KommunalWiki: Die Infothek erfindet sich neu

Seit 1998 existiert die Kommunalpolitische Infothek als Wissenspool für grüne Kommunalpolitik. Jetzt geht das Projekt neue Wege: in einem Mitmach-Wiki soll das Wissen von nun an kollaborativ gesammelt werden. Was sich ändert und wie das mit der Beteiligung geht, erklärt Wolfgang Pohl.

Fast 13 Jahre ist es jetzt her, dass eine Idee von Ralf Fücks und seiner damaligen Vorstandskollegin Petra Streit zum Auftakt eines kommunalpolitischen Internet-Angebots der Heinrich-Böll-Stiftung wurde, das unter dem Namen "Kommunalpolitische Infothek" seit 1998 existiert.

Wer heute in den Tiefen der Infothek gräbt, wird Vieles finden, darunter jedoch auch viel Veraltetes. Und zugleich viel vermissen, denn von den rund 40 Sachgebieten, in die die Infothek das kommunale Wissensspektrum gliedert, können im Laufe eines Jahres höchstens vier bis sechs gründlich bearbeitet werden. Schließlich ist im vergangenen Jahrzehnt auch die Vielfalt an Fachthemen und die Spezialisierung und Professionalisierung unter grünen Kommunalis angewachsen. Da ist es schon fast nebensächlich, dass die Oberfläche der Infothek heute sperrig wirkt und ihre Inhalte von Google nicht prominent gelistet werden.

Die "Weisheit der Vielen"

Seitdem hat sich das Internet verändert (vgl. den Schwerpunkt “Kommunalpolitik digital“ in AKP 5/2010). Neben den Websites, bei denen – im Stil der "alten" Medien – eine Redaktion schreibt, eine weitgehend passive Leser/innenschaft liest, sind Netz-Orte entstanden, an denen viele ihr Wissen zusammentragen und miteinander teilen. Der bekannteste dieser virtuellen Orte ist wohl die Wikipedia. Der Name setzt sich zusammen aus "Wiki" und "Enzyklopädie"; es geht also um eine Art Lexikon auf Basis eines Wikis, einer Web-Anwendung, mit der Nutzer/innen selbst Seiten erstellen und verändern können und die und Hilfsmittel für Strukturierung, Verlinkung und Zusammenarbeit bereitstellt.

Die deutschsprachige Wikipedia hat heute schon über 1 Mio. Artikel, und sie ist nur eines von unzähligen Wikis. Die meisten sind klein und dienen zur Koordination einer Arbeitsgruppe oder Firma, doch nicht wenige stellen mehr oder weniger spezialisierte öffentliche, stetig wachsende und gepflegte Wissenssammlungen dar.

Viele zweifeln an der "Weisheit der Vielen" (ein Buchtitel von James Surowiecki). Wie kann, wenn jede/r schreiben darf, die Qualität gesichert, wie Unsinn und Vandalismus vorgebeugt, wie Streit vermieden oder geschlichtet werden? Die Antwort ist einfach: Gerade in "großen" Wikis mit vielen Beteiligten leistet dies die Gemeinschaft der Vielen sehr effektiv. Sie trägt nicht nur Wissen zusammen, sondern reagiert auch auf Probleme, verabredet Verfahren und Mechanismen, diskutiert, verbessert Unzureichendes und entfernt Unsinn. Zwar können, je mehr Menschen mitmachen, auch umso mehr fragwürdige Inhalte einfließen, sie werden jedoch auch umso schneller entdeckt und beseitigt. Dabei ist hilfreich, dass in einem Wiki alle frühere Versionen eines Artikels gespeichert bleiben und so seine Vorgeschichte transparent bleibt Nichts geht für alle Zeit verloren, und war die frühere Version eines Textes besser, ist sie im Handumdrehen wieder hergestellt. Ebenso ist jederzeit sichtbar, wer wann was zu einem Artikel beigetragen hat. Das hilft, seine Zuverlässigkeit zu beurteilen, erleichtert aber auch die Arbeit, weil Leute, die am selben Artikel schreiben, untereinander Kontakt aufnehmen können.

