Wie ein neuer US-Kongress die amerikanische Außenpolitik aufmischen könnte

Analyse

Große Hilfspakete für die Ukraine könnten nach Erfolgen von Kongressabgeordneten, die von Trump unterstützt werden, der Vergangenheit angehören. Republikaner im US-Repräsentantenhaus kündigen eine Vielzahl an Untersuchungen an, auch über den abrupten Abzug aus Afghanistan.

Lesedauer: 7 Minuten
Demosntranten stehen mit Ukraine-Flaggen vor dem Weißen Haus in Washington
Teaser Bild Untertitel
Demonstranten mit ukrainischen Flaggen protestieren vor dem Weißen Haus in Washington.

Die Gruppe deutscher Bundestagsabgeordneter, die im September nach Pennsylvania gereist war, um sich über die bevorstehenden US-Kongresswahlen zu informieren, wurde dort mit vielen Wählersorgen konfrontiert: steigende Benzinpreise, hohe Inflation, steigende Gesundheits- und Lebenshaltungskosten sowie Wohnungsmangel. Pennsylvania ist ein wichtiger „Swing State“, ein US-Bundesstaat, in dem mal die Demokraten und mal die Republikaner bei Wahlen die Mehrheit holen. Die Wähler*innen in Pennsylvania könnten über den künftigen Kurs der USA entscheiden – mit weitreichenden Folgen für den Rest der Welt.

Der Krieg in der Ukraine und seine globalen Auswirkungen zog sich wie ein roter Faden durch die Gespräche mit Politiker*innen. Aber den amerikanischen Wähler*innen sind außenpolitische Themen nach gängiger Meinung herzlich egal. Doch selbst wenn sich dieses Klischee am 8. November bewahrheitet, wird sich der Ausgang der Kongresswahl auf die Ausrichtung der amerikanischen Außenpolitik auswirken. Neue Mehrheiten im Kongress können die amtierende Regierung daran hindern, ihren außenpolitischen Kurs fortzusetzen – darunter auch die starke Solidarität mit EU und NATO gegenüber Russland. Eine amerikanische Journalistin vertrat bei ihrem Austausch mit den deutschen Abgeordneten in Philadelphia sogar die Ansicht, die Ergebnisse der bevorstehenden Kongresswahlen seien für die Zukunft der transatlantischen Beziehungen richtungsweisender als der Ausgang der Präsidentschaftswahlen 2024.

Normalerweise verliert die Partei des amtierenden US-Präsidenten bei den Zwischenwahlen viele ihrer Abgeordneten und die Mehrheit in einer der beiden Kammern im US-Kongress. Die jüngste Zusammenstellung von Umfragen auf dem bekannten FiveThirtyEight-Blog prognostiziert eine republikanische Mehrheit im Repräsentantenhaus und eine demokratische Mehrheit im Senat. Doch einige der Rennen im Senat sind so eng, dass kein klarer Gewinner vorausgesagt werden kann. Die Demokraten könnten also durchaus beide Kammern verlieren.

Wie also beeinflusst der Kongress die Außenpolitik der USA? Und wie könnte sich ein mehrheitlich republikanisches Repräsentantenhaus (bzw. Senat) auf die Politik der Biden-Regierung auswirken?

Finanzierung der Außenpolitik: Die Macht des Budgets

Eines der mächtigsten Instrumente des Kongresses ist die sogenannte „Macht der Geldbörse“. Diese Kontrolle über den Staatshaushalt äußert sich konkret in jährlichen Bewilligungsvorlagen, die einen komplexen Weg durch Kongressausschüsse durchlaufen müssen. Die US-Regierung braucht die Zustimmung des Kongresses, um humanitäre oder finanzielle Hilfe zu leisten, oder um militärische Ausrüstung an Verbündete und Partner zu liefern. Noch gibt es einen parteiübergreifenden Konsens für die Unterstützung der Ukraine. Angesichts immer weitreichenderer Forderungen aus Kiew und des ungewissen weiteren Kriegsverlaufs könnte diese Einigkeit nach den Zwischenwahlen jedoch schwinden.

