Kolonya: Von einer Stadt zur anderen

Anekdote

Bei aller Komplexität reichen die deutsch-türkischen Beziehungen mehr als 60 Jahre zurück und haben im Laufe der Jahrzehnte viele Spuren ihrer gemeinsamen Geschichte hinterlassen. Eine davon ist das Kölnisch Wasser. Es hinterlässt einen angenehmen Duft und hat - wie der Name schon sagt - seinen Ursprung in Köln. Es landete jedoch in der Türkei. Wie es dazu kam? Wir nehmen Sie gerne mit auf eine kurze und duftende Reise!

Kölnisch Wasser

Kölnisch Wasser zwischen Deutschland und der Türkei
Eine dufterfüllte Familiengeschichte!

Nicht immer rosig gestaltete sich die gemeinsame Geschichte zwischen Deutschland und der Türkei. Und doch müssen wir uns am 60. Jahrestag des Anwerbeabkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Türkei eingestehen, beide Staaten und ihre Bevölkerungen verbindet mehr, als sie trennt.

Die deutsch-türkischen Beziehungen sind vielschichtig und gehen viel weiter zurück als 60 Jahre. Sie haben in den vergangenen Jahrzehnten viele Spuren in ihrer gemeinsamen Geschichte hinterlassen. Eine dieser Spuren ist Kolonya, das seine Wurzeln - wie aus dem Namen ersichtlich - in Köln hat, auf seinem Weg einen Schlenker über die Türkei machte und heute noch seine schönen Düfte verströmt.

Auch wenn es in letzter Zeit in aller Munde und „auf aller Händen“ ist, wissen wahrscheinlich die meisten in der Türkei und in Deutschland nicht, dass Kolonya ein Produkt der deutsch-türkischen Verbundenheit ist. Als ich zum ersten Mal vor 20 Jahren in die Türkei kam, gab es Kolonya überall, von Fernbussen bis zu den Restaurants und den Barbierläden. In den vergangenen Jahren begegnete man ihm kaum noch; es wurde von den viel umweltschädlicheren Feuchttüchern verdrängt. Erst aufgrund der Pandemie trat es als eine Art Desinfektionsmittel wieder in den Vordergrund.

Damit sich der Kreis schließt, und auch die Deutschen verstehen, wie schön die Familiengeschichte duftet, ist es an der Zeit, dass Kolonya nach Deutschland zurückkehrt!

Geruch, als einer der Sinne

Der Geruchssinn ist einer der fünf Sinne, durch den wir in Kontakt mit der Welt treten. Ich glaube, er ist ein zurückhaltender Sinn, denn uns fehlt die Sprache, um Gerüche zu beschreiben und über sie zu sprechen. Deshalb borgen wir von den anderen Sinnen Worte wie „süß“, „schwer“ oder „weich“ und sollten diese nicht ausreichen, nutzen wir Vergleiche wie „der Geruch der Erde nach dem Regen“ oder „neu gemähter Rasen“, um über einen Duft zu sprechen oder zu schreiben. Es gibt in unserem Leben für Gerüche keine eindeutige Beschreibung, während, wenn das Wort „gelb“ fällt, wir uns alle über die Farbe einig sind.

Das sollte Sie aber nicht in die Irre führen, denn, dass man Gerüche nicht in Worte fassen kann, macht sie nicht unwichtig. Vielmehr ist der Geruchssinn einer unserer wichtigsten Sinne, für das Überleben des Individuums und der Spezies. Unsere Vorfahren, insbesondere als sie noch in Höhlen lebten, hätten sich nicht im Geringsten vorstellen können, wie einfach das Leben für uns heute ist. Wenn wir Hunger haben, bestellen wir Essen über unseren Computer - inzwischen reicht sogar das Handy hierfür. Die Auszeichnung der Lebensmittel sagt uns, ob diese für uns gesund oder frisch genug sind. Noch wichtiger ist, für jede Mahlzeit können wir aus einer großen Auswahl das für uns Schmackhafteste aussuchen.

Das Leben unserer Urgroßvorfahren war hingegen anders. Für sie bedeutete eine Mahlzeit, zu essen, wenn etwas vorhanden war. Sie hatten nicht die Wahl zu denken: „Das esse ich nicht, ich warte mal die nächste Jagd oder Obstsaison ab“. Für sie war die Kategorie der Hunger und nicht der Appetit. Unsere Vorfahren hatten nur ihre Sinne zur Orientierung. Der Geruchsinn ermöglicht es uns, auf zwei Arten Duftreize wahrzunehmen. Zunächst nehmen wir die äußerlichen Duftreize wahr (orthonasal), und wenn etwas zu trinken oder zu essen in der Mundhöhle ist, nehmen wir die Duftreize über den Gaumen (retronasal) wahr. Im Zusammenspiel mit den weiteren Sinnesorganen konnten somit unsere Vorfahren ihren Hunger stillen.

Die Duftreize dienen natürlich nicht nur zur Ernährung. Duftreize, die bedrohliche Quellen signalisieren, wie Futter für andere Lebewesen zu werden, oder eine Feuergefahr, sorgen dafür, dass man nicht zu diesen Quellen hingeht, sondern vor ihnen flieht.

Der Geruchsinn hat noch eine weitere erwähnenswerte Funktion: Er sorgt für die Fortpflanzung und sichert das Überleben der Spezies. Bei dem Wort Fortpflanzung kommt natürlich Sexualität in den Sinn. Das soll es auch. Jedoch nicht gewisse Parfüms, deren Werbung mit dem Versprechen der sexuellen Anziehungskraft locken, denn wir sprechen hier nicht von Gerüchen, die Menschen herstellen. Wir sprechen vielmehr vom Körpergeruch des Menschen. Wenn Ihr denkt: „Was hat mein Körpergeruch mit der Fortpflanzung zu tun?“, dann ist die Antwort kurz: Je stärker das Immunsystem des Partners sich von dem eigenen unterscheidet, desto gesünder ist die kommende Generation, desto größere Überlebenschancen hat das Neugeborene und desto größer ist die Chance, als Widerstandsfähiger die Spezies fortzuführen.

Es ist eine Gruppe von Genen, die das Immunsystem eines jeden von uns regulieren: MHC (Haupthistokompatibilitätskomplex). Der MHC hat wie alle unsere anderen genetischen Eigenschaften ein äußeres Erscheinungsmerkmal, also einen Phänotyp. Wie Ihr schon vermutet habt, ist dieser Phänotyp unser Körpergeruch. Deshalb sendet unser Körpergeruch, ohne dass wir uns dessen bewusst sind, Hinweise auf unsere genetische Zusammensetzung. So sieht kurz gefasst die Verbindung zwischen Geruch und Fortpflanzung aus. Viele Blindversuche haben ergeben, dass Menschen - unbewusst - bei der Partnerwahl anhand des Geruches den Partner auswählen, dessen Immunsystem sich am stärksten von ihrem eigenen unterscheidet.

