Ist die AKP noch zu retten?

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27. November 2008
von Ulrike Dufner
Von Ulrike Dufner

Diese Frage stellt sich die türkische Regierungspartei längst selbst: Im März 2009 finden in der Türkei Kommunalwahlen statt. Eigentlich wollte die AKP (→ Partei für Gerechtigkeit und Aufschwung, AKP) zahlreiche Hochburgen der Republikanischen Volkspartei  (CHP), darunter Izmir an der türkischen Ägäisküste oder die kurdischen Großstädte, für sich einnehmen. Aber anstelle von jubelnden Massen, die Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan mit geschwenkten Wimpeln empfangen, hinterlässt der Regierungschef auf seinen Reisen in den Südosten Bilder von brennenden Barrikaden, Steine werfenden Jugendlichen oder geschlossenen Geschäften. Im günstigen Fall stößt er auf gähnende Leere.

Fiasko für die AKP

Erdogan und seiner AKP ist schon lange klar, dass die Kommunalwahlen in den kurdischen Gebieten ein Fiasko werden. Die AKP hatte im vergangenen Jahr auf die militärische Karte gesetzt und wie so häufig zivile Maßnahmen zur Verbesserung der sozioökonomischen Lage im kurdischen Südosten des Landes in Aussicht gestellt. Das Ergebnis dieser „Strategie“ ist jedoch erschreckend: Einmal mehr zeigt sich, dass eine Organisation wie die Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) mit militärischen Mitteln nicht zu bekämpfen ist. Die nahezu täglichen Todesfälle auf beiden Seiten heizen die Stimmung zudem an. Auch auf die zivilen Maßnahmen wartet man bis heute: An den im Mai 2008 angekündigten „Aktionsplan für den Südosten“ (GAP Eylem Plani), welcher einen wirtschaftlichen Aufschwung für die Region innerhalb der nächsten fünf Jahre verspricht, glaubt in den kurdischen Gebieten kaum noch jemand. Zu oft schon haben sich derartige Versprechen als Luftblase erwiesen.

Ab Januar 2009 soll die Sendezeit in kurdischer Sprache im türkischen Staatsfernsehen deutlich verlängert werden. Noch vor wenigen Jahren wären kurdischsprachige TV-Sendungen auf Beifall gestoßen. Heute sind die Kurden davon überzeugt, dass die AKP zum Schutz der kurdischen Identität und Sprache allenfalls kosmetische Schritte unternehmen wird.

Kurdisches Fernsehen wird längst per Satellit in die Wohnzimmer geholt. Die jüngste Äußerung von Erdogan „Entweder ihr liebt oder ihr verlasst das Land“ und das drakonische Strafmaß von 23 Jahren Haft für Steine schmeißende Jugendliche kommentieren kurdische Intellektuelle mit dem Satz: „Trennen können wir uns nicht, aber zusammenleben können wir auch nicht“.

In der Sackgasse

Politisch ist die AKP nicht nur in der Kurdenfrage in einer Sackgasse. Vom Reformeifer, mit dem die Partei vor sechs Jahren die Regierungsgeschäfte übernommen hat, scheint nichts mehr übrig. Im Gegenteil - demokratisch gesinnten Kräften werden Daumenschrauben angelegt, die Fälle von Folter haben 2008 dramatisch zugenommen und das Militär geriert sich immer dreister als die eigentliche Schaltstelle der Macht. Nicht umsonst fragte sich der renommierte Intellektuelle Baskin Oran: "Wer ist an der Regierung: Erdogan oder Basbug –der Ministerpräsident oder der Generalstabschef?"

In den letzten eineinhalb Jahren erlebte die türkische Öffentlichkeit, wie die AKP-Regierung von den Militärs und der nationalistischen, kemalistischen Opposition in der Kopftuch- und Laizismusfrage in die Ecke gedrängt wurde. Nur mit einer knappen Mehrheit von sieben zu sechs Stimmen im türkischen Verfassungsgericht schrammte die AKP an einem Verbot vorbei. Politisch aber ist die Partei nicht rehabilitiert. Das Verfassungsgericht bezeichnete die AKP immerhin als einen Herd antilaizistischer Aktivitäten. Die AKP ging folglich beschädigt und geschwächt aus dem Verfahren hervor. Die Kampagne der Opposition mit Korruptionsvorwürfen gegen AKP-Politiker aus dem engsten Umfeld von Erdogan treibt die Partei zunehmend in die Enge. Mehr als 60 Prozent der Bevölkerung schenkt diesen Vorwürfen mittlerweile Glauben.

