Neue Etappe in Bonn

Wie stehen die Chancen für globale Regeln zum Schutz biologischer Vielfalt?

18. April 2008
Von Barbara Unmüßig
Von Barbara Unmüßig

Der Beitrag ist erschienen in: "Böll.Thema: Biodiversität. Bedrohung und Erhalt" (Ausgabe 1, 2008, S. 20-21)

Der Schutz der Artenvielfalt hat eine lange Tradition in der internationalen Umweltpolitik. Doch wer kennt schon die Konvention zum Schutz von Feuchtgebieten und Lebensräumen für Wasservögel, die 1975 im iranischen Ramsar unterzeichnet wurde? Es ist eines der ältesten internationalen Vertragswerke zum Umweltschutz. Wer kennt die Bonner Konvention zum Erhalt wandernder Tierarten von 1979? Oder das europäische Abkommen zum Schutz der Fledermäuse? Bekannter ist das Washingtoner Artenschutzabkommen (CITES, 1973), das den Handel mit wildlebenden Tier- und Pflanzenarten regelt. Immerhin enthält es Verbotsbestimmungen – etwa über den Handel mit Elfenbein oder gefährdete Tropenholzarten. Durch das Abkommen sind heute 8 000 Tier- und 40 000 Pflanzenarten unter Schutz gestellt.

Eine ganz neue Generation internationaler Abkommen wurde von der UN-Konvention über Biologische Vielfalt (CBD) eingeleitet. Sie ist Klammer und Herzstück aller politischen Interventionen zum Schutz der Biodiversität. Diese umfasst die Artenvielfalt, die genetische Vielfalt und die Vielfalt der Ökosysteme. Dennoch wird die CBD häufig als reines Naturschutzabkommen missverstanden. Selbst Umweltminister Sigmar Gabriel bezeichnet sie gern als «Artenschutz-Abkommen». Die CBD gehört zu den weniger bekannten Ergebnissen des UN-Erdgipfels von 1992 in Rio. Doch 188 Länder haben sie unterzeichnet, die USA sind nicht dabei. Im Mai 2008 wird die Bundesrepublik zum ersten Mal Gastgeberin der CBDVertragsstaaten sein.

Die Zielsetzungen der CBD gehen weit über den reinen Naturschutz hinaus. Sie will nicht nur die biologische Vielfalt schützen, sie setzt auch auf die nachhaltige Nutzung und – das ist ein Novum – auf die ausgewogene, gerechte Aufteilung der Vorteile, die sich aus der Nutzung genetischer Ressourcen ergeben. Die Konvention versucht sich also an einem Balanceakt zwischen Schutz und Nutzung biologischer Vielfalt. In den letzten fünfzig Jahren haben die Menschen die Ökosysteme schneller vernutzt als je zuvor. Sechzig Prozent sind degradiert: Meere leer gefischt, Tropenwälder abgeholzt oder Feuchtgebiete trocken gelegt. Das hat zu meist irreversiblen Verlusten der Vielfalt geführt. Und der Klimawandel wird diese dramatisch verschärfen. Die vom UN-Klimarat gelieferten Prognosen übersteigen all unsere Vorstellungen: In den kommenden drei Jahrzehnten droht die Ausrottung von 1,5 Millionen Tier- und Pflanzenarten – wenn wir den mittleren Temperaturanstieg nicht unter zwei Grad Celsius halten können. Bei einer Erwärmung von drei Grad Celsius wären rund 277 große und mittlere Säugetierarten allein in Afrika gefährdet. Die Konvention zur biologischen Vielfalt stemmt sich dieser Entwicklung beinahe hilflos, gleichzeitig alternativlos entgegen, indem sie den Ausbau von Schutzgebieten für Wälder und Meere weltweit fordert. Schutz der biologischen Vielfalt und des Klimas sollen so Hand in Hand gehen. Beim Bonner Gipfeltreffen soll einmal mehr der politische Wille dafür gestärkt und mehr Geld bereitgestellt werden, denn bislang sind solche Schutzinitiativen hoffnungslos unterfinanziert.