Auf diese Art pflanzte sich die Spezies Mensch seit Tausenden von Jahren fort. Doch diese Form der Partnerwahl verliert heutzutage immer mehr an Bedeutung. Denn relativ gesehen gewinnen neue Umstände wie zum Beispiel die soziale Institution der Ehe - die Einstellung beim Menschen im Gegensatz zu anderen Lebewesen also, dass Paarbeziehungen nicht auf Fortpflanzung aufbauen und nach Möglichkeit ein Leben andauern sollten -, einen größeren Einfluss. Seitdem in der Partnerschaft das Ziel der Fortpflanzung den sozialen Beziehungen weichen musste, sind auch die Parameter bei der Wahl des Partners nicht mehr biologische, sondern soziale Parameter. Dies mindert gewissermaßen die Wichtigkeit des Geruchsinns. Auch nutzen wir so viele Duftprodukte - von Seife bis zur Schuhcreme - dass es fast unmöglich geworden ist, den natürlichen Körpergeruch des anderen wahrzunehmen.

Verglichen mit den übrigen Sinnen ist der Geruchssinn privilegiert. Die Verarbeitung von Gerüchen im Gehirn erfolgt zuerst durch die Bindung der Duftmoleküle an die Rezeptoren im sogenannten limbischen System, das für die Gefühle und das Gedächtnis zuständig ist. Auch die Reize der anderen Sinnesorgane kommen im limbischen System an, jedoch sind diejenigen des Geruchssinns privilegiert, sie kommen ohne eine kognitive Filterung direkt im System an. Dies deutet darauf hin, dass wir keine Kontrolle über unsere Reaktionen auf Gerüche haben und dass ein Geruch uns auf eine Zeitreise in die Vergangenheit mitnehmen kann.

Diese Wirkung ist nicht zu unterschätzen. Erinnern wir uns nur daran, dass Marcel Proust - ausgelöst von einem in Tee getunkten Gebäckstück - eine Gedächtnisreise in seine Kindheit unternahm und sein 3000-seitiges literarisches Werk „Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“ schrieb.

Wie kam es jedoch dazu, dass uns der Duft von Objekten in der Natur, wie der von Bäumen, Blumen, Tieren, Wurzeln oder Harzen, nicht mehr ausreichte und wir den Wunsch verspürten, diese zu einem Teil unseres Lebens zu machen? Anders gefragt, seit wann nutzt der Mensch Duftstoffe und deren Quellen entgegen ihrer ursprünglichen Bestimmung für seine Wünsche und Bedürfnisse? Diese Frage führt uns unweigerlich zu den Anfängen der Geschichte des Parfüms.

Polytheisten

Es wäre nicht falsch zu behaupten, dass die Geburt der polytheistischen Religionen auch die Geburt des Parfüms war. Menschen, die an mehr als eine abstrakte Gestalt glaubten und Erwartungen an diese hatten, brauchten auch ein abstraktes Werkzeug wie den Duft, um diese Botschaften zu übermitteln. In den Anfängen gab es noch keine Kompositionen aus mehreren Gerüchen. Das, was duftete, sei es ein Baum oder Harz, wurde so, wie es war, ins Feuer geworfen und die durch den Rauch weiter getragenen Duftmoleküle ließen den Dank und die Botschaften an die Götter aufsteigen. Die berühmteste Bezeichnung für Duftstoffe ist das Wort „Parfüm“, das seinen Ursprung genau in diesem Ritual hat. „Fumum“ bedeutet im Lateinischen Rauch und „per“ durch. „Per fumum“ bedeutet also „mit dem Rauch“ oder „durch den Rauch“. Natürlich ist dieses Parfüm nicht das, was wir heute darunter verstehen: Es wird nicht aufgetragen, sondern entsteht durch Verbrennung. 

Das Verbrennen der Duftstoffe diente nicht nur der Übermittlung von Botschaften. Die Wahrnehmung der Duftstoffe markierte auch zugleich einen religiösen Ort der Gemeinschaft. Deshalb war der Ort, an dem der Duftstoff wahrgenommen wurde, ein Tempel und seine Zusammensetzung war ein Erkennungszeichen des Tempels.

Ein Problem warfen diese Duftstoffe allerdings auf: Sie konnte nicht transportiert werden. Deshalb wurden Trägersubstanzen entwickelt, mit deren Hilfe der Duftstoff aufbewahrt werden konnte. Heute ist die Trägersubstanz von Duftstoffen hauptsächlich Alkohol. Doch in der damaligen Epoche war Alkohol noch nicht entdeckt, weshalb Öle als die damals einzig geeigneten Trägersubstanzen verwendet wurden. Die Duftstoffe wurden in Öl gelegt, bis sich die Duftmoleküle mit dem Öl verbanden, also auf dieses übergegangen waren. Anschließend wurden die Duftstoffe entfernt und das Öl selbst als Duftstoff genutzt. Auf diese Art mussten die Duftstoffe für ihre Entfaltung nicht mehr verbrannt werden, sondern erlangten die Freiheit, überall hin getragen zu werden. Später stellte man Duftkompositionen her, in dem man diverse Öle in bestimmten Mengen mischte, so wie es uns von den heutigen Parfüms her bekannt ist.

Obwohl wir all dies wissen, ist es nicht möglich zu sagen, das Parfüm an diesem oder jenem Ort entdeckt wurde. Spuren von Parfüms finden wir an unterschiedlichen Orten in nah beieinander liegenden Zeiträumen. Es wird berichtet, dass Parfümflaschen, die älter als 4000 Jahre sind, in Zypern gefunden wurden. In der jüngeren Zeit, um 1900 herum, wird eine Parfümfamilie vorwiegend aus Duftbausteinen der Mittelmeerländer kreiert und Chypre, nach der Insel, genannt. Heute gehört Chypre zu den klassischen Duftnoten und wird zur Klassifizierung von Parfümen genutzt.

Fast zur selben Zeit gibt es in verschiedenen Regionen und Kulturen, wie in Indien und China, Stoffe, die beim Verbrennen Düfte verbreiten. Gemeint ist der Weihrauch als Parfüm. Auf einer Keilschrifttafel aus Mesopotamien wird über eine Frau namens Tapputi-Belatekallim berichtet, die im Palast arbeitet. Diese Frau ist die erste Chemikerin und Parfümherstellerin der Welt. Manchmal bewahrte sie verschiedene Harze und Blumen in einem Lösungsmittel auf und manchmal kochte sie diese in Wein. Sie destillierte und filterte ihre so erhaltene Flüssigkeit mehrmals und stellte sie dem Palast zur Verfügung.

