Frauen im Friedensprozess: Ihre Rolle lässt sich nicht einfach streichen

Portrait

Die erste Frau, die ein bedeutendes Friedensabkommen zwischen zwei Verhandlungsparteien unterzeichnet hat, heißt Miriam Coronel-Ferrer und ist Mitglied des Standby Team of Senior Mediation Advisers (SBT) der Vereinten Nationen. 2014 führte sie die Friedensverhandlungen für die philippinische Regierung mit der lokalen Rebellengruppe Islamische Befreiungsfront der Moros (MILF) zum Erfolg.

Portrait Miriam Coronel-Ferrer

Dieser Artikel ist Teil des Dossiers "No Women - No Peace: 20 Jahre UNSR Resolution 1325 zu Frauen, Frieden und Sicherheit"

Man kann vielleicht sagen, dass es das nicht bringt. Dass das Glas halb leer ist. Aber einfach über Bord werfen kann man sie nicht”, sagt Miriam Coronel-Ferrer, und meint damit die Rolle der Frau in aktuellen Konfliktsituationen und Friedensprozessen. Coronel-Ferrer führte die Friedensverhandlungen für die philippinische Regierung, die einen langjährigen Konflikt in dem Land Südostasiens beendeten. „Es braucht heute schon einen guten Grund, um Frauen nicht in (Friedens-)Verhandlungen miteinzubeziehen. Wir haben die Agenda vorangebracht.”

Dieser Sinneswandel vollzog sich in den letzten zwanzig Jahren seit der Verabschiedung der Resolution 1325 zu Frauen, Frieden und Sicherheit durch den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen. Die Resolution war ein erster Meilenstein der UN im Hinblick auf die spezifischen Auswirkungen von Krieg auf Frauen, sowie die ebenbürtige Beteiligung der Geschlechter in der Konfliktbeilegung, dem Aufbau und Erhalt von Frieden, in der humanitären Hilfe und dem Wiederaufbau.

Wenngleich Frauen nun in Konflikts- und Friedensthematiken sichtbarer sind, so ist es laut Coronel-Ferrer nun an der Zeit, diese Normen – die sich aus Rechtsinstrumenten und Präzedenzfällen aus Konflikten weltweit ergeben – auch in die Realität des Alltags umzusetzen.

Schließlich kennt Coronel-Ferrer diese aus erster Hand. Sie war und ist die erste Frau, die je eine Verhandlungspartei anführte (die philippinische Regierung) und einen Friedensvertrag mit der Islamischen Befreiungsfront der Moros unterzeichnete. Über Jahrzehnte hinweg hatte die Rebellentruppe für die Autonomie der muslimischen Gemeinschaften auf der Inselgruppe Mindanao im Süden der mehrheitlich katholischen Philippinen gekämpft.

Es ist im 21. Jahrhundert nur schwer vorstellbar, dass ich bislang die einzige Frau bin, die jemals eine Verhandlungspartei angeführt und ein (Friedens-)Abkommen unterzeichnet hat“, sagt Coronel-Ferrer, eine von vier Frauen im achtköpfigen Standby Team of Senior Mediation Advisers der Vereinten Nationen. „Was sagt das über die Sachlage aus?“

Kurzum, die Seltenheit ihrer Rolle macht das Ausmaß des Gender-Gaps deutlich – und dass Frauen in Friedensverhandlungen ihren Platz am Verhandlungstisch einfordern müssen, immer und immer wieder.

Rechtsnormen – auch auf internationaler Ebene – haben wir. Da ist einmal die nationale Gesetzgebung. Dann sind da die bereits gemachten Erklärungen zugunsten dessen, was die Resolutionen des UN-Sicherheitsrates längst gefordert und bestätigt haben, und dann in weiteren Resolutionen vertieft haben. Aber nur in der Realität lässt sich das alles auch wirklich beurteilen.“

Als Verhandlungsführerin in den Sitzungen mit MILF wurde sie mit der harten Realität konfrontiert, fernab der schönen Theorie. „Für die Gegenpartei MILF war es anfangs sehr schwer, sich damit abzufinden, dass der Verhandlungsführer auf Regierungsseite eine Frau ist.“

Blinder Fleck

Zu diesem Zeitpunkt sah sie die größte genderbezogene Herausforderung im blinden Fleck, wie sie es nennt: „Ging es um die Genderfrage, so blieben der Großteil der MILF-Anführer sowie die Gesellschaft insgesamt sehr konservativ.“

Dass die Zahl der Friedensabkommen mit einer größeren Anzahl an mutigen Bestimmungen zu Geschlechtergleichstellung, Frauen, Frieden und Sicherheit steigt, bestärkt Coronel-Ferrer in ihrem Handeln. So das Abkommen zwischen der kolumbianischen Regierung und den Revolutionären Streitkräften Kolumbiens (FARC) im Jahr 2016. „In darauffolgenden Vereinbarungen wie zum Beispiel im Süd-Sudan sind diese Bestimmungen, sowie auch die Beteiligung von Frauen, bereits stark im Prozess und im Ergebnis verankert.“

Doch Friedensverträge sorgen nicht per se dafür, dass eine Gesellschaft nach konfliktreichen Zeiten auch mehr Gerechtigkeit zwischen den Geschlechtern bietet. Die Transition zur Schaffung einer Autonomen Region Bangsamoro in Mindanao ist im Gange, doch „leider ist sie nach wie vor männlich dominiert“, so Coronel-Ferrer.

Ihre Erfahrung auf den Philippinen hat sich bewährt, seit sie 2018 das Amt der UN-Mediatorin als einzige Asiatin übernahm. Mediation Adviser werden von den Vereinten Nationen eingesetzt, um UN-Gesandte, Friedensmissionen und deren Teams im Bereich Mediation und Präventivdiplomatie zu beraten.

