Geschlechtergerechtigkeit in globalen Umweltkrisen stärken

Einführung

Unter dem Handlungsdruck, die dramatischen Folgen der globalen Umwelt- und Klimakrisen zu bewältigen, wächst auch die internationale Aufmerksamkeit für zivilgesellschaftliche Umweltbewegungen und deren lauter werdenden feministische Forderungen. Das Engagement der Frauen- und feministischen Bewegungen für Umwelt- und Klimathemen nimmt zu. Auch die Kommission für die Rechtsstellung der Frau (Commission on the Status of Women) der Vereinten Nationen widmet sich 2022 der „Gleichstellung der Geschlechter und Stärkung der Rolle aller Frauen und Mädchen im Rahmen von Strategien und Programmen zur Bekämpfung des Klimawandels, der Umwelt und der Katastrophenvorsorge.

Demonstration für Frauenrechte
Teaser Bild Untertitel
Das Engagement der feministischen Bewegungen für Umwelt- und Klimathemen nehmen zu.

In die bedrückenden Nachrichten dieser Tage über den Angriffskrieg gegen die Ukraine fiel auch der sechste Sachstandsbericht des Weltklimarats (IPCC). Unmissverständlich stellt der Bericht heraus, dass nahezu die Hälfte der Weltbevölkerung hochgradig verwundbar ist und unter den dramatischen Folgen der Erderwärmung leiden kann. Diese hohe Vulnerabilität ist nicht nur auf zerstörte Ökosysteme zurückzuführen, sondern auch auf sozio-ökonomische Ungleichheit und Diskriminierung. Ausdrücklich fordert der Weltklimarat von politischen Entscheidungsträger*innen, Frauen und alle marginalisierten Gruppen zu stärken, um mit ihren Kenntnissen die Fähigkeiten zur Anpassung an den Klimawandel zu erhöhen.

Inmitten der ökologischen und sozialen Krisen ist dies aus einer Genderperspektive ein positives Zeichen. Die hartnäckige Geschlechtsblindheit der Klimadebatte ist überwunden. Frauen[1] werden nicht mehr nur als Betroffene von Umwelt- und Klimawandel wahrgenommen, sondern auch als Handelnde. Es hat (zu) viele Jahre gedauert, bis die extrem ungleich verteilte Belastung, die durch Umwelt- und Klimakatastrophen vor allem in Ländern des Globalen Südens für Frauen und andere diskriminierte Gruppen entsteht, in politischen Entscheidungsprozessen berücksichtigt wurde. Und es hat weitere Zeit gekostet, bis klima- und umweltpolitisch Verantwortliche auch begonnen haben, ihre essentiellen Beiträge zur Anpassung an den Klimawandel und zum Klimaschutz zu sehen.

66. Frauenrechtskommission: Frauenrechte in der Klimakrise stärken

Um den Handlungsdruck auf allen politischen Ebenen zu verstärken, widmet sich die Kommission für die Rechtsstellung der Frau (Commission on the Status of Women, CSW) der Vereinten Nationen (VN) in diesem Jahr der „Gleichstellung der Geschlechter und Stärkung der Rolle aller Frauen und Mädchen im Rahmen von Strategien und Programmen zur Bekämpfung des Klimawandels, der Umwelt und der Katastrophenvorsorge“.[2]  Der Entwurf des Abschlussdokuments sieht eine Selbstverpflichtung der VN-Mitglieder zu einer geschlechterverantwortlichen Politik und Klimafinanzierung vor. Feministische Umweltorganisationen kritisieren jedoch, dass die hohe Verantwortlichkeit von Frauen für die Fürsorgearbeit in Haushalten und Kommunen in den angestrebten Maßnahmen zu wenig berücksichtigt wurde. Es sind geschlechtsspezifische Normen, die Frauen und Mädchen für die unbezahlte Care-Arbeit als zuständig erklären, und die ihre Rechte und ihren Zugang zu überlebenswichtigen Ressourcen begrenzen, wie Landtitel oder Energieversorgung,  finanzielle Kredite, Beratung oder Frühwarnsysteme. Es sind meist arme und vor allem mehrfach diskriminierte Frauen, die durch die Zerstörung von Ökosystemen und den Klimawandel in tiefe Not geraten, weil ihnen eine gleichberechtigte und verbriefte Teilhabe an gesellschaftlichen wie natürlichen Ressourcen und an umweltpolitischen Entscheidungs- und Planungsprozessen verweigert wird.