Monotheisten

Auch wenn die alten Glaubenssysteme nichts von der Beziehung zwischen Gedächtnis, Stimmung und Geruch, über die ich im ersten Teil geschrieben habe, wussten, haben sie beim Übergang von Polytheismus zum Monotheismus sehr konsequent die Chronologie verfolgt und aufgrund der Funktion der spontanen Gedächtnis- und Stimmungsbelebung ebenfalls Duftstoffe verwendet. Daher findet sich auch eine Formel für die Parfümherstellung in der Tora. Dort sind akribisch Stoffmengen angegeben und als Trägersubstanz Olivenöl genannt. Wir reden über eine Zeit, in der allein der Zugang zum Olivenöl sehr viel schwieriger war, als wir es uns heute vorstellen können, ganz abgesehen von den anderen Substanzen. Das Olivenöl wurde damals nicht nur für Salate oder fürs Kochen verwendet, sondern war lebenswichtig und fand in Medikamenten oder zur Beleuchtung Verwendung. Somit können wir davon ausgehen, dass diese Formel zur Parfümherstellung auf ein ungeheuer teures Produkt zielte. Das „Salböl“ (shemen ha misha/holy anointing oil) genannte Parfüm, durfte das gemeine Volk nicht nutzen, dieses Privileg war den hohen Priestern vorbehalten.

Im Matthäusevangelium wird berichtet wie die drei Magi dem Stern von Bethlehem folgen und zur Geburt von Jesus Christus geführt werden. Caspar, Melchior und Balthasar, die auch als die drei Weisen aus dem Morgenland bekannt sind, knien sich vor dem Baby nieder, erkennen seine Heiligkeit und unterwerfen sich ihm. Die drei Könige kommen mit Geschenken. Diese sind Gold, Weihrauch (Boswellienharz) und Myrrhe. In fast allen Kulturen wurden diese zwei Harze ihres Geruchs wegen verbrannt. Aufgrund der Geschichte der Heiligen drei Könige wurden sie zum institutionellen Geruch des Christentums. Auch heute noch wird in den Kirchen Weihrauch in Räuchergefäßen verbrannt.

Im Islam werden im Koran sowie in den Erzählungen über das Leben der führenden Persönlichkeit des Glaubenssystems Duftstoffe und Parfüm häufig erwähnt. Moschus und Safran nennt der Koran in Bezug auf das im Diesseits versprochene Paradies. Und in diversen Hadithen heißt es, der Schweiß des Propheten habe nach Rosen geduftet und er sei ein Liebhaber von Duftstoffen gewesen.

Die Liebe

Alle Glaubenssysteme - ob Polytheismus oder Monotheismus -, haben komponierte Düfte in ihren Kanon aufgenommen. Jedoch haben Menschen, die in den Genuss dieser Düfte kamen, die Komposition auch außerhalb von religiösen Zwecken verwendet. Parfüme wurden wegen ihrer Eigenschaft, das limbische System direkt zu reizen, ein Wohlgefühl zu verbreiten und Anziehung zu erzeugen, zu einem Accessoire. Ein Accessoire ausschließlich für die Wohlhabenden und für den Adel. Im antiken Griechenland und Rom finden wir viele Beispiele für die Verwendung komponierter Düfte außerhalb religiöser Zwecke.

Die Geschichte der „Aphrodisiaka“, wie sie in die Sprachen Einzug fanden, geht auf den Schönheitswettbewerb auf dem Olympus, bei dem Aphrodite zur schönsten Frau gewählt wurde, zurück. Paris war der einzige Richter. Für die Wahl schickte Aphrodite Paris ein „betörendes“ Parfüm, damit er Helenas Herz gewinnen konnte.

Die Geschichten der Nutzung des Parfüms zu romantischen Zwecken und zur sexuellen Anziehung erreichte ihren Höhepunkt im Alten Ägypten mit Kleopatra. Die Begegnung zwischen Kleopatra und Marcus Antonius, der nach Caesars Ermordung die Verwaltung des Ostens des Römischen Reiches übernommen hatte, ist vielleicht die interessanteste in dieser Geschichte.

Der Erzählung nach legt das römische Schiff von Marcus Antonius im Hafen Tarsus an. Kleopatra kommt in einem Segelboot über den Fluss Cydnus, um Marcus Antonius zu empfangen. Im Boot sitzen junge Frauen und Männer mit ihren Instrumenten, Kleopatra trägt ein Kleid aus Tüll mit offenen Armen und reist in der Deckkabine umhüllt von goldenen Vorhängen. Nach der Überlieferung waren die Segel in violett, in der edlen Farbe Roms. Diese Tuchsegel seien zuvor in Duftöle getränkt worden, sodass das Boot, wenn Wind aufkam, nicht nur vorankam, sondern auch der Duft der parfümierten Öle vor ihm ans Ziel gelangte. Wir wissen, dass die beiden aus politischen Interessen die Heirat anstrebten, was ihnen zum Verhängnis wurde, weil Octavius mit seinem Heer loszog, als er von der beabsichtigten Heirat erfuhr.

Wer weiß, vielleicht war der Anfang vom Ende der Moment, in dem Marcus Antonius sich den Düften von Kleopatras Segelboot hingab.

Krankheiten & Lösungen

Vom Mittelalter bis in die jüngste Zeit suchten Cholera- und Pestepidemien wellenartig die Menschen heim. Während eine Zeitlang an ihnen jeder dritte Europäer starb, öffnete dies zugleich eine neue Tür für Duftstoffe. Als uns Bakterien und Viren und ihre Folgen noch unbekannt waren, versuchte die Medizin weltweit, eine Erklärung für das Massensterben zu finden. In Regionen mit vielen Toten stank die Luft. Deshalb nahm man an, dass für die Epidemien der Gestank in der Luft verantwortlich sei. Schon Hippokrates brachte diese Überlegung auf, institutionalisiert hat sich diese Auffassung jedoch an der Universität von Montpellier - und die Miasmentheorie war geboren. Die Miasmentheorie ging davon aus, dass der Grund der Epidemien Gestank oder übelriechende Luft sei, und als Gegenmittel wurden „Wohlgerüche“ empfohlen. Später wurden sogar einige Krankheiten nach dieser medizinischen Theorie benannt, wie Malaria, was auf Italienisch so viel heißt wie „schlechte Luft“.