Die Vereinigten Staaten haben der Ukraine erhebliche finanzielle Unterstützung gewährt, deutlich mehr als Europa. Die US-Hilfspakete belaufen sich auf schätzungsweise 66 Milliarden Dollar – etwa doppelt so viel, wie EU-Mitgliedstaaten und -Institutionen bereitgestellt haben. Inzwischen zweifeln immer mehr Republikaner, ob die Finanzierung in diesem Umfang fortgesetzt werden sollte. Der Widerstand formiert sich besonders am Trump-nahen Lager der Partei, das nie ein großes Interesse an transatlantischer Kooperation hatte. Bereits im Mai stimmten elf republikanische Mitglieder des Senats gegen die Ukraine-Hilfe. Unter ihnen war auch der Senator von Missouri, Josh Hawley, der beim Sturm auf das Kapitol am 6. Januar 2021 die Aufständischen angestachelt hatte. Das jüngste Überbrückungsgesetz, um einen Regierungsstillstand (government shutdown) abzuwenden, enthielt weitere 12,4 Milliarden Dollar für die Ukraine. Nur eine Handvoll Republikanischer Abgeordneter unterstützte es.

Unterstützung für die Ukraine-Hilfe lässt nach

Das Magazin Politico sagt voraus, dass sich „das Zeitfenster für massive Notstandsgesetze“ schließt. Der Druck der amerikanischen Wählerschaft nimmt zu, da sich viele Bürger*innen über Inflation und hohe Benzinpreise Sorgen machen oder nach dem katastrophalen Hurrikan Ian Hilfe benötigen. Wenn – wie vorhergesagt – hauptsächlich Trump-Republikaner neu ins Repräsentantenhaus und in den Senat gewählt werden, könnten die Rufe nach einer Kürzung der militärischen, finanziellen und humanitären Mittel für die Ukraine und einer Verlagerung der Verantwortung nach Europa um vieles lauter werden. Dieser Trend ist auch in Kiew nicht unbemerkt geblieben und könnte die derzeit günstigen Aussichten der Ukraine auf dem Schlachtfeld gefährden.

Neben seiner Haushaltsmacht hat der Kongress auch die Befugnis, Krieg zu erklären. Sollte der Krieg Russlands gegen die Ukraine massiv eskalieren und eine aktive Reaktion der USA erfordern, bräuchte Biden die Zustimmung des Kongresses, um militärisch zu intervenieren. Diese Genehmigung könnte er bereits im Voraus erhalten, indem der Kongress eine Resolution zur Ermächtigung zur Anwendung militärischer Gewalt (AUMF) verabschiedet. Adam Kinzinger (Republikaner aus Illinois), der Trump offen kritisiert und nicht zur Wiederwahl antritt, brachte im Mai erfolglos einen solchen Vorschlag ein, der Präsident Biden dazu ermächtigt hätte, auf einen russischen Einsatz chemischer, biologischer oder nuklearer Waffen militärisch zu reagieren.

Eine der grundlegendsten Aufgaben des Kongresses ist die Kontrolle der Regierung, auch in außenpolitischen Belangen. Sollte es eine republikanische Mehrheit im Repräsentantenhaus geben und republikanische Abgeordnete ranghohe Funktionen in den Ausschüssen einnehmen, ist eine Flut von Anhörungen und Untersuchungen zu erwarten. Im aktuellen Wahlkampf kündigen republikanische Kandidat*innen für das Repräsentantenhaus bereits Untersuchungen zur Herkunft des Coronavirus, zu Waffenverkäufen an die Ukraine und zum Rückzug der Biden-Regierung aus Afghanistan an. Mit einer Mehrheit im Repräsentantenhaus könnten die Republikaner auch Vorladungen, ähnlich wie derzeit der Kongress-Ausschuss zum Sturm des Kapitols, als Ermittlungsinstrument einsetzen. Ein kürzlich veröffentlichter Bericht der Republikaner im Auswärtigen Ausschuss des Repräsentantenhauses legt dar, wie sie bei einer Untersuchung des Afghanistan-Abzugs vorgehen wollen. Außenminister Anthony Blinken würde wahrscheinlich vorgeladen und es gäbe eine Reihe öffentlicher Anhörungen mit Biden-Beamten wie dem nationalen Sicherheitsberater Jake Sullivan.

