Bernie Sanders geht. Seine Bewegung bleibt

Hintergrund

Bernie Sanders hat seine Kandidatur in den Vorwahlen aufgegeben. Damit führt Joe Biden die Demokraten in den Wahlkampf um die Präsidentschaft. Wie viel von Sanders’ progressiver Politik wird bleiben und in die Agenda der Demokratischen Partei einfließen?

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Wahlkampf für Bernie Sanders 2016

Der US-Wahlkampf steht vor der heißen Phase, aber eines ist seit Anfang April klar: Ein linker Rebell wird nicht ins Weiße Haus einziehen. Bernie Sanders, eine Ikone im progressiven Lager, zog sich aus dem Vorwahlkampf der Demokraten zurück und überließ das Feld dem moderateren Joe Biden. Die Demokraten schließen ihre Reihen gegen Donald Trump, den Sanders als „gefährlichsten Regierungschef in Amerika’s neuerer Geschichte“ bezeichnet.

In einer Video-Ansprache verkündete Sanders am 8. April seinen Rückzug aus dem Rennen. Nachdem er die Vorwahlen in wichtigen Bundesstaaten wie Texas, North Carolina, Florida, Arizona, Illinois und zuletzt Wisconsin verloren hatte, erschien seine Chance, die Kandidatur noch zu gewinnen unrealistisch. Dass er schon eine Woche später eine Wahlempfehlung für Biden abgab, war zum Teil der aktuellen Covid-Krise geschuldet. Aber es half sicher auch, dass Sanders und Biden befreundet sind. 2016 hatte Sanders sich erst sehr spät (im Juli) und nur halbherzig zu seiner Vorwahlgegnerin Hillary Clinton bekannt.

In einem gemeinsamen Video-Auftritt am 13. April kündigten Biden und Sanders eine enge Zusammenarbeit an. Nachdem auch Elizabeth Warren ihre Unterstützung für Biden bekannt gegeben hat, hat er starke Rückendeckung im progressiven Parteilager.

Die Demokraten ziehen also mit einem moderaten Kandidaten in die Wahl gegen Trump im November. Ob sie die Wahl gewinnen, hängt vor allem davon ab, ob sie eine breite Mehrheit aus unabhängigen, moderaten und progressiven Wähler*innen mobilisieren können – und ob es Biden und Sanders gelingt, ihre beiden Lager ideologisch wie inhaltlich zusammenzuführen. Dies wird ein Drahtseilakt. Bernie Sanders hatte es nicht geschafft, die schwarze Bevölkerung von seiner Politik zu überzeugen. Joe Biden wiederum stößt bei jungen und progressiven Wähler*innen-Gruppen auf Widerstand.

Kein einfacher Abgang von der Bühne

Sanders ist keiner, der sang- und klanglos die Bühne verlässt. Als er seinen Rückzug aus der Vorwahl bekanntgab, zitierte er den Freiheitskämpfer Nelson Mandela: „Es erscheint immer unmöglich, bis es vollbracht ist.“ Gemeint war: Sanders wird weiter kämpfen, wenn auch nicht als zukünftiger Präsident der USA. Zugleich war seine Ansprache ein Aufruf an seine Unterstützer*innen, weiter für soziale Gerechtigkeit zu kämpfen – für eine allgemeine Krankenversicherung, faire Bezahlung und Bildungszugang für alle.

Bernie Sanders hat den politischen Diskurs in den letzten Jahren stark geprägt. Seine Forderungen wie die, den Mindestlohn auf 15 US Dollar zu erhöhen und eine allgemeine Krankenversicherung als Menschenrecht anzuerkennen, galten in den USA bis vor Kurzem noch als radikal – von den politischen Gegner*innen werden sie als sozialistisch verdammt. Jedoch werden sie in weiten Teilen der Demokraten mittlerweile anerkannt. In den Vorwahldebatten der Demokraten war ein deutlicher Linksruck im Vergleich zur letzten Wahl erkennbar. Klimawandel, Gesundheitsversorgung und Bildung waren thematisch ins Zentrum gerückt und viele der Kandidat*innen sprachen sich für einen Green New Deal aus. Auch ideologisch war ein vielfältigeres Spektrum zu erkennen. So war neben Sanders auch Elizabeth Warren eine starke Kandidatin mit progressiver Agenda.

Wie viel von diesem Programm nun in Bidens Wahlkampf einfließen wird, hängt davon ab, wie er seine Kampagne ausrichtet. In seiner Reaktion auf Sanders’ Rückzug schlug Biden direkt versöhnliche Töne an. Er erkannte an, dass „Bernie“ bereits sein ganzes Leben lang für seine Themen gekämpft habe. Er habe mit seiner progressiven Agenda Millionen junger Menschen inspiriert und motiviert. Biden erkannte an, dass Bernie Sanders etwas Außergewöhnliches in der Politik gelungen sei: Er habe nicht nur einen Wahlkampf geführt, sondern eine Bewegung ins Leben gerufen. An Sanders gerichtet sagte Joe Biden: „Ich werde dich brauchen. Nicht nur, um diese Wahl zu gewinnen, sondern auch, um das Land zu regieren.“

Vorgarten US-Wahl 2020

Joe Biden machte damit klar, dass er Sanders nach wie vor eine zentrale Rolle zugestehen will. Auch inhaltlich setzt Biden bereits Zeichen, indem er einen sozialpolitischeren Kurs einschlägt. So hat er Sanders’ Forderung nach kostenloser Bildung weitestgehend übernommen. Mit dem Unterschied, dass Biden diese nicht grundsätzlich, sondern für Familien mit einem Einkommen unter 125.000 US Dollar einführen will. Und in der derzeitigen Gesundheitskrise könnte auch Sanders’ Herzensangelegenheit, eine allgemeine Krankenversicherung für alle Bürger*innen, ein überzeugender Wahlslogan für Biden sein.