Die Schlussverhandlungen des Dokumentes werden in diesem Jahr von der deutschen Regierung (für die EU) geführt, doch ist deren Handlungsspielraum für weitergehende Forderungen gering. Sie will zwar versuchen, z.B. auch die Diskriminierung von LGBTIQ+-Personen im Kontext von Umweltkrisen aufzunehmen, doch gilt es weiterhin, Rückschritte durch rückwärtsgewandte Regierungen zu verhindern. Die Koalition demokratisch-progressiver Staaten wird sich bemühen müssen, bestehende Vereinbarungen zu verteidigen, um festgeschriebene Rechte gesundheitlicher, sozialer und politischer Selbstbestimmung von Frauen und Queers nicht zu gefährden. Somit sind für die Ergebnisse Kompromisse zu erwarten, die nicht an die Forderungen der feministischen Positionen aus den Klimaverhandlungen heranreichen werden.

Die Heinrich-Böll-Stiftung wird während der CSW-Konferenz mit eigenen Parallelveranstaltungen zur Debatte und zur Vernetzung von Partnerorganisationen beitragen.[3]

Eine Bewegung muss sich darüber Gedanken machen, wie wir die Transformation sozial gerecht ausgestalten (Barbara Unmüßig)

Aufgrund des drängenden politischen Handlungsdruck in den fortschreitenden Umwelt- und Klimakrisen wächst nicht nur die internationale Aufmerksamkeit für zivilgesellschaftliche Umweltbewegungen und die feministischen Forderungen darin; es nimmt auch das Engagement der Frauen- und feministischen Bewegungen für Umwelt- und Klimathemen zu. Was jedoch für den Großteil der lokal verwurzelten Umwelt- und Frauenorganisationen des Globalen Südens überlebensnotwendig ist – nämlich den Erhalt der natürlichen Ressourcen zu verbinden mit einem Kampf um gleiche Zugangs- und Landrechte – das musste in Europa erst durch einen so genannten „material turn“ wiederbelebt werden. Die Politikwissenschaftlerin Barbara Holland-Cunz sprach in diesem Zusammenhang von „dem notwendigen Ende feministischer Marginalisierungen ökologischer Fragen“ und begrüßte, dass nach 20-Jähriger Abstinenz die Auseinandersetzung zu Umweltzerstörung und Klimawandel – also Debatten um Materialität - in den Feminismus zurückgekehrt war.[4]

Ökofeminismus neu interpretiert

Heute ist das frauenpolitische Engagement der ökologischen Bewegungen vor allem unter Gleichstellungsaspekten ermutigend, wie Barbara Unmüßig, Vorstand der hbs, im Gespräch betont. Obwohl die großen Umweltverbände meist männerdominiert sind, haben gerade jüngere Frauen viel zur Mobilisierung beigetragen, und die bekanntesten Gesichter der Fridays-for-Future-Bewegung sind weiblich. Konzeptionell haben die neuen Aktivist*innen selbstbewusst die zum Teil lähmenden Debatten um das Mensch-Natur-Verhältnis der 1990er und 00er Jahre hinter sich gelassen und insbesondere das Konzept des Ökofeminismus von einem Essentialismus um die vermeintlich größere „Nähe von Frauen zur Natur“ befreit. Denn die früheren Strömungen des Ökofeminismus haben zwar eine radikale Kritik am vorherrschenden Zivilisationsparadigma und an der technologischen Beherrschbarkeit der Natur formuliert, aber letztendlich dazu beigetragen, dass Geschlechterrollen gefestigt und Frauen auch umweltpolitisch in die Rolle der „Opfer“ oder der „Heilenden“ gedrängt wurden. Die Sozialwissenschaftlerin Christa Wichterich hat die daraus entstandene entwicklungs- und umweltpolitische Bequemlichkeit kritisiert, denn lieber hat man „Frauen als nimmermüde Schutz- und Putztruppe in der degradierten Umwelt mobilisiert, als die Politik nutzungs-, umwelt- und geschlechtergerecht umzugestalten“. Heute nutzen Akteur*innen und Aktivist*innen Ökofeminismus nicht mehr als erkenntnistheoretischen Diskurs, sondern als Label für ein inklusives Bewegungskonzept für gender-transformative Umweltpolitiken.

