Laudatio: Anne-Klein-Frauenpreis

Prof. em. Dr. Birgit Rommelspacher. Foto: Stefan Röhl, Lizenz CC-BY-SA 3.0 

2. März 2012
Laudatio von Prof. em. Dr. Birgit Rommelspacher

Nivedita Prasad bekommt den Anne-Klein Frauen-Preis, weil - wie es in der Begründung der Jury heißt – „sie sich seit vielen Jahren mutig und entschlossen für Frauen- und Menschenrechte einsetzt. Sie macht Frauenhandel und Gewalt gegen Frauen öffentlich und streitet für Strafverfolgung und Rechtsetzung. Sie kämpft gegen Rassismus und vor allem gegen Gewalt gegen Migrantinnen.“ 

Der Kampf um Menschenrechte ist eine wichtige Sache. Vielen flößt sie große Achtung ein. Manche sagen, die Menschenrechte seien die 10 Gebote einer neuen Zivilreligion in unserer globalisierten Welt. Die meisten finden die Menschenrechte irgendwie gut, und wohlwollend betrachtet man diejenigen, die sich für die Menschenrechte einsetzen. Es scheint gut zu tun, zu wissen, dass es da Menschen gibt, die sich für Ausgegrenzte engagieren und gegen Unrecht kämpfen. Sie wären dann – um im Bild der Zivilreligion zu bleiben - die neuen Heiligen. Manche jedoch ziehen es vor, sie als Gutmenschen zu diskreditieren. Beide Klischees haben wenig mit dem tatsächlichen Einsatz für Menschenrechte zu tun. Das zeigt meines Erachtens eindrucksvoll die Biographie von Nivedita Prasad.

Sie kam als 13-jährige mit ihrer Familie aus Indien nach Deutschland und machte sehr schnell Erfahrungen mit deutschen Institutionen und Lebensweisen, denn kurz nach ihrer Ankunft hatte sie sich mit ihrer Familie überworfen und kam in ein Heim. Dort blieb sie bis zu ihrem 18. Lebensjahr. Sie hat diese Zeit immer noch in guter Erinnerung. Die Erzieherinnen, sagt sie, waren warmherzig, engagiert und setzten sich persönlich für die Mädchen ein. Sie fand dort Schutz und vor allem Freiheit. Sehr deutlich hatten die Betreuerinnen den Mädchen zu verstehen gegeben, dass jedes Mädchen ein Recht auf Anerkennung und freie Entfaltung habe. Allerdings gab es dann doch das Eine oder Andere was sie bei den Pädagoginnen wie auch bei den anderen Mädchen irritierte: So wurde sie häufig darauf angesprochen, wie es denn in Indien so wäre, da wären doch die meisten Kinder am Verhungern und die Frauen würden verbrannt. Nivedita Prasad konnte sich beim besten Willen nicht daran erinnern aus einem solchen Land zu kommen und sie fragte sich in ihrer jugendlichen Phantasie ernsthaft, ob es vielleicht doch noch ein anderes Indien gäbe, von dem die Deutschen immer sprechen, vielleicht ein Indien ganz am Rand der Welt, das sie selbst noch nicht kannte. Ebenso war sie irritiert, dass die meisten es ungewöhnlich fanden, dass sie Abitur machen wollte, dass sie fließend englisch sprach und selbstverständlich studieren wollte. Ihr Selbstbewusstsein und ihre Bildung schienen zu dem Bild von der armen Inderin nicht richtig zu passen.

Diese Erfahrungen waren für Nivedita Prasad so prägend, dass sie unbedingt auch Pädagogin in einem Mädchenheim werden wollte. Sie wollte es wie ihre Betreuerinnen machen - nur besser. So studierte sie Sozialpädagogik an der FU mit dem Schwerpunkt Interkulturalität und schrieb ihre Diplomarbeit zur sexuellen Gewalt gegenüber Migrantinnen - ein Thema, das sie bis heute begleiten sollte.

