Trucker zu sein bedeutet „lebenslänglich“

"Ich lebe auf der Straße, in meinem LKW, einem 40-Tonner-Sattelschlepper" - Michael Juhnke arbeitet seit 30 Jahren als Fahrer im Speditionsgeschäft. Das Leben auf der Straße wird härter, sagt er. Ein Protokoll von Simone Schmollack.

"Nächste Woche geht‘s wieder los, wahrscheinlich Richtung Westen. Der Kühlschrank ist voll, der Campingkocher aufgetankt und ich bin guter Dinge. Eine Woche werde ich unterwegs sein. Das ist eine kurze Zeit. Meistens bin ich länger weg, manchmal bis zu drei Wochen hintereinander: Madrid, Barcelona, Paris, Montpellier, Amsterdam, Warschau, Venedig. Ich bin Fahrer in einer mittelgroßen Spedition in Berlin, wir transportieren Duschkabinen, Fertigbäder, Autos, Computer – alles, was von einem Ort zum nächsten gebracht werden muss. Neulich bin ich mit einer Ladung Orangen aus Valencia zurückgekommen.

Ich lebe auf der Straße, in meinem LKW, einem 40-Tonner-Sattelschlepper. Die Fahrerkabine ist mein Arbeitsplatz und mein Zuhause: Küche, Wohnzimmer, Schlafzimmer. Nur das Bad ist ausgelagert. Waschen und Duschen kann ich mich auf Rastplätzen.

Ich mache das seit 30 Jahren. Als ich 19 war, habe ich damit angefangen. Immer auf der Piste.Wochenlang weg sein, zwischendurch ein Wochenende zu Hause, manchmal auch nur eine Nacht. Familienfreundlich ist das nicht. Mein Job hat mich zwei Ehen und drei Beziehungen gekostet. Meine fünf Kinder habe ich selten gesehen. Meine jetzige Frau stammt aus der Branche, sie hat gewusst, worauf sie sich einlässt. Wir sind seit vier Jahren zusammen. Wenn ich im Nahverkehr unterwegs bin, also in Berlin, wo ich wohne, sagt sie zu mir: „Fahr bloß wieder raus, du gehst in der Stadt kaputt.“ Sie weiß, dass das Leben auf der Straße wie eine „Sucht“ ist: Das wird man nie wieder los.

Wenn ich hoch über dem Asphalt in meiner Kabine sitze und meinen Tempomat auf Limit eingestellt habe, geht’s mir gut. Ich höre Musik, schaue mir flüchtig die Landschaft an und denke über das Leben nach. Das kann ich machen, obwohl ich mich stark konzentrieren muss. Einen Truck zu führen ist heute körperlich zwar leichter als früher. Servolenkung, Automatik, das kriegen auch zarte Frauen hin. Aber man muss gut aufpassen, vor allem auf der Autobahn. Manche PKW-Fahrer unterschätzen die Kraft eines LKWs, sie überholen gefährlich und ich muss ausweichen. Mein Bremsweg ist wesentlich länger, das bedenken viele gar nicht. Sobald vor mir ein rotes Bremslicht aufleuchtet, gehe ich in die Eisen. Sicher ist sicher.

Ich fahre immer mehrere Stunden hintereinander, um zügig voran zu kommen. Am liebsten tagsüber. Nachts zu fahren finde ich anstrengender als am Tage. Manche Fahrer sehen das anders, sie nutzen lieber die freien Straßen, wenn die meisten Leute schlafen.

Ich fahre neun Stunden hintereinander, dazwischen muss ich 45 Minuten Pause machen. Das schreibt die EU-Verordnung für Lenkzeiten vor. Ich halte die Zeiten genau ein, schummeln, also einfach länger fahren, funktioniert nicht. Der Fahrtenschreiber zeichnet genau auf, wann man wie lange gestanden hat. Elf Stunden Ruhezeit müssen eingehalten werden. In dieser Zeit schlafe ich, manchmal lese ich Zeitung oder schaue fern. Ich habe einen kleinen Fernseher an Bord.

Wenn ich mehrere Wochen unterwegs bin, verbringe ich so manches Wochenende auf einem Autobahnrasthof. Sonntags herrscht in ganz Europa auf den Autobahnen Fahrverbot für LKW, außer für Lebensmittel- und Blumentransporte. Dann sitze ich schon mal am Truckerstammtisch und rede mit den Kollegen. An machen Rasten gibt es Stammtische als feste Treffpunkte. Da kommen dann Fahrer und Polizisten zusammen und besprechen Geschwindigkeitskontrollen, Probleme auf der Straße und was sonst noch so anliegt. Das sind keine Kontrollen, auch wenn das für Außenstehende so aussieht. Das ist ein ganz positiv gemeinter Austausch, schließlich sind beide Seiten aufeinander angewiesen. Die Polizei von unseren Hinweisen, was gerade so läuft auf den Straßen. Und wir Trucker von den Ratschlägen der Polizei, wo es demnächst Baustellen und andere Hindernisse gibt.