Nicht die Mediator/innen geben den Weg vor, sondern die Verhandlungsparteien. Die Mediator/innen haben eine unterstützende Rolle: Sie helfen, Hindernisse zu beseitigen, nehmen eine Brückenfunktion ein, und sind mitunter auch Resonanzboden für die Verhandelnden.“

Unterschiedliche Rollen, gleiche Fähigkeiten

Die Rollen von Mediator/innen und Verhandlungsführer/innen sind unterschiedlich, doch viele ihrer diplomatischen Fähigkeiten sind durchaus deckungsgleich. Verhandlungsführer/innen brauchen diplomatisches Geschick – schlicht, weil sonst nichts vorwärts ginge. Mediator/innen benötigen denselben Werkzeugkasten“, so die Professorin für Politikwissenschaften der Universität der Philippinen, die sich selbst als „durchsetzungsstark, aber nicht kämpferisch“ beschreibt.

Gefragt, welche Konflikte in Südostasien die größte Komplexität aufweisen, antwortet sie: „Jeder Konflikt hat seine eigene Komplexität.“ Im südlichen Thailand gilt es, die jeweilige Natur der unterschiedlichen Rebellengruppen innerhalb der muslimischen Gemeinschaften des Landes zu verstehen. In Myanmar hingegen (welches wegen der Behandlung der Minorität der Rohingya unter Beschuss geraten ist) findet sich eine Vielzahl an ethnischen Gruppen, deren fast schon historischer Krieg gegen den Staat die Lage weiter verschärft.

Friedensbemühungen fordern, sich mit Details vertraut zu machen. Dazu zählt auch, sich mit den Entscheidungs- und Kommandostrukturen der Rebellengruppen auseinanderzusetzen, oder zu eruieren, inwieweit die Parteien auf Regierungsseite sich auf die Übertragung von Kompetenzen einlassen würden. Darüber hinaus ist es unerlässlich, die Einstellung aller Parteien zu einer Involvierung internationaler Akteu/innene zu kennen. „Genauso wichtig für jede Konfliktanalyse und Friedensstrategie ist die Genderfrage“, betont Coronel-Ferrer, deren berufliches Interesse im Bereich Konfliktforschung und Friedensarbeit ihren Ursprung in der friedlichen EDSA-Revolution, der sogenannten „Volksrevolution“ auf den Philippinen im Jahre 1986 hatte.

Sicherheit neu definieren

Verhandlungen müssen weit über den konventionellen Definitionsbereich von Sicherheit hinausgehen. Staaten mögen sich sträuben, Schritte einzugehen, bei denen sie den Eindruck haben, der anderen Partei Legitimität einzuräumen, aber „genau diese Art von Umdenken ist notwendig, insbesondere im Bereich Sicherheit. Bei zivilen Verhandlungsparteien würde das Augenmerk vermutlich mehr auf den wirtschaftlichen Verlusten liegen – dem politischen Kapital, das im Falle eines Scheiterns der Verhandlungen auf dem Spiel steht. Aber in Ländern wie Myanmar und Thailand, in denen das Militär eine führende Rolle einnimmt, lassen sich solche Denkmuster viel schwerer durchbrechen.’

Und mit welcher „Zutat“ kann in der Konfliktbeilegung alles stehen und fallen – welche ist die mit dem größten Potential? „Der Druck, der auf den Parteien lastet, ist der größte Faktor. Druck dahingehend, dass sie ihre Position (hinsichtlich der Beilegung des Konflikts) überdenken. Dieser Druck kann von vielerlei Seiten kommen, auch von der Öffentlichkeit, und dabei insbesondere von ihrer eigenen Anhängerschaft.“

Gibt es Zeiten, wenn eine Konfliktlösung einfach nicht möglich ist? „Es kann sich auf beiden Seiten Verhandlungsmüdigkeit einstellen. Das hängt mitunter davon ab, ob ein Paradigmenwechsel stattgefunden hat, oder nicht – ob also Erfolge auf friedlicher Ebene erzielt werden können, und nicht nur durch militärische Vorgehensweisen.“ Je grösser dieser Bewusstseinssprung, desto besser stehen die Chancen auf Beilegung.

Keine Unterbrechung von Konflikten durch COVID-19

Mit Blick auf das Weltgeschehen ist es naheliegend, sich zu fragen, ob die COVID-19-Pandemie auch so manchen Kontrahenten motiviert, das Kriegsbeil zu begraben.

Zwar hat es laut Coronel-Ferrer Überlegungen gegeben, die Waffen während der Pandemie nicht zuletzt aus humanitären Gründen schweigen zu lassen. „Aber das reicht nicht, um einen kompletten Mentalitätswandel herbeizuführen, wie er bei den involvierten Parteien notwendig ist. Zwar können die Umstände dazu führen, dass Strategien neu überdacht werden, doch nicht die Lage als Ganzes.“

Coronel-Ferrer betont mehrmals die Notwendigkeit, in Konfliktsituationen nie locker zu lassen, sondern immer wieder nach neuen Wegen und Möglichkeiten zum Dialog zu suchen.

Coronel-Ferrer ist gerne optimistisch. Natürlich kann auch sie einmal die Beherrschung verlieren, wie sie zugibt, lässt sich jedoch niemals zu blinder Wut hinreißen. „Ich werde auch mal wütend, habe mich aber sehr schnell wieder im Griff. Hass ist ein Gefühl, dem ich nichts abgewinne.“

Aus dem Englischen übersetzt von Petra Kogelnig und Karina Hermes