Markus Beckedahl: "Netzneutralität hat das Internet groß gemacht"

Markus Beckedahl beschäftigt sich in seinem Blog netzpolitik.org mit Bürgerrechten, Datenschutz, Privatsphäre, Überwachung, Copyrights und vielen anderen Themen, die das (digitale) Leben der Menschen bestimmen. Foto: commonspage Dieses Bild steht unter einer Creative Commons Lizenz.

11. August 2010
Boell.de: Das Thema Netzneutralität gewinnt zunehmend an Bedeutung. Um was geht es dabei eigentlich konkret? Was bedeutet ein Verlust der Netzneutralität für die Verbraucher/innen?

Beckedahl: Das Internet konnte nur so groß werden, weil das Prinzip der Netzneutralität einen Innovationsrahmen geschaffen hat, wie wir ihn noch nie in der Geschichte erlebt haben. Dadurch konnten Unternehmen wie Google oder Facebook in der berühmten "Garage" entstehen und jeder hat die Möglichkeit, z.B. mit einem Blog traditionellen Medien Konkurrenz zu machen oder lediglich seine Meinung frei zu äußern.

Die Basis dafür ist das End-to-End-Prinzip in der Internetarchitektur, das allen dieselben Zugangsmöglichkeiten gibt. Mittlerweile gibt es invasive Technologien wie Deep-Packet-Inspection, mit der man in den Datenverkehr reinschauen kann und ihn an den Knotenpunkten des Netzes besser steuern kann. Provider würden diese gerne verwenden und damit eine andere Rolle als Gatekeeper übernehmen, die ihre Netze steuern und entscheiden, welche Dienste z.B. diskriminiert werden. Ein schönes Beispiel ist im Mobilfunkbereich der Dienst  Skype, der oftmals blockiert wird, weil Provider das eigene Geschäftsmodell mit Telefonaten schützen wollen. In den USA kommt es auch vor, dass Provider nicht mehr nur Vermittler spielen, sondern sich Inhalterichtlinien geben und in den Datenverkehr eingreifen, um missliebige Inhalte zu zensieren, die aber von der Meinungsfreiheit gedeckt sind.



Boell.de: Google hat in den USA mit dem Internetprovider Verizon einen Deal abgeschlossen, der nach Aussagen von Bürgechtler/innen und Netzaktivisten die Netzneutralität gefährdet. Was enthält diese Vereinbarung konkret und gibt es eine Signalwirkung für Deutschland?

Beckedahl: Google und Verizon haben in einem gemeinsamen Eckpunktepapier einen Regulierungsrahmen vorgelegt, der Netzneutralität mit bestimmten Ausnahmen im Kabelnetz vorschreiben soll, aber der mobile Bereich und "neue Services" sollen davon ausgeschlossen werden. Da mobiles Internet immer wichtiger wird und alle Dienste und Zukunftstechnologien ab 2011 als "neue Services" definiert werden könnten, bedeutet das den inakzeptablen Schritt, dass die Netzneutralität zukünftig immer weniger Bedeutung haben wird.

Da die USA eine Vorreiterrolle in vielen Internetfragen spielt, nicht zuletzt, weil die meisten großen Unternehmen dort herkommen, hat die derzeitige Debatte dort Signalwirkung für Deutschland. Aber zum Glück haben wir noch einen anderen Rechtsrahmen und die Politik kann einfacher Bedingungen schaffen, um die Netzneutralität zu sichern.



Boell.de: Im genannten Vertrag ist von der Gewährung von Netzneutralität für „lawful content“ also gesetzmäßige Inhalte die Rede. Was bedeutet diese Passage? Und wie ließe sich überhaupt überprüfen, ob die Inhalte gesetzmäßig sind?


Beckedahl: Die Formulierung "rechtsmäßige Inhalte" ist gefährlich, weil sie freie Meinungsäußerungen und Innovationen be- oder verhindern kann. Neue Technologien befinden sich manchmal in einer Grauzone und hier damit könnten sie von Providern behindert werden. Damit könnte man auch p2p-Technologien diskriminieren, weil oft fälschlicherweise gesagt wird, darüber würden nur urheberrechtlich geschützte Werke getauscht - dabei wird über Bittorrent auch viel Freie Software und freie Inhalte distributiert.



Boell.de: Was planen die großen Internetprovider wie die Telekom in Deutschland in Sachen Netzneutralität? Gibt es unterschiedliche Positionen?

Beckedahl: Die Deutsche Telekom und auch Telefonica (Mutterkonzern von o2) haben schon verkündet, dass sie gerne große Anbieter mit einer Art Maut zur Kasse bitten wollen und gerne in anderen Bereichen die Netzneutralität aufheben würden, um "neue Geschäftsmodelle" auszuprobieren. Die große Gefahr dabei ist, dass Zugangshürden geschaffen werden, die kleine Wettbewerber behindern, nicht jeder verfügt über eine ähnlich große Kriegskasse wie z.B. Google, um diese zusätzlichen Durchleitungsgebühren zu bezahlen.



Boell.de: In Deutschland hat sich gerade die Inititaive „Pro Netzneutralität“ gegründet, zu deren Erstunterzeichnern Sie auch gehören. Was sind die Forderungen dieser Initiative?

Beckedahl: Die zentrale Forderung der Initiative ist, dass die Netzneutralität gesetzlich vorgeschrieben wird und das offene und diskriminierungsfreie Netz erhalten bleibt.



Boell.de: Welche Position vertritt die Bundesregierung beim Thema Netzneutralität?

Beckedahl: Die Bundesregierung hat in ihrem Koalitionsvertrag die Netzneutralität positiv berücksichtigt, sieht aber keinen Handlungsbedarf, weil der Wettbewerb ausreichend sei. Das wundert etwas, weil wir vor allem im Mobilfunkbereich ein Oligopol haben und an vielen Stellen Deutschlands noch weniger Anbieter vertreten sind als in den großen Städten. Die Verbraucher haben teilweise keine Wahlfreiheit, lange Vertragslaufzeiten verhindern oftmals einen Wechsel zu anderen Anbietern, wenn die Netzneutralität verletzt wird.



Boell.de: Wie können sich Menschen für Netzneutralität hierzulande engagieren?

Beckedahl: Wichtig ist informieren, mit anderen darüber reden und die Bundesregierung auffordern, mehr für den Erhalt der Netzneutralität zu tun. Hierfür kann man sich auch an die eigenen Wahlkreisabgeordneten aus der Regierungskoalition wenden und diese fragen, wie ihre Meinung dazu ist und wie sie ein offenes Internet erhalten wollen.

Das Interview führte Markus Reuter. Es steht unter einer Creative Commons Lizenz (CC-BY-SA) und kann unter Angabe der Quelle gerne verbreitet werden. 

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Markus Beckedahl ist netzpolitischer Aktivist und betreibt das Blog netzpolitik.org. Er sitzt als Sachverständiger in der Enquête-Kommission Internet und digitale Gesellschaft.