«Das ist schon der perfekte Sturm»

Mobilitätswende, Klimakrise, Digitalisierung: Die erfolgsverwöhnte deutsche Autoindustrie steht vor immensen Aufgaben. Corona macht die Lage nicht einfacher. Der Wirtschafts- und Sozialexperte Wolfgang Schroeder und Dirk Evenson, der als Berater und langjähriger Kommunikationschef des Verbands der Automobilindustrie (VDA) die Branche bestens kennt, haben einige Vorschläge, wie die Transformation gelingen kann.

Portrait: Wolfgang Schroeder

Herr Schroeder und Herr Evenson, die Aufgaben und Probleme liegen auf dem Tisch – wie würden Sie die Lage der deutschen Automobilindustrie skizzieren?

Wolfgang Schroeder: Ich würde sagen, dass es von allen Seiten drückt. Das Besondere ist die Gleichzeitigkeit. Die Automobilindustrie steht jetzt an einem Scheidepunkt, an dem sie sich neu ausrichten muss.

Dirk Evenson: Es gibt die Energiewende. Es gibt die Verkehrswende. Und es gibt die Digitalisierungswende – hoffentlich, muss man vielleicht in Deutschland dazu sagen. Und dann kommt noch Corona. Das ist, industriell gesehen, schon der perfekte Sturm.

Die Politik setzt ganz klar auf Elektromobilität. Das heißt: weniger komplexe Fahrzeuge, weniger Wertschöpfung im Land. Was bedeutet das für die Beschäftigten?

Wolfgang Schroeder: Der Wechsel zum Elektromotor wird auf jeden Fall die Beschäftigung reduzieren. Für den Verbrennungsmotor braucht man 1400 Teile, für den Elektromotor ungefähr 200. Aber: Alle deutschen Automobilkonzerne haben schon Beschäftigungs- und Standortsicherungsverträge abgeschlossen. Sie reichen teilweise von 2018 bis 2029. Nach allem, was wir jetzt wissen – über die Expansion in den Elektromobilitätsbereichen, über die Stabilisierung beim Verbrenner zumindest vorübergehend, gekoppelt an die Tarifverträge zur Beschäftigungssicherung – könnte die Transformation ein friedlicher Prozess werden. Aber es wird auch viele Probleme geben, die durchaus das Potential haben, größere Konfliktlagen zu generieren.

Dirk Evenson: Die Industrie weiß, dass es bei Transformationsprozessen immer besser ist, Übergänge mit Weiterbildung aktiv zu gestalten, statt das über den Arbeitsmarkt zu regeln. Da würde einfach zu viel Organisationswissen verlorengehen.

Wie ist denn die Zulieferindustrie für den Transformationsprozess aufgestellt?

Wolfgang Schroeder: Die Zulieferer sind in der Regel kleiner, so dass sie nicht so einfach Fluktuation, demografischen Wandel und Fachkräfte auf der einen Seite und Abbau auf der anderen Seite gegeneinander rechnen können. Sie sind auch schwächer, weil sie von den Entscheidungen der Endhersteller abhängig sind. Wenn sich bei den Endherstellern, den OEMs, nachhaltige Veränderungen ergeben und diese nicht mehr in das Produktionsprofil dieses einen Zulieferers passen, fällt der eben weg. Ich glaube, dass da die eigentliche Soll-Bruchstelle in der Wertschöpfungskette liegt.

Dirk Evenson: Zulieferer ist ein Sammelbegriff. Es gibt diversifizierte Großunternehmen, und es gibt Firmen, die hochspezialisiert auf Produkte sind, die morgen weniger eine Rolle spielen werden. Das ist die Kehrseite der hidden champions. Besonders dort wird Unterstützung notwendig sein.

Wolfgang Schroeder: Und wenn wir uns fragen, welche Folgen das für Deutschland hat, müssen wir sehen, wie wichtig diese hidden champions in strukturschwachen Regionen wie dem Sauerland oder in der Oberpfalz sind. Sie sind dort nämlich die wirklich wichtigen Unternehmen. Wenn die wegfallen, dann hat das auch regional und strukturpolitisch negative Konsequenzen.

Die IG Metall hat den Übernahmefonds Best-Owner-Group ins Leben gerufen. Ist das ein Modell?