China ganz oben auf der Tagesordnung

Während die US-Außenpolitik derzeit vornehmlich mit dem Krieg in der Ukraine befasst ist, haben die Republikaner ein starkes Interesse daran, China wieder in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit zu rücken. Es besteht parteiübergreifender Konsens darüber, dass China in den kommenden Jahrzehnten der wichtigste geopolitische Konkurrent der USA sein wird. China-feindliche Ansichten kommen bei gewissen Wählergruppen gut an, sodass in Washington D.C. ein regelrechter Wettbewerb um den Titel des größten „China-Falken“ herrscht. Die Republikanische Partei hat bereits ihre Absicht erklärt, sich intensiv auf China zu konzentrieren, falls sie das Repräsentantenhaus gewinnt. Diese Strategie soll unter anderem beweisen, dass die Biden-Regierung China gegenüber nicht hart genug auftritt. Von Cyber- und Weltraumpolitik bis hin zu Lieferkettenproblemen, einer Invasion Taiwans und Verschwörungstheorien rund um Hunter Bidens Laptop – kündigen die Republikaner in den nächsten zwei Jahren eine ganze Reihe von Themen im Zusammenhang mit China an.

Der US-Kongress hat eine lange Tradition, internationale Verträge abzulehnen, wie etwa das Seerechtsübereinkommen und den Vertrag über das Verbot von Kernwaffenversuchen. Bei einem republikanisch dominierten Kongress sind die Aussichten auf Wiedereinführung eines Atomabkommens mit dem Iran gering (auch wenn es sich hierbei nicht um einen Vertrag handelt). Selbst wenn die Verhandlungen über eine Rückkehr zur Wiener Nuklearvereinbarung mit dem Iran (JCPoA) erfolgreich abgeschlossen würden, müsste diese aufgrund des „Gesetzes zur Überprüfung des Iran-Atomabkommens“ aus dem Jahr 2015 vom Kongress bestätigt werden. Sollte Biden versuchen, den Kongress zu umgehen, könnten republikanischen Gesetzgeber klagen.

Biden muss mit Gegenwind rechnen

Sollten die Republikaner auch die Mehrheit im Senat gewinnen, könnten sie noch stärkeren Einfluss auf die Außenpolitik ausüben. Sie könnten Biden ihre Zustimmung für die Besetzung wichtiger politischer Posten verweigern. Dies würde dazu führen, dass in einer Zeit, in der die Diplomatie wichtiger denn je ist, weiterhin wichtige Botschafterposten unbesetzt bleiben. Derzeit sind circa 25% aller Stellen unbesetzt, darunter in Ländern wie Russland, Indien, Brasilien, oder Italien.

Doch selbst wenn die Demokrat*innen die Mehrheit im Senat halten, wird der Präsident in seiner eigenen Partei mit stärkeren außenpolitischen Differenzen rechnen müssen. Einen Vorgeschmack darauf gab kürzlich der Senator Bob Menendez. Der Vorsitzende des Ausschusses für auswärtige Beziehungen drohte öffentlich mit einer Blockade aller künftigen Waffenverkäufe an Saudi-Arabien und forderte eine Neubewertung der US-Beziehungen zu dem Königreich. Der Kongress kann nicht nur durch seinen Ausschuss für auswärtige Beziehungen Waffen-Deals ausbremsen, sondern jederzeit bis zur Lieferung der Ware auch Gesetze verabschieden, die Waffenverkäufe blockieren oder abändern.

Isolationismus auf dem Vormarsch?

Sollten die Republikaner, wie vorhergesagt, das Repräsentantenhaus gewinnen, wird ihr außenpolitischer Kurs ein Vorgeschmack darauf werden, was eine Republikanische Präsidentschaft im Jahr 2024 für die Verbündeten der Vereinigten Staaten bedeuten könnte. Wenn die Trump-Anhängerschaft mit ihrem isolationistischen Kurs in der Partei Unterstützung findet und die wenigen verbleibenden traditionellen Republikaner niederzwingt, die in nationalen Sicherheitsfragen nach wie vor über Parteigrenzen hinweg zusammenarbeiten, wird sich dies massiv auf die transatlantischen Beziehungen auswirken. Deutschland, EU und NATO wären gut beraten, sich auf einen solchen Kurswechsel vorzubereiten.