Mit voller Kraft ins Unbekannte

Robert Habeck, Foto: http://www.robert-habeck.de/

10. Februar 2009
Von Robert Habeck
Von Robert Habeck

Plötzlich konnte man fühlen, was Amerika fehlt: Isolierung. Wir saßen in Georgetown, vielleicht dem schönsten Viertel Washingtons, jedenfalls dem hippsten; Altbauten aus der Gründerzeit Amerikas – also richtig alt, Wohlstand überall, die Mieten eher mächtig, der Kamin knisterte. Ich fragte, als ich meine Flasche Wein überreichte, ob der Kamin nur für die Gemütlichkeit wäre oder ob sie mit Holz heizten. „Nur weil er so schön weihnachtlich ist“, war die Antwort.

Und dann, als der Wein leer war, hörte die Gastgeberin auf, Holz nachzulegen und plötzlich saßen wir alle da und froren wie die Schneider. Wir zogen uns unsere Jacken an und froren trotzdem. Stein und einfache Verglasung halten nun mal nicht warm – 3500 US-Dollar für ein unisoliertes Haus. Ich wusste, dass ich darüber schreiben würde und fragte nach und hörte die erstaunlichsten Geschichten. Zum Beispiel, dass die meisten Häuserblocks an einem gemeinsamen Heizsystem hängen, keiner Fernwärme, die man individuell regulieren kann, sondern einem nur einheitlich steuerbaren Kreislauf. Das führt dann dazu, dass der eine Nachbar nachts arbeiten muss und die Steuerung aufdreht, der andere die Fenster aufreißt, weil er in der Wärme nicht schlafen kann. Und solange er nur die Fenster öffnet, ist die Klimasünde noch gar nicht passiert. Richtig schräg wird es, wenn das Heizsystem einerseits hochtourig läuft, in anderen Räumen aber die Klimaanlage die Überhitzung runterdimmt.

Ein energetischer Overkill

Die meisten Lacher hatte auf der Brookings Conference „Energy Discovery – Inovation Institues: A Step toward Energy Sustainability“ der Senator Sherrod Brown, als er ausrechnete, wie viele Quadratmeter Rockwolle und Styropor man brauche, um alle Häuser der USA zu dämmen und wie viele Arbeitsplätze das schaffen würde.

Ja, da lachten sie, die Spitzen der Wirtschaft und der Politik. An die tausend waren der Einladung des Think-Tanks in den „National Press Club Ballroom“ in die 14th Street gefolgt. Der Press Club ist so was wie die Gralsburg der Washingtoner Presselandschaft. Altehrwürdige Räume und Bilder mit allen Menschen, die im letzten Jahrhundert Rang und Namen hatten. Und so fehlte es auch nicht an Pathos und Eindrücklichkeit, mit der die Herausforderungen für einen Aufbruch in ein Zeitalter der Erneuerbaren Energien beschrieben wurden. Die verschiedenen Sprecher, Universitätspräsidenten, höchstrangige Politiker, der Chef von Boeing etc., sie hielten kämpferische Reden, wie sie kein grüner Parteitag besser hingekriegt hätte.

An Einsicht kein Mangel: „Der Klimawandel ist die größte moralische Herausforderung unserer Zeit“ war noch der Satz mit dem meisten Understatement. Und auch an deutlichen Worten über die Bush-Jahre fehlte es nicht. „Wir waren einmal Spitzenreiter in der Forschung und Technologie. Wir haben es versaut. Wir sind abgeschieden. Und wenn wir den Vorsprung der anderen Länder nicht bald aufholen, werden wir das Entwicklungsland des 21. Jahrhunderts“, donnerte Keith W. Cooley, CEO des Netzwerks Next Generation. Da wurde es dann doch unruhig im Publikum. Denn was es erwartete, war die Aufbruch-Rhetorik des neuen Präsidenten, keine Schuldzuweisungen und schon gar kein Ausschluss aus dem großen amerikanischen Wir. Keiner im Raum stellte in Frage, dass „wir es schaffen, wenn wir alle zusammen stehen und die Ärmel hochkrempeln“.

So weit, so gut. Nur was genau wollen sie schaffen?

Das blieb ziemlich unklar. Streicht man die verbalen Kraftmeiereien heraus, bleibt als spezifisch amerikanischer Ansatz dreierlei übrig (und alle drei Punkte unterscheiden sich von der deutschen Debatte und Politik).

