Der Präsident als Bürger. Kleine Ikonografie der Obama-Rhetorik

Robert Habeck, Foto: http://www.robert-habeck.de/

11. Februar 2009
Von Robert Habeck
Von Robert Habeck

Der vierundvierzigste Präsident der USA hat seine erste Prime-Time-Pressekonferenz gegeben, die früheste im Amt, die in der jüngeren Vergangenheit je gegeben wurde. Und schon das ist ein Fingerzeig, wie Obama regieren wird. Inhaltlich war er sicher und überzeugend, für meine Verhältnisse sogar überzeugend klar, was das Zurückweisen und die Aburteilung der neoliberalen Wirtschaftsdogmen anging.

Obama – der ewige Wahlkämpfer

Aber darüber werden viele andere schreiben. Mein Blickwinkel ist ein anderer. Gestern Abend ist Barack Obama wieder zum Wahlkämpfer geworden. Plötzlich verfiel er in die pointierte Sprache seiner Wahlkampagne, plötzlich unterstrich er seine Sätze mit starker Gestik. Daumen und Zeigefinger der rechten Hand (Obama ist Linkshänder), um die Drängnis der Situation deutlich zu machen, die Hand als Instrument der Zensur, um den Bruch in der Politik darzustellen. Zwei Hände, die direkt in den Presseraum reichten. Bei den Nachfragen merkte man ihm die Kampfeslust an.

Es ist nicht erste erstaunliche Veränderung, die der öffentliche Obama präsentiert. Obama gilt als ein begnadeter Rhetor.  Und sein Charisma reicht über viele hundert Meter, auch wenn er gar nichts sagt. Bevor ich nach Washington flog, war der Running Gag:  „Bestell Barack schöne Grüße“ und die Frage: „Siehst du ihn?“.

 Und gestern hab ich ihn gesehen. Vor dem Weißen Haus standen Zaungäste, ich ging vorbei. Plötzlich begannen Kameras ganz aufgeregt zu klicken und die Leute riefen. Vor dem Weißen Haus war eine Limousine vorgefahren (kein Cadillac – sein eigentliches Amtsfahrzeug - wenn ich richtig sah) und ein in der Entfernung sehr kleiner Mann ging ein paar Schritte bis er hinter anderen kleinen Menschen verschwand. Das war’s.

Grüßen konnte ich ihn nicht

Ich hätte ihn noch nicht mal erkannt, aber die Fotografen versicherten, er war es. Und vier afroamerikanische Mädchen mit Rasterhaaren, bunten Perlen und Hope-T-Shirts begannen zu tanzen und skandierten „O-ba-ma-O-ba-ma-O-ba-ma“; und ihre Eltern tanzen gleich mit.  Dass es so weit kommen konnte, ist zum Teil der Ausstrahlung, der Jungenhaftigkeit, dieser sympathischen Wirkung Obamas zu verdanken.

Zu den noch nicht erforschten Rätseln des Internets gehört, dass die virtuellsten Kampagnen eine altmodische, geradezu mittelalterliche Attributierung hervorbringt: Der Web-2.0-Politiker Obama ist vor allen Dingen stark in der unmittelbaren Präsenz der gesprochenen Rede. Er ist kein Fachpolitiker wie Hillary Clinton, aber man glaubt ihm einfach. Unmittelbarkeit, Glaube, Vertrauen, Hoffnung – eine erstaunliche Rückbesinnung auf Werte in der Welt des Virtuellen.

Oder anders herum: All das Gerede von medialer Manipulation stößt an seine Grenze - an der Persönlichkeit eines Menschen. Die Technik ist eben nicht die Botschaft und das Medium nicht die Message, wie alle immer gedacht haben. Das Gegenteil ist der Fall. Bei McCain hat die Internetkampagne nicht gezündet und vor vier Jahren beim Demokraten Howard Dean auch nicht, genau so wenig bei Thorsten Schäfer-Gümbel; und Frank-Walter Steinmeier kann twittern, so viel er will, es wird nichts daraus werden.

Hoffnungsträger der Veränderung

Die universitären Medientheorien stehen vor einer neuen Erkenntnisherausforderung. Obama hat die Postmoderne überwunden.
Aber neben dem unbestreitbaren Charisma gibt es eben auch ein paar technische Umstellungen in der Art, wie Obama sich dem Publikum präsentiert. Genauer gesagt, wie beim Internet entwickelt er durch eine rhetorische Haltung eine immer größer werdende Unmittelbarkeit.