Wolfgang Schroeder: Ja, das ist ein Modell. Es sagt ja: Wir wollen, dass die Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) und andere staatliche Initiativen die Zulieferer unterstützen. Mit dem Ziel, diese als Player im neuen Zyklus der Elektromobilität weiter mit an Bord zu haben. Eine Fondseinbindung, eine staatliche Flankierung allein aber ist unzureichend.

Was ist denn noch erforderlich?

Wolfgang Schroeder: Das Verhältnis zwischen OEMs und Zulieferer müsste unbedingt kooperativer werden. Denn die Zulieferer werden nicht nur allein gelassen, sondern auch unter Druck gesetzt. Dazu trägt bei, dass sie nicht wissen, mit welchem System genau die OEMs in Zukunft ihre digitale Basis bestreiten werden.

Warum gelingt das nicht?

Wolfgang Schroeder: Mit der martialischen Kostendruckpolitik der OEMs gegenüber den Zulieferern ist auch die Integrations- und Gestaltungskraft des Flächentarifvertrages enorm unter Druck geraten. Aus dem Flächentarifvertrag, der eine ganze Branche strukturiert und mit Mindestnormen für ein kooperatives Vorgehen ausstattet, ist ein exklusiver Club geworden, an dem immer weniger Unternehmen partizipieren.

Müssen wir also die Automobilindustrie mehr in die Pflicht nehmen? Verstehe ich Sie da richtig?

Wolfgang Schroeder: Es wäre schon viel gewonnen, wenn man diese Sollbruchstelle zwischen Zulieferern und Endherstellern auch stärker ins Blickfeld der öffentlichen politischen Debatte rücken würde. In der Vergangenheit hatte man mit dem Verband der Automobilindustrie (VDA), mit Gesamtmetall, mit dem Institut des Flächentarifvertrags und vielen weiteren Formaten des informell kartellierten Vorgehens durchaus belastbare Strukturen. Diese sind im Zuge der Globalisierung und anderer Steuerungsparameter in den Unternehmen zur Disposition gestellt worden.

Was heißt das für die Regionen, die sehr stark von der Automobilindustrie abhängig sind – zum Beispiel Baden-Württemberg oder Niedersachsen?

Wolfgang Schroeder: Die deutsche Automobilindustrie ist ja eigentlich relativ dezentral aufgebaut. Es gibt nur vier Bundesländer, in denen die Automobilindustrie nicht mit eigenen Werken präsent ist. Sie baut ja hauptsächlich auf drei Teilen auf: Da sind die Hersteller, die Zulieferer und die Kfz-Werkstätten. Das alles zusammen sind 2,2 Millionen Beschäftigte. Und wenn man die Landkarte zeichnet, dann gibt es zwar in Baden-Württemberg und Niedersachsen einen Schwerpunkt. Aber es ist doch erstaunlich, wie föderal, wie dezentral das Ganze aufgestellt ist.

2010 ist das Jahr der Zäsur. Seither produzieren die deutschen Automobilunternehmen mehr im Ausland als im Inland. Das Wachstum lief in dieser Zeit sehr stark über hochpreisige SUVs und andere Luxuskarossen.

Sie hatten vorhin das Thema Qualifikation und Weiterbildung angesprochen: Was genau muss da passieren?

Wolfgang Schroeder: Die IG Metall hat gerade Beschäftigte in der Metall- und Elektroindustrie nach ihren Arbeitsbedingungen und Zukunftserwartungen befragt. Es wurden unter anderem im Hinblick auf die zukünftige Tarifpolitik neun verschiedene Themen abgefragt, von der Entgelterhöhung bis hin zu Bausteinen für die Rente. Das Qualifizierungsthema lag an erster Stelle. Die Nachfrage ist also groß, aber die Unternehmen wissen eigentlich nicht so richtig, welche Qualifizierung sie für morgen anbieten sollen. Sie haben Schwierigkeiten, bereits jetzt die Wirtschafts- und Produktionslandschaft der Jahre 2025 bis 2030 in ihren qualifikatorischen Anforderungen abzubilden.

Dirk Evenson: Über Bestandsunternehmen und Bestandsbelegschaft hinaus geht es auch um die Zukunft von Wertschöpfung und Beschäftigung. Wir haben unsere besondere Stärke der dualen Ausbildung über die Fachhochschulen. Was uns bisweilen fehlt, sind Mut und Umsetzungskraft und Agilität, Neues zu industrialisieren. Noch werden zu wenige Neu- und Ausgründungen in und aus Deutschland richtig groß. Da könnte der Staat durch massive Förderung und Rahmenbedingungen einiges erreichen. Nehmen wir Silicon Valley: das war Agrarland, Äpfel statt Apple. Heute ist es das globale Technologiezentrum. Das entstand auch durch sehr fokussierte Förderung forschungsnaher Ausgründungen der Stanford University.

