Die US-Präsidentschaftswahlen 2020

Einleitung

Die Präsidentschaft von Donald Trump hat viele Gewissheiten über Bord geworfen. Dieser Wahlkampf wird hart, die Wahl eine Richtungswahl.

Grafitti US-Flage an Hauswand

Der Wahlkampf um die künftige Besetzung des Weißen Hauses und des US-Kongresses ist in vollem Gange und bewegt die Öffentlichkeit in den USA und weltweit.

Das große Interesse ist nachvollziehbar, denn dieser Wahlkampf ist alles andere als „business as usual“. Die Präsidentschaft von Donald Trump hat viele Gewissheiten über das Selbstverständnis der USA, über die Normen amerikanischer Politik und über die Rolle der USA in der Welt über Bord geworfen. Er hat die Politik zu einem Nullsummenspiel erklärt und einer radikal binären Logik unterworfen, die nur bedingungslose Loyalität oder Feinde kennt.

 

Gleichzeitig hat Trumps Politik zu einer historischen Mobilisierung der demokratisch gesinnten Zivilgesellschaft in den USA geführt. Diese Gegenbewegung, getragen in großem Maße durch politisch engagierte Frauen, hat den Wahlerfolg der Demokraten im Herbst 2018 ermöglicht. Sie hat zudem einen politischen Raum geöffnet, von progressiver Seite neu über Innen- und Außenpolitik der USA nachzudenken, von der Klimapolitik über den Umgang mit Minderheiten bis hin zu Fragen sozialer Gerechtigkeit und sozialer Teilhabe.

Vor dem Hintergrund dieser politischen Gegensätze ist mit einem harten Wahlkampf zu rechnen. Diese Wahl wird eine Richtungswahl. Ihr Ausgang wird den Charakter des Landes grundlegend prägen und auch die Rolle der USA in der Welt. Die Wahl wird großen Einfluss darauf haben, ob die USA sich zur inneren Verfasstheit als vielfältige Demokratie und Einwanderungsgesellschaft bekennen oder ob demokratische Normen und Minderheitenrechte weiter eingeschränkt werden. Sie wird entscheidend sein für die Frage, ob für die USA mit globaler Macht auch globale Verantwortung einhergeht oder ob sie die Weltordnung prägen mit transaktionalem Nationalismus, der keine Verbündeten kennt und sich an keine Regeln gebunden fühlt. Und sie wird darauf einwirken, ob die USA zurück finden zu überparteilicher Kooperation und politischer Kompromissfähigkeit oder ob die Polarisierung der Politik und Gesellschaft noch stärker wird.

Vier Themen stehen dabei im Mittelpunkt:

1. Die Zukunft des amerikanischen Parteiensystems

Ähnlich wie in den meisten westeuropäischen Ländern findet auch in den USA ein Wandel der Parteienlandschaft statt. Aufgrund des amerikanischen Wahlsystems äußerst sich diese Entwicklung jedoch weniger durch den Erfolg von Drittparteien, sondern durch kontroverse Auseinandersetzungen innerhalb der Demokraten und Republikaner über ihre programmatische und personelle Zukunft.

Donald Trump hat die republikanische Partei zum radikalen rechten Rand hin geöffnet, kritische Entscheidungsträger/innen entmachtet und viele klassische republikanische Positionen über Bord geworfen. Hinter den Kulissen aber brodelt es, denn mit dieser Strategie hat er auch die Wahlniederlage bei den Zwischenwahlen 2018 zu verantworten. Die Zukunft der Partei ist offen, vom langfristigen Erfolg des Trumpismus bis hin zu ihrem Zerbrechen und Niedergang.

Die Demokraten haben ihrerseits noch keinen einheitlichen Kurs. Mit Joe Biden und Bernie Sanders gibt es zwei Kandidaten, die für sehr unterschiedliche Konzepte der Zukunft Demokratischer Politik stehen. Sanders strebt eine politische Revolution an, welche das Bildungs- und Gesundheitswesen, die Klimapolitik und die Rolle von Geld in der US-Politik von Grund auf verändern will. Biden wiederum glaubt an eine evolutionäre Herangehensweise als einzig erfolgversprechende Strategie, um nicht nur die Wahl im November zu gewinnen, sondern auch reale politische Fortschritte hin zu mehr Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit zu erzielen. Viel spricht aktuell dafür, dass Joe Biden letztlich das Rennen machen wird, aber offen ist, welche Positionen er von Sanders adoptieren und welche linkeren Persönlichkeiten er in sein Team einbinden wird, um zu gewährleisten, dass die Partei weitgehend geschlossen in den Wahlkampf zieht. Ob Letzteres gelingt, ist noch vollkommen offen.

2. Die Zukunft der amerikanischen Demokratie

In den kommenden Jahren wird sich zeigen, ob die älteste Demokratie der Welt die Angriffe des Trumpismus überdauern wird. Unter Trump haben die USA noch keine echte Verfassungskrise erlebt, aber es ist gut vorstellbar, dass es in den kommenden Jahren dazu kommt und sich die Widerstandsfähigkeit des demokratischen Systems ernsthaft beweisen muss. Vom schrittweisen Aushebeln der Gewaltenteilung und Grundrechte bis hin zu einer mittelfristigen Revitalisierung der amerikanischen Demokratie ist alles möglich.