Noch während ihre Studiums organisierte sie mit anderen Frauen zusammen Anfang der 90er Jahre die ersten beiden Kongresse für Schwarze Frauen, jüdische Frauen, Migrantinnen und im Exil lebende Frauen. Sie war wesentlich mitverantwortlich für das Konzept und die Durchführung, organisierte Spendengelder und dokumentierte zusammen mit May Ayim schließlich beide Tagungen. Anlass für die Tagungen war, dass die Frauen, die sich hier trafen, den Eindruck hatten, im weißen Feminismus nicht vorzukommen; nicht auf den Podien, nicht in der Theorie und auch nicht in den Frauengruppen, denn da hatten die weißen Deutschen das Sagen. Sie bestimmten, was unter Feminismus zu verstehen sei. Daran entzündeten sich dann auch schon bald Konflikte, nämlich vor allem anhand der Frage, ob zum Feminismus ausschließlich der Kampf um die Gleichstellung der Frauen in der Gesellschaft gehöre oder aber etwa auch der Kampf gegen Rassismus und Antisemitismus. Für die meisten weißen Feministinnen war das ein völlig anderes Thema, für das sie sich nicht zuständig fühlten. Insofern ging es um die Frage, ob Feminismus sich auf die Anliegen der deutschen weißen Mittelschicht-Frauen beschränken kann, oder ob er nicht auch die Anliegen all der Frauen mit einbeziehen muss, die durch weitere Machtverhältnisse diskriminiert werden. Und bis heute verlaufen diesbezüglich tiefe Gräben zwischen den verschiedenen Frauen und feministischen Strömungen. Wir können dies derzeit etwa anhand der Kontroversen um die Rolle der muslimischen Frauen in dieser Gesellschaft sehen. Auch hier geht es letztlich vor allem darum, ob man in die Analyse neben der Kategorie des Sexismus auch den Rassismus einbezieht oder nicht.

Aber auch zwischen den people-of-color-Frauen taten sich bereits bei der Organisierung der damaligen Kongresse Widersprüche auf. So sahen etwa einige im Exil lebende Frauen nicht ein, warum auch jüdische Frauen daran teilnehmen sollten, hatte sie diese doch in ihren Herkunftsländern eher als Repräsentantinnen einer expansionistischen Politik denn als diskriminierte Minderheiten wahrgenommen. Hier jedoch war Nivedita Prasad von Anfang an eindeutig. Jede Gruppe, die die Diskriminierung anderer nicht akzeptiert, sei es Antisemitismus oder Homophobie oder etwa auch die Diskriminierung ostdeutscher Frauen, war für sie als  Bündnispartnerin nicht akzeptabel. Heute wird diese Position unter dem Begriff der Intersektionalität gefasst, bei dem es darum geht, möglichst alle in einem Kontext relevanten Formen der Diskriminierung gleichzeitig und gleichgewichtig in die Analyse mit einzubeziehen und keiner per se einen Vorrang einzuräumen.  

Damit wird deutlich: Menschenrechte aus der Ferne betrachtet sind eine wunderbare Sache, setzt man sich jedoch näher damit auseinander, treten schnell Konflikte zutage, bei denen es Position zu beziehen gilt. Auch hier geht es um Machtverhältnisse, etwa bei der Frage, wessen Diskriminierung ist wichtiger, aus welcher Position heraus wird Diskriminierung beurteilt und wer definiert, was Diskriminierung ist. Deutlich wird dabei auch, dass Menschenrechte gerne einklagt werden, solange es nicht um diejenigen geht, selbst verletzt werden. So hatte die Frage ob und inwiefern auch innerhalb des Feminismus Rassismus möglich oder gar üblich ist eine enorme Sprengkraft, und sie bestimmt wie gesagt bis heute noch viele Auseinandersetzungen zwischen Frauen unterschiedlicher feministischer Strömungen.

In ihrer ersten Stelle, einem interkulturellen Mädchenhaus, konnte Nivedita Prasad dann auch beruflich ihre politische Position einbringen. Dabei war ihr vor allem wichtig, deutlich zu machen, dass man sexistische  Gewalt niemals losgelöst von anderen Machtverhältnissen sehen kann, dass sie immer auch in einen sozialen und kulturellen Kontext eingebunden ist. So hat sie etwa die Erfahrung gemacht, dass ein Teil der Mädchen mit Migrationshintergrund große Schwierigkeiten hatten, sich in Bezug auf ihre familialen Gewalterfahrungen deutschen weißen Mitarbeiterinnen gegenüber zu öffnen; zu sehr hatten sie Angst davor, dass damit die eigene Familie und Kultur abgewertet und Rassismus geschürt würde. Diese Mädchen mussten sich quasi zwischen dem Schutz vor Rassismus und dem Schutz vor sexueller und physischer Gewalt  entscheiden. Viele sind mit dieser Situation nicht fertig geworden. Nivedita Prasad versuchte nun ihre Kolleginnen für diese inneren Konflikte zu sensibilisieren. Und darin sieht sie bis heute eine ihrer vielen Aufgaben. So hat sie u.a. Richtlinien für die Prävention gegenüber sexueller Gewalt für Mädchen mit Migrationshintergrund entwickelt und ist mit den entsprechenden Fachfrauen anhaltend in der Diskussion.   

