Rückkehr nach Köln 1946

Sie befinden Sich in "Kapitel 3: Die Nachkriegszeit (1945 - 1951)".

Nachdem die Familie 1946 nach Köln zurückgekehrt war, richtete sie sich in einem halbzerstörten Haus in Köln-Bayenthal, Schillerstraße 99 ein. Heinrich Böll schreibt sich erneut an der Kölner Universität ein und arbeitet als Hilfsarbeiter in der elterlichen Schreinerwerkstatt im Hinterhaus der Vondelstraße 28, die sein Bruder Alois weiterführt.

Auszug aus dem Text "Stichworte", 1965

"Als wir Köln wiedersahen, weinten wir. Wir kamen über die geländerlose, von Lehm glitschige Behelfsbrücke von Deutz herüber, ein englischer Panzer, der uns entgegenkam und ins Rutschen geriet, drängte uns fast in den Rhein. Wieder und noch einmal: Todesangst.

Das zerstörte Köln hatte, was das unzerstörte nie gehabt hatte: Größe und Ernst. Das Schicksal war in seiner Unbarmherzigkeit genau gewesen. Die Zerstörung war vollständig und kriegstechnisch vollkommen sinnlos: das war der angemessene Zustand für einen Ort, in dem wir leben wollten. Tränen, und von Allerheiligen noch die Kränze und Blumen auf den Trümmergrundstücken.

Das unzerstörte Köln war, bis in die wilden Bacchanalien hinein, die in Luftschutzbunkern stattfanden, während die Bomben fielen - es war unernst gewesen, unordentlich auch und, obwohl fast ein Jahrhundert lang Festung und große Garnison, nie militaristisch. Die Härte, die sich unter rheinischem Humor verbirgt, einer Härte, die kriminell werden kann, waren die ordentlichen und korrekten Preußen nie gewachsen. Köln war nie so recht Großstadt, immer Stadt, seine Verdorbenheit saß tiefer als die pointierte Verdorbenheit der gängigen Großstadt, die sich so leicht verfilmen läßt. Köln war richtiger, es war heiler als jede unzerstörte ländliche oder kleinstädtische Idylle, in der einer friedlich hätte Kartoffeln stehlen, Tabak pflanzen, Heiles schreiben, sich ausruhen und hätte einschlafen können.

Es kam eine Zeit - deutscheste Form des Perfektions-Perversionsspiels »Wer ist der erste im ganzen Land?« -, in der es eine Art Wettstreit der deutschen Städte gab, welche die am meisten zerstörte sei. Uns war Köln zerstört genug. Als wir wieder dorthin zogen, hatte es, glaube ich, dreißigtausend Einwohner. Jahrelang noch blieben die Trümmerloren die einzigen Verkehrsmittel innerhalb der Stadt, jahrelang lagen am Allerheiligentag Kränze und Blumen auf den Trümmergrundstücken. [...]

Ich weiß nicht, warum ich mich weigerte, zu tun, was als jeden heimkehrenden Bürgers erste Pflicht mit neudemokratischem Enthusiasmus propagiert wurde: mich mit Schaufel und Hacke an der Enttrümmerung zu beteiligen. Es war nicht nur das Gefühl, Besseres zu tun und genug getan zu haben, es war nicht nur Faulheit, nicht nur Gleichgültigkeit gegenüber einem »Aufbauwillen«, dessen Geist sich nicht artikulierte. Vielleicht erinnerte mich die Art, wie sie da zusammenstanden, auf Schaufel und Hacke gestützt, einander von Krieg, Gefangenschaft und politischen Irrtümern erzählten, zu sehr an Stammtisch und Kampfkommandanturen gleichzeitig. [...]
Köln war eine große Stadt, und die einzige Möglichkeit, Hoffnung zu haben, war, in dieser zerstörten Stadt zu wohnen."

--

Navigation