Wolfgang Schroeder: Unsere Erfolgsgeschichte ist eine andere. Sie fußt weniger auf Disruption und mehr auf dem Inkrementalismus. Dazu gehört auch die relativ flache Vernetzung von Forschungsinstituten wie der Helmholtz-Gesellschaft oder der Fraunhofer-Gesellschaft mit den Aktivitäten des Staates, der Unternehmen und der Hochschulen. Man könnte mit diesem Ansatz durchaus noch mehr erreichen, auch auf Europa bezogen.

Ich glaube, Sie sind sich beide einig: Man sollte die eigenen Stärken nutzen und darauf aufbauen. Offenbar mangelt es uns aber an der Fähigkeit, sie umzusetzen. Woran hapert es?

Wolfgang Schroeder: Die deutsche Automobilindustrie war in einer gewissen Weise verwöhnt, weshalb im Transformationsprozess auch mit einem geringen Tempo gefahren wurde. 2010 ist das Jahr der Zäsur. Seither produzieren die deutschen Automobilunternehmen mehr im Ausland als im Inland. Das Wachstum wurde in dieser Zeit sehr stark über das Segment der hochpreisigen SUVs und anderer Luxuskarossen generiert. Das sind Erfolgsfaktoren, von denen man dachte, dass man sie so fortschreiben kann. Und das hat einem frühzeitigen, klugen, intelligenten und weitsichtigen und schnelleren Umsteuern im Wege gestanden.

Also ist die Autoindustrie ein bisschen bequem geworden durch zu großen Erfolg?

Dirk Evenson: Ist das nicht das Problem von Gesamtdeutschland? Wir sind nach wie vor das Land der Ideen. Aber sind wir auch das Land der Zukunft? Was wir an Ideen und Patenten haben, setzen wir nicht robust und schnell um. Wir schätzen den Wert des Bestands höher als die Chancen des Neuen. So werden wir nicht das Land der Zukunft, sondern die Republik in Aspik.

Wolfgang Schroeder: Das sehe ich anders. Mit der Initiative Industrie 4.0, im Jahr 2011 gestartet, konnte zum Beispiel gezeigt werden, dass wir in der Lage sind, unsere Schwächen und unsere Stärken zu erkennen und daraus etwas zu entwickeln. Ich denke, diese Haltung müssen wir jetzt für die Automobilindustrie fruchtbar machen. Wir müssen dafür sorgen, dass die Zulieferer, die am Verbrennungsmotor hängen, nicht absaufen und mit ihnen ganze Regionen, in denen diese kleinen Zulieferer teilweise die einzigen wichtigen und wertschöpfenden Unternehmen sind. Sie müssen also auch aus regionalpolitischen Gründen eine Chance bekommen, sich vorzubereiten auf die elektro- oder wasserstoffbasierte Mobilitätsstrategie der Zukunft.

Kommen wir zum Thema Batteriefertigung: Bislang werden sie in Deutschland noch nicht hergestellt, aber das soll sich jetzt ändern. Tesla fängt damit an in Grünheide – zumindest haben sie es angekündigt. VW experimentiert auch. Kann das Deutschland überhaupt?

Dirk Evenson: Natürlich können wir das! Es gibt überhaupt keinen Grund, warum wir unsere industrielle Kompetenz nicht auch hier zum Erfolg führen können. Wir müssen es nur tun. Wir wissen, dass das eine Schlüsseltechnologie ist, die uns auch über den Verkehrssektor hinaus begleiten wird ...

Wolfgang Schroeder: ...wenn wir jetzt in die Batterieproduktion erfolgreich einsteigen, ist das eine Basistechnologie, die auch in ganz anderen Sektoren eingesetzt werden kann. Es geht auch um die Frage, ob wir in der Lage sind, die wesentlichen Komponenten eigenständig und unabhängig zu produzieren, ohne aus der internationalen Arbeitsteilung auszusteigen. Gelingt uns ein kleiner Schritt in Richtung mehr Souveränität, könnten wir damit auch einen Schub in Richtung Digitalisierung, Dekarbonisierung, neue Produktionsmodelle und Standortsicherung auslösen.

