Brief an einen jungen Katholiken

Sie befinden sich in "Kapitel 5: Der Kritiker des deutschen Katholizismus (1959 - 1966)".

1958 erscheint der "Brief an einen jungen Katholiken" in der Zeitschrift "Werkhefte katholischer Laien". Ursprünglich für eine Sendung des  Süddeutschen Rundfunks geplant, wurde Bölls Text auf Anordnung des Intendanten Hans Bausch aufgrund seiner massiven Kritik am deutschen Nachkriegskatholizismus kurzfristig abgesetzt:

Auszug aus Heinrich Bölls "Brief an einen jungen Katholiken", 1958

"Gewiß wundern Sie sich, daß ich Ihnen das alles schreibe und es Ihnen nicht an jenem Abend bei Pfarrer U. erzählte; das hat einen Grund, den ich Ihnen nicht verschweigen will: ich bringe es nicht mehr über mich, in Gegenwart von Pfarrer U. über Dinge zu sprechen, die mir ernst sind; ich kenne Pfarrer U. schon länger als zwanzig Jahre; damals sprachen wir über Bernanos und Bloy (wobei Pfarrer U. wie allen anderen deutschen Katholiken, von einigen Ausnahmen abgesehen, immer wieder bis heute der Irrtum unterläuft, Bernanos für einen linken Katholiken zu halten, womit sie nur beweisen, daß sie noch rechts von Bernanos stehen - aber das wäre eines besonderen Exkurses wert, wieviel verhängnisvolle Irrwege aus diesem Irrtum zu erklären sind).

Damals schon erzählte Pfarrer U. die besten Witze übers Generalvikariat, und es imponiert natürlich einem jungen Mann, auf diese Weise zu den Eingeweihten und Privilegierten gezählt zu werden. Aber die Witze über das Generalvikariat (die sich übrigens in den letzten zwanzig Jahren wenig verändert haben), sind nur das, was für Major Sch. die verbotenen Lieder waren, was heute für ihn die Kritik ist; lassen Sie sich nur nicht täuschen; man weicht den Entscheidungen aus.

Ich schätze Pfarrer U. auf eine bestimmte Weise: er ist witzig, amüsant, weiß gut über Literatur Bescheid, er bietet seinen Gästen einen ausgezeichneten Wein an, vorzügliche Zigarren, und ich weiß diese Dinge - als nebensächlich - durchaus zu schätzen; außerdem gehört es zu meinem Beruf, zu beobachten, und ich beobachte Pfarrer U. seit mehr als zwanzig Jahren; ich versuche, in meine Beobachtung etwas von der Verzweiflung zu legen, die der junge blasse Unteroffizier empfunden haben muß, als er sich im Anblick der grauen, unendlichen Gleichgültigkeit des Ozeans im Morgengrauen erschoß, ein wenig auch von der verzweifelten Korruptheit jenes intelligenten Feldwebels, der sich am Krieg bereicherte. Vieles weiß ich an Pfarrer U. zu schätzen, doch ein Gespräch mit ihm interessiert mich nicht; - lieber spiele ich mit meinen Kindern Mensch-ärgere-dich-nicht.

Die deutschen Katholiken, die für mich in Pfarrer U. bis zu einem gewissen Grad repräsentiert sind, haben seit Jahrzehnten kaum andere Sorgen gehabt als die Vervollkommnung der Liturgie und die Hebung des Geschmacks; das ist höchst lobenswert, doch frage ich mich, ob es als Alibi für eine oder zwei Generationen ausreicht. Es gehört zum guten Ton, fast möchte ich sagen zum Programm, über das jeweilige Generalvikariat zu schimpfen, über die Bischöfe, den Klerus (besonders Kleriker tun sich darin hervor), aber die geistige Haltung, die aus diesem Gebaren spricht, ist kaum ernster zu nehmen als die eines Obersekundaners, der sich beim Kommers über seinen Klassenlehrer lustig macht.

Hinter diesen Kindereien verbirgt sich bei Pfarrer U. wie bei vielen anderen Katholiken eine tiefe Verzweiflung: Literatur, Bildung, Liturgie sind nur Mittel, ihren Gewissensqualen zu entfliehen; sie alle sind einsichtig und intelligent genug, um zu wissen, daß die Fast-Kongruenz von CDU und Kirche verhängnisvoll ist, weil sie den Tod der Theologie zur Folge haben kann; es ist doch einfach nur peinlich, nichts anderes als peinlich, wenn man Stellungnahmen von Theologen zu politischen Fragen liest; das ist stramm auf Bonn gezielt und man spürt hinter jedem Satz einen Eifer, der auf das Schulterklopfen wartet.

aus:
„Brief an einen jungen Katholiken“ von Heinrich Böll
© 1961, 1986 by Verlag Kiepenheuer & Witsch Köln

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