Denver, 25. August
Eröffnungstag der Democratic National Convention, des Wahlparteitags der Demokraten: eine zugleich beeindruckende und befremdliche Veranstaltung. Mehr als 4000 Delegierte, 15 000 Journalisten und eine hoch professionelle Parteitagsmaschine, die eine perfekte Inszenierung produziert. Nichts bleibt dem Zufall überlassen. Bühne, Licht, Musik, die Farbe der Anzüge und Kostüme, der Inhalt der Reden und ihre Reihenfolge – alles ist aufeinander abgestimmt. Alle Redner schauen in den Saal respektive in die Kameras - aber niemand redet frei. Des Rätsels Lösung liegt in drei Telepromptern, die in Sichtachse der Sprecher montiert sind. Die Manuskripte müssen vorab der Parteitagsregie vorgelegt werden. An jedem Satz wird gefeilt, die Redezeit ist auf die Sekunde vorgegeben – kein Raum für Spontaneität, schon gar nicht für offene Debatten und interne Kontroversen. Dennoch entstehen auch in einer so komplett durchgeplanten Inszenierung immer wieder magische Momente – wie die Rede, mit der Barack Obama vor vier Jahren zum Star wurde, oder die Auftritte Bill Clintons, einem begnadeten Kommunikator, gesegnet mit Charme, Intuition und der Gabe, komplexe Sachverhalte einfach zu erklären.
Der Parteitag - eine Obama-Kampagne
Auf eine Auseinandersetzung mit den inneren und äußeren Problemen Amerikas und konkrete politische Botschaften wartete man an diesem ersten Tag vergebens. Es ging nicht um das Regierungsprogramm der Demokraten, sondern nur um eines: „den Menschen Obama“ und die künftige Präsidentenfamilie der breiten Öffentlichkeit näherzubringen. Je später es wurde, desto mehr menschelte es: ein rührseliges Filmchen über die Familiengeschichte der kommenden First Lady, der Auftritt des Bruders, der sie preist, die Anwesenheit der Mutter im Publikum (Zoom!), und als Höhepunkt des Abends die Rede Michelle Obamas selbst: in die Ovationen des Publikums hinein gesellen sich die beiden Töchter auf die Bühne, Barack Obama wird per Videoschaltung aus Missouri eingeblendet: "Daddy, I love you"; das Publikum ist zu Tränen gerührt.
Michelle Obama gab einen beeindruckenden Auftritt: schön, stolz, selbstbewusst, eine kraftvolle Rednerin. Sie hatte nur eine Mission an diesem Abend: Barack Obama im hellsten Licht erstrahlen zu lassen, als idealen Vater, Ehemann und Präsidenten der Vereinigten Staaten. Es ging darum, eine große Geschichte zu erzählen, die Geschichte vom American Dream: „You can make it, when you try it“. Die einzige Grenze für das, was Du im Leben erreichen kannst, liegt in der Reichweite Deiner Träume und der Stärke Deines Willens. Der Aufstieg Barack Obamas aus bescheidenen Verhältnissen wurde als Vollendung dieses Traums präsentiert: eine Erfolgsgeschichte, mit der sich Millionen identifizieren und aus der sie Selbstbewusstsein für ihren eigenen Alltag ziehen können. Weder fehlte die Erinnerung an Martin Luther King noch der Tribut an die hard working people, an Familienwerte und Gemeinsinn. Michelle Obama pries ihren späteren Mann, weil er nach seinem Jurastudium als Sozialarbeiter nach Chicago statt an die Wall Street ging, und ihr Bruder konnte nicht genug hervorheben, dass sie selbst aus einer Anwaltskanzlei in die Gemeindearbeit wechselte.
Obamas schwierige Aufgabe
Eine Meisterleistung war, wie Michelle Obama sich als schwarze Amerikanerin präsentierte, die stolz auf ihre Familie ist, und zugleich den amerikanischen Traum als einen Traum vorstellte, der alle Amerikaner vereint. Tatsächlich ist Barack Obama der erste afroamerikanische Präsidentschaftskandidat, der nicht mit einer ethnischen Agenda auftritt, der also „race“ nicht zum zentralen Momentum seiner Kampagne macht. Manche Kommentatoren sprechen davon, dass die USA mit Obama in eine neue Phase ihrer Entwicklung eingetreten sind, in der Rassismus zwar nicht verschwunden ist, die „Rassenfrage“ aber keine entscheidende Rolle mehr spielt. Unter den Anhängern Obamas gibt es solche, die ihn unterstützen, weil sie einen afroamerikanischen Präsidenten sehen wollen – und solche, für die diese Frage irrelevant ist. Beides wird sich vermutlich auch unter seinen Gegnern finden.
Eine schon zu beobachtende Begleiterscheinung der Kampagne Obamas ist eine stärkere Partizipation ethnisch-kultureller Minderheiten. Das schlägt sich auch in der Zusammensetzung des Parteitags nieder. Unter den Delegierten halten sich Frauen und Männer die Waage. Aber noch nie gab es einen so hohen Anteil an Afroamerikanern (24,5 Prozent), Latinos (11,8 Prozent), Asiaten (4,6 Prozent) und Teilnehmern indianischer Abstammung (2,5 Prozent). Obama muss das Kunststück gelingen, die ethnischen Minderheiten zu mobilisieren, ohne Boden bei der weißen Mehrheit zu verlieren. Dafür ist das Verhalten der Anhänger Hillary Clintons von großer Bedeutung. Einer aktuellen Umfrage zufolge sind nur 47 Prozent entschlossen, Obama zu wählen. 23 Prozent äußern ihre Unterstützung für ihn, halten sich aber ihre Wahlentscheidung offen, und 30 Prozent wollen McCain oder gar nicht wählen. Eine zentrale Funktion des Parteitags muss deshalb sein, den Graben zuzuschütten, der zwischen beiden Lagern im Verlauf eines langen, harten und zeitweise bitteren Vorwahlkampfs aufgerissen ist. Denver soll ein „Versöhnungsparteitag“ werden, der die Delegierten hinter dem siegreichen Kandidaten versammelt.
Angesichts des schrumpfenden Vorsprungs Obamas in den Meinungsumfragen ist das auch dringend nötig. Neue Vorhersagen sehen die beiden Kandidaten Kopf an Kopf. Obama hat durch seinen Schwenk in die Mitte den Enthusiasmus seiner Anhänger auf eine harte Probe gestellt, während Mc Cain durch seine harte Haltung gegenüber dem russischen Einmarsch in Georgien punkten konnte. Die nächsten Tage des Parteitags werden zeigen, ob und wie Obama wieder in die Offensive kommen kann.
Ralf Fücks ist Vorstand der Heinrich-Böll-Stiftung
Er publiziert in großen deutschen Tages- und Wochenzeitungen, in internationalen politischen Zeitschriften sowie im Internet zum Themenkreis Ökologie-Ökonomie, Politische Strategie, Europa und Internationale Politik.- Sämtliche Beiträge zum „Diary of Change“ - Ein Tagebuch zum Wechsel in Washington
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