Als Obama noch gegen Hillary stritt, agierte er sehr moderat. Er entwickelte die Rede von der Einheit statt von der Polarisierung der Nation. Sieht man Videos und Bilder dieser Zeit, dann hat er die Hände oft gefaltet, schaut nachdenklich, der Blick geht von unten nach oben. Es gelang Obama zu zeigen, dass man vor ihm, dem „schwarzen Mann“ keine Angst haben muss. Er präsentiert sich gegenüber der kämpferischen, aggressiven Art Hillarys als der umsichtigere. Eine etwas zynische Dialektik: Weil Clinton sich als den Männern ebenbürtig zeigen musste (und wollte), konnte Obama zum Hoffnungsträger der Veränderung werden. Auch das ist eine Denkaufgabe für den Feminismus.

Dann - etwa zur Hälfte der Kampagne - änderte Obama den Ton. Er hatte durch seine Art zwar die weiße, demokratische Mittelschicht erreicht, aber viele Afroamerikaner nicht. Diese brauchte er aber vor allen Dingen, um die Staaten des Südens und des mittleren Westens zu gewinnen. Sie, die zuvor kaum wählen gingen und zwar aus verschiedensten Gründen, manche davon teilweise politisch gewollt (Wahltag ist der Arbeitstag Dienstag, der Einschreibungsprozess ist kompliziert, Verurteilte dürfen nicht wählen), musste er zur Wahl bringen.

Obama kopierte den Sermon, jenes Call-and-response-Schema, das man aus den Gottesdiensten der afroamerkianischen Community kennt und das bis zum Sklavenalltag zurückreicht (den Sklaven war es verboten, miteinander zu sprechen und so sangen sie sich über die Felder ihre Botschaften zu) und das durch Martin Luther King in die Politik gebracht wurde.

Obama und das Publikum

Es ist faszinierend, auf den YouTube Videos zu sehen, wie Obama beim Reden immer seine Antennen ins Publikum gerichtet hat und immer dann, wenn das Publikum auf ihn reagiert, es mit einer Gegenreaktion belohnt. Weder zieht er seine Masche durch noch “setzt er rhetorische Mittel ein“, er erfindet den Moment zusammen mit seinem Publikum. Ganz großer Sport!

Eingerahmt wurde dieser neue Obama durch eine ganz neue Bildsprache. Auf vielen Bildern sieht man ihn von hinten (Politiker müssen in Zukunft offensichtlich auch von hinten gut aussehen!) vor der Menge der Fans. So entsteht der Eindruck, einer von vielen zu sein. Die Unmittelbarkeit des Augenblicks wird im Bild eingefangen. Zum letzten Mal wurde diese Ikonografie beim Inauguration-Day zelebriert. Aber der war eine denkwürdige Form des Übergangs. Erst nach dem Ende der Rede lachte Obama, er setzte seine Hände zur Unterstreichung der Rede nicht ein.
 
Bereits mit der Wahl zum Präsidenten veränderte sich Obamas Haltung ein weiteres Mal – gipfelnd in der heutigen Ansprache an sein – Ha! Eben nicht Volk! – an seine „fellow citizens“. Und der Unterschied zwischen Volk und Bürgern ist einer, der aufs Ganze geht!

Der Einzelkämpfer

Die Bücher und Postkarten, die nach seiner Wahl gedruckt wurden, zeigen ihn häufig als Einzelnen. Am schlagendsten die Fan-Postkarte der New York Times: Obama spricht zu einer Menschenmenge, es regnet. Alle vor ihm haben die Schirme aufgespannt, man sieht keine Gesichter, er selbst steht unbeschirmt im Regen. Schon das zu schrieben klingt wie eine Metapher. Das Bild selbst macht es noch deutlicher: Hier ist ein Einzelner, ein starker Mann. Statt seines Publikums kommen jetzt die Insignien des Amtes hinzu, die Flagge der USA, der Adler, Wappen.
 
Dann erlebten wir nun mit der Pressekonferenz die Rückkehr des Wahlkämpfers. Sie hatte sich angekündigt in der Woche zuvor, als Obama mit der Etikette brach und die Schuld für Tom Daschles Nominierung auf sich nahm, als er die Geduld verlor und die Senatsrepublikaner hart anging. Nach einer kurzen Phase der Repräsentation hat er offensichtlich seine Spur wiedergefunden, ein Präsident nicht nur für die Bürgerinnen und Bürger, sondern als Bürger zu sein. Er hat seine Politik nicht so sehr den amerikanischen Menschen verdeutlicht, als vielmehr die amerikanischen Menschen der Politik.

Robert Habeck ist Schriftsteller und Parteichef der Grünen in Schleswig-Holstein.