Cover Perspectives Naher Osten & Nordafrika 4

Perspectives Naher Osten & Nordafrika 4: Katar - Anspruch und Wirklichkeit

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Am 26. November 2012 hat in Doha, der Hauptstadt des kleinen Golfstaat Katar, die 18. UN-Klimakonferenz begonnen. Die erste derart hochrangige globale Umweltkonferenz in einem arabischen Land. Dies ist kein Zufall. Obwohl Katar über die geringste Anzahl von Staatsbürger/innen in der arabischen Welt verfügt, hat sich der Ministaat zu einem politischen Riesen entwickelt - und das nicht nur im Selbstverständnis seiner politischen Elite und deren Umfeld an internationalen Berater/innen und Finanzmanager/innen. Um sich über die Grenzen der arabischen Länder hinaus auch internationale Bedeutung zu verschaffen, setzt Katar auf Großereignisse, nicht holte man die Fußball-Weltmeisterschaft 2022 ins Land.

Der Aufstieg begann mit einem Machtwechsel Mitte der 90er Jahre, als Emir Hamad bin Khalifa al-Thani die politische Herrschaft übernahm. Binnen weniger Jahre modernisierte er Katar und trat aus dem Schatten des ungleich größeren Saudi Arabiens als Akteur mit einer eigenenständigen Politik in der Golfregion heraus. Katar investierte in die rückhaltlose Modernisierung seiner Flüssiggasförderung (Liquefied Natural Gas), ebenso wie in den Aufbau jenes Nachrichtenimperiums, das die arabische Medienlandschaft nachhaltig veränderte: al-Jazeera. Heute ist Katar der weltweit größte Exporteur des Gas-Rohstoffs und seine Hauptstadt Doha ein internationales Medien- und Konferenzzentrum. Politisch bringt sich Katar in fast allen Konflikten der Region als Vermittler ins Spiel, pflegt gleichzeitig gute Beziehungen mit den USA und Iran und unterstützt massiv die arabischen Revolutionen. Katar hat sich auch als einziges arabisches Land an der militärischen Intervention der NATO in Libyen beteiligt und leistet materielle Unterstützung an die syrischen Rebellen.

In großen Teilen der arabischen Öffentlichkeit wird der Emir und sein Umfeld aber nicht unbedingt als befreiende Kraft, sondern als gesellschaftlich konservativer Verbündeter der Muslimbruderschaft und anderer islamistischer Strömungen wahrgenommen. Zudem hat der arabische Frühling nicht zu Demokratisierung innerhalb Katars geführt. Dort leben nicht nur ca. 250.000 Menschen mit katarischem Pass, sondern über 1.5 Millionen Arbeitsimmigrant/innen, die teilweise unter harten Bedingungen und ohne rechtliche Absicherung mit Dohas futuristisch anmutenden Wohn- und Bürotürmen die Symbole des globalisierten Polit- und Finanzimperiums errichten. Anlässlich der UN-Klimakonferenz haben die hbs Teams in Tunis, Beirut und Ramallah die neue Ausgabe der Reihe Perspectives MENA zum Thema Katar konzipiert. Sieben englischsprachige Artikel setzen sich mit verschieden Aspekten des Phänomens Katar auseinander.

Karim Makdisi, Politikwissenschaftler an der American University in Beirut, analysiert in seinem Artikel die Gründe für die Ausrichtung der UN-Klimakonferenz in Doha, sowohl mit Blick auf Katars als auch die internationale Gemeinschaft. Dr. Khalifa Kuwari ist selbst aus Katar und hat eine Gruppe von Sozialwissenschaftlern zusammengebracht, um die exklusive Modernisierungspolitik der  politischen Elite Katars kritisch zu hinterfragen. Wir drucken einen Auszug aus ihrem Buch "The People want Reform… In Qatar, too" ab. Dies bietet seltene Einblicke in die innere Verafssung des Golfstaates. Die Politikwissenschaftler Mustafa El–Labbad und Khaled Hroub beschäftigen sich mit der regionalen Politik des Emirs und seines Außenministers Hamad b. Jasim al-Thani. Mustafa El-Thani El-Labbad untersucht dabei, wie Katar als kleiner politischer Akteur internationale Mächte und die Konkurrenz zwischen Iran und Saudi-Arabien zu seinem Vorteil nutzt.

Khaled Hroub analysiert die Rolle al-Jazeeras und wie Katar die Ereignisse des arabischen Frühlings nutzt und zu beeinflussen sucht. Der stellvertretende Leiter von Human Rights Watch in der MENA Region, Nadim Houry, kritisiert die Migrations- und Arbeitsrechtspolitik des Kleinstaats. Er zeigt auf, wie Arbeitskräfte zumeist aus arabischen und islamischen Ländern die Ökonomie am Laufen halten, ohne an ihrem Erfolg zu partizipieren. Drei Autorinnen der Qatar University - Lina Kassem, Fatema Ali und Thamadher Al-Malek - untersuchen anhand der Gesetzgebung zu häuslicher Gewalt den Prozess des sozialen Wandels in der kleinen katarischen Gesellschaft angesichts der enormen Veränderungen. Dabei stellen sie die Frage, ob die als First Lady öffentlich agierende Frau des Emirs, Shaikha Moza, ein modernes arabisches Frauenbild repräsentiert und ob rechtliche Liberalisierungen über bloße kosmetische Veränderungen hinausgehen.

Schließlich stellt Mouin Rabbani, unabhängiger Publizist, die Frage, welche Wirkungen Katars Engagement für die Palästinenser/innen und insbesondere den Gazastreifen entwickeln kann. Der Besuch Emir Hamad bin Khalifa al-Thanis fand kurz vor dem jüngsten Raketen -und Luftkrieg um Gaza statt. Als erstes Staatsoberhaupt überhaupt ist er seit dem Beginn der israelischen Blockade über den ägyptisch-palästinensischen Grenzübergang bei Rafah nach Gaza gereist und hat damit die Grenzen der israelischen Abriegelung und die Möglichkeiten einer Neuorientierung der ägyptischen Nahostpolitik aufgezeigt.

 

Produktdetails
Veröffentlichungsdatum
November 2012
Herausgegeben von
Heinrich-Böll-Stiftung - Mittlerer Osten
Inhaltsverzeichnis

4 Editorial

5 Karim Makdisi Doha as Host for the United Nations Framework Convention on Climate Change

11 Ali Khalifa al-Kuwari The People Want Reform… In Qatar, Too

18 Mustafa El-Labbad Qatar: Big Ambitions, Limited Capabilities

24 Nadim Houry Migrant Worker Rights Ahead of the 2022 World Cup

29 Lina M. Kassem, Fatema M. Ali, Tamadher S. al-Malek Domestic Violence Legislation and Reform Efforts in Qatar

35 Khalid Hroub Qatar and the Arab Spring

42 Mouin Rabbani Qatar and the Palestinians

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