Der Zoom-Boom: Es kommt sehr wohl darauf an, welche Tools man im Homeoffice nutzt

Aufgrund der Pandemie und der daraus resultierenden Quarantäne befanden sich Millionen von Menschen auf der ganzen Welt zu Hause und benötigten digitale Tools, um ihre Arbeit und Kommunikation fortzusetzen. Doch wie sicher sind die digitalen Werkzeuge, die zu einem Teil unseres Alltags geworden sind?

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Wenn es Ihnen wie den meisten von uns geht, mussten Sie und Ihre Firma oder Organisation sich in jenen ersten Quarantäne-Tagen auf die Suche nach den besten Tools machen, mit denen Sie ihre Videokonferenzen durchführen und online im Kollegenkreis kommunizieren können. Sie waren da nicht die einzigen. Bis April dieses Jahres waren die Nutzer von Zoom auf 300 Millionen angestiegen – im Vergleich zu 10 Millionen kurz vor Ausbruch der Pandemie. „Zoom“ ist schnell zu einem Wort geworden, das wir im Alltag genauso häufig benutzen wie „Google“ oder „FaceTime“. Ohne Zweifel waren es Tools wie diese, die vielen dabei halfen, sich auf ihre neue Arbeitsnormalität einzustellen.

Mit der Hochkonjunktur bei Zoom kamen aber auch schnell dessen Sicherheitslücken zum Vorschein. Im April wurde bekannt, dass das Unternehmen Nutzerdaten weitergegeben hatte und dass sich Unbefugte Zugang zu den Videokonferenzen verschaffen konnten. Dem folgten Meldungen, dass Zoom die Nutzerschaft dahingehend getäuscht hatte, dass die Konferenzen nicht wie behauptet Ende-zu-Ende-verschlüsselt waren. Damit wurde „Zoombombing“ – der Vorgang, wenn Unbefugte eine Sicherheitslücke dazu nutzen können, um als ungebetene Gäste in die Konferenzen anderer Menschen einzudringen – zum neuesten Wort in unserem Pandemie-Vokabular. Und es gab weitere Enthüllungen, die nicht ganz so publik gemacht wurden: Bei Zoom konnten die Chefetagen die Aufmerksamkeit der Teilnehmenden während der Videoanrufe überwachen und Zoom als Unternehmen konnte den Inhalt der Nutzerbotschaften verwenden, um den Nutzenden gezielt Werbung zukommen zu lassen. Viele dieser Probleme der Plattform wurden erst entdeckt, nachdem Boris Johnson stolz getwittert hatte, dass er gerade die „erste digitale Kabinettsitzung aller Zeiten“ geleitet habe ... auf Zoom.

Aber in diesem Artikel soll es nicht nur um die Mängel von Zoom gehen. In dieser Zeit des Arbeitens im Homeoffice gehören auch andere Tools für die Online-Zusammenarbeit wie Google Docs, Slack und Microsoft Teams zu unserem Jargon. Aber bevor wir uns in unserer Arbeit von diesen Tech-Tools abhängig machen, sollten wir sinnvollerweise zunächst der Frage nachgehen, welche Gedanken sich zivilgesellschaftliche Organisationen über die Wahl der Tools machen können – und wie und warum sie sich für das eine oder andere entscheiden sollten. Der Gründer und Kreativdirektor von Tactical Tech, Marek Tuszynski, schrieb über die im Homeoffice einsetzbaren Tools: „Es gibt Auswahlmöglichkeiten – die wahre Herausforderung ist nicht nur, wie man die Auswahl trifft, sondern auch, welche Art von Gesellschaft man mit seiner Entscheidung unterstützt.“

