Es war ein hoffnungsvoller Start in den 90er Jahren: Das Konzept des Gender Mainstreaming sollte die alten Gräben „Frauen gegen Männer“ überwinden. Frauenpolitik als Teil von Geschlechterpolitik war das neue Motto. Raus aus der frauenpolitischen Nische war die Devise. Geschlechterpolitik soll Gesellschaftspolitik und damit Querschnittsaufgabe sein. Die Mär von der Geschlechterneutralität politischer Entscheidungen sollte endgültig der Vergangenheit angehören. Heute ist von dieser Aufbruchstimmung kaum etwas übrig geblieben. Stillstand, wenn nicht gar Roll Back prägen deutsche, europäische und internationale Geschlechterpolitik. Gender Mainstreaming scheint out zu sein. Was sind die Gründe dafür?
Die Wurzeln und Meilensteine des Gender Mainstreaming
Das Konzept Gender Mainstreaming ist in frauen- und entwicklungspolitischen Zusammenhängen insbesondere rund um die Weltfrauenkonferenzen der 80er und 90er Jahre entstanden. Gleichstellungspolitik und Gleichberechtigung zwischen den Geschlechtern kann nicht allein auf Frauen- oder Familienpolitik beschränkt bleiben – so der Tenor auf den Weltfrauenkonferenzen –, sondern soll in allen Politikfeldern Widerhall finden. Mainstreaming meint daher nicht weniger als Gleichstellungspolitik als Querschnittsaufgabe zu betrachten.
Die vierte Weltfrauenkonferenz 1995 in Peking war ein Meilenstein für die internationale Frauenpolitik. Sie löste zahlreiche staatliche Initiativen für mehr Gleichstellung und Gleichberechtigung der Geschlechter aus. So ist nicht nur das Prinzip Gender Mainstreaming in der dort verabschiedeten Aktionsplattform verankert worden, sondern auch zum ersten Mal die Kategorie Geschlecht. Die Pekinger Aktionsplattform ist damit das erste internationale Dokument, das sich um eine Definition bemüht hat.
Was meint die Kategorie „Geschlecht“? Was heißt „Gender“ überhaupt? Der Begriff nimmt Menschen in all seiner Unterschiedlichkeit und Vielfalt wahr und reduziert sie nicht auf die stereotypen Kategorien „weiblich“ oder „männlich“ mit den entsprechenden Geschlechterrollen. Der Blick in die Soziologie macht deutlich: Geschlechterrollen und Geschlechterverhältnisse sind sozial, politisch, kulturell und ökonomisch in die Kontexte der jeweiligen Gesellschaften eingebettet. Sie sind also konstruiert und unterliegen Veränderungen. Das bedeutet, dass die zugewiesenen Geschlechterrollen und -identitäten nicht „Schicksal“ sind, sondern aktiv beeinflusst und geändert werden können. Die in Peking verabschiedete Aktionsplattform hält das ausdrücklich fest – ein erster Durchbruch für die internationale Diskussion.
Ein weiterer wichtiger Erfolg der Pekinger Konferenz war die Feststellung, dass die Überwindung von Ungleichheit und undemokratischen Verhältnissen zwischen den Geschlechtern eine Aufgabe für die ganze Gesellschaft sein muss. Gleichstellungspolitik – das ist die Kernaussage – ist nicht alleine eine Sache für Frauen und Frauenorganisationen, sondern auch und gerade eine Aufgabe für Männer.
Fortschritte durch Gender Mainstreaming
Die Pekinger Aktionsplattform hat einen Schub politischer Initiativen in vielen Ländern der Welt ausgelöst, der die gesetzlichen Rahmenbedingungen für die Gleichstellung von Frauen verbessert hat. Die Institutionalisierung von Frauen- und Geschlechterpolitik, die schon lange im Zentrum politischer Forderungen der internationalen Frauenbewegungen und Netzwerke stand, hat durch die Aktionsplattform Rückenwind bekommen, da sie von den Regierungen genau das verlangt: die erforderlichen institutionellen, finanziellen und personellen Ressourcen zur Umsetzung von Gender Mainstreaming bereitzustellen.
Mit den vier Weltfrauenkonferenzen und Konventionen wie dem Übereinkommen der Vereinten Nationen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung (CEDAW) wurden international wichtige Referenzrahmen und Berufungsgrundlagen für das Einfordern geschlechtergerechter Politiken geschaffen.
