Wie wird die Bauindustrie zukunftsfest?

Tagungsdokumentation

Konferenz "Baustelle: Zukunftsfeste Industrie #4". Zweiter Konferenztag, 1. Juni 2021: "Wie wird die Bauindustrie zukunftsfest?" Impuls-Vortrag von Dr. Galina Churkina und Panel-Gespräch mit Dr. Christine Lemaitre, Reinhold Müller und Andreas Otto.

 Zukunftsfeste Industrie - Wie wird die Bauindustrie zukunftsfest?

  

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Die Bauwirtschaft gehört mit rund 870.000 Beschäftigten und 75.000 Unternehmen allein im Bauhauptgewerbe zu den größten Branchen in Deutschland. Um Bauboom und Umweltschutz in Einklang zu bringen, sind innovative Baukonzepte und -stoffe notwendig.

Impuls-Vortrag

Dr. Galina Churkina, Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung

 

Zusammenfassung

Bauen mit Holz kann auf doppelte Weise zur Verminderung von Treibhausgasen beitragen: Erstens werden Emissionen aus der Zement- und Stahlproduktion vermieden. Zweitens wirken die Holzgebäude als Kohlenstoffsenke. Entscheidend ist, dass das Holz aus nachhaltiger Forstwirtschaft stammt.

Der doppelte Klimanutzen des Holzbaus

Frau Churkina befasste sich in ihrem Vortrag aus naturwissenschaftlicher Sicht mit dem Klimanutzen des Holzbaus. Das heißt sie fokussierte insbesondere auf die Materialien und skizzierte technische Möglichkeiten für klimaschonendes Bauen.

Galina Churkina zeigte auf, dass die Verwendung von Holz statt Zement und Stahl einen doppelten Nutzen für die Klimastabilisierung haben könnte: Erstens würden enorme Treibhausgas-Emissionen aus der Zement- und Stahlproduktion vermieden. Zweitens würden Holzgebäude zu Kohlenstoff-Senken. Denn im Bauholz ist das CO2 gespeichert, das zuvor von den Bäumen aus der Luft aufgenommen und in den Stämmen eingelagert wurde. Aktuell dominieren Zement und Stahl nicht nur die Städte. Zement und Stahl sind schlechte Kohlenstoffspeicher und bei der Herstellung wird, chemisch bedingt, CO2 freigesetzt. Eine Tonne Holz hingegen speichert bis zu einer halben Tonne Kohlenstoff.

Urbanisierungsprozesse führten weltweit zu einem Bauboom, machte Frau Churkina deutlich. Bis 2050 würden 2,3 Milliarden Menschen neu in Städte ziehen. Dies könnte zu hohen zusätzlichen CO2-Emissionen führen. 50% der notwendigen Neubauten müssten daher aus Holz gebaut werden, um die CO2-Emissionen der restlichen Neubauten aus Stahl und Beton zu neutralisieren. Urbanisierung könnte aktiv zur CO2-Speicherung beitragen, wenn mehr als 50% der Gebäude aus Holz gebaut würden. In Plantagen und nicht geschützten Wäldern sei genug Holz verfügbar, um den Bedarf zu decken, so Frau Churkina. Eine nachhaltige Bewirtschaftung dieser Wälder und Plantagen, sowie das Recycling von Bauholz sei jedoch entscheidend.

Panel-Gespräch

mit Dr. Christine Lemaitre (Deutsche Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen), Reinhold Müller (müllerblaustein HOLZBAUWERKE) und Andreas Otto (MdA, Bündnis 90/ Die Grünen).

 

Zusammenfassung

„Wir können heute schon Zukunft bauen,” waren sich die Gäste einig, man müsse es nur wollen. Es komme auf die Baumaterialien an und welche Bauformen mit welchen Rahmenbedingungen und Instrumenten wie gefördert würden. Zudem wurde darüber gesprochen, welche weiteren Faktoren einen klimaneutralen Gebäudebestand ermöglichen (z.B. Gebäudenutzung, Fachkräfte, digitale Gebäudeausweise). Es wurde deutlich, dass dem Staat als „Bauaufsicht“ und der öffentlichen Hand als Nachfrager und Betreiber eine zentrale Rolle zukommt.