Dies waren zugleich Zeiten, in denen man sich so selten wie möglich wusch, weil man glaubte, die Krankheit könne auf diese Weise durch die offenen Poren in den Körper eindringen. Die ungewaschenen Menschen versuchten sich mit Duftstoffen vor Krankheiten zu schützen, sodass zig Schutzmethoden mit Duftstoffen entwickelt wurde: Die gesamte Wohnung wurde mit Essig abgerieben, in großen Räumen wie in Palästen oder auf Landgütern wurde Weihrauch wie eine Art Impfung verbrannt, oder Hochstehende und Adlige, also diejenigen, die die Möglichkeit hierzu hatten, trugen Bisamäpfel (pomme d’ambre) um ihren Hals oder um die Taille, tropften Parfüm auf ihre Taschentücher und nutzten sie wie eine Mund-Nasen-Maske.

Aus dieser Zeit stammt auch die spezielle Kleidung der Ärzte, die den ganzen Körper umschloss, und bei der die Sehschlitze mit Glas geschützt wurden und die eine Schnabelmaske hatte, die mit tierischen Produkten wie Amber, Moschus und Zibet gefüllt war.

Alkohol macht sich auf den Weg

In der Antike, im Mittelalter und in späten Zeiten waren Parfüm und Duftprodukte nur für die Adeligen oder für die Wohlhabenden bestimmt. Die Rohstoffe kamen aus weit entfernten Regionen und waren sehr teuer. Die Trägersubstanz Öl war nicht nur kostspielig, sondern auch nicht in jeder Saison und überall erhältlich.

Dass Alkohol als Trägersubstanz für die Duftmoleküle genutzt werden kann, ist erstmals für die Zeit um 1300 in Ungarn belegt. Um die Entdeckung von Alkohol als Trägersubstanz ranken sich viele Legenden. Die bekannteste ist die von Königin Isabella von Ungarn. Die Dame litt im Alter unter vielen Krankheiten - von Rheuma über Gicht und Nackenschmerzen bis zur Rückenskoliose. Geschunden von ihren Krankheiten wendet sie sich an ihre Bediensteten im Palast und fordert ein Wundermittel, einen Wundertrank. Diese machen sich schnell auf den Weg in ein Kloster, wo alkoholische Getränke wie Wein und Likör hergestellt werden und bitten um eine Lösung. Daraufhin sammeln die Mönche im Kloster Rosmarin aus dem Kräutergarten und tränken ihn in Traubenwein. Nach ein paar Monaten übergeben sie die auf diese Art gewonnene Tinktur dem Palast. Die Königin öffnet die Flasche, trinkt ein paar Schlucke und schüttet sich von der Tinktur etwas auf ihre Haut und Kleider. Kurze Zeit später tritt das Wunder ein, begleitet vom Wohlgeruch des Rosmarins: Die Königin wirft ihre Krücken weg, ihr Rücken wird gerade, ihre Wangen färben sich und sie hüpft regelrecht davon.

Diese Flüssigkeit, die aufgetragen und getrunken werden kann, wird „ungarisches Wasser“ oder „Wasser der Königin von Ungarn“ (Eau de la Reine de Hongrie) genannt. Der Ruf dieses Wassers verbreitet sich in den europäischen Städten und ähnlich werden Parfüme, die noch belebender und heilender sein sollen, produziert. Eines der bekanntesten Parfüme sei in Montpellier, der Stadt, in der die Miasmentheorie entstand, produziert worden. Für das Parfüm wird geworben, es helfe gegen Kopfschmerzen, Zahnschmerzen, Ohrensausen und Erschöpfung. Und da es Alkohol enthält, kann es ohne weiteres getrunken werden. Jeder, der einen Schluck des Parfüms kostet, schüttet es auch auf seine Kleidung, um den frischen Rosmarinduft mit sich zu tragen.

Seitdem das Parfüm erfunden wurde, gelten viele verschiedene Formeln als „die“ Originalformel. Über die Zeit und aufgrund steigender Nachfrage kommen immer wieder „Original“-Formeln auf den Markt. Einige von ihnen enthalten neben Rosmarin auch Lavendel als Duftstoff. Zu der Formel, die die Originalformel sein soll, gehört neben dem in Alkohol getränkten Rosmarin auch die Distillation der Tinktur. Der verwandte Wein wird viermal destilliert und der Rosmarin 50 Stunden lang in lauwarmes Wasser gelegt, bevor es in den Alkohol kommt. Anschließend wird das Gemisch destilliert und daraus das ungarische Wasser gewonnen.

Dieses wenig komplexe ungarische Wasser hielt sich fast 400 Jahre als einziges alkoholisches Parfüm auf der Bühne der Geschichte. Mit seiner Verbreitung in Europa gewöhnten sich die Menschen auch an Alkohol als Trägersubstanz. Der Alkohol bringt viele Vorteile mit sich: Er kann überall, aus allem, jederzeit und sehr günstig produziert werden. Seine im Vergleich zu Öl viel schnellere Verdunstung beschleunigt die Diffusion der Duftmoleküle in der Luft und lässt das Parfüm schon von Weitem riechen. Schließlich klebt das Öl auch nicht auf der Haut.

Durch all diese Vorteile des Alkohols, der sich nicht nur mit Rosmarin, sondern mit viel komplexeren Formeln paarte, setzt der Alkohol einen unveränderlichen Standard für Parfüme. Er verdrängte die ölbasierten Parfüme und wurde der alleinige Herrscher der Parfümwelt.

Aqua Mirabilis - das Wunderwasser

Die von Louis XIV. in Frankreich eingeleiteten rechtlichen und sozialen Veränderungen, beeinflussen nach und nach alle gesellschaftlichen Institutionen. Die Beleuchtung der Straßen der Hauptstadt, die Entdeckung der Wohlhabenden, dass es ein Leben auf der Straße, außerhalb ihrer Wohnungen gibt, das Erscheinen von Zeitschriften mit „gesellschaftlichen Nachrichten“ oder die entstehende Mode, verändert die Lebensweisen. All dies zieht zuerst den König und seinen Hof, die im Grunde abgeschottet vom Rest der Welt im Schloss Versailles leben, in den Bann und breitet sich von dort wellenförmig bis zu den sich neuformierenden Stadtadligen aus. Natürlich musste diese gesellschaftliche Entwicklung auch einen olfaktorischen Widerhall haben.

Der in der Vergangenheit bestehende Gefallen an tierischen Duftstoffen lässt immer mehr nach und deren Platz nehmen Blumen, Obst oder Obstblüten ein. Sogar in den Städten von Südeuropa, die berühmt für ihre Gerbereien und Handschuhproduktion waren, verändert sich die Landschaft, weil Lederwaren aus der Mode kommen. Anstatt des Ledergeruchs verbreitet sich der Blumengeruch von Blumenfeldern in der Luft. Sogar die Könige ziehen langsam „leichtere“ Orangenblumen- und Pomeranzenöle den Parfüms mit tierischen Duftstoffen wie Moschus, Bernstein und Zibet vor.

