"Deutschland wählt einen Partner für Putin“ - Reaktionen in Russland auf die Bundestagswahl

Kommentar

Deutschland ist Russlands wichtigster Handelspartner und noch immer der Schlüsselkontakt zur Europäischen Union. So wurde der Ausgang der Wahl auch in russischen Medien aufmerksam verfolgt.

Blick auf den Kreml bei Nacht, davor ein Fluss und eine Brücke

Deutschland ist Russlands wichtigster Handelspartner und Fürsprecher in der Europäischen Union und stellt für Russland noch immer den Schlüsselkontakt zur Europäischen Union dar. Daher ist der Ausgang der Wahl auch in den russischen Medien breit verfolgt worden. Vor allem die Frage, was das Ergebnis für die deutsch-russischen Beziehungen bedeutet, stand im Vordergrund. So titelte denn auch Ria Novosti noch vor der Wahl: „Deutschland wählt einen Partner für Russland“.

„Die grüne Bedrohung“

So lautete eine Schlagzeile in der russischen Online-Zeitung gazeta.ru. Bereits im Vorfeld der Bundestagswahl machten russische Offizielle denn auch keinen Hehl aus ihren Präferenzen für den Wahlausgang. Alexei Puschkov, der Vorsitzende der Kommission für Informationspolitik und Zusammenarbeit mit den Medien des Föderationsrates nannte die Wahlergebnisse der Grünen die wichtigste offene Frage für Russland.

„Das ist die einzige wirklich offene Frage der deutschen Wahlen für Russland – ob die Grünen ins nächste Kabinett einziehen und versuchen werden, die ohnehin zu komplizierten Beziehungen zwischen Moskau und Berlin zu verderben. Die Grünen sind harte Atlantiker und Gegner von Nord Stream 2. Sie nehmen traditionell eine antirussische Haltung ein. Ohne sehr gute Ergebnisse werden sie jedoch nicht in der Lage sein, die Außenpolitik Deutschlands ernsthaft zu beeinflussen“.

Die dezidierte Ablehnung von Nord Stream 2, die offene Kritik an Menschenrechtsverletzungen in der Russischen Föderation, die Befürwortung weiterer Sanktionen, oder der Vorschlag Robert Habecks, die Ukraine mit Drohnen auszustatten, stehen in starkem Kontrast zu den Vorstellungen der russischen Entscheidungsträger/innen. Auch die Forderung der Grünen, den Kampf gegen den Klimawandel zu beschleunigen und sich von der Nutzung fossiler Brennstoffe zügig zu verabschieden, stellt das russische Geschäftsmodell in Frage.

Wirtschaftliche und politische Streitpunkte zwischen Russland und Deutschland könnten besser mit der CDU oder der SPD beigelegt werden, so die landläufige Haltung in Moskau. Mit einem „roten Kanzler“, der Putin loyal ergeben sei, und der in der Tradition Gerhard Schröders handle oder eine europäische Ostpolitik entwickeln wolle, so war zu lesen, könne man arbeiten. Aber auch Armin Laschet, der sich für Nord Stream 2, und gegen weitere Sanktionen aussprach, wäre ein geeigneter Ansprechpartner.

„Im Kreml kann man den Sekt öffnen“

So zitierte das Portal svoboda.org Kommentare aus den sozialen Medien. In der Tat müsste man denn auch im Kreml mit dem Wahlausgang recht zufrieden sein. Bündnis 90/Grüne haben nicht so gut abgeschnitten, wie dies im April noch prognostiziert wurde. Außen- und Sicherheitspolitik, und damit auch die deutsche Russlandpolitik spielten im Wahlkampf kaum eine Rolle. Die Vorwürfe an Russland, sich in den Wahlkampf eingemischt haben, waren moderat. Die russischen Beobachter und Beobachterinnen konzentrieren sich nun auf die Frage, wer in den Koalitionsverhandlungen eigene Positionen durchsetzen kann und wer das Außenministerium übernehmen wird, obgleich ein Kommentator sogleich anmerkte, dass Präsident Putin sowieso nur direkt mit dem Kanzler verhandeln würde. Moskau rechnet mit einer stabilen und berechenbaren Kontinuität in der deutschen Außenpolitik, also einer Fortsetzung von Merkels „Politik der kleinen Schritte“, wie sie genannt wurde.

Nur am Rande wurden auch einige für Russland außergewöhnliche und  nicht vorstellbare Kandidatinnen vorgestellt. Insbesondere Tessa Ganserer und Nyke Slavik schafften es in die russischen Medien, als erste Transfrauen, die sich im Bundestag für queere Belange einsetzen wollen. Als grüne Abgeordnete eignen sie sich, die russischen Vorurteile gegen Bündnis 90/Die Grünen zu bestätigen – liberal und als Vorreiterinnen einer „neuen Ethik“ wie in Russland die Befassung mit Identität und Identitätspolitik genannt wird.

Wenig Osteuropa- und Russlandexpertise im neuen Bundestag

Bedauert wurde, dass im neuen Bundestag vermutlich noch weniger Abgeordnete mit dezidierter Osteuropa- und vor allem auch Russlandexpertise vertreten sein werden, die trotz bestehender Differenzen zwischen den Ländern gemeinsame Projekte voranbringen wollen und können. Daraus abgeleitet wurde der Wunsch, die Diskussionen zu den deutsch-russischen Beziehungen auf eine breitere Basis zu stellen und Politiker und Politikerinnen hierzu einzuladen. Eine Aufgabe, der sich die Heinrich-Böll-Stiftung - auf zivilgesellschaftlicher und politischer Ebene - seit vielen Jahren stellt.