Wenn Entscheidungen unter dem Druck einer Krise oder Dringlichkeit gefällt werden müssen, ist es verlockend, die einfachste und bequemste kurzfristige Lösung zu wählen. Aber eine Krise ist auch eine Zeit, in der man die Wahl der Technologie mehr – und nicht weniger – hinterfragen sollte, denn diese Entscheidung hat langfristige Konsequenzen: Es geht nicht nur um unseren eigenen Datenschutz und die Frage, wie viele unserer persönlichen Daten wir bereit sind, preiszugeben, sondern auch um Risiken für die Menschen, mit denen wir kommunizieren. Darüber hinaus müssen wir auch überlegen, ob wir mit unserer Auswahl Bedingungen schaffen, dir wir auch in der Zukunft noch hinnehmen wollen, und uns fragen, wer von diesen neuen Systemen profitiert. Denn schließlich haben viele dieser Homeoffice-Tools dieselben Geschäftsmodelle, mit denen Unternehmen wie Google und Facebook so reich wurden – mit der Erfassung und dem Verkauf unserer persönlichen Daten. Und viele technische Innovationen, die aus einer Krise heraus entwickelt werden, könnten mit Sicherheitslücken behaftet sein. Während der Rest der Wirtschaft seit Ausbruch der Pandemie leidet, ist schon deutlich geworden, dass die Gewinne der großen Tech-Unternehmen enorm angestiegen sind, einschließlich der von YouTube, Google, Amazon und anderer. Beispielsweise sind die Gewinne von Zoom in einem einzigen Jahr um 167% gewachsen.

Bei Tactical Tech wissen wir, dass es keine einfachen oder idealen Lösungen gibt, wenn es um die Nutzung von Technologie für Ihre Organisation und in Ihrer Arbeit geht. Es wird immer um Abwägungen zwischen Datenschutz und Zweckmäßigkeit, zwischen Ethik und Effizienz gehen. „Die Vorstellung, dass es Tools gibt, die immer, überall und für jeden funktionieren, für die keine weiteren Kenntnisse und keine zusätzliche Infrastruktur nötig sind, die fair und gerecht sind und uns jederzeit schützen, ist ein Traum, der sich noch nicht erfüllt hat“, schrieb Tuszynski in einem Beitrag.

Tactical Tech unterstützt Nichtregierungsorganisationen in aller Welt seit fast 20 Jahren bei ihrer Wahl der geeigneten Technologie. Bei der Auswahl eines Tech-Tools stützen wir uns auf einige Grundprinzipien. In dem Wissen, dass es keine Patentlösung für alle Fälle gibt, besteht unser oberstes Ziel in einer Risikobegrenzung und wir empfehlen immer, das Augenmerk gleichermaßen auf die langfristigen Auswirkungen einer Technologie-Auswahl zu richten wie auf die unmittelbare Zweckmäßigkeit dieser Lösung.

Wenn Sie und Ihre Organisation sich für ein Tool entscheiden müssen, sollten Sie sich fragen: Ist es ein

1. Open-Source-Tool – ist die Software lizenzfrei und steht der Quellcode öffentlich zur Verfügung, sodass er von den Nutzenden geprüft werden kann?

2. vertrauenswürdiges Tool – wurde die Software von unabhängigen Stellen getestet und überprüft?

3. ausgereiftes Tool – gibt es eine stabile, aktive, auf der Nutzerschaft basierende Community und ist es durch eine Entwicklungs-Community beeinflussbar?

4. benutzerfreundliches Tool – ist es einfach zu bedienen?

5. mehrsprachiges Tool – ist die Software in verschiedenen Sprachen verfügbar mit Lokalisierungsunterstützung?

6. plattformunabhängiges Tool – lässt es sich auf Mac, Windows, Linux, Android etc. nutzen?

7. dokumentiertes Tool – stehen seine Quellen, Installations- und Nutzungshinweise sowie Updates online zur Verfügung?

Eine ausführlichere Erklärung dieser Grundsätze findet sich in den Sicherheitsressourcen von „Security-in-a-Box”, die Tactical Tech in Zusammenarbeit mit Frontline Defenders entwickelte.

