(Über-)Leben im Nordkaukasus - Berichte aus einer europäischen Krisenregion

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Südossetische und inguschetische Flaggen auf einer Veranstaltung.
Foto: giocomai/Flickr
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9. Februar 2011
Auf großes Interesse stieß die Gesprächsrunde über die Krisenregion an Europas Peripherie, in der Gewalt und Islamisierung seit Jahren zunehmen und längst weit über Tschetschenien hinausgreifen. Vor internationalem Publikum diskutierten Dr. Uwe Halbach von der SWP und Magomed Toriev, Journalist aus Inguschetien, mit der osteuropapolitischen Sprecherin der Grünen, Marieluise Beck. Halbach skizzierte zunächst die Entwicklung der Region seit 2009 und betonte die schwer zu analysierende Mixtur unterschiedlicher Gewaltakteure und -motive wie staatlicher Organe und islamistischer Kräfte, mafiöser Strukturen, Korruption und Verknüpfung von politischen und wirtschaftlichen Strukturen. Die verstärkte Wahrnehmung der Region in ihrer Gesamtheit habe zu Änderungen in der Nordkaukasus-Strategie Russlands geführt, einer Verwaltungsreform und Entwicklungsanstößen auf der wirtschaftlichen und sozialen Ebene. Toriev sieht allerdings keine Ergebnisse dieser Reformen und hob hervor, dass die Schere zwischen Verlautbarungen der Regierung und den tatsächlichen Ereignissen auch in Inguschetien, wo in Präsident Jewkurow große Erwartungen gesetzt wurden, weit auseinanderklaffe.

Konsens bestand auf dem Podium darüber, dass im Nordkaukasus keine starken separatistischen nationalen Dynamiken existieren; die tschetschenische Sezessionsbewegung war auch aufgrund der sehr unterschiedlichen ethnischen Zusammensetzung der sieben Teilrepubliken nie auf andere Republiken übertragbar. Einen weiteren Diskussionspunkt stellte der Islamismus dar - für Toriev ist der Einfluss islamistischer Bewegungen auf die Bevölkerung sehr begrenzt, da diesem starke Traditionen der Bergvölker entgegenstehen. Halbach verwies auf die Problematik, dass im Nordkaukasus eine sehr unterschiedliche Nutzung des Islam durch verschiedene Kräfte existiere, in Russland jedoch ein völlig undifferenzierter Umgang damit bestehe: Gläubige Muslime, nicht aggressive Islamisten und islamistische Terroristen würden vielfach gleichgesetzt, was letztlich neben der Korruption und wirtschaftlichen Perspektivlosigkeit den Nährboden für eine radikale Islamisierung bereite. Angesichts des begrenzten europäischen Einflusses in der Region schlussfolgerten die Podiumsteilnehmer, Europa müsse die russischen Ansätze einer neuen Sicht auf den Nordkaukasus und einer selbstkritische Haltung unterstützen - und die Schnittstellen zwischen den Konfliktlandschaften des Nord- und des Südkaukasus stärker in den Fokus nehmen.

Dossier

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