Denn es gibt zugleich intensive Debatten über langfristige Reformen, um die Demokratie in den USA zu stärken. Die künftigen Machtbefugnisse des Präsidentenamtes werden dabei ebenso diskutiert wie der effektive Schutz der Bürgerinnen und Bürger vor Desinformation und Manipulation. Stärkere Rechte von Minderheiten und der Umgang des Landes mit seiner langen Geschichte des Rassismus spielen ebenso eine Rolle wie die Zukunft des Wahlsystems und Wahlrechts und die gesetzlichen Regeln für Geld und Lobbyismus in der Politik. Alle diese Fragen werden in den kommenden Jahren verhandelt, auf lokaler, Bundesstaats- und föderaler Ebene.

3. Die Zukunft der amerikanischen Gesellschaft

Die Trump-Präsidentschaft hat große Teile der amerikanischen Gesellschaft politisiert. Durch seine Infragestellung jeglicher Normen hat Trump auf rechter Seite den Raum geöffnet, etablierte politische Positionen infrage zu stellen. Gleichzeitig hat die Gegenreaktion auf seine Politik viele im Lager der Demokraten ermutigt, Politik neu zu denken und zu formulieren.

Die Klimapolitik, die noch vor wenigen Jahren ein Nischendasein fristete, steht plötzlich im Zentrum der Auseinandersetzung, mit ambitionierten Vorschlägen eines „Green New Deal“ auf Seiten der Demokraten. Reproduktive Rechte von Frauen stehen unter Beschuss wie seit Jahrzehnten nicht, gleichzeitig aber gibt es eine politische Mobilisierung von und durch Frauen, die ihresgleichen in der amerikanischen Geschichte sucht. Die massiven republikanischen Steuersenkungen für Wohlhabende haben auf Seiten der Demokraten Debatten über ein neues Verhältnis von Staat und Bürger/innen entfacht, vom kostenfreien Zugang zu höherer Bildung über garantierte staatliche Gesundheitsversorgung bis zu großen öffentlichen Infrastrukturprogrammen. Junge Menschen haben sich zusammen geschlossen zu einer starken politischen Bewegung gegen Waffengewalt und für schärfere Waffengesetze. Die Zukunft von Gesellschaft und Arbeit im digitalen Zeitalter wird verhandelt bis hin zur Forderung nach der Zerschlagung der großen Technologie-Konzerne.

Entscheidend für die Gestaltungsfähigkeit beider politischer Lager wird bei all diesen Fragen nicht nur das Präsidentenamt sein, sondern auch die künftigen Mehrheitsverhältnisse im Kongress und auf Bundesstaatsebene.

4. Die Zukunft der transatlantischen Beziehungen und der Weltordnung

Die amerikanische Außenpolitik befindet sich im Wandel. Trump missachtet internationale Partnerschaften, Institutionen und Vereinbarungen und propagiert eine ethnonationalistische Weltordnung. Das würde sich unter eine/r demokratischen Präsident/in ändern.

Andererseits gibt es auch unabhängig von Trump weitreichende Veränderungen in der internationalen Politik, welche Rückwirkungen auf die USA haben. Die wachsende regionale und globale Rolle Chinas führt zu einer stärkeren pazifischen Orientierung der USA ohne dass eine klare China-Strategie bislang erkennbar ist. Die Zukunft des globalen Handelssystems und der Rolle der USA darin wird neu verhandelt.

Sicherheitspolitische Allianzen wie die NATO stehen unter Druck durch externe Akteure. Menschenrechte und Demokratie sind in vielen Teilen der Welt bedroht. Die Vereinten Nationen und der Multilateralismus insgesamt stehen unter Beschuss durch nationalistische Großmächte.

Gleichzeitig nehmen die Themen an Dringlichkeit weiter zu, welche nur international oder global lösbar sind, von der Klimakrise über Standards der Digitalisierung bis zu nuklearer Nichtverbreitung, politischer Stabilität im Nahen Osten oder der Zukunft des globalen Finanzsystems. Für Deutschland und die Europäische Union sind all dies Schlüsselfragen für die kommenden Jahre. Die Wahl wird darüber entscheiden, ob die Europäer diese Herausforderungen gemeinsam mit den USA angehen können – oder ob sie stärker unabhängig oder in neuen Allianzen agieren müssen.

Schon jetzt scheint eine einfache Rückkehr der transatlantischen Allianz in die Zeit vor Trump schwer vorstellbar. Die EU wird Antworten auf die Frage finden müssen, welche Prioritäten sie selbst setzen kann und will, und mit welcher Agenda sie der künftigen US-Administration begegnen wird.

Ein Beitrag unseres Blogs "Route 20 - Die USA auf dem Weg zu den Präsidentschaftswahlen".