Wir wissen, dass diese Entscheidung für Ihre Organisation weitaus komplizierter ist als ein einfaches Herunterladen der Software und ein schnelles Klicken, um den Nutzungsbedingungen zuzustimmen. Vielmehr müssen dabei dieselben Überlegungen angestellt werden wie bei anderen großen, die ganze Organisation betreffenden Entscheidungen und Investitionen. Tuszynski drückte es so aus: „Will man unabhängige, sichere, widerstandsfähige und zukunftsfähige Organisationen unterstützen, muss man über Technologie genauso ernsthaft nachdenken wie über Management, Finanzen und das Personalwesen.“ Und mit der Erfahrung, dass Tools oder Strategien, für die man sich in Krisenzeiten entscheidet, häufig noch jahrzehntelang nachhallen, ist es wichtiger denn je, die Tech-Tools, die unsere Organisationen für ihre Kommunikation nutzen, vorab äußerst gründlich zu prüfen, denn sie könnten uns noch lange nach Ende der Pandemie erhalten bleiben. Das oben angeführte Fragengerüst kann Ihnen dabei helfen, die richtige Lösung für Ihre Bedürfnisse zu finden, die ihren Kapazitäten und Ressourcen am besten entspricht – und natürlich ist es möglich, dass Sie sich letztlich für G Suite oder Zoom als passendste Lösung für Ihre Organisation entscheiden.

Vor diesem Hintergrund können wir Ihnen einige Alternativen vorschlagen. Wenn Sie für Ihre Anrufe und Nachrichten etwas anderes suchen als WhatsApp oder Facebook, können Sie es mit Signal oder Wire versuchen, die beide für Anrufe und Nachrichtenübermittlung eine Ende-zu-Ende-Verschlüsselung bieten. Bei Tactical Tech nutzen wir für die Kommunikation zwischen den Teams statt Slack den Open-Source-Messenger Element (früher unter dem Namen Riot bekannt). Für Online-Gespräche und Video-Chats empfehlen wir Jitsi Meet, wenn nicht mehr als acht Menschen beteiligt sind (bei mehr Menschen kann die Kommunikation etwas abgehackt wirken). Diese Software ist von deren Server aus nutzbar oder kann auf Ihrem eigenen laufen. Wenn Sie für große Konferenzen eine höhere Funktionsvielfalt brauchen, wie einen gemeinsamen Notizblock („Whiteboard“), separate Räume für kleine Arbeitsgruppen („Breakout-Rooms“) oder das Abspielen externer Videos, empfehlen wir statt Zoom die Nutzung von BigBlueButton. Es ist besonders praktisch für diejenigen, die ihre Konferenzen selbst hosten können, und es ist großartig für Teambesprechungen und Webinare, da es auch eine externe Beteiligung zulässt. Auch wenn es keine wirklichen dezentralisierten Alternativen zu Google Docs gibt, kann man Nextcloud für die gemeinsame Nutzung von Kalendern, Dokumenten und Dateien im Team probieren. Diese Cloud kann man selbst hosten oder man findet einen Provider dafür. Sollte Ihre Organisation eine Open-Source-Alternative für das Projektmanagement suchen, können Sie es mit GitLab versuchen, das große Teams bei der Bearbeitung vielfältiger Projekte und Aufgaben sowie bei der Planung zeitlicher Abläufe unterstützt. Weitere Empfehlungen finden Sie in diesem Artikel auf der Website von Tactical Tech.

Derzeit setzen wir auf die Homeoffice-Tools lediglich wegen ihrer Hauptfunktionen – um im Kontakt zu bleiben und weiterarbeiten zu können. Aber je länger wir von zuhause aus arbeiten, desto unverzichtbarer werden sie. Sie werden dann nicht nur ein vorübergehendes Flickwerk für eine Pandemie bleiben, sondern sich sehr wahrscheinlich mehr und mehr in unserer Arbeitskultur einwurzeln. Und die Beliebtheit von Homeoffice-Tools trägt dazu bei, dass ihre Funktionen erweitert werden: Es besteht beispielsweise die Nachfrage nach einer Software zur Überwachung der Angestellten, die es den Managern erlaubt, die Online-Aktivitäten ihrer Beschäftigten aus der Ferne zu verfolgen und ihre Produktivität zu bewerten. Wollen wir, dass derartige Technologien in unserem alltäglichen Homeoffice-Arbeitsleben so normal wie Zoom werden? Das ist ein weiterer Grund, warum wir bei der Auswahl von Technologien für das Homeoffice darüber nachdenken müssen, was für eine Zukunft wir wollen und womit wir bereit sind zu leben.