Das „Goldene Zeitalter”
In der Europäischen Union galten die 90er Jahre als das Goldene Zeitalter der Gleichstellungspolitik. Die vierte Weltfrauenkonferenz in Peking 1995 hat nirgendwo sonst so viele geschlechterpolitische Spuren wie in den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union hinterlassen. Gender Mainstreaming wurde im Amsterdamer Vertrag von 1997 als Aufgabe für alle Mitgliedsstaaten verankert. Der Vertrag schreibt fest, dass alle Mitgliedsstaaten und alle europäischen Organe verpflichtet sind, geschlechterbezogene Sichtweisen und geschlechtsbezogene Analysen auf allen Entscheidungs¬ebenen, in allen Entscheidungsphasen zu etablieren. Innerhalb der Europäischen Union wurden so genannte Road Maps, also Fahrpläne, mit entsprechenden 5-Jahres-Programmen entwickelt. Sie identifizieren politische Kernfelder, in denen Gender Mainstreaming vorrangig umgesetzt werden soll. Im aktuellen Aktionsplan der Road Map von 2006 bis 2010 sind zum Beispiel genannt: Gleichstellung von Männern und Frauen in der Wirtschaft und Gleichstellung von Männern und Frauen auf dem Arbeitsmarkt. Vor allem soll der Staat endlich angemessene Dienstleistungen bereit stellen, damit die Vereinbarkeit von Familie und Beruf sowie die Vereinbarkeit von Pflege und Beruf möglich werden.
Die Road Map enthält auch die Aufforderung an die Mitgliedstaaten, Initiativen zu ergreifen und Bedingungen zu schaffen, um tradierte Geschlechterstereotypen überwinden zu helfen. Das Prinzip Gender Mainstreaming hat offenbar in vielen Institutionen Lernprozesse ausgelöst und positive Veränderungen bewirkt.
Wo der politische Wille existiert, können über Gender Mainstreaming viele positive Effekte erzielt werden. Gender Mainstreaming fordert dazu auf, sich Genderwissen – Wissen über Geschlechterverhältnisse und diskriminierende Strukturen – anzueignen. Denn oftmals gibt es wenig oder gar keine Kenntnisse darüber, wie politische Entscheidungen auf die Geschlechterverhältnisse wirken. Die meisten Statistiken in der Welt sind geschlechterneutral. Deswegen ist es notwendig, geschlechterdifferenziert Daten zu erheben und auszuwerten. In der Bildungspolitik oder in der Gesundheitspolitik befördern geschlechterdifferenzierte Analysen ein Bewusstsein darüber, dass Ungleiches unterschiedlich betroffen ist und unterschiedlich behandelt werden muss; Frauen und Männer, Jungen und Mädchen müssen in der Forschung, in der Diagnose und bei Lösungsstrategien verschieden begriffen werden. Mit der Anwendung des Gender Mainstreaming Prinzips ist es vielfach gelungen, solches Wissen und aussagefähige Daten zu beschaffen. Und es hat sich gezeigt, dass Gender-Analysen zu neuen (gesellschafts-)politischen Erkenntnissen über die geschlechterpolitische Folgen von Politik führen und innovative Wissensstände für Politik und Verwaltung schaffen.
Den politischen Willen, ausreichend Personal und angemessene Budgets vorausgesetzt, kann Gender Mainstreaming Lernen in Institutionen möglich machen, zu neuem Verwaltungshandeln führen und Veränderungsprozesse in Gang setzen. Für alle diese positiven Effekte von Gender Mainstreaming lassen sich überall, nicht nur in Europa, positive Beispiele finden.
Grenzen des Gender Mainstreaming
Die Europäische Union hat sich zu einem kräftigen Referenzrahmen für Geschlechterpolitik entwickelt. Insbesondere für die neuen Beitrittsländer haben die Politiken und Direktiven der Europäischen Union einen regelrechten Gleichstellungsschub auslösen können. Doch diese Phase ist vorbei.
Den unbestrittenen Fortschritten steht gegenüber, dass – national wie global gesehen – die Hierarchien, Machtunterschiede und Dominanzverhältnisse zwischen den Geschlechtern noch längst nicht abgebaut sind. Diskriminierung, Benachteiligung und Gewalt sind nach wie vor in allen Regionen der Welt prägende Faktoren für die Lebenssituation von Millionen Frauen. Es gibt kaum ein internationales Dokument, keine internationale (Frauen-)Konferenz, die nicht bestätigen, dass sich die strukturelle Ungleichheit zwischen den Geschlechtern in vielen Gesellschaften eher verstärkt als vermindert hat. Politisch sind Frauen vielfach noch immer von Entscheidungsprozessen ausgeschlossen. Noch immer werden ihnen Rechte verweigert. Die ökonomischen Unterschiede zu Lasten von Frauen haben sich kaum verringert, obwohl immer mehr erwerbstätig sind. Sie arbeiten aber weitaus häufiger als Männer in unterbezahlten Berufen und Branchen, unter prekären Bedingungen und in Teilzeitarbeitsverhältnissen. Allerdings sind auch Männer mehr denn je von Erwerbslosigkeit, Gewalt und Marginalisierung betroffen.
