Dieselskandale: Teurer Schwindel

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Autokonzerne, allen voran VW, haben Millionen Diesel-Pkw so manipuliert, dass die Abgasgrenzwerte nur scheinbar eingehalten wurden. Der Betrug ist noch lange nicht aufgeklärt.

Dieselskandale: Vorzeitige Todesfälle durch Emissionen von Diesel-Pkw und -Lkw oberhalb der gesetzlichen Grenzwerte, 2015
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2015 wurden durch Grenzwertüberschreitungen 4,6 Millionen Tonnen Stickoxide zusätzlich ausgestoßen. Daraus lassen sich die Opferzahlen errechnen.

Automobilhersteller haben durch sogenannte Abschalteinrichtungen Millionen Käufer und Käuferinnen getäuscht. Der VW-Konzern gab im Jahr 2015 zu, die Abgasreinigung verschiedener Pkw-Modelle mit Dieselmotoren manipuliert zu haben. Aufgedeckt hatte den Vorgang ein Jahr zuvor die Forschungsorganisation International Council on Clean Transportation (ICCT), als sie Dieselmodelle von BMW und VW prüfte. Sie fand heraus, dass die VW-Diesel den Grenzwert für gesundheitsschädliche Stickoxid-(NOx-)Emissionen auf dem Prüfstand einhielten, diesen auf der Straße aber um ein Mehrfaches überschritten. VW hatte eine manipulierte Software in der Motorsteuerung eingebaut – die Abgasreinigung wurde im Straßenbetrieb weitgehend abgeschaltet.


In den USA leitete die Justiz im September 2015 Ermittlungen gegen VW ein. Im Oktober 2015 zogen deutsche Staatsanwaltschaften nach. Gegen Manager und Ingenieure laufen zahlreiche Verfahren. In den USA wurde ein VW-Manager verurteilt, weitere wurden angeklagt – darunter der ehemalige VW-Chef Martin Winterkorn. In Deutschland ging Audi-Chef Rupert Stadler in Untersuchungshaft. Anklagen gegen Winterkorn, den aktuellen VW-Chef Herbert Diess und den Ex-Finanzvorstand Hans Dieter Pötsch wegen vorsätzlicher Marktmanipulation wurden 2019 in Braunschweig erhoben.

Dieselskandale: Durchschnittliche reale Stickoxidemissionen von Diesel-Pkw verschiedener Schadstoffklassen im Vergleich zu deren Grenzwerten, gemittelt über alle Straßenkategorien und Temperaturen.
Abgasmessungen, die nicht dem wirklichen Fahrgeschehen entsprechen, beschönigen die Emissionen und sind anfällig für Manipulationen und Betrug.

In der Folge ergaben weitere Untersuchungen bei deutschen und ausländischen Autoherstellern bis heute anhaltende, teils erhebliche Überschreitungen der Grenzwerte, auch aufgrund von Abschalteinrichtungen. Das Umweltbundesamt (UBA) sowie Umweltverbände hatten frühzeitig darauf hingewiesen, dass Abgasemissionen von Diesel-Pkw im Alltagsbetrieb über den Grenzwerten liegen. Das UBA stellte schon in den Jahren 2005, 2006 und 2009 fest, dass Diesel-Pkw „alarmierend“ hohe Stickoxidemissionen aufweisen. Die Abschalteinrichtungen, die oft dafür verantwortlich waren, und der damit verbundene Rechtsbruch wurden jedoch von keiner Bundesbehörde identifiziert und erkannt. Das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA), für solche Untersuchungen in Deutschland zuständig, sowie das Bundesverkehrsministerium als übergeordnete Behörde hatten offenbar nicht konsequent kontrolliert und so ermöglicht, dass die Manipulationen unerkannt bleiben konnten.