1. Hauptforderung der energiebewegten Community ist, dass die Ausgaben für die Forschung erhöht werden. Da wurden sie konkret. Von 3,4 auf 25 Mrd Dollar bis zum Jahr 2014. Im Wesentlichen soll daraus ein Netzwerk von Forschungseinrichtungen aufgebaut werden, eine Art Internet der neuen Energiediskussion. Zur Finanzierung dieser 25 Mrd soll eine CO2-Steuer erhoben werden. Interessant ist daran zweierlei: Erstens das Vertrauen in ein „Bottom-up“-Modell und daran, dass die Erkenntnisse von unten wachsen und nicht der Staat Normen und Einsparvorschriften macht. (Obama hat sich da schon mal nicht dran gehalten, indem er dem Verbrauch von Elektrogeräten in seiner zweiten Amtswoche einen Riegel vorgeschoben hat.) Zweitens dass die CO2-Steuer mit „mehr Geld für die Forschung“ begründet wird und nicht aus der Sache heraus, d.h. also den CO2-Ausstoß einzuschränken. Jedenfalls hatte diese Strategie Erfolg im Press Club und ging glatt durch.

2. Das Vertrauen in die Wissenschaft, Forschung und Technologie ist unerschütterlich. Und alles, was sie hervorbringt, wird als Beitrag zum Klimaschutz angenommen werden, inklusive Bio-Ethanol samt Gentechnik, Wasserstoffzellen, CCS-Technologie und Atomenergie. Über Einschränkungen im Lebensstil dachte an diesem Tag niemand nach (nur Obama hat das im Wahlkampf deutlich angesprochen – gegen den Ratschlag seiner Berater.) Im Grunde läuft es darauf hinaus, schnell Batterietechnologien zu entwickeln, um weiter die dicken Autos fahren zu können.

3. Die Klimafrage wird auch als sicherheitspolitische Frage wahrgenommen. Fast eindringlicher als die Folien zur globalen Erwärmung waren die, die die Öl-Importe aus dem Ausland zeigten. Hier mischt sich in den Pioniergeist und die Aufbruchsstimmung ein für deutsche Ohren unangenehm nationalistischer Unterton. Hier ist der Pragmatismus nicht pc.

Erneuerbare Energien made in USA

Nicht nur sicherheitspolitisch, auch wirtschaftlich wird die Debatte über erneuerbare Energien im globalen Maßstab geführt. Die USA wollen sich nicht abhängen lassen. Sie haben mit dem Regierungsantritt von Obama die Erneuerbaren als Zukunft ihres Wohlstands entdeckt. Für die unter Bush so mächtige Lobby der Ölkonzerne ist das eine schlechte Nachricht. Andererseits ist der ganze Stil der neuen Administration nicht gegen jemanden gerichtet, sondern auf die Teilnahme aller angelegt. Soll heißen: Exxon und Total sollen Solarparks bauen, dann sind sie mit im Boot.

Von der deutschen Energiediskussion aus betrachtet, erscheint das alles irgendwie naiv. Zuerst dachte ich, es ist die verlorene Zeit der Bush-Jahre, es sind sozusagen Anfängerfehler, dass auf einer solchen Konferenz nicht komplexer und vor allen Dingen strittiger diskutiert wird, über CO2-Steuer und Emissionshandel, ob man Zertifikate verschenken oder versteigern soll, ob Kohle wirklich durch CCS rentabel bleibt, ob man Atomenergie wirklich zum Häuserheizen braucht, wie man den Verbrauch im Straßenverkehr einschränkt und so weiter und so fort.

Aber es ist nicht die mangelnde Einsicht in die Problemkomplexität. Es ist eine Gleichgültigkeit den Problemen gegenüber. An ihnen hält sich keiner auf. Sie werden gelöst. Das ist so faszinierend wie verstörend. In Deutschland läuft es genau anders herum.

Das politische, demokratische Washington hat ein Ziel erkannt und benannt. Bis 2050 soll 80 Prozent CO2 eingespart werden, die gesamte Wirtschaft soll neu ausgerichtet werden. Jetzt haken sich alle unter und machen sich auf den Weg. Wer der richtige Weg ist, das wird sich schon zeigen, wenn man erstmal unterwegs ist.

Robert Habeck ist Schriftsteller und Parteichef der Grünen in Schleswig-Holstein.