Batterien stammen heute ausnahmslos aus Asien. Sind wir als Hochlohnland denn überhaupt konkurrenzfähig?

Wolfgang Schroeder: Der Anteil der Lohnsumme bei der Automobilindustrie liegt gegenwärtig im Schnitt bei rund 14 Prozent. Das heißt, die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Industrie ist nicht durch unser gutes Lohnniveau gefährdet, sondern dadurch, dass wir in bestimmten innovativen Bereichen hinterherhinken. Dazu gehören übrigens auch die Kosten der Energieproduktion.

Welche Perspektiven hat Deutschland denn für das Betriebssystem Auto?

Wolfgang Schroeder: Was die Digitalisierung des Autos angeht, ist Deutschland gar nicht so weit hinterher. Es geht aber nicht nur um das Produkt, es geht eben auch um Mobilitätskonzepte. Solange aber die Cloud-Lösungen nicht stehen und die Entwicklung in Richtung autonomes Fahren und die Nutzung von KI nicht erkennbar sind, wird es keine Quantensprünge in der Digitalisierung geben. Neben der Batterieproduktion ist die Cloud der zweite Schlüssel, um die Innovations- und Leistungsfähigkeit der deutschen Automobilindustrie voranzubringen.

Dirk Evenson: Insbesondere in einem übergreifenden Datenraum Mobilität liegt die Chance, ein europäisches Betriebssystem Mobilität zu kreieren und zur Innovationsplattform auszubauen. Wenn wir erfolgreich sind, auch über Europa hinaus.

Portrait: Dirk Evenson
Dirk Evenson

Welche Rolle spielt das autonome Fahren bei der Transformation? Und bleibt es eine Utopie oder wird es tatsächlich Realität?

Dirk Evenson: Automatisiertes Fahren mit Pkw im Stadtverkehr ist weder kurzfristig machbar noch wünschenswert. Aber es wäre in einem erweiterten öffentlichen Personennahverkehr hilfreich, der auch einen On-Demand-Service mit kleineren Fahrzeugen anbietet. Es wäre auf einem abgeschlossenen Campus oder in den Außenbezirken denkbar – da ist es auch finanzierbar. Ich kann es auch auf Strecken mit baulich getrennten Fahrspuren realisieren, die komplexitätsreduzierter sind.

Wolfgang Schroeder: Ich habe auch den Eindruck, dass diese Frage des automatisierten Fahrens eine Art Utopie ist. Wir sprechen in der Technologiepolitik auch von den «Missionstechnologien». In diesem Sinne ist das autonome Fahren «the man on the moon». Und dies zielt natürlich auch auf eine Machtdemonstration. Wer das kann, der ist in der Lage, die Daten zu beherrschen, die Knotenpunkte zu verbinden und eine eigenständige, progressive Form von Zukunft zu zelebrieren.

Eigentlich ist ja der Klimaschutz die Antriebsfeder für den Umbau der Automobilindustrie. Die Autoindustrie muss sich aktuell auf noch strengere EU-Grenzwerte für den CO2-Ausstoß von neuen Autos einstellen. Wird das den Umstieg der Autoindustrie auf Elektromobilität in Europa beflügeln?

Wolfgang Schroeder: Ich denke ja, nur müssen die Voraussetzungen dafür gegeben sein, in der Infrastruktur, in der Technologie, aber auch bei den Rohstoffen. Wir wissen zum Beispiel noch nicht, ob wir die dafür notwendigen Rohstoffe in Zukunft so garantieren können, wie das bei der fossilen Produktion in der Vergangenheit der Fall gewesen ist. Niemandem ist mit einer überzogenen Ankündigungspolitik geholfen. Es ist aber wichtig, darauf hinzuweisen, dass wir keine Zeit zu verlieren haben, dass wir nachhaltig vorgehen müssen.

Was schlagen Sie also vor?

Wolfgang Schroeder: Ich bin eigentlich ein Freund davon, einen machbaren Strategieplan vorzulegen: Also 2030 oder 2035 sollte der Verbrennungsmotor auslaufen. Dann haben alle Akteure ein Datum, auf das sie sich einstellen können. Wenn das Ziel klar ist, kann man auch darüber sprechen: Wer ist der Gewinner? Wer ist der Verlierer? Wie kann man in diesem Prozess Ausgleichsmöglichkeiten einbauen, so dass es am Ende auch gesellschaftspolitisch ein tragfähiges Projekt ist?

