auch für gewachsenen Zusammenhalt in der Gesellschaft durch die Übernahme von sozialen Funktionen etwa für die Betreuung der Binnenflüchtlinge. Die Politologin Susann Worschech von der Europa-Universität Viadrina bestätigte aufgrund ihrer Forschung das hohe Potenzial der Zivilgesellschaft zur Mobilisierung und zum Aufbau von öffentlichem Druck, um auf politische Entscheidungen Einfluss zu nehmen. Gleichzeitig vermisst sie die Institutionalisierung dieses demokratischen Potenzials in die staatlichen Strukturen und in das politische System. Der Ex-Politiker und Gründer des „Center UA“ Oleh Rybachuk findet, dass die NGOs überwiegend die eigentlichen Funktionen politischer Parteien übernommen haben und mit ihrem Aktivismus eher Erfolg haben werden als durch Eintritt in das korrupte politische System. Der Autor und Intellektuelle Andrej Kurkov sieht zwar die Notwendigkeit für neue nachhaltigere Ansätze für die Arbeit der Zivilgesellschaft, aber die Antwort liege nicht im Kopieren westlicher Gesellschaften. Die Ukrainer müssten einen eigenen passenden Weg definieren.

 




Yevhen Fedchenko, founder of Stopfake.org.
 



Dmytro Zolotukhin, Deputy Minister, Ministry of Information Policy of Ukraine about fighting disinformation

 



Tetiana Popova Senior Strategy Communication Expert, NGO “Information Security” about information warfare
 




Oleh Rybachuk Founder of Centre UA, New Citizen Public Campaign and the Civil Movement “Chesno” on reforms in Ukraine

 




Andrei Kurkov, Ukraine novelist and independent thinker about Ukrainian democratic future