Trumps Anhänger*innen enthusiastischer

Allerdings hat Biden längst nicht alle progressiven Gruppen und Aktivist*innen überzeugt. In einer ABC News/Washington Post Umfrage vom 29. März gaben zwar 80 Prozent der Sanders-Unterstützer*innen an, dass sie Joe Biden wählen würden. Allerdings gaben nur 24 Prozent von Biden‘s Unterstützer*innen an sehr enthusiastisch zu sein; im Trump-Lager sind dies 53 Prozent. Als Präsidentschaftskandidat muss Biden in den kommenden Wochen eine Basis aus motivierten Unterstützer*innen aufbauen, die mit Überzeugung und Enthusiasmus für ihn Wahlkampf betreibt und Mehrheiten mobilisiert.

Der Weg dahin wird nicht ganz einfach. Eine Gruppe von Organisationen, die die Interessen junger Menschen vertreten, forderten in einem Brief an Joe Biden, den Generationen-Konflikt innerhalb der Demokratischen Partei zu überwinden. Unterzeichner wie Justice Democrats, Sunrise Movement und United We Dream Action fordern von Biden politische und personelle Zusagen als Preis für ihre Unterstützung. Sie fordern einen Green New Deal, die Reduzierung von Waffengewalt, eine faire Einwanderungspolitik, eine allgemeine Krankenversicherung, kostenlose Bildung und eine Reichensteuer. Zudem wollen sie, dass progressive Politiker*innen wie Warren, Inslee und Sanders eine wichtige Rolle in der neuen Regierung spielen.

Biden muss diesen Gruppen überzeugende Angebote machen und ihr Vertrauen gewinnen. Sein Team hat bereits die Fühler zu progressiven Gruppen wie dem Sunrise Movement ausgestreckt und erste Gespräche mit ihnen geführt. Joe Biden und Bernie Sanders haben angekündigt, Arbeitsgruppen zu den Themen Wirtschaft, Bildung, Einwanderung, Gesundheit, Strafjustiz und Klimawandel einzurichten. Gemeinsam sollen ihre jeweiligen politischen Berater*innen und wichtige zivilgesellschaftliche Gruppen Positionen erarbeiten.  

Wer wird Bidens Running Mate?

Für viele von Sanders’ enttäuschten Unterstützer*innen mag das noch befremdlich sein. Um sie zu überzeugen, braucht Biden eine visionäre Agenda. Sein bisheriger Wahlkampf-Slogan - „Die Nation und Washington in die Ära vor Trump zurückführen“ - kommt bei jungen Wähler*innen und progressiven Aktivist*innen aus der Migrations-, Frauen- und Klimabewegung nicht an. Sie fordern ein neues Wirtschafts- und Gesellschaftssystem, das historisch gewachsene Gerechtigkeitsdefizite korrigiert. Biden’s „Zurück zum Alten“ ist ihnen nicht gut genug.

Da Biden alleine diese Gruppen nicht überzeugen wird, hängt viel von der Wahl seiner Vize-Kandidatin oder seines Vize-Kandidaten ab. Es gilt als wahrscheinlich, dass Biden sich in den nächsten Wochen für eine Frau entscheiden wird. Frauen haben sich in den letzten Jahren stark gegen Trump engagiert, sowohl an der Wahlurne als auch als Kandidatinnen für politische Ämter. Laut einer Umfrage des Pew Research Center stört es 41 Prozent der registrierten Demokraten, dass ihr Kandidat ein alter weißer Mann ist. Als Biden’s „running mates“ sind seine ehemaligen Vorwahlkampf-Rivalinnen Elizabeth Warren, Amy Klobuchar und Kamala Harris im Gespräch. Außerdem gelten Gretchen Whitmer, Gouverneurin des Staates Michigan, und Keisha Lance Bottoms, Bürgermeisterin in Atlanta (Georgia), als mögliche Kandidatinnen. Von der ideologischen Ausrichtung her würde Elizabeth Warren als linke Demokratin für Vielfalt in seinem Team sorgen. und gälte – ähnlich wie Bernie Sanders – als Brücke zum progressiven Lager. Mit Keisha Lance Bottoms würde Biden vor allem für Jubel innerhalb der schwarzen Bevölkerung sorgen, deren Sympathien er mit seinem moderaten Kurs jedoch bereits hat. Da er aber auch für Generationengerechtigkeit sorgen muss, könnte Bottoms (50) auch aus Altersgründen eine gute Kandidatin sein, die zumal aus dem Süden kommt – ein traditionell schwieriges Gebiet für die Demokraten.

Die nächsten Wochen und vor allem die Ergebnisse der Lager übergreifenden Arbeitsgruppen werden zeigen, mit wie viel Teamgeist, Mut und Vielfalt die Demokraten in den Wahlkampf ziehen. „Ungewöhnliche Zeiten erfordern ungewöhnliche Maßnahmen“ – vielleicht lassen sie sich ja von dieser Weisheit leiten.