Ein großer kultureller Wandel zwischen den Kontinenten setzt ein, als Kolumbus, beauftragt vom spanischen Palast, den amerikanischen Kontinent betritt. In die Häfen von Europa kommen bisher unbekannte Waren wie Mais, Kakao und Tomaten. Kräuter aus dem Osten, um deren Willen Blut vergossen und Schiffe versenkt worden waren, waren fortan nicht mehr Prestigeobjekte und Symbole des Reichtums. Sie fanden weder in Parfümformeln noch in Rezepten Platz. In den Küchen Europas hielten transparente und leichte Aromen, neue und regionale Produkte Einzug. Die Gerichte lösten sich von der Dominanz der Kräuter und des Gemüses und fingen an nach Gemüse und Fleisch zu schmecken.

Die minimalistische Herangehensweise bezüglich des Parfüms und des Essens, die die Hauptquellen für die Verbreitung von Düften im gesellschaftlichen Raum waren, hatte ihren Höhepunkt zu Beginn des 18. Jahrhunderts, in Valle Vigezzo, in der Stadt Crana im Nordwesten Italiens. Ein Barbier, Giovanni Paolo Feminis, entwickelt die einfache Formel des ungarischen Wassers aus Alkohol und Rosmarin weiter. Er fügt dem mehrmals rektifiziertem Weinalkohol zirka 30 ätherische Öle wie Neroliöl, Bergamottenöl, Limettenöl und Rosmarinöl hinzu und entwickelt so sein eigenes Parfüm. Dieses Parfüm ähnelte keinem vorherigem Parfüm. Denn Zitrusfrüchte und die aromatischen Pflanzendüfte riechen frisch und beleben den Menschen. Außerdem kleben sie nicht wie die alten Parfüme fettig auf der Haut. Sie verflüchtigen sich und steigern damit nicht nur die Diffusion, sondern erfrischen und beruhigen auch die Haut. Der sich verflüchtigende Alkohol senkt ein wenig die Körpertemperatur. Feminis beschreibt später seinem Neffen sein Parfüm: „Mein Duft ist wie ein italienischer Frühlingsmorgen nach dem Regen, Orangen, Pampelmusen, Zitronen, Bergamotte, Cedrat, Limette und die Blüten und Kräuter meiner Heimat. Er erfrischt mich, stärkt meine Sinne und Phantasie.“

Feminis findet für sein Parfüm den Namen Aqua Mirabilis, also Wunderwasser. Als er es zum Verkauf anbietet, vergisst er nicht, ihm „Wunder“ zuzuschreiben. Er behauptet, Aqua Mirabilis seit gut für Haut, Magen und Zahnfleisch, helfe gegen Kopfschmerzen, Zahnschmerzen, Ohrensausen und bei den Schwierigkeiten einer Geburt und könne unvergleichliche Liebesakte ermöglichen.

Dies ist die Zeit, als der Alkohol im Parfüm noch nicht so denaturiert wurde, dass er nicht mehr getrunken werden konnte (dafür musste man noch auf das 19. Jahrhundert warten). Daher konnte Aqua Mirabilis nicht nur aufgetragen, sondern auch in Wasser, Honig, Wein, Fleischbrühe getropft und getrunken werden.

Jedoch erzielte Giovanni Paolo nicht den erwarteten wirtschaftlichen Erfolg. Jedem gefiel der Geruch seines Produktes, es erreichte aber trotz aller Bemühungen nur eine begrenzte Anzahl von Menschen in Valle Vigezzo. Er wendete sich deshalb an seinen Neffen, Giovanni Maria Farina, der in Köln lebte. In Köln lebten viele Kaufleute, die für ihren Handel mit England berühmt waren und daher auch Mitglied der Hansekontore waren. Als Giovanni an dem Parfüm roch, war ihm klar, die Besonderheit dieses Produkts war sein Duft und nicht seine gesundheitliche Wirkung.

Giovanni, der Handel trieb und gleichzeitig auch in Maastricht lebte, begann mit der Formel von Giovanni Paolo die Produktion des Parfüms in Köln. Er rückte bei der Vermarktung des Produkts statt der heilenden Kräfte den unvergleichlich frischen Geruch in den Vordergrund. Diese interessant duftende Flüssigkeit zog die Aufmerksamkeit der Menschen auf sich, die bisher nur an Parfümöle gewöhnt waren. Inspiriert vom Produktionsort wird der Duft nunmehr Kölnisch Wasser genannt.

Vom Kölnisch Wasser zu Eau de Cologne

Berühmt wurde das Parfum unter den französischen Offizieren, die während des Siebenjährigen Krieges in Köln stationiert waren. Die Offiziere nahmen den geheimen, von ihnen entdeckten Schatz flaschenweise mit nach Frankreich. Sie nannten ihn Eau de Cologne. Kölnisch Wasser machte nun neue Bekanntschaften, über die Grenzen seiner Produktionsstätte hinaus.

Diese Periode war nicht nur in Bezug auf das Parfüm eine Zeit des Umbruchs. Alle Gewissheiten der Philosophie und Religion wurden hinterfragt, neue Formierungen entstanden, die Stellung der Wissenschaft im Leben und in den Glaubenssystemen veränderte sich. Mit der Revolution von 1789 verstummte die Stimme der Parfümwelt, die den Palast versorgt hatte. Auf der Flucht des Königs und der Königin wird ihre Kutsche in Varenne angehalten. Die Geschichte wird nie vergessen, dass Marie Antoinette an dem Duft ihres Parfüms in ihrer Tasche erkannt wurde. Die Wohlhabenden und Adligen, die vor den Parfümeuren Schlange gestanden hatten, halten sich jetzt, aus Angst als Vertreter des Ancien Régime wahrgenommen und in einem Schnellverfahren hingerichtet zu werden, von den schweren, „luxuriös“ duftenden Parfüms fern.

Vielleicht deutete auch die Umwälzung des Alten und das Neue, die Revolution und die Aufklärung, als Duftorientierung auf Kölnisch Wasser hin. Die neuen Herrscher Frankreichs, die Stadtaristokraten, identifizieren sich mit Kölnisch Wasser und ähnlichen „einheimischen“ Produkten und nicht mit den „schweren“, aus tierischen Produkten hergestellten Parfüms der Aristokratie.