Dazu gehört etwa ein Artikel, den sie kürzlich zum Thema Rassismus als Trauma veröffentlicht hat. Wenn Gesundheit, wie von der WHO formuliert nicht einfach die Abwesenheit von Krankheit ist, sondern physisches, psychisches und soziales Wohlergehen umfasst, dann macht Rassismus krank. Rassismus als Erfahrung eines  gewaltsamen Schocks, bei dem man oft nicht weiß, wie man reagieren soll. Man muss ihn über sich ergehen lassen. Man kann verdrängen, abspalten – und dennoch bleibt ein ständiges Misstrauen, wann kommt der nächste Schlag. Oder aber man ist ständigen, kaum merklichen unterschwelligen Abwertungen ausgesetzt, die kumulativ zu Verspannungen, Blockaden bis hin zu physischen und psychischen Störungen führen können. Krank macht dies auch, weil, so Prasad, all die Ressourcen, die sonst zur Bewältigung von Lebensproblemen mobilisiert werden können, durch diese ständige Angst gebunden werden. Sie können dann nicht mehr für den Schutz der eigenen  Gesundheit eingesetzt werden.

Was macht man zum Beispiel wenn man sich als Jugendliche -  wie es so schön heißt „ordnungsgemäß“ - alle drei Monate bei der Ausländerbehörde melden muss, um die Aufenthaltserlaubnis zu verlängern  und dabei jedes mal hört: Ich verlängere zwar noch für drei Monate, aber wenn du 18 bist, dann musst du gehen! Nivedita Prasad hat diese Situation am eigenen Leib erlebt und hat sich nicht entmutigen lassen. Sie hat sich einen Rechtsanwalt genommen, der ihren Aufenthalt bis zu ihrem Abitur durchsetzen konnte, und da sie sofort danach einen Studienplatz bekam und unmittelbar nach dem Studium einen Arbeitsplatz, konnte sie der jahrelang drohenden Ausweisung entgehen. Es scheint, wie wenn sie die ständige Bedrohung in eine Kraft umgesetzt hat, sich zu wehren und später auch ein Modell für diejenigen zu werden, denen es  -  aus welchen Gründen auch immer – noch schwerer gemacht wird, sich für ihre Rechte einzusetzen.

Deshalb geht es ihr in ihren Publikationen auch nicht darum, die Migrantinnen einfach als Opfer von Gewalt darzustellen. Nein, ihr kommt es auch darauf an zu zeigen, dass das ein Klischee ist, das sich weigert Migrantinnen als Subjekte ihrer Lebensgeschichte zu sehen, die ihre spezifischen Ressourcen entwickeln und niemals alleine auf ihren Opferstatus beziehungsweise ihr Migrantinnensein reduziert werden können. Insofern war es auch immer ein zentrales Anliegen von Nivedita Prasad sich gegen das Klischee der hilflosen Migrantin als Opfer zu wehren.

Dafür bot ihr Ban Ying, eine Beratungs- und Koordinationsstelle gegen Menschenhandel in Berlin, bei der sie seit 1997 als wissenschaftliche Mitarbeiterin beschäftigt ist, eine gute Plattform. Hier war sie neben der Beratungsarbeit vor allem mit Öffentlichkeits-  und Lobbyarbeit im Kampf gegen Menschenhandel betraut. Gegen diese moderne Form der Sklaverei setzt sie sich nun seit vielen Jahren ein. Dabei beschreitet sie neue Wege und nutzt all die politischen und rechtlichen Mittel, die sie aufspüren kann – auf der nationalen wie internationalen Ebene.