Selbst nachdem die Manipulationen in den USA aufgedeckt worden waren und die deutsche Automobilwirtschaft bereits großen Imageschaden erlitten hatte, änderte sich lange nichts an der Patronage der Bundesregierung zugunsten der Hersteller. Das KBA gab sich zur Schadensbegrenzung mit einer billigen Softwarelösung zufrieden, die VW und andere Hersteller in betroffene Dieselmodelle einbauen mussten. Deren Wirkung ist begrenzt und der NO2-Grenzwert wird damit immer noch bei Weitem überschritten. Notwendig wäre der Einbau einer wirksamen, aber teureren Hardwarelösung gewesen, eines Katalysators mit Harnstoffeinspritzung. Dies wurde lange von den CSU-Bundesverkehrsministern und Bundesländern mit Standorten von Autoherstellern verhindert.

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Aufklärung, Schadensbegrenzung und Bewegung in der Politik sind der Zivilgesellschaft, Teilen der Presse und der Justiz zu verdanken. Wer wissen will, warum Politik und Behörden so schleppend auf den Dieselskandal reagierten, wird eine gewisse Nähe zwischen staatlichen Stellen und Großindustrie erkennen. Die Wege sind kurz. So wurden zwei ehemalige Spitzenpolitiker des Bundeskanzleramtes zu Cheflobbyisten: Thomas Steg (SPD) für Volkswagen und Eckart von Klaeden (CDU) für Daimler. Transparency International Deutschland spricht beim Dieselskandal insgesamt von „institutioneller Korruption“, dem Mißbrauch anvertrauter Macht zu privaten Zwecken.


Immer noch ist der Lobbyismus nicht an wirksame Regeln geknüpft. Ein Transparenzregister ähnlich dem der EU, an das Kontakte zwischen Wirtschaft und Politik zu melden sind, würde gesetzeswidriges Verhalten erschweren. Notwendig ist aber auch ein Unternehmensstrafrecht, das Staatsanwaltschaften zu mehr Ermittlungen verpflichtet und einen wirksamen Katalog von Strafen beinhaltet – statt die Verfolgung krimineller Praktiken in das Ermessen der Strafverfolgungsbehörden zu stellen und auf Anzeigen von außen zu warten.

Dieselskandale: Diesel-Pkw und -Lieferwagen in der EU mit Abgasnormen Euro 5 und 6, die ihre Grenzwerte deutlich* überschreiten, nach Herstellern, in Millionen.
Nur ein Achtel aller schmutzigen Diesel-Pkw erhielten ein – zudem wenig wirksames – Softwareupdate. Die meisten fahren weiter dreckig herum.

Und die geschädigten Autofahrer? In den USA musste VW die manipulierten Fahrzeuge zurückkaufen und insgesamt rund 30 Milliarden US-Dollar zahlen. In Deutschland blieben Kunden und Kundinnen lange sich selbst überlassen. Mit zivilrechtlichen Einzelklagen versuchten 64.000 Dieselfahrer und -fahrerinnen, eine Entschädigung zu erhalten. Zusätzlich existieren acht Sammelklagen, bei denen Ansprüche an Dritte abgetreten werden. Viele Betroffene schreckte dieser langfristige, kostenintensive Weg ab. Der Gesetzgeber führte deswegen die Musterfeststellungsklage ein. Seit 2018 können sich Verbraucherinnen und Verbraucher kostenlos in ein Klageregister der Verbraucherzentrale eintragen und sich der Musterfeststellungsklage anschließen. Das Prozessrisiko trägt die Verbraucherzentrale und verringert so die Belastungen der Einzelnen.


Allerdings führt diese Klage nicht zu einem direkten Ergebnis für Betrogene. Auch wenn sie erfolgreich ausgeht, müssen Betroffene für ihren konkreten Fall erneut vor Gericht verhandeln, wie hoch die Entschädigung ist. Zivilrechtlich aber sind die individuell Betrogenen gegenüber den finanzstarken Unternehmen in aller Regel unterlegen. Es bedarf daher wie in den angelsächsischen Rechtssystemen der Möglichkeit, gemeinsam in Gruppenklagen gegen solche Konzerne vorzugehen.