Politische Rahmenbedingungen für klimaschonendes Bauen

Frau Lemaitre führte aus, dass es an den richtigen Rahmenbedingungen und Anreizen mangele, um Klimaneutralität praktisch anzugehen – Dänemark und Frankreich seien ordnungsrechtlich einen Schritt weiter. In Frankreich sei die Ökobilanzierung von Gebäuden verpflichtend vorgeschrieben und Dänemark schreibe CO2-Ziele entlang der gesamten Wertschöpfungskette vor, berichtete Frau Lemaitre.

Graue Energie und CO2-Senkeneffekte müssten in der deutschen Gesetzgebung eine wichtigere Rolle spielen. In Deutschland sei man zu sehr auf Effizienz fixiert, netto CO2-Einsparungsziele gerieten damit aus dem Blick, sagte Frau Lemaitre. Frau Lemaitre und Andreas Otto sagten, dass Gebäudeenergiegesetz müsse an die Pariser Klimaziele angepasst werden. Das sei eine Sofort-Aufgabe für die neue Bundesregierung.

Frau Lemaitre vertrat einen CO2-Budget-Ansatz für Gebäude. Die Zielerreichung für ein Gebäude müsse eindeutig und verbindlich geregelt sein. Mit welchen Baustoffen und Technologien dieses Ziel erreicht wird, sollte jedoch politisch nicht festgelegt werden. Ihr Plädoyer für Technologieoffenheit begründete sie damit, dass z.B. das Verbauen von neutral hergestelltem Zement unter bestimmten Umständen klimaschonender sein könne als Holz.

 Andreas Otto berichtete, dass in Berlin öffentliche Gebäude vermehrt mit Holz gebaut würden. Mit einem Mix aus Überzeugen und Werben, Geld ausschütten und Ordnungsrecht werde Holzbau politisch vorangebracht. Zudem diskutiere man in Berlin auch über eine Förderung, um Dämmen mit Stroh und Hanf in eine breitere Anwendung zu bringen.

Herr Müller berichtete, dass veraltete Bauvorschriften die Nutzung mancher nachhaltiger Materialien erschwere. Dabei wisse man, wie mit natürlichen Dämmstoffen und Holz sicher und brandgeschützt gebaut werden könne. Auch wies er darauf hin, dass es in Deutschland genug Holz gebe, eine nachhaltige Bewirtschaftung sei weiterhin möglich. Dabei sprach er jedoch einen möglichen Nutzungskonflikt um Holz an: Aktuell, so Müller, werde nur etwa 18% des verfügbaren Holzes im Bau verwendet, der Rest werde zum Beispiel in der Papierherstellung genutzt, oder verheizt.

Facetten einer nachhaltigen Bauwirtschaft

Als Herausforderung identifizierte Frau Lemaitre die mangelnde Bereitschaft von Planern und Bauträgern, sich auf nachhaltige Materialien und Prozesse einzulassen. Alle Akteure – von der Bank, über die Architekt:innen, die Baufirma und Handwerker:innen, bis zu den Nutzer:innen – müssten gewillt sein, nachhaltig zu bauen bzw. dieses zu finanzieren. Die Bauverantwortlichen seien zurückhaltend bei der Nutzung von nachhaltigen Baustoffen wie Holz, Hanf etc. Sie kennen die Stoffe noch nicht so gut, fürchten sich vor kostspieligen Fehlern und Haftungsfragen.

Das Thema Nachverdichtung und Aufstocken wird vor allem in den Innenstädten immer wichtiger. Herr Müller verwies darauf, dass Holzbauten hierfür besonders geeignet seien. Die Holzbaubranche sei jedoch sehr klein, es gäbe nur wenige erfahrene Architekten und Planungsbüros, das treibe die Kosten, so Herr Müller.

In der öffentlichen Verwaltung, so Andreas Otto, gelte Kosteneffizienz noch immer als das Maß aller Dinge. Er forderte daher ein größeres Bewusstsein für klimasensible und kontextabhängige Bauentscheidungen, auch um beispielsweise Gebäude länger Nutzen zu können statt neu zu bauen. Frau Lemaitre hingegen wies darauf hin, dass Sorgen um die Rentabilität nicht von der Entscheidung für klimaneutrales Bauen ablenken sollten. Sie könne nicht bestätigen, dass Nachhaltigkeit automatisch zu höheren Baukosten führe.