Zunächst geht es ihr um Aufklärung, denn vielfach ist selbst den damit betrauten Fachleuten wie Polizisten, Juristen und Grenzbeamten nicht klar, was Menschenhandel eigentlich ist. Oft wird er mit Zwangsprostitution in eins gesetzt. Tatsächlich ist jede Form des Handels mit Menschen zum Zweck der Ausbeutung – entweder der Arbeitskraft oder aber der sexuellen Dienstleistung Menschenhandel. Entscheidend ist, ob die betroffenen Personen die Macht haben, ihre Arbeitsbedingungen zu bestimmen oder ob sie recht- und schutzlos Gewalt und Willkür ausgesetzt sind. Ein wichtiges Beispiel hierfür in der Arbeit von Ban Ying sind Frauen aus Südostasien und in den letzten Jahren auch verstärkt aus Osteuropa, die unter Vorspiegelung falscher Tatsachen nach Deutschland gelockt werden und hier – aller Rechte beraubt – vielfach zu sexuellen Dienstleistungen gezwungen werden.

Von einer solch faktischen Rechtlosigkeit können auch Frauen in anderen Situationen betroffen sein, wie zum Beispiel Hausangestellte von Diplomaten. Sie werden oft massiv ausgebeutet, indem sie ohne freien Tag durchgehend arbeiten und rund um die Uhr ihren Dienstherren zur Verfügung stehen müssen. Oft sind sie unwürdig untergebracht und bekommen keinen Lohn oder nur einen Bruchteil von dem, was vereinbart wurde. Das Kernproblem dabei ist, dass diese Frauen keinen Zugang zu ihren Rechten haben. Die Diplomaten unterliegen der Immunität, und die Entsendeländer die den Gesetzesbruch ahnden könnten, sind meist weit weg. Damit ist es der Hausangestellten faktisch unmöglich, gegen ihre Dienstherren zu klagen.

Angesichts dieser Situation entwickelten Nivedita Prasad mit ihren Kolleginnen Strategien abgestufter Intervention: Wenn gewährleistet ist dass die Frau selbst gegen das Unrecht vorgehen will und in einer geschützten Situation ist, wenden sie sich mit ihrer Beschwerde an das Auswärtige Amt, als die nächst höhere Instanz, oder aber an die Öffentlichkeit. Diese können zwar keine rechtlichen Schritte einleiten, aber immerhin die Reputation der Diplomaten erheblich beeinträchtigen. In einem Fall hat unter diesem Druck die Botschaft 23.250 Euro einbehaltenen Lohn zurückgezahlt.

Wenn dieser Weg nichts bringt, muss der Gerichtsweg eingeschlagen werden. So reichte Ban Ying zusammen mit dem Institut für Menschenrechte in einem aktuellen Fall, Klage beim Bundesarbeitsgericht ein, um gegebenenfalls auch zum Bundesverfassungsgericht zu gehen. Ziel ist es, eine Antwort auf die Frage zu bekommen, wie die Rechte von diesen Hausangestellten gewährleistet werden können, trotz der Immunität ihrer Dienstherren.
Sollten sie dort keine befriedigende Antwort bekommen, werden sie sich an den Menschenrechtsgerichtshof in Straßburg wenden. Schließlich hat Nivedita Prasad Individualbeschwerde beim UN-Frauenausschuss eingereicht, um ein Verfahren gegen Deutschland zu initiieren, damit es veranlasst wird, Mindeststandards für die Arbeitsbedingungen von den Hausangestellten bei Diplomaten festzusetzen.

Wie wichtig es ist, dass jemand sich gerade für diese Frauen auch auf der Ebene internationaler Gerichte einsetzt, zeigt die Tatsache, dass die meisten Klagen gegen Deutschland beim UN Menschrechtsausschuss von Vätern geführt werden, die sich bei Fragen des Sorgerechts ungerecht behandelt fühlen und von Mitgliedern von Scientology, die Religionsfreiheit für sich einklagen wollen sowie von ehemaligen DDR Grenzpolizisten, die glauben von deutschen Gerichten zu Unrecht wegen Totschlags verurteilt worden zu sein. Das heißt, das Mittel der Menschenrechtsklage wird zwar durchaus in Anspruch genommen, allerdings eben nicht unbedingt von denen, denen der Zugang zu Rechten ansonsten so gut wie verschlossen ist.

Um die Rechte der Einzelnen auch tatsächlich durchzusetzen, muss deren Problem als solches von den entscheidenden Stelle überhaupt erkannt und anerkannt werden. Um dies zu erreichen, muss auf allen Ebenen interveniert werden, es müssen Berichte geschrieben und Eingaben gemacht werden. Das alles hat Nivedita Prasad in den letzten Jahren getan. So ist es ihr im Laufe ihrer Arbeit gelungen, dass das Thema Hausangestellte von Diplomaten Eingang in den General-Kommentar des UN-Ausschusses für den Schutz der Rechte von ArbeitsmigrantInnen gefunden hat. Eine Folge dieser Interventionen ist, dass heute allen Hausangestellten von Diplomat/innen in Deutschland ein Mindestlohn von 750 Euro gezahlt werden muss.