Oben habe ich nur eine der Geschichten zur Entstehung von Kölnisch Wasser erzählt. Eine andere berühmte Geschichte ist die von dem Mönchorden der Kartäuser in Chartreuse. Ein Mitglied des Ordens schenkt dem in Köln lebenden Wilhelm Muelhens zur Hochzeit ein eingerolltes Pergament mit der Formel für die Zubereitung eines Elixiers. Die Formel, die Wilhelm Muelhens in der Hand hält, diente der Herstellung eines grünen Medikaments aus Kräutern, das später zu einem Likör wird. Wie der Orden der Kartäuser an diese Formel gekommen war, ist unbekannt. Die Formel trug den Namen Aqua Mirabilis. Muelhens gefiel die Formel aus Alkohol und den weiteren leichten Inhaltsstoffen. Er entschied sich, das Parfüm zu produzieren. Die Produktion begann in der Glockengasse 4711. Wie man sich schon vorstellen kann, wurde das so bisher nicht bekannte Duftwasser sehr beliebt.

Eine kleine Anmerkung: Die Hausnummer „4711“ ist eine zu große Nummer für ein Haus, aber es sollte nicht vergessen werden, dass in den Jahren die französische Armee von den Stadtparlamenten forderte, die Häuser neu zu nummerieren. Als nach einem Markennamen für dieses Produkt gesucht wurde, wurde die Hausnummer des Händlers Muelhens, die Nummer 4711, gewählt.

Das Duftwasser wurde so erfolgreich, dass ähnliche Produkte wie Pilze aus dem Boden schossen. In Frankreich wurde Kölnisch Wasser Eau de Cologne getauft. Nach was es roch war eindeutig, nur konnte man sich nach jahrelangem Rechtstreit nicht auf einen Markennamen einigen. Neben der Marke des Neffen des Erfinders, Giovanni Maria Farina, kommen auf den Markt Parfüme mit ähnlichem Duft, aber unter einem anderen Namen oder auch diverse andere Düfte, die einfach nur den Markennamen nutzten. Nahe und ferne Verwandte der Familie Farina nutzten jede sich bietende Gelegenheit und verkauften die Marke jedem anfragenden Händler. Es kommt soweit, dass in Köln unabhängig voneinander an 39 Orten unter dem Namen „Farina“ produziert wird. Das Parfüm erlangt große Berühmtheit. Mit der Zeit beginnen sogar die Franzosen Parfüme herzustellen, deren Duft sich wie der von Kölnisch Wasser aus Kräutern und Zitrusfrüchten zusammensetzt und „frisch“ und „transparent“ ist. Einige ziehen noch weitere Vorteile aus diesem Duftwasser, als es nur zu verkaufen. Ein Beispiel hierfür ist das Haus Guerlain. Königlicher Hofparfümeur und Markenerfinder ist Pierre-François Pascal Guerlain. Er kreierte eigens für Kaiserin Eugénie das Eau de Cologne Impériale (Kaiserliches Kölnisch Wasser).

Napoléon

Die Nachfrage nach Kölnisch Wasser wurde durch berühmte Nutzer gesteigert. Der Komponist Richard Wagner habe einen Liter Kölnisch Wasser im Monat verbraucht und Napoléon Bonaparte habe soviel Kölnisch Wasser gekauft, dass er als derjenige in die Geschichte eingegangen sei, der am meisten davon verbraucht habe. Der Sekretär des berühmten Diktators berichtete, der Geruchsinn Napoléons sei sehr ausgeprägt gewesen, er hätte seinen Geburtsort Korsika mit geschlossenen Augen allein an dessen Gerüchen erkennen können und Bedienstete nach ihrem Geruch aussortiert. Napoléon wurde vom Vereinigten Königreich ins Exil auf die Insel Saint Helena verbannt, wo er auf dem Landgut Longwood House der Britischen Ostindien-Kompanie wohnte. Napoléon soll sich anfänglich geweigert haben, in dieses für ihn renovierte Landgut zu gehen, weil es nach frischer Farbe roch. Vier Mal habe er seine Bedienstete zur Kontrolle, ob der Farbgeruch noch anhalte, auf das Landgut geschickt. Napoléon sei sich mit seiner Frau Josephine, die Moschus oder Rosen bevorzugte, bei dem Thema Duft uneinig gewesen. Er habe jeden Monat 60 Halbgallone Kölnisch Wasser verbraucht. Sein Kammerdiener habe jeden Morgen seine Schultern und seinen Rücken mit diesem herrlichen Duftwasser eingerieben. Napoléon habe geglaubt, das Duftwasser würde sein Bewusstsein erweitern, weshalb er bei Stress das Duftwasser auf Zuckerwürfel geträufelt und eingenommen habe. Er habe auch alle im Palast zum Verbrauch angeregt. Dem Mythos nach soll er auch, wenn er in den Krieg zog, eine lange, schmale Flasche Kölnisch Wasser in seinem Stiefel mitgenommen haben.

Einer weiteren Erzählung nach liegt Napoléon auf Saint Helena im Sterben und wünscht sich, dass in Kölnisch Wasser eingetauchte Pastillen verbrannt werden, damit das Zimmer sich mit dem wohltuenden Duft füllt. Seine Bediensteten, Louis Étienne Saint-Denis, der auch als Mameluck Ali bekannt ist, und Louis-Joseph-Narcisse Marchand, hatten vorausschauend gehandelt und neben ihren Habseligkeiten auch flaschenweise Duftwasser auf die Insel mitgebracht. Doch ohne Nachschub versiegte die Quelle. Das Duftwasser aus Frankreich oder Deutschland zu bringen, war schwierig und brauchte Zeit. Deshalb wird Mameluck Ali beauftragt, das Kölnisch Wasser selbst zu produzieren. Er bereitet aus den Stoffen auf der Insel zwar nicht das Kölnisch Wasser, aber ein sehr ähnliches Duftwasser zu. Somit ist es Mameluck Ali, der dem auf die Insel verbannten Napoléon vielleicht das für ihn Wichtigste zur Hebung seiner Stimmung zur Verfügung stellte.

Odikolon und Kolonya

In der islamischen Welt hat Rosenwasser eine große Bedeutung, weil der Schweiß des Propheten Muhammets nach Rosenwasser geduftet haben soll. Auch heute noch wird das Tuch der Kaaba in Mekka, zu der die Muslime pilgern, mit Rosenwasser gewaschen. Im Osmanischen Reich, das mehrheitlich muslimisch war, hatte das Rosenwasser eine entsprechende wichtige Stellung.

Das Rosenwasser wurde aus den in Kasanlak in Bulgarien und in der Umgebung von Isparta geernteten Rosen destilliert. Es hatte seinen festen Platz in den Häusern, die es sich leisten konnten. Die Rosenwasserherstellung war schwierig und relativ teuer, sodass es im Alltag nicht verbraucht wurde, aber bei Besuch oder an Festtagen wurde neben Sorbet, Süßigkeiten oder Kaffee auch Rosenwasser gereicht. Und im Palast gab es eine Gruppe von Bediensteten, die nur für die Versorgung mit Rosenwasser zuständig war. Ein Bediensteter goss das Rosenwasser aus der dafür angefertigten Rosenwasserflasche auf die Hände des Gastes und der andere hielt ein Tuch unter dessen Hände, damit seine Kleider nicht nass wurden. Diese Art des Empfangs folgte, besonders bei ausländischen Staatsvertretern, einer eigenen Zeremonie. Das Maß an Ehre, das einem Gast bei solchen diplomatischen Besuchen zu Teil wurde, war Ausdruck des Wohlwollens deren Politik gegenüber. Fiel also der Empfang mit Rosenwasser und die Bewirtungen sehr großzügig aus oder wurde - im Gegenteil -, die Zeremonie mittendrin abgebrochen, waren dies diplomatische Botschaften.