Wie ist es um das zweite Handlungsfeld der CBD, dem Schutz der genetischen Ressourcen, bestellt? Sie gelten als die strategischen Rohstoffe des 21. Jahrhunderts. Verfügbarkeit und Nutzungsrechte über den genetischen Code sind im Milliarden-Dollar-Spiel zentral. Die neuen Bio- und Gentechnologien sind ein entscheidender Faktor im globalen Wettbewerb der chemischen, pharmazeutischen und Agro-Industrie. Doch der Zugang zur biologischen Vielfalt, insbesondere zur Sicherung der Eigentumsrechte an den genetischen Ressourcen, wird nicht nur in der Biodiversitätskonvention geregelt. Die UN-Organisation für Ernährung und Landwirtschaft (FAO) reklamiert für sich die Regelung der agrarbiologischen Vielfalt, und das Abkommen für handelsbezogene geistige Eigentumsrechte (TRIPS) ist bei der WTO angesiedelt. Diese Gemengelage macht das Ziel der Biodiversitätskonvention, einen gerechten Ausgleich aus der Nutzung genetischer Ressourcen verbindlich zu regeln, nicht einfacher: Es gibt zu viele divergierende Interessen. Die größte biologische und genetische Vielfalt ist in den Entwicklungsländern zu finden, doch der Ertrag aus ihrer Nutzung kommt weitgehend den Konzernen nördlicher Industrieländer zugute. Die in der CBD verabredete Verankerung des Prinzips eines fairen und gerechten Ausgleiches ist entsprechend umkämpft. Bis heute gibt es keine Regelung. Biopiraterie ist weiter en vogue. Seit Inkrafttreten der Konvention vor 16 Jahren ist das Versprechen auf Vorteilsausgleich nicht umgesetzt. Die Konvention erkennt in Artikel 8j die Rechte und den Beitrag indigener Völker zum Erhalt der biologischen Vielfalt explizit an. Der Schutz ihrer Territorien und ihres traditionellen Wissens fallen in den Regelungsbereich der CBD. Es wäre also zu vermuten, dass sie besonderes Gehör bei den Verhandlungen um den Vorteilsausgleich genießen. Bei diesem Punkt haben die Indigenen aber schlechte Karten. Sowohl nördliche als auch südliche Regierungen und verschiedene Industrielobbies verfolgen ganz unterschiedliche, oft widerstreitende Interessen. Immerhin haben sich die Indigenen einen Berater- und nicht nur einen Beobachterstatus erkämpft. Es ist jedoch ein altbekanntes Problem, dass die Nichtregierungsorganisationen des Südens nur begrenzte Möglichkeiten haben, effektiv an internationalen Verhandlungsprozessen zu partizipieren. Für indigene Völker, die im Regelfall schon in ihren eigenen Ländern zu den Marginalisierten gehören, gilt dies in verstärktem Maße. Nach dem Willen der gastgebenden Bundesregierung soll in Bonn ein Mandat erteilt werden, das bis 2010 einen Rechtstext für den Zugang zu genetischen Ressourcen und den gerechten Vorteilsausgleich (ABS = Access and Benefit Sharing) aushandelt. Dagegen wehren sich nach wie vor einige Vertragsstaaten wie Neuseeland. Auch in der Europäischen Union herrscht keine Einigkeit über das Vorgehen und das Tempo. Kanada und Kolumbien, die in Bonn gemeinsam den Vorsitz innehaben, bemühen sich um einen Konsens. Schafft die Konvention es also endlich, alte Zusagen und Versprechen beim Vorteilsausgleich einzulösen? Für ihre Wirksamkeit und Akzeptanz wäre ein Erfolg in Bonn zwingend.

Es ist schon einige Zeit her, dass der Konvention ein politischer Durchbruch geglückt ist: Gemeinsam mit zahlreichen Entwicklungsländern erstritten vor allem NGOs das bislang einzige Protokoll der Konvention, das «Cartagena-Protokoll zur biologischen Sicherheit». Es ist seit 2003 in Kraft und regelt den grenzüberschreitenden Verkehr mit genetisch veränderten Organismen (GVO). Nach wie vor umstritten sind dabei die Haftungsregeln für ökologische, gesundheitliche und sozioökonomische Schäden durch gentechnisch veränderte Organismen. Im Mai sollen sie jetzt in Bonn verabschiedet werden. Unterhändler vieler nördlicher Länder wollen dies hinausschieben und verlangen weitere wissenschaftliche Untersuchungen oder setzen auf freiwillige Vereinbarungen. Doch die Menschen überall, insbesondere jedoch in den ärmeren Entwicklungsländern, wo die Menschen am ehesten zu Opfern von gentechnischen Versuchen werden, brauchen dringend ein international verbindliches Haftungsregime. Hier ist Bestimmtheit und Schnelligkeit gefragt. Im Wettlauf mit den ökonomischen Interessen der Industrieländer sehen ihre Erfolgschancen nicht allzu gut aus. Internationale Biodiversitätspolitik ist längst harte Wirtschaftspolitik. Hier dominiert die Konkurrenz um die Inwertsetzung der genetischen Ressourcen. Doch auch die gegenseitige Abhängigkeit von genetischen Ressourcen von Nord und Süd ist gewachsen und wird Kompromisse erzwingen. Die Balance zwischen Schutz und Nutzung der Ressourcen ist die Herausforderung für eine sozialökologische und zukunftsfähige Entwicklung der Erde. Die Konvention zur Biologischen Vielfalt ist dafür ein wichtiges politisches Werkzeug, das es gegen alle Lobbyisten zu verteidigen gilt: Mitte Mai beginnt in Bonn eine weitere Etappe in diesem Kampf um die weitere Präzisierung der Konvention für biologische Vielfalt.

Barbara Unmüßig

Barbara Unmüßig ist Vorstand der Heinrich-Böll-Stiftung. Sie hat zahlreiche Zeitschriften- und Buchbeiträge zu Fragen der internationalen Finanz- und Handelsbeziehungen, der internationalen Umweltpolitik und der Geschlechterpolitik veröffentlicht.