All das erfordert umfangreiche Kenntnisse über die geltenden Konventionen, über Beschwerdemöglichkeiten und Zuständigkeiten sowie ein Gespür dafür, wie man überhaupt strategisch am besten vorgeht. Nivedita Prasad hat sich all das im Laufe ihrer Arbeit selbst angeeignet. Aber sie ist nicht dabei stehen geblieben, sondern versucht nun dieses Wissen und diese Erfahrungen auch an andere weiter zu geben. So hat sie in Bezug auf  die Durchsetzung der Menschenrechte auf nationaler und internationaler Ebene ein Handbuch verfasst, das im letzten Jahr erschienen ist, in dem sie Schritt für Schritt aufzeigt, wie man diese Rechte durchsetzen kann: „Mit Recht gegen Gewalt“, so der Titel dieses Buches. Darin listet sie die wesentlichen UN-Konventionen auf, informiert über Beschwerdemöglichkeiten und schließt daran strategische Überlegungen zum Vorgehen an. Ein solches Handbuch war überfällig, denn es gibt kein vergleichbares Vorhaben oder auch nur Ansätze davon in der einschlägigen Fachliteratur. Diesbezüglich ist die deutsche Sozialarbeit, so fürchte ich, doch recht provinziell. Und es gibt meines Wissens kaum Fachleute, die die internationale Bühne so konsequent für die Rechte der Rechtlosen zu nutzen wissen, wie dies Nivedita Prasad tut.

Umso erfreulicher ist es, dass sie ihr Wissen und ihre Erfahrungen über entsprechende Publikationen hinaus in unzähligen Vorträgen und Workshops an andere weiter gegeben hat. Auch hat sie sich generell neben ihrer politischen und beruflichen Arbeit immer auch in der Lehre engagiert, angefangen von Lehraufträgen an den Berliner Universitäten und Fachhochschulen, insbesondere TU, FU, ASH aber auch in internationalen Studiengängen in Holland, Österreich und der Schweiz.

Nivedita Prasad ist eine begnadete Pädagogin. Sie kann wunderbar anschaulich und zugleich systematisch Erfahrungen und Wissen zusammen bringen und die Studierenden dafür begeistern. Das kann ich so frank und frei behaupten, weil ich selbst mit ihr zusammen über mehrere Jahre Studienprojekte und Seminare durchgeführt habe. Ich will hier nur ein Beispiel für ihren mitreißenden pädagogischen Zugang nennen: In einem gemeinsamen Studienprojekt an der ASH über „Flucht und Migration“ hatte Nivedita die Studierenden zum Einstieg gefragt, was sie glauben, wie es Flüchtlingen geht, wenn sie - aus welchem Land auch immer kommend – hier in Deutschland eintreffen. Was wissen sie von diesem Land, an wen wenden sie sich, was müssen sie tun, um sich hier zurecht zu finden. Die Studierenden mussten zugeben, - wie ich denke die meisten von uns – dass sie keine Ahnung hätten. Daraufhin meinte sie, dann erkundigt euch doch mal, im Netz, in Beratungsstellen oder bei Flüchtlingen selbst. Dabei stellten sie fest, dass es tatsächlich keinerlei Broschüre oder gar umfassende Informationsgrundlage für Menschen gibt, die auf ihrer Flucht hier in Deutschland eintreffen.

Darauf meinte Nivedita, nun dann überlegt euch mal, was sie eigentlich wissen müssten. Ergebnis dieser Aufforderung war, dass die Studierenden in Flüchtlingsprojekten, Behörden, in der Fachliteratur und im Internet recherchierten und dann ein sogenanntes Handbuch für Flüchtlinge verfassten und ins Netz stellten, in dem all die Erstinformationen, die für Flüchtlinge unerlässlich sind, enthalten sind - einschließlich eines Anhangs mit nützlichen Adressen und Links für weitere Informationen. Die Krönung dieser Projektarbeit war, dass sich ein Weiterbildungsinstitut für Dolmetscher bereit erklärte das Handbuch zu ihrem Lehrstoff zu machen und damit den Text unentgeltlich in acht verschiedene Sprachen übersetzte. Man kann sich denken, dass diese Studierenden mit diesem Projekt wohl mehr über den Umgang von Deutschland mit seinen Flüchtlingen erfahren haben, als in vielen Stunden Vorlesung. Dies also nur ein Beispiel ihrer kreativen Zugangsweise, bei der sie den Studierenden nicht nur Wissen, sondern vor allem eine eigenständige Auseinandersetzung und Anteilnahme an der Sache vermittelt. Insofern glaube ich, dass ihr eigenes Engagement die profunde Basis ist, das Engagement bei den anderen zu wecken beziehungsweise weiter zu entwickeln und zu vertiefen.

