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Tshering Chonzom

Lesedauer: 4 Minuten
Tshering Chonzom Bhutia ist Programmkoordinatorin der Heinrich-Böll-Stiftung in Indien und betreut dort das Programm für Demokratie und Konflikte.

16. Juli 2009
Frage: Bei den diesjährigen Parlamentswahlen konnte sich die United Progressive Alliance unter Manmohan Singh erneut behaupten. Hat die aktuelle Regierungssituation Einfluss auf Indiens Gender-Bewegung?

Es gibt jetzt Licht am Ende des Tunnels. Wie Sie wissen, haben wie für eine 33%-ige Vertretung von Frauen im indischen Parlament gekämpft. Dieses Mal hat die Congress Partei, welche die United Progressive Alliance anführt, nun eine Art Mehrheit im Parlament. Es gibt also eine Möglichkeit, die Quote zu erreichen und die Partei kann sich nun nicht wieder mit dem gleichen Argumente herausreden, ihre Stimmen nicht durchgesetzt haben zu können. Die Gender-Bewegung kann das Thema aufnehmen und darauf bestehen, dass die Partei dieses Mal 33 Prozent der Parlamentssitze an Frauen vergibt.

Auch auf der Ebene der lokalen Grass-Roots-Organisationen ist Licht am Ende des Tunnels zu sehen. Übrigens ist es sehr interessant, dass es nun zum ersten Mal eine Parlamentessprecherin und eine Präsidentin des Parlaments gibt. Weiterhin gibt es in der aktuellen Regierung eine Staatsministerin, die mit Ende 20 auch noch sehr jung ist. Alles in allem sind rund 10 Prozent der Mitglieder des Parlaments Frauen, was 1-2% mehr als bei den letzten Wahlen ausmacht.

Frage: Sie sind in Vertretung der Gender-Koordinatorin Ihres Büros nach Berlin gekommen. Wie beurteilen Sie als Verantwortliche des Demokratisierungsprogramms den Zusammenhang zwischen Gender und Demokratie?

In Indien ist der Aufbau der Parteien sehr patriarchalisch und hindert Frauen daran, in Positionen zu gelangen, in denen Entscheidungen getroffen werden. Wir leben in einer von Männern dominierten Gesellschaft, besonders in diesen Bereichen. Eine Demokratie ist dynamisch und pulsierend, also hat sie auch in dieser Hinsicht sowohl Vor- als auch Nachteile. Auf der einen Seite ist es gut, dass jeder einzelne repräsentiert wird. Aber auf der anderen Seite gibt es eine große Anzahl regionaler Parteien in den verschiedenen Landesteilen. Bei demokratischen Wahlen kann jeder teilnehmen und seine Partei unterstützen. So kommt es, dass viele Parteien mit vielen unterschiedlichen Agenden zusammenkommen, in denen Frauen vielleicht gar nicht Thema sind.

Demokratie funktioniert also auf verschiedene Arten und Weisen. Auf der einen Seite gibt sie den regionalen Parteien und ihren speziellen Themen eine Stimme. Zur gleichen Zeit ist es aber ein Nachteil, dass die Agenden und Probleme, die ins nationale Parlament kommen, oft nicht zusammenpassen. Indien ist eine junge Demokratie, nur um die 65 Jahre alt. Hier können wir sehen, dass sich das Land noch mitten im Änderungsprozess befindet.

Frage: Indien ist die größte Demokratie der Welt, doch patriarchalische Familienstrukturen hemmen oft noch die Orientierung an die westliche Welt. Wo und wie kann man am meisten bewegen?

Das setzt ja voraus, dass die Strukturen der westlichen Länder nicht patriarchalisch sind und die indischen Ideen schon, was ich als problematisch ansehe. Ich denke, dass es sowohl in Deutschland als auch in Indien Einschränkungen der Freiheit gibt.

Was auf eine Weise sicherlich patriarchalisch ist, ist die Tatsache, dass Männer immer noch als die alleinigen Verdiener des Lebensunterhalts angesehen werden. In Indien und allgemein in den asiatischen Gesellschaften realisieren wir jetzt, dass die moderne, individualisierte Gesellschaft auch ein Problem darstellen kann - man denke nur an die steigenden Scheidungsraten.

Indien ist ein sehr vielfältiges Land mit verschiedensten Problemen in verschiedenen Bevölkerungsschichten. So gibt es durchaus auch matriarchalische Gegenden Indiens, wo Frauen die Geschäfte der Familien in die Hand nehmen.

Betrachtet man das Thema aus dem Blickwinkel der Gesetzgebung, gibt es nun beispielsweise ein Gesetz bezüglich häuslicher Gewalt, letztes Jahr wurden Lebenspartnerschaften der Ehe gleichgestellt. Früher mussten Frauen nachweisen, dass sie missbraucht wurden – nun ist es einfacher, dem Gericht zu zeigen, dass der Mann es war, der ihre persönlichen Rechte missbraucht hat. Es gibt viele Gesetze in Indien, aber das Problem ist, dass Anwendung und Übertragung sowie das Bewusstsein über die Menschenrechte fehlen - hier spielen sowohl kulturelle als auch soziale Faktoren eine entscheidende Rolle.


Das Interview führte Sina Nadine Tegeler, Heinrich-Böll-Stiftung.

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