Wie kam es dazu, dass in einer Region, in der Rosen und das Rosenwasser solch eine große Bedeutung hatte, in der die Hände eines jeden Besuchers mit Rosenwasser beträufelt und, in der Hände und Gesicht mit Rosenwasser gereinigt wurden, das Rosenwasser in Vergessenheit geraten ist? Rosenwasser ist in Vergessenheit geraten, weil um 1800 herum Kölnisch Wasser seinen Weg ins Osmanische Reich fand. Vertraut wurde dabei schon damals auf die deutsche Technologie und Wissenschaft. Eine Rolle spielte auch, dass die Herstellung mit ätherischen Ölen nicht wie beim Destillieren von Rosenwasser klimaabhängig war und es leicht herzustellen war. Der Preis war im Gegensatz zum Rosenwasser günstiger. So stürzte das Kölnisch Wasser das Rosenwasser von seinem Thron.

Zu Beginn wurde Kölnisch Wasser auch aus Frankreich importiert. Und wurde auf Türkisch Odikolon ausgesprochen. Später wurde daraus Kolonya. Refik Halid Karay schreibt, dass im Osmanischem Reich auch die Töchter des Sultans Abdülhamit II. Kolonya auftrugen. Am 16. Mai 1882 wurde eine bitte von Giovanni Maria Farina weitergeleitet, die Tughra des Sultans auf dem Etikett der Firma nutzen zu dürfen, so wie im Westen der Gebrauch des Zusatzes „Parfümeur des Palastes“ oder „Parfümeur seiner Majestät“ üblich waren. Es war die Bitte, die Tuğra-yi Garra-yi Şahane nutzen zu dürfen, die nur „… denen, die besondere Kunstwerke hervorgebracht hatten, gute Dienste geleistet hatten oder eine Arbeit getätigt hatten, die nie zuvor im Reich getätigt worden war…“ vorbehalten war.

Auch wenn die Periode Abdülhamid II. nicht dafür bekannt ist, nahmen doch westliche Institutionen ihren Platz im Alltagsleben des Reiches ein. Während die erste Bierfabrik in Betrieb genommen wurde, begannen einheimische Kaufleute in Pflegeprodukte und Kosmetik zu investieren, und diese herzustellen. Ahmet Faruki ist der erste, der in Feriköy, einem Viertel von Istanbul, Pflegeprodukte, Kosmetik und natürlich auch Kolonya herstellt und diese in seinem berühmten Laden in Sultanhamam verkauft. Der ägyptischstämmige Ömer Bey ist jedoch derjenige, der das Wort „Kolonya“ ins Türkische einführt (“Faruki Kolonya Suyu”). Er stellt aber nicht nur Kolonya nach der Formel des Kölnisch Wasser her, sondern auch Parfüme in anderen Duftzusammensetzungen. Ihm folgen andere Kaufleute, Apotheker und Chemiker wie Etem Pertev, Süleyman Ferit (Eczacıbaşı) und Kemal Kamil (Aktaş). In dieser Zeit werden die Duftrohstoffe aus dem Ausland etwa in Reinform oder in einer Komposition alkoholisiert eingeführt und mit den einheimischen Marken zusammen in Schaufenstern ausgestellt.

Aufgrund der wirtschaftlich teils desolaten Lage der jungen türkischen Republik wurde im Land die Wirtschaftspolitik der importsubstituierenden Industrialisierung verfolgt. Kolonya stand auf der Liste der geförderten einheimischen Produkte. Eine Zeit lang wurden alle Parfüme mit unterschiedlichen Duftstoffen „Lavendel“ genannt, später wurden sie alle zu „Kolonya“. Um den originalen Kolonyaduft von den anderen zu unterscheiden, wurde das Wort „Zitrone“ vor Kolonya gesetzt. Dies ist erstaunlich, da es außer der Türkei kein Land gibt, das die Bezeichnung „Zitronen-Kolonya“ nutzt.

Während der langen Reise des Kolonya von Köln in die Türkei (und auch danach) hat das Parfüm nicht nur den Zusatz „Zitrone“ erhalten, sondern weitere Veränderungen erfahren. Zum Beispiel werden Feuchttücher in der Türkei als „Kolonya-Tücher“ vermarktet. Erst in jüngster Zeit werden sie auch in der Türkei Feuchttücher genannt, um zu unterstreichen, dass sie keinen Alkohol enthalten. Street-Food ist in der Türkei weit verbreitet - hierzu gehört Kebab, die türkische Pizza Lahmacun, die türkische Brezel Simit, Teigwaren und Gebäck. Um so wichtiger ist beim Essen auf der Straße das Gefühl und Bedürfnis nach Sauberkeit. Dieses vermittelt der Duftstoff der Zitrusfrüchte, allen voran der Zitronengeruch. Deshalb wird solch eine weite Verbreitung von Kolonya wie in der Türkei nirgendwo zu finden sein.

Nach Reise des Kolonya aus Köln in die Türkei hat sich dessen Funktion so sehr verändert und erweitert, dass man gar nicht alle Beispiele aufzählen kann. Wenn Sie in München in einen Fernbus einsteigen, dann kommt kein Beifahrer mit einer Flasche Kolonya in der einen und einer Serviette in der anderen Hand, um sie mit Kolonya zu versorgen. Wenn Sie in Berlin einmal auf die Toilette müssen, wartet niemand vor der Tür auf Sie, um Ihnen Kolonya in die Hände zu schütten (und vielleicht Trinkgeld zu bekommen).

Sie sind in Hamburg auf dem Heldenplatz und haben einen riesigen Hamburger gegessen, die Rechnung wird Ihnen jedoch nicht zusammen mit einem „Kolonya-Tuch“ gebracht. Sie sind in Leipzig und wollen das Museum für bildende Kunst besuchen. Während Sie die Katharinenstraße entlang laufen, merken Sie, dass Sie gestern Abend etwas zu viel getrunken und Magenschmerzen haben. Sie schwanken und lehnen sich an einen Strommast am Straßenrand. Plötzlich sehen sie viele bekümmerte Gesichter, die Ihnen helfen wollen, unter ihnen ist aber leider keine ältere Frau, die ein Fläschchen Kolonya aus ihrer Tasche zückt und ein paar Tropfen auf Ihre Stirn träufelt.