Nivedita Prasad hat nun in den letzten Jahren mit der Leitung des Master-Studiengangs „Sozialarbeit als Menschenrechtsprofession“ ein Forum gefunden, bei dem sie in ganz besondere Weise ihr Anliegen weiter geben und psychosoziale Fachkräfte zum Thema Menschenrechte in der Sozialarbeit wissenschaftlich fundiert qualifizieren kann. Dieser Studiengang, getragen vor allem von der Alice Salomon Hochschule, der evangelischen Hochschule und der katholischen Hochschule für Sozialarbeit, wird inzwischen über Jahre sehr erfolgreich durchgeführt.  Er ist zu einem Zentrum geworden, der Impulse zur Menschenrechtsarbeit im psychosozialen Bereich im ganzen deutschsprachigen Raum setzt, wie es ihn bis dato noch nicht gab. An der Stelle muss ich jedoch auch Prof. Silvia Staub Bernasconi erwähnen, die mit ihrer festen Überzeugung von der zentralen Relevanz der Menschenrechte für die Soziale Arbeit, ihrem fundierten theoretisch-wissenschaftlichen Hintergrund und ihrer breiten internationalen Orientierung und Erfahrung sowie mit einer unglaublichen Beharrlichkeit es geschafft hat, den Studiengang mit diesem Schwerpunkt hier in Berlin zu etablieren. Sie hat Nivedita Prasad zu ihrer Nachfolgerin ausgewählt im Wissen darum, dass bei ihr ihr Anliegen gut aufgehoben ist.

Aber Nivedita Prasad beschränkt die Weitergabe ihrer Erfahrung und die Vermittlung von Wissen nicht auf den Bereich der Sozialarbeit. So hatte sie etwa bei ihrem Einsatz gegen Menschenhandel ziemlich schnell festgestellt, dass nicht nur die psychosozialen Fachkräfte, sondern auch Polizei, Richter und Rechtsanwälte mit der Materie nicht wirklich vertraut sind. Kurz entschlossen entwickelte sie ein Fortbildungskonzept für diese Berufsgruppen und bot es den entsprechenden Dienststellen und Berufsakademien an. Nach einigen Widerständen konnte sie zum Beispiel die Polizeidirektion in Berlin davon überzeugen, dass eine solche Fortbildung unerlässlich ist. Nicht überzeugen konnte sie sie allerdings davon, dass das auch was kosten würde. Also organsierte sie auch die Finanzierung und so konnte sie nun regelmäßig mehrere Workshops pro Jahr zum Thema Menschenhandel und Rassismus bei der Polizei durchführen.

Dass sie bei den Polizisten selbst damit auf viele Widerstände stieß lässt sich denken. Insofern ist die ihr Tatsache, dass sie sich dieser Situation auch als Person selbst  aussetzte, hoch anzurechnen. Aber sie bekam auch viel Anerkennung, wenn vielleicht auch manchmal auf etwas eigenartige Weise, so als etwa ein Teilnehmer am Ende des Workshops ihr anerkennend auf die Schulter klopfte und meinte „Sie sind die erste Ausländerin die ich getroffen habe, die keine Kriminelle ist.“ Inzwischen wird diese Fortbildung regelmäßig angeboten und die Polizei selbst hat seit 2010 auch die Finanzierung übernommen. Ähnliches gilt für das Weiterbildungsprogramm für Richter und Rechtsanwälte, das inzwischen auch regelmäßig von der Richterakademie in Trier angeboten wird.  