Es war immer schon der Anspruch, mit einer Geschlechterperspektive auf alle Politikfelder zu gucken. Das war die Hauptbotschaft von Peking (Barbara Unmüßig)

Feministische Debatten haben in der Heinrich-Böll-Stiftung eine lange Tradition. Gemeinsam ist allen Positionen die Grundthese, dass Geschlecht sozial konstruiert ist. „Geschlechterdemokratie macht einen Unterschied“, lautete der Aufruf 2007, mit dem die Heinrich-Böll-Stiftung ihre gesellschaftspolitische Vision eines von gleichen Rechten und Chancen aller Geschlechter getragenen Verhältnisses ausdrückte. Mittlerweile wurde daraus eine transversale Strategie für ihre europäische und internationale Zusammenarbeit entwickelt. Ihr Ziel ist es, die Geschlechterperspektive in alle Themenfelder der Stiftungsarbeit zu integrieren. Dies gilt natürlich auch für das wichtige grüne Themenfeld der Umwelt- und Klimapolitik. Um diskriminierende Machtverhältnisse und Ressourcenzerstörung zu beenden, sind in den Auslandsbüros zahlreiche umweltpolitische Projekte entstanden, die eben diese Querschnittspolitik verfolgen. Dabei ist es oft nicht einfach, bei CO2-Reduktionszielen oder einem umstrittenen Thema wie dem Geo-Engineering eine Geschlechterperspektive oder die Dimension intersektionaler Diskriminierung zu verdeutlichen. Es erfordert umweltpolitisches Fachwissen und Genderkompetenz, vor allem aber eine geschlechterpolitische Bereitschaft, Ökologie und die dahinter antreibende Ökonomie nicht geschlechterblind zu denken, wie Barbara Unmüßig betont:

„Wie reproduzieren ökonomische und ökologische Konzepte eine geschlechtsspezifische Arbeitsteilung, die in eine Machtungleichheit führen? Es geht immer um einen machtkritischen Ansatz bei diesen Fragen.“

In diesem Dossier stellt die Heinrich-Böll-Stiftung einen Ausschnitt ihrer Arbeit vor, mit der sie über die vergangenen Jahrzehnte die internationale Debatte um Umwelt- und Geschlechtergerechtigkeit, die Zusammenhänge zwischen beiden und die notwendige Stärkung beider zur Überwindung der globalen Ökologie- und Klimakrise einerseits und der sozialen Ungleichheiten und der geschlechtsbasierten Diskriminierung andererseits vorangebracht hat.

Zunächst stellen wir Beiträge zu den drei Themenbereichen Klimapolitik, v.a. Klimafinanzierung, Urbanisierung und Plastikabfall vor. Die Artikel und visuellen Arbeiten sind in den Referaten und den Auslandsbüros der Heinrich-Böll-Stiftung entstanden und geben einen Einblick in ihre Querschnittspolitik. In den kommenden Wochen wird das Dossier um weitere Beiträge und Themenfelder ergänzt.

 


[1] Wir verstehen ‚Frauen‘ als nicht-binäre soziale Kategorie, die alle Menschen einschließt, die sich dieser Beschreibung zugehörig fühlen.

[2] Die Aufgabe der Frauenrechtskommission ist die Überprüfung der Umsetzung der Aktionsplattform von Peking 1995 – einem der wichtigsten globalen politischen Dokumente zur Gleichstellung der Geschlechter.

[3] Aufgrund der anhaltenden Folgen der Pandemie findet die diesjährige Veranstaltung vom 14. bis zum 25. März 2022 in einem Hybridformat statt. Alle Parallelveranstaltungen der Zivilgesellschaft finden vollständig virtuell statt.

[4] Barbara Holland-Cunz, 2014: Die Natur der Neuzeit.