Relativ neu ist die Entwicklung in der Türkei, die mit dem Beginn der Pandemie im Jahr 2020 eingesetzt hat, dass die jungen Generationen den Verkauf von Kolonya wieder in die Höhe getrieben haben. Sie kaufen Kolonya der Marken Boğaziçi, Es-Ko, Esmen, Eyüp Sabri Tuncer, Fuar, Pe Re Ja, Rebul, Selin oder Tariş. Nachdem bekannt wurde, dass der Alkohol im Kolonya Viren abtötet, wurde das „der Vergangenheit angehörende“ und als „das Duftwasser von Oma“ verschriene Kolonya ein Renner unter jungen Menschen.

Der vielfältige Gebrauch von Kolonya erweckt das Interesse der ausländischen Medien und die Nutzung von Kolonya anstatt Desinfektionsmitteln wird zum Thema der Berichterstattungen. Es wird sich noch zeigen, ob dieses beliebte Duftwasser, das sich vervielfältigt und immer mehr zu Duftstoffen wie Feige, Lindenblüten und grünem Tee neigt, zu seinen ursprünglichen Duftstoffen wie den Zitrusfrüchten zurückkehrt, ob es also aus seiner Asche wieder auferstehen wird. Was wir aber wissen ist, dass auf der langen und zum Teil globalen Reise des Kolonya als Odikolon aus Köln, dieses auf jeder Station nicht nur etwas von der Kultur des Ortes mitnimmt, sondern auch etwas an den Ort weitergibt und verändert.

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Wichtige Noten des Kolonya: Neroli

Neroli, auch Neroliöl, ist ein aus der Blüte der Pomeranze (citrus aurantium) gewonnenes Destillat. Die Frucht als solche kann nicht gegessen werden, aber aus ihrer Schale werden Marmelade oder Liköre produziert. Aus den Blüten wird ätherisches Neroliöl durch Wasserdampfdestillation gewonnen. Wenn wir behaupten, dass „die Note des einheimischen Kolonya insbesondere Neroli“ ist, wäre das sicherlich richtig. Neroli soll seinen Namen der Legende nach im 17. Jahrhundert von der sizilianischen Prinzessin Nerola erhalten haben. Die Dame soll den Blütenduft der Pomeranze so sehr geliebt haben, dass sie sogar ihre Handschuhe mit diesem Duft bearbeiten ließ. Die Bewegungen, die sie mit diesen vollzog, sollen ihre Umgebung so sehr in Duft gehüllt haben, dass diese Duftnote mit ihr identifiziert wird und auch ihren Namen trägt. Ein anderer Name der Pomeranze ist „bittere Orange“, jedoch ist der Blütenduft der Pomeranze und der der Orange völlig unterschiedlich. In Nordafrika ist der weiße Kaffee (café blanc), gekocht aus Neroli und heißem Wasser, sehr berühmt.

Wichtige Noten der Kolonya: Bergamotte

Die Frucht der Bergamotte (Citrus aurantium var. bergamia) ist, wie die der Pomeranze, nicht essbar. Es gibt verschieden Geschichten zur Herkunft ihres Namens: Die türkische Herleitung Bey armudu, was „Herren-“ oder „Prinzenbirne“ heißt, oder der Hafen Berga in Spanien. Sie dürfen entscheiden. Wie bei allen Zitruspflanzen ist das Duftöl der Bergamotte in ihrer Schale. Der Ölertrag ist so hoch, dass das Öl durch Kaltpressungen - und nicht Wasserdampfdestillation - gewonnen werden kann.

Earl Grey ist mit Bergamotte aromatisiert und auch die kleinen Aufmerksamkeiten, die Mevlid-Bonbons (türkische Akide Bonbons), haben ihren Geschmack von der Bergamotte. Der Duft von Bergamottöl ist im Vergleich zu den anderen Zitruspflanzen leicht. Er ist in vielen Parfüms als Kopfnote enthalten. Ein Chypre- oder Fougère-Parfüm ohne Bergamotte ist undenkbar. Beim Verzehr von Produkten mit Bergamotte, sollte bei Medikamenteneinnahme auf die Wechselwirkung geachtet werden.

Wichtige Noten des Kolonya: Zitrone

Die Limone (citrus limon) hat ihren Wortstamm vom persischen „limun“ und stammt ursprünglich, wie auch die anderen Zitruspflanzen, aus Asien. Der Ölertrag ist wie bei der Bergamotte so hoch, dass es durch Kaltpressung gewonnen wird.

Die Limonen-Moleküle des Zitronenöls, das heißt das ätherische Öl, lösen Fett und sind fettlöslich. Daher werden sie seit Jahrhunderten als Reinigungsmittel verwendet. In den meisten Spülmitteln sind, wenn nicht die Limone selbst, dann ihr Duftstoff enthalten, weil das Kulturgedächtnis diesen Geruch mit Sauberkeit assoziiert. Die Ascorbinsäure in der Zitrone war außerdem lebenswichtig, weil sie auf langen Seereisen die Erkrankung an Skorbut verhinderte und deshalb zur Grundnahrung auf langen Seereisen gehörte.

Wichtige Noten des Kolonya: Rosmarin

Rosmarin (Rosmarinus officinalis) gehört zu den Lippenblütlern aus dem Mittelmeerraum. Das ätherische Öl des Rosmarins wird durch Wasserdampfdestillation gewonnen.

Rosmarin wurde im Alten Ägypten, antiken Griechenland und Rom zu verschiedenen Zeiten als eine heilige Pflanze angesehen und wurde in der Geschichte für vielfältige Zwecke genutzt. Rosmarin wurde als Medikament, als aromatisches Gewürz und als eine Duftkomponente von Parfüms genutzt. Rosmarin ist so verbreitet, dass er frisch und getrocknet erhältlich ist. Wir begegnen ihm sehr oft in der Küche des Mittelmeerraumes. Das italienische Brot Focaccia, auch als „weiße Pizza“ bekannt, ist ohne Rosmarin undenkbar.

Auf der Halbinsel Gallipoli an den Dardanellen wächst wilder Rosmarin. In den Gedächtnissen der Menschen aus der Gegen ist der Geruch von Rosmarin, den der Wind von den Bergabhängen überallhin treibt, eingeprägt. So wird auch am Tag der Erinnerung an die bei der Schlacht von Gallipoli gefallenen ANZAC-Soldaten (Australien und New Zealand Army Corps) ein kleines Bund Rosmarin an den Jackenkragen gesteckt und wird somit zum Teil der Gedenkzeremonie.

 

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