Zum Schluss möchte ich noch auf ein Thema kommen, das Nivedita Prasad auch noch sehr am Herzen liegt. Menschenrechte sind, wie wir alle wissen, ein hohes Gut. Wie aber wenn sie genau dazu genützt werden, um sie zu unterlaufen? So problematisiert Nivedita Prasad in ihrer Promotion („Gewalt gegen Migrantinnen und die Gefahr ihrer Instrumentalisierung im Kontext von Migrationsbeschränkung“), dass das Zuzugsalter für Einwanderungswillige hoch gesetzt sowie u.a. auch deutsche Sprachkenntnisse eingefordert wurden mit dem Argument, man wolle Zwangsheiraten einschränken und die nachziehenden Frauen stärken. Warum aber, so fragt Prasad, werden deutsche Sprachkenntnisse zwar von Einwander/innen aus der Türkei, aus afrikanischen und den meisten asiatischen Ländern erwartet, nicht aber von Menschen aus USA, Kanada, Japan, Neuseeland etc.; welche Folgen hat es, so fragt sie weiter, dass einwanderungswillige Frauen aus strukturschwachen Regionen oft hunderte von Kilometern zurücklegen müssen, um in eine Stadt mit einem Sprachangebot zu kommen, deren Kosten  darüberhinaus für sie nahezu unerschwinglich sind. Die Folge, so Prasad, ist, dass diese politischen Regelungen vor allem besonders arme Menschen, Analphabeten und Menschen aus „unerwünschten“ Ländern von einer Einreise abhalten.

Es wird also unter dem Mantel der Bekämpfung von Zwangsheirat eine höchst selektive Einwanderungspolitik betrieben. Zudem müssen die erhöhten Kosten etwa für den Sprachkurs in der Regel von den in Deutschland ansässigen Ehemännern vorgeschossen werden, was die Kosten des Nachzugs nochmals erhöht und nicht zuletzt dazu führen kann, dass die Männer sich umso mehr berechtigt fühlen, von ihren Frauen Gegenleistungen zu erwarten und im schlimmsten Fall auch zur Gewalt greifen. Diese Regelungen können also faktisch zu einer höheren Gefährdung der Frauen führen und nicht zu einem verbesserten Schutz. Dieser Verdacht liegt auch deshalb nahe, weil die Frauen etwa im Rahmen des Sprachprogramms nicht über ihre Rechte, über Unterstützungsangebote und hilfreiche Adressen aufgeklärt werden. Zumindest das hätte man in den Maßnahmenkatalog aufnehmen müssen, um wenigstens den Anschein aufrecht zu erhalten, dass es dabei um eine Stärkung der Frauen ginge.  Die jetzige Gesetzeslage hat also, so ihr Resümee, nicht unbedingt zur Vorbeugung von Zwangsverheiratung geführt, sondern möglicherweise viele Ehen verhindert und so das fundamentale Menschenrechte auf das Eingehen einer Ehe eingeschränkt.

Wenn ich nun zum Schluss nochmal die eingangs gestellt Frage aufwerfe, was heißt es, sich für Menschenrechte einzusetzen, dann zeigt die Biographie und das politische und berufliche Engagement von Nivedita Prasad, dass es eine äußerst anspruchsvolle, vielseitige und auch sehr spannende Arbeit sein kann. Es gilt dabei, Position in Konflikten zu beziehen ebenso wie alle möglichen politischen und fachlicher Strategien zu nutzen; pragmatisch zu sein und empathisch, politisch und fachlich kompetent.

Anne Klein, eine Feministin, die sich intensiv gegen Diskriminierung und Gewalt gegenüber Frauen eingesetzt hat, hat diesen Preis bewusst für Menschen gestiftet, die noch mitten im Berufsleben stehen. Es ging ihr nicht um die Anerkennung einer gesamten Lebensleistung, sondern vielmehr um eine Anerkennung der bisherigen Arbeit verbunden mit dem Ansporn, auf dem eingeschlagenen Weg weiter zu gehen. Genau das aber wünschen wir uns, so möchte ich schlussfolgern, dass Nivedita Prasad sich weiterhin so engagiert, so kreativ, unerschrocken und beharrlich für die Rechte derer einsetzt, die in unserer Gesellschaft allzu oft übersehen oder bewusst ignoriert werden und denen kein Recht auf Rechte zugestanden wird.
Sie ist politische Aktivistin, Wissenschaftlerin und Lehrende zugleich. Sie ist eine würdige  Preisträgerin.
Herzlichen Glückwunsch!

Audiomitschnitt vom Anne-Klein-Frauenpreis 2012

Preisverleihung Anne-Klein-Frauenpreis 2012 by boellstiftung

Fotos der Preisverleihung