Das größte Problem für den Transport über die Straße sind die Staus. Es vergeht kein Tag, an dem es keinen gibt, vor allem auf den Autobahnen. Trotz Verkehrsfunk und allem pipapo. Und es werden mehr. Warum? Weil unsystematisch gebaut wird auf den Strecken.Wir Trucker leiden da wahnsinnig darunter. Die Autofahrer, die in den Urlaub fahren, haben das nur hin und wieder. Aber wir Berufsfahrer erleiden das täglich. Das nervt total. Am schlimmsten ist dieses Stop and Go. Aber ich versuche, mich nicht über die Zeitverschwendung zu ärgern, wenn ich mal wieder auf einer Strecke steckenbleibe, ich versuche, das gelassen zu sehen. Sonst würde ich kostbare Nerven lassen.

Nun könnte man auch sagen, der Güterverkehr sollte besser auf dem Wasser transportiert werden. Oder auf der Schiene. Das funktioniert aber nicht. Bis so ein Lastzug voll beladen ist, egal ob für den See- oder den Landweg, dauert das ewig. Es müssten also ziemlich viele Firmen zur gleichen Zeit ihre Waren von einem bestimmten Ort an einen anderen transportiert haben wollen. Das ist eine schöne Vorstellung, aber absolut unrealistisch. Und die Anschlusswege, also die von einem Hafen oder einer großen Stadt, bis in die kleinen Dörfer, die bleiben trotzdem bestehen. Es müsste also noch einmal umgeladen werden. Das kostet Zeit und Geld.

Deutschland wird mehr und mehr zum Durchfahrtsland. Die Fracht- und die Betriebskosten für die Speditionen in anderen Ländern, vor allem in Osteuropa, sind geringer als hierzulande. Deshalb beauftragen inzwischen viele Firmen, auch deutsche, Speditionen im Ausland. Andererseits sind die Löhne für uns Trucker in Deutschland inzwischen so niedrig, dass sich viele osteuropäische Fahrer von Firmen in den Niederlanden oder in Spanien anheuern lassen. So wird der Markt sukzessive kaputt gemacht.

Der Verdienst in Berlin und Brandenburg liegt zwischen 1400 und 1900 Euro Brutto monatlich. Für einen 24-Stunden-Job. Es kommen zwar noch Spesen in Höhe von rund 400 Euro dazu. Das klingt zwar viel, aber reicht am Ende doch nicht. Ein Schnitzel auf der Autobahn kostet 8,50 Euro. Wenn ich jeden Tag auf der Raststätte essen würde, wären die Spesen ganz schnell weg.

Seit kurzem erschwert uns deutschen Fahrern eine neue Regelung zusätzlich das Leben. Ausländische Fahrer dürfen in Deutschland ihr erstes Ziel anfahren und dann noch drei Mal hin und her kutschen, bevor sie das Land wieder verlassen müssen. Wir deutschen Fahrer dürfen das im Ausland nicht. Wir müssen, nachdem wir abgeladen haben, sofort wieder zurück. Am besten beladen. Für eine Leerfahrt zahlt der Spediteur drauf.

Mit der romantischen Vorstellung, wie das Trucker-Leben in vielen Liedern besungen worden ist, hat es heute nicht mehr viel zu tun. Wir fahren, laden ab, laden auf – und los geht’s wieder. Obendrein müssen wir Zollpapiere lesen, die Beschilderungen im Ausland entschlüsseln können und die Geschwindigkeitsbegrenzungen in anderen Ländern kennen. Und der Spruch „Ein Fernfahrer hat in jeder Stadt eine Geliebte“ ist der größte Quatsch, den ich je gehört habe. Wann sollen wir das denn noch machen? Wir sind froh, wenn wir abends in unsere Koje fallen.

Trotzdem kann ich mir keinen besseren Job vorstellen. Als ich anfing, sagte mal ein Trucker zu mir: „Wenn du erst mal die Straße gerochen hast, willste nicht mehr runter.“ Ich dachte damals: Na, der spinnt ja. Jetzt weiß ich: Trucker zu sein bedeutet „lebenslänglich“.