Demokratische Defizite bei den demokratischen Vorwahlen

Kommentar

Nach dem Debakel bei den demokratischen Vorwahlen in Iowa wird harsche Kritik am Wahlsystem laut -  und auch die kommenden Wahlen in New Hampshire zeigen: das antiquierte System steht nicht für die Werte der Demokraten.

Welcome to New Hampshire

New Hampshires Bevölkerung ist zu 91 Prozent weiß. Der Bundesstaat entsendet nur einen Bruchteil der nationalen Delegierten, hat aber trotzdem mehr Bedeutung für den Ausgang des Nominierungsprozesses als viele größere Staaten. Die enorme Diskrepanz wirft viele Fragen zur Fairness des demokratischen Vorwahlkampfs auf.

Auf den ersten Blick wirkt New Hampshire nicht unbedingt wie ein strategisch wichtiger Ort im Vorwahlkampf: nur 24, der insgesamt 3.979 Delegierten, die über die Nominierung eine/r demokratischen Kandidaten/in entscheiden, werden von New Hampshire entsandt - auf dem Papier steht also wenig auf dem Spiel.

Und trotzdem: New Hampshire hat für die Vorwahlen besondere Bedeutung. Als einer der ersten Staaten prägt es das öffentliche Bild der Kandidat/innen für alle folgenden Abstimmungen. Entscheidend sind nicht die wenigen Delegierten die es zu gewinnen gibt. Sondern der Schwung - “Momentum”, mit dem siegreiche Kandidaten/innen in die folgenden Wahlen am Super Tuesday gehen, an dem 15 Staaten gleichzeitig abstimmen.

Eine Studie kam zu dem Ergebnis, dass Wähler/innen in Iowa und New Hampshire bis zu 20 mal größeren politischen Einfluss in den Vorwahlen haben, als Wähler/innen in anderen Staaten. Die politische Bedeutung lässt sich auch an den Ausgaben für Online Werbung ablesen: Andrew Yang hat 86 Prozent seines gesamten Budgets in Iowa und New Hampshire ausgegeben, Pete Buttigieg 20 Prozent und Joe Biden 14 Prozent. Erstaunlich viel für die beiden Staaten, die mit 65 Delegierten nur etwa 1,5 Prozent aller gewählten Delegierten entsenden.

Mit Fairness politischer Repräsentation hat dies wenig zu tun. Abgesehen von der mehr oder weniger willkürlichen historischen Entwicklung gibt es keinen Grund, warum die Bürger/innen eines Staates mehr politischen Einfluss haben sollten, als andere. Besonders weil die Bürger/innen des Staates alles andere als repräsentativ für die Gesamtbevölkerung sind: New Hampshires Bevölkerung ist zu 91 Prozent weiß, im Vergleich zu 76 Prozent in den gesamten USA, und ist damit einer der Staaten mit dem größten Anteil an weißen Wähler/innen überhaupt.

Viele andere Aspekte unterscheiden New Hampshire fundamental vom Rest der USA, und verzerren damit durch die besondere Bedeutung des Staates den Nominierungsprozess. Die Bevölkerung ist verhältnismäßig alt, wohlhabend, und lebt weniger in Städten, als in ländlichen Gebieten. Alles Wählergruppen, die bisher ohnehin nicht vom Vorwurf verschont waren, zu viel Einfluss in den demokratischen Vorwahlen zu haben.

Wie sehr sich diese Ungleichheit auf den Nominierungsprozess de/r nächsten Kandidaten/in auswirkt lässt sich schwer sagen. Fest steht, dass Andrew Yang als Amerikaner taiwanesischer Abstammung der letzte ernstzunehmende nicht-weiße Kandidat in den Vorwahlen ist, nachdem sowohl Cory Booker, Kamala Harris als auch Julian Castro frühzeitig ausgeschieden sind. Sie alle hatten Schwierigkeiten, trotz landesweit guten Ergebnissen, genügend Stimmen in Iowa und New Hampshire zu gewinnen. Und auch für die verbleibenden Kandidat/innen ist die Diskrepanz zwischen den “frühen” Staaten und dem Land relevant: Die Spaltung zwischen Kandidat/innen findet auch zwischen Ethnien statt. So hat zum Beispiel Joe Biden besonders großen Zuspruch bei der Afro-Amerikanischen und Latino-Bevölkerung, und kann deswegen weniger darauf hoffen siegreich aus den ersten Wahlen hervorzugehen, obwohl er in landesweiten Umfragen teilweise an der Spitze ist.

Aus europäischer Perspektive ist dies schwer nachvollziehbar. Warum hat die Partei, die gerne der republikanischen Partei den Vorwurf macht, Minderheiten bei der Wahl zu unterdrücken, ein Wahlsystem, das es besonders nicht-weißen Kandidat/innen tendenziell erschwert, Präsidentschaftskandidat/in zu werden?

Vielleicht ist das Debakel in Iowa eine Chance für die Demokraten - viele zweifeln am Sinn des bisherigen Systems - es könnte endlich an der Zeit sein, die Frustration produktiv zu nutzen, um Reformen voranzutreiben, die den Nominierungsprozess fairer machen.