Repressionen gegen kritische Medien

Zunehmend in die Ecke gedrängt griff Ministerpräsident Erdogan zu repressiven Maßnahmen, etwa um die Presse- und Meinungsfreiheit einzuschränken. Ende September rief er zum Boykott der Zeitungen und Fernsehkanäle des Medienmoguls Aydin Dogan auf.

Traurige Berühmtheit erlangt die Türkei in der cyber-community mit dem Blockieren oppositioneller Websites oder Websites wie youtube.com oder geocities.com. Jüngst verweigerte Erdogan sogar seit Jahren tätigen Parlamentsjournalisten die Verlängerung ihrer Akkreditierung. Sie waren wohl nicht zu einer reinen „Hofberichtserstattung“ bereit.

Am härtesten getroffen hat es die Tageszeitung Taraf mit ihrer kritischen Berichterstattung über das Militär: Die Redakteure wurden vom Generalstabschef mit folgenden Worten unter Druck gesetzt: „Wer die Taten der separatistischen Terrororganisation (...) als Erfolg darstellt, ist mitverantwortlich für jeden Tropfen Blut, der geflossen ist bzw. fließen wird. (…) Ich fordere Sie daher dazu auf, vorsichtig zu sein und sich auf die richtige Seite zu stellen“. Gerne wird neuerdings auch auf das Mittel der Nachrichtensperre zurückgegriffen. Zu den Untersuchungen der beschriebenen Vorfälle geben die Gerichte schlicht keine Auskunft.

Erschütternd ist umgekehrt, dass das Recht auf Meinungsfreiheit von den Gerichten – trotz gezielter Aufrufe vereinzelter Medien zu Hass und Mord – verteidigt wird. In einem Kommentar der lokalen Tageszeitung Bolu Express rief ein Journalist zur Rache an gefallenen Soldaten und zum Mord an gewählten Vertretern der pro-kurdischen DTP auf: „Für einen von uns - fünf von euch, ok?“. Das Gericht entschied auch in zweiter Instanz, dass eine derartige Äußerung unter die Meinungsfreiheit falle. Ob das Einschreiten des Justizministers Sahin in dieser Angelegenheit weiter führt, ist offen.

Foltervorwürfe

Bedrückend sind die Zunahme der Foltervorwürfe und das zunehmend harte Vorgehen türkischer Sicherheitskräfte. Am 10.Oktober 2008 starb Engin Ceber an den Folgen der Folter in einer türkischen Haftanstalt. Er hatte regierungskritische Zeitschriften verteilt. Zwar entschuldigte sich Justizminister Sahin öffentlich bei den Angehörigen des Opfers – ein einmaliger Vorgang in der türkischen Geschichte. Dennoch erhält selbst der Anwalt der Familie wegen der Nachrichtensperre keine Einsicht in die Untersuchungsakten. Dass Ceber kein Einzelfall ist, zeigen die Informationen der türkischen Menschenrechtsstiftung. In den ersten zehn Monaten dieses Jahres starben 31 Personen in Polizeistationen bzw. Haftanstalten;  33 Personen wurden ohne Anklage verurteilt. Nach Angaben des Ministerpräsidialamtes sind in den ersten sechs Monaten dieses Jahres bereits 204 Beschwerden wegen Folter und schlechter Behandlung anhängig. Im Jahr 2007 waren es insgesamt „nur“ 162 Fälle.