Seit einigen Jahren ist ein gleichstellungspolitischer Stillstand zu spüren, mehr noch: Erreichtes wird vielfach in Frage gestellt und Geschlechterpolitik auf Familienpolitik reduziert.
Was sind die Ursachen für diesen Stillstand?
Erstens: Die Europäische Union ist von 15 auf 27 Mitgliedsstaaten angewachsen. Das hat die Mehrheitsverhältnisse in der Europäischen Union verändert. Innerhalb der Europäischen Union sind außerdem durch Regierungswechsel – wie in Deutschland – konservative Regierungen an die Macht gekommen. Diese Regierungen versuchen fortschrittliche Ansätze zu verwässern oder setzen EU-Gleichstellungspolitiken nur zögerlich oder halbherzig um. Im öffentlichen Diskurs vertreten sie eher traditionelle Geschlechterrollenmodelle. In einigen Ländern wie Polen gewinnen homophobe Haltungen an Gewicht, die es schwer machen, sexuelle Orientierung öffentlich als Diskriminierungstatbestand zu thematisieren.
Auch die seit Januar 2009 amtierende tschechische Ratspräsidentschaft setzte sich in ihrem Arbeitsprogramm gar für die häusliche Kinderbetreuung ein. Die so genannten Barcelona Kriterien der Europäischen Union, die ausreichenden Kinderbetreuungsplätze bis 2010 schaffen wollen, werden so von einzelnen Mitgliedsstaaten in Frage gestellt. Ausreichende Kinderbetreuung ist jedoch eine zentrale Voraussetzung für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf und für den Wiedereinstieg von Müttern in den Beruf. Das Vorhaben scheiterte glücklicherweise am Widerstand des EU-Parlaments.
Der Vorstoß der tschechischen Regierung verweist auf eine zweite Ursache für den gleichstellungspolitischen Stillstand bzw. auf ein Roll Back in der Europäischen Union. Gleichstellungspolitik wird in vielen EU-Ländern – jenseits des Vorstoßes der tschechischen Ratspräsidentschaft – auf die Vereinbarkeit von Familie und Beruf reduziert und damit der Familienpolitik untergeordnet. Es dominiert Familienpolitik statt Gender Mainstreaming. Das gilt auch für Deutschland. Einerseits werden über Familienpolitik Modernisierungsschübe ausgelöst und mehr denn je Finanzmittel und Infrastruktur für die staatliche Kinderbetreuung bereit gestellt. Aber über diese Initiativen zur besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf hinaus, gibt es in Deutschland kaum weitere gleichstellungspolitische Ansätze seitens der Regierung. Im Gegenteil: Beinahe alles, was im Kontext von Gender Mainstreaming aufgebaut wurde, wird derzeit abgebaut. Das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend fördert zwar noch das GenderKompetenzZentrum, das die Bundesregierung bei der Umsetzung des Gender Mainstreaming unterstützen soll. Aber eine Steuerungsgruppe, die Gender Mainstreaming Aktivitäten aller Ministerien hätte organisieren sollen, ist abgeschafft worden. Frauenförderpolitik ist öffentlich kaum noch sichtbar oder konzentriert sich weitgehend auf weibliche Karriereförderung oder auf Partizipation in der (Kommunal)Politik.
Als eine weitere Variante, Gender Mainstreaming zu konterkarieren, haben viele Institutionen und europäische Regierungen das Konzept von Gender Mainstreaming dazu genutzt, vor allem die Förderung und die Finanzierung von frauenpolitischen Initiativen abzubauen. Gender Mainstreaming war sozusagen die Entschuldigung dafür, warum man Frauenprojekte nicht mehr oder weniger finanziert hat. Das war und ist eine fatale Instrumentalisierung seitens der Politik und ihrer Institutionen, weil Gender Mainstreaming von Anfang an deutlich formuliert hat: Es bedarf beides: Frauen müssen in ihrer politischen und ökonomischen Teilhabe gestärkt und gefördert werden und Männer müssen im Sinne der Geschlechterpolitik einbezogen werden. Die Tatsache, dass Frauenprojekte ins Hintertreffen gerieten, hat eher zu einer Entsolidarisierung mit dem Konzept geführt als zu dessen Stärkung. Die Distanzierung von und die Kritik an Gender Mainstreaming ist u.a. deshalb weltweit groß.