Herr Otto berichtete außerdem, dass es in der öffentlichen Verwaltung bisher an Erfahrung fehle, wie man Gebäude aus nachhaltigen Baustoffen in Auftrag gibt. Die Arbeitsprozesse bei einem Lehm- oder Holzhaus seien andere, das hätte Auswirkungen auf die Bestell- und Ausschreibungsprozesse.

Auf Digitalisierung in der Bauwirtschaft wurde nur am Rande eingegangen. Reinhold Müller berichtete, dass Robotik und Building Information Modeling (BIM) für ihn im Holzbau schon lange dazugehöre.  BIM ist eine Art digitaler Gebäudeausweis. Bislang werden im Rahmen von BIM keine eigenen Daten explizit für die Nachhaltigkeit abgefragt, potenziell könnten aber die Qualität und Konsistenz der Nachhaltigkeitsinformationen erhöht werden.  

Publikumsbeiträge

Aus dem Publikum kam die Frage, welche Vergabekriterien klimaschonendes Bauen anreizen könnten. Als Vorschlag wurde ein „Bonus-Punkte-Programm“ für Unternehmen genannt, die regional arbeiteten und bei ihren Baumaschinen auf ökologische Nachhaltigkeit achteten. Laut Andreas Otto schaffen die Vergabegesetze der Länder schon heute einen rechtlichen Rahmen, der es erlaubt, Nachhaltigkeitskriterien bei der Auftragsvergabe heranzuziehen. Er sah das Problem weniger in der rechtlichen Rahmengestaltung als in der praktischen Anwendung. Die Vergabestellen fürchteten sich vor Vergabebeschwerden und tendierten daher dazu, die billigsten Anbieter zu bevorzugen. In Berlin, so Herr Otto, arbeite man daran, eine andere Bau- und Vergabekultur zu schaffen. Darin sah auch Frau Lemaitre den richtigen Ansatz. Sie bestätigte, dass die Vergabe von Bauaufträgen nach Öko-Kriterien rechtlich bereits möglich sei. Man müsse jedoch eine Baukultur etablieren, die die Verantwortung nicht auf einzelne Entscheidungsträger in der kommunalen Verwaltung abwälze.

Ein weiteres Diskussionsthema stellte die Herausforderung des Fachkräftemangels in der Baubranche dar. Herr Müller forderte, dass technisches Denken und praktisches Arbeiten schon früh in der Schule gefördert werden solle. In Ausbildungsgängen der Baubranche müssten mehr Wissen und Kompetenzen zu nachhaltigem Bauen vermittelt werden.

Dieses Thema bewegte einen Gast zu der Frage, welche Rolle das Handwerk dabei spielen könne. Christine Lemaitre wies darauf hin, dass das Handwerk sehr dezentral und kleinteilig organisiert sei. Dadurch bedingt sei es schwerer, Wissen über nachhaltige Arbeitsmethoden flächendeckend ins traditionelle Handwerk einzubringen. Zimmermann Reinhold Müller sieht die Zukunft im “Handwerk 4.0” – der klugen Zusammenarbeit zwischen Mensch und Maschine. Er nutze Robotik und digitale Planungsprozesse, erklärte Müller, aber das gehe nicht ohne gut ausgebildetes Personal. Es mangele jedoch an Menschen, die heutzutage eine Ausbildung am Bau beginnen. Herr Otto betonte, wie wichtig es daher sei, junge Menschen für technische Beruf zu gewinnen: „Mit der Ausbildungsfrage steht und fällt die Zukunft des nachhaltigen Bauens.”

Take-Aways                                                                           

  • Nachhaltigkeit muss auf allen Ebenen implementiert werden: verwendete Rohstoffe und Baumaterialien, Betrieb des Gebäudes (Heizen, Kühlen), Nachnutzungsphase (Recycling statt „Verschrottung“).
  • Holzbau hat doppelten Klimanutzen: 1.Vermeidung von Treibhausgas-Emissionen aus der Zement- und Stahlproduktion, 2. fungieren Holzgebäude als Kohlenstoff-Senken.
  • Dennoch sollte man nicht nur auf die verwendeten Materialien achten (siehe Punkt 1) und Holz zum non-plus-ultra erklären.
  • In kommunaler Verwaltung und Öffentlichkeit ist eine Kultur zu fördern, die nachhaltiges Bauen fördert und erwartet.
  • „Mit der Ausbildungsfrage steht und fällt die Zukunft des nachhaltigen Bauens.”