Klima des Hasses

Am 21. Oktober 2007, vier Tage nach der Zustimmung des türkischen Parlamentes zu Militäroperationen im Nordirak, verübte die PKK einen Anschlag auf den militärischen Grenzposten in Daglica. Bei dem Anschlag kamen zwölf Soldaten ums Leben, acht wurden von der PKK als Geisel genommen. Knapp ein Jahr später, kurz vor Verlängerung des Parlamentsbeschlusses, fielen am 7. Oktober 2008 17 junge Soldaten einem PKK-Anschlag auf den Militärposten in Aktütün zum Opfer. In beiden Fällen berichtete die Tageszeitung Taraf unter Berufung auf Militärinformationen von einem ungewöhnlich nachlässigen Vorgehen des türkischen Militärs. Dieses sei vorzeitig über die bevorstehenden Übergriffe informiert gewesen, habe aber keine entsprechenden Maßnahmen zum Schutz der Soldaten ergriffen. Im Gegenteil: Die Frage stand im Raum, ob das Militär die jungen Rekruten „geopfert“ habe, um ein Klima der Unsicherheit und des Hasses zu schüren. Die Tageszeitung Taraf wurde vom Generalstabschef aufgefordert, ihren Informanten preiszugeben. Ansonsten, so drohte er, werde man die Redaktionsräume durchsuchen. Die Journalisten wurden vom Generalstabschef und auch von Erdogan massiv bedroht.

Progromartige Übergriffe

Insgesamt hat das Ausmaß an Gewalt in der Kurdenfrage massiv zugenommen. Die Konflikte haben mittlerweile auch auf nicht-kurdische Gebiete übergegriffen. Erste pogromartige Ausschreitungen gegen die kurdische Bevölkerung wurden Anfang Oktober in Altinova nahe der ägäischen Touristenstadt Ayvalik verzeichnet. Aus einem alltäglichen Streit zwischen jungen Männern entwickelte sich ein mehrere Tage andauernder Übergriff auf rund 60 kurdische Geschäfte und Wohnhäuser. Nach Berichten der Menschenrechtsorganisationen Mazlum Der und IHD waren an den Übergriffen 400 bis 500 Einwohner beteiligt. Den Berichten zufolge schritt die Polizei zum Schutz der in Panik geratenen Bevölkerung nicht ein. Ähnliche Vorfälle Anfang Oktober 2008 in Mugla, Nähe Bodrum, konnten nur durch das Einschreiten von Sicherheitskräften vereitelt werden.

Entsetzen rief Erdogans Reaktion auf einen wütenden Bürger in Istanbul hervor, der aus Protest gegen eine Pro-DTP-Kundgebung mit seinem Gewehr in die Luft geschossen hatte. Anstatt dazu aufzurufen, von Selbstjustiz und Übergriffen abzusehen, zeigte Erdogan Verständnis, dass die Geduld der Bürger ihre Grenzen habe.  Hinzu kommt, dass Verteidigungsminister Vecdi Gönül in seiner jüngsten Rede in Brüssel Anfang November den Pogromen an der armenischen Bevölkerung (1915) und den griechisch-türkischen Bevölkerungsaustausch (1923) als richtigen Schritt für das „nation-building“ in der Türkei bezeichnet hatte. Damit propagierte er nicht nur eine ethnisch gesäuberte Gesellschaft als Grundlage für den Nationalismus der türkischen Republik. Gönül verteidigt auch Pogrome gegen ethnische und religiöse Minderheiten. Sind damit auch zukünftige Pogrome gegen die Kurden gemeint?

Es scheint nur eine Frage der Zeit, bis Erdogan den Forderungen des Militärs nach verlängerter Polizeihaft, erneutem Ausnahmezustand in den kurdischen Gebieten oder weitreichenden Befugnissen der Gendarmerie nachgeben muss. Das Image der AKP als Reformkraft mit weißer Weste ist ohnehin längst beschädigt. Bisher hat die Partei davon profitiert, das „kleinere Übel“ zu sein. Sollte die AKP das Ruder nicht herumreißen und zu ihrer alten Rolle zurückfinden, schwinden die Unterschiede zu der nationalistischen CHP zunehmend. Bei den Kommunalwahlen 2009 dürfte sie einen Denkzettel verpasst bekommen. Sollte die Wirtschaftskrise das Land erfassen, wird Premier Erdogan und seine Regierung nicht mehr zu halten sein.

Ulrike Dufner ist Leiterin des Büros Türkei der Heinrich-Böll-Stiftung.

Der Beitrag ist am 25.11.2008 in gekürzter Fassung in der Rubrik Außenansicht der Süddeutschen Zeitung erschienen.

 

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