Und wenn das Konzept an seine Grenzen stößt …
Mit der bisherigen Handhabe von Gender Mainstreaming konnte nicht erwirkt werden, dass Entscheidungen in zentralen Politikbereichen auch geschlechtersensible Überlegungen zugrunde gelegt wurden. In Deutschland gibt es eigentlich nur Pilotprojekte. Überall durfte ein bisschen ausprobiert werden. Vielversprechende Ansätze der damaligen rot-grünen Bundesregierung sind von der Großen Koalition gleich wieder kassiert worden: Eine Studie zum Thema Gender Budgeting sollte herausfinden, ob eine systematische Überprüfung der Haushalte nach Geschlechterkriterien machbar ist. Das wäre ein wirklicher Durchbruch gewesen. Die Bundesregierung hat diese Machbarkeitsstudie zunächst nicht veröffentlichen wollen. Es waren vor allem Frauen, die auf die Veröffentlichung der Machbarkeitsstudie gedrängt haben. Nun ist sie wenigstens im Internet zu lesen. Aber eine politische Diskussion dazu, wie Gender Budgeting in der deutschen kommunalen und bundespolitischen Haushaltspolitik umgesetzt werden könnte, wird verweigert. Politische und ökonomische Entscheidungsprozesse aus Geschlechterperspektive zu durchleuchten – das wäre die radikale Umsetzung von Gender Mainstreaming und würde Entscheidungsprozesse nicht nur geschlechterpolitisch revolutionieren. Dass es so weit kommt, wird politisch mit aller Macht verhindert. Und leider fehlt dem Gender Mainstreaming Konzept eine starke politische Lobby.
Insgesamt lässt sich feststellen, dass Gender Mainstreaming bei ökonomischen Entscheidungen und Prozessen letztlich keine Rolle spielt. Auf der EU-Ebene wäre es zum Beispiel spannend geworden, wenn die Strukturfonds und die Regionalprogramme der Europäischen Union, die wirtschaftliche und soziale Weichen stellen und viel Geld in die Regionen der Europäischen Union transferieren, nach dem Prinzip von Gender Mainstreaming analysiert und geschlechterpolitisch beeinflusst worden wären. In Deutschland zum Beispiel wurden – Gender Mainstreaming hin oder her – im Kontext der Arbeitsmarktreformen Gesetze erlassen, die die finanzielle Abhängigkeit vom Partner wieder verstärkt hat. Das ist ein Rückschlag für das Ziel der eigenständigen Existenzsicherung von Frauen und Männern.
Praxistest nicht bestanden
Neben dem mangelnden politischen Willen, gibt es auch andere Faktoren, die Gender Mainstreaming nicht zu einem Erfolg haben werden lassen. Es wird schon lange diskutiert, ob Gender Mainstreaming überhaupt ein gutes, ein geeignetes Instrument ist, um Gleichberechtigung zu erreichen und Geschlechterhierarchien abzubauen. So wie es umgesetzt und ausgelegt worden ist – vor allem von Institutionen – hängt diesem Konzept längst der Vorwurf an, es sei zu bürokratisch, zu Institutionen und Top Down fixiert und damit letztlich zu unpolitisch. Das Konzept hat seinen radikalen Kern im politischen Praxistest aus vielfältigen Gründen eingebüßt und seinen Charme verloren.
Der Ansatz, von oben nach unten Geschlechterpolitiken zu verändern ist durchaus richtig, aber von begrenzter Reichweite und alleine nicht ausreichend.
Entscheidungsträger/innen in Ministerien, in Rathäusern oder in Institutionen wie der Weltbank müssen den Willen haben, mehr Geschlechtergerechtigkeit umzusetzen. Insofern ist der Top-Down Ansatz eine zentrale Voraussetzung für die erfolgreiche Umsetzung von Gender Mainstreaming. Institutionen und Unternehmen handeln aber nicht neutral. Institutionen agieren nicht in einem herrschafts- und interessensfreien Raum. Institutionen sind – wie auch Regierungen – interessengeleitet. Es reicht nicht aus, Institutionen vorzuschreiben, was sie machen sollen, da sich auch in Institutionen Macht- und Herrschaftsverhältnisse und damit auch Vorstellungen von Geschlechterrollen widerspiegeln. Wer definiert, was eine traditionelle Geschlechterrolle ist? Wer definiert, was „frauengerecht und was männergerecht“ ist? Wer artikuliert Bedürfnisse und Ziele vor allem mit welcher Verhandlungsmacht? Wer hat die Definitionsmacht in Institutionen?