Ist es denn überhaupt richtig, sich bereits jetzt auf Elektromobilität festzulegen? Oder wäre es besser, technologieoffen heranzugehen und vielleicht auch alternative Kraftstoffe oder Wasserstofffahrzeuge und Ähnliches in den Blick zu nehmen?

Dirk Evenson: Wir haben lange viel geforscht und entwickelt zu eFuels und Wasserstoff, die Technologien aber nie industrialisiert. Derweil hat sich international die Batterie etabliert. Wir haben nun schlicht keine Zeit mehr, mit noch nicht industrialisierten Technologien Flottengrenzwerte erreichen zu wollen. Doch bei Bus und Lkw sehe ich Chancen. Ggf. kommen über die Nutzfahrzeuge diese Technologien auch wieder beim Pkw an, wie früher der Diesel. Doch für Pkw, heute: eindeutig Batterie. 

Wolfgang Schroeder: Die Entscheidung fiel im Frühjahr 2019, als VW sagte: Wir setzen alles auf Elektromobilität. Wir haben die Chance, mit der Elektromobilität eine Pole-Position im europäischen Markt zu erringen und fordern jetzt vom Staat, dass er die Infrastruktur für die Elektromobilität organisiert. Das hat den VDA damals fast zum Zusammenbrechen gebracht, weil den anderen – Mercedes, BMW etc., die seit zwanzig, dreißig Jahren mit Wasserstoff und auch Elektro agieren, aber weiter technologieoffen bleiben wollten – das nicht so recht war. Das war, aus meiner Sicht, der entscheidende Moment.

Das Elektroauto löst unsere Verkehrsprobleme nicht. Wir stehen dann bald mit dem Elektroauto im Stau und nicht mehr mit dem Verbrenner. Zum Abschluss deswegen ein Wort von Ihnen beiden: Wie stellen Sie sich die Mobilität der Zukunft vor? Welche Rolle soll das Auto künftig spielen?

Dirk Evenson: Künftig wird das Auto in vielen Bereichen eine Rolle haben – doch nicht so vorrangig wie heute, sondern eingebettet sein in ein integriertes, leistungsfähiges und attraktives Mobilitätssystem, nachhaltig und zugänglich. In einer Welt, in der wir beim Wort «Unfall» nicht mehr sofort an Verkehr denken, und Straßen nicht als Platz für Autos, sondern als Raum für Menschen wahrnehmen. So freue ich mich auch künftig auf eine Überlandfahrt mit Freunden.

Wolfgang Schroeder: Wir werden in den nächsten Jahren einerseits eine kulturelle Abrüstung im Hinblick auf das Auto erleben und andererseits eine fortschreitende technologische Aufrüstung. Das gibt Anlass zur Hoffnung, dass wir auch klimapolitisch und gesundheitspolitisch weiterkommen. Das Automobil muss dafür digitaler und ökologisch verträglicher werden. Gleichzeitig müssen wir den öffentlichen Personennahverkehr neu aufstellen. Wenn wir dann eine intelligente Vernetzung von individuellem und öffentlichem Verkehr schaffen, wäre das eine gute Grundlage für eine leistungsstarke und auch sozial integrative Mobilität für alle.


Wolfgang Schroeder ist Professor für Politikwissenschaften an der Uni Kassel und Fellow am Wissenschaftszentrum Berlin (WZB). Er war viele Jahre bei der IG Metall und verantwortete dort zuletzt die Abteilungen Grundsatz- und Sozialpolitik. Von 2009 bis 2014 fungierte er als Sozial-Staatssekretär in Brandenburg. Schroeder gehört der Grundwertekommission der SPD an.

Dirk Evenson berät mit seiner Agentur zu Fragen der digitalen Transformation und Nachhaltigkeit. Der Mobilitätsexperte hat die New Mobility World + IAA Conference konzipiert und umgesetzt. Zuvor war er Partner von Scholz & Friends und leitete die Kommunikation des VDA.

Ute Czylwik ist freie Journalistin und lebt in Berlin. Nach Stationen im Brandenburger Infrastrukturministerium und bei der Deutschen Energie-Agentur beschäftigt sich die Politologin insbesondere mit Energie- und Klimaschutz­politik sowie mit Stadtentwicklungsthemen.

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