Institutionen und Bürokratien sind per se kein geschlechtersensibles Terrain. Entscheidungsstrukturen und Verfahren sind außerdem hierarchisch strukturiert und die Betriebskultur häufig männerbündisch geprägt. Es herrschen Regeln und Verfahren vor, die eher auf Vertraulichkeit, denn auf Transparenz und offene Debattenkultur abzielen. Es ist deshalb auch nicht verwunderlich, dass die in Ministerialbürokratien und Institutionen angesiedelten Gender Mainstreaming Pilotprojekte vor allem Handbücher, Kriterienkataloge und Check-Listen hervorbringen und die angestoßenen Prozesse häufig einen technokratischen Charakter zu haben scheinen. Verhaltens- und Einstellungsänderungen sind langwierige Prozesse und zudem schwer mess- und darstellbar.
Wenn der politische Wille fehlt
Dennoch: Wenn Gender Mainstreaming Erfolg haben soll, dann muss der politische Wille dazu von ganz oben kommen. Richtig ist auch, dass Institutionen Lernprozesse befördern können. Es bedarf gut funktionierender Institutionen, die politische Konzepte, auch emanzipatorische Konzepte, umsetzen. Es bedarf aber auch unbedingt gesellschaftlicher Bewegung von außen, politischen Druck aus der Gesellschaft, damit sich Institutionen ändern. Politische Entscheidungen ändern sich nur, wenn aus der Gesellschaft heraus Änderungsbedarfe formuliert werden. Institutionen müssen dann politische Vorgaben umsetzen. Diesen Zusammenhang haben viele aus den Augen verloren, die daran glaub(t)en, dass Institutionen es schon richten werden. Durch Lobbyarbeit Institutionen und Bürokratien zu beeinflussen, ist das eine, gesellschaftlichen Druck zu organisieren, über Medien und Öffentlichkeit, über Protest, der lautstark wird, das andere.
Ausschließlich institutionell ausgerichtete Gleichstellungspolitik via Gender Mainstreaming stößt massiv an ihre politischen Grenzen, vor allem dann, wenn es keine frauen- und genderpolitischen Organisationen gibt, die von außen verhandlungsmächtig Einfluss auf Parlamente, Öffentlichkeit und damit indirekt auf Institutionen nehmen können. In vielen Ländern ist dies geglückt. In Südafrika, Kenia, Mexiko oder Brasilien haben frauenpolitische Organisationen die Umbrüche in ihren jeweiligen Ländern in bestimmten Phasen der Transition genutzt und haben das in der Aktionsplattform von Peking beschlossene Gender Mainstreaming mit einigem Erfolg einfordern können. Letztlich ist in allen Ländern entscheidend, wie geschlechterpolitische Themen gesellschaftlich organisiert sind.
Die Kraft des öffentlichen Einspruchs stärken
Wenn offizielle Geschlechterpolitik wieder ausschließlich als Familienpolitik oder als Karriereförderung verstanden wird, dann müssen politisch schlagkräftige Akteurinnen und Akteure und eine kritische Öffentlichkeit dafür sorgen, dass Steuer- oder Finanzpolitik, Außen- oder Sicherheitspolitik, Arbeitsmarkt- oder Gesundheitspolitik nach ihren Wirkungen auf die Geschlechterverhältnisse hin analysiert werden. Es bedarf daher einer gemeinsamen Anstrengung, Geschlechterpolitik wieder zu einem gesellschaftlichen Thema zu machen, das nicht nur in Fachzirkeln diskutiert wird. Geschlechterpolitische Veränderungen müssen gesellschaftlich angestoßen und weitergetragen werden. Auch eine Debatte im Feuilleton zum neuen Feminismus reicht da noch lange nicht aus. Wir brauchen überall Verbündete in allen Parlamenten, die die Roll Back Versuche vieler konservativer Regierungen abwehren. Für das Ziel der eigenständigen Existenzsicherung brauchen wir neue Allianzen, ebenso wie für das Ziel der Lohn- und Einkommensgleichheit. Alte und neue Feministinnen, Alphamädchen und viele Männer, denen an neuen Geschlechterrollen liegt, müssen sich noch viel mehr politisch verständigen und ihre Kraft des öffentlichen Einspruchs stärken.