Grüne Kommunalpolitik vernetzen

Die "Zielgruppe" grüner und grün-naher Kommunalpolitik scheint für das Experiment eines solchen Wikis wie geschaffen. Viele kennen sich auf einem Fachgebiet, in einer Stadt oder Region gut aus, sind dabei jedoch lokal verteilt, oft vereinzelt. Zusammen verfügen sie über ein beeindruckendes Wissen, wie auf regionalen oder bundesweiten Treffen zu sehen ist. Ein großer Teil der grünen Kommunalos und Kommunalas hat auch die Bereitschaft und die Kompetenz, Wissen aktiv beizutragen, sich auszutauschen und zu vernetzen. Schließlich eint alle das Bewusstsein, an einem gemeinsamen Projekt zu arbeiten und gemeinsame Ziele zu verfolgen. Dabei kann gegenseitige Unterstützung nur helfen.

Deshalb hat die Heinrich-Böll-Stiftung begonnen, ihre "Kommunalpolitische Infothek" technisch auf neue Füße zu stellen. Dieser Prozess soll zwei Jahre dauern. Die zukünftige Plattform ermöglicht allen, Artikel zu erstellen und vorhandene zu verändern. Es muss selbstverständlich Regeln des Umgangs miteinander geben und Administrator/innen, die sie notfalls durchsetzen, doch ebenso selbstverständlich sind diese Regeln diskutierbar und veränderbar. Die Redaktion wird in der ersten Zeit Artikel der Infothek und anderer Medien einspeisen, so dass ein Grundbestand an Inhalten gesichert ist, und sie wird für aktives Mitmachen möglichst vieler und möglichst Kundiger werben. Denn bei beidem, Inhalten und Aktiven, braucht es eine "kritische Masse", damit das Projekt lebt und Eigendynamik entwickelt.

Offenes Wissen – flüssiges Wissen

Das KommunalWiki ist als Plattform für offenes Wissen konzipiert. Das beginnt schon bei der verwendeten Software: Die MediaWiki-Plattform ist freie Software, und weil sie auch in der Wikipedia verwendet wird, werden die meisten sich gleich zurechtfinden. Die Inhalte werden unter eine Creative-Commons-Lizenz gestellt; sie können frei weiterverwendet werden, solange die Quellen genannt werden und die Lizenz erhalten bleibt. Das Wissen im KommunalWiki soll öffentliches Gut sein und bleiben.

Durch die Offenheit werden die Inhalte zugleich gewissermaßen flüssig: Sie verändern sich laufend. Auch das ist für manche gewöhnungsbedürftig: Eigene Texte, die mit viel Sorgfalt und Engagement erstellt wurden, können durch andere verändert werden. Meist handelt es sich um Erweiterungen und Ergänzungen, oft auch um Strukturierung (Zwischenüberschriften, Zuordnen von Kategorien) oder Verlinkung von Begriffen. Solch kooperatives Arbeiten will gelernt sein, da geht es nicht nur um Empfindlichkeiten, sondern auch um ein gemeinsames Verständnis von Arbeitsweisen und Zielen. Ein Wiki ist immer auch ein Experiment in demokratischer Kooperations- und Diskussionskultur.

Ende offen

Seit Ende November 2010 ist das Wiki online. Unter kommunalwiki.boell.de sind die „Pioniere“ eingeladen, sich umzusehen und erste Inhalte zu erstellen. Die Infothek-Redaktion wird – unter der Voraussetzung, dass die jeweiligen Autor/innen ihre Arbeiten unter eine offene Lizenz stellen – Inhalte aus der „alten“ Infothek in die neue Plattform übertragen, sie wird um Mitarbeit werben und auch in Workshops Interessierte bei den ersten Schritten unterstützen. Die Infothek wird noch mindestens bis 2012 erhalten bleiben und in Teilen auch weiter gepflegt.

Offen ist natürlich, ob das Wiki eine Erfolgsgeschichte wird. Skepsis bleibt nicht aus, sind doch grüne und grün-nahe Kommunalos eine vielbeschäftigte Spezies. Kommunalpolitik ist in den allermeisten Fällen ein Ehrenamt, das neben beruflichen und familiären Verpflichtungen seinen Platz im Leben finden muss. Zeit ist da meist das kostbarste Gut. Werden also genügend Aktive bereit und in der Lage sein, ihr Wissen nicht nur vor Ort anzuwenden, sondern es auch mit anderen zu teilen?

Die Erfahrung zeigt, dass in öffentlichen Wikis auf ungefähr 20 Nutzer/innen eine/r kommt, der/die aktiv mitarbeitet, also Artikel erweitert, verbessert oder eigene schreibt. Wenn das auch für die Zielgruppe des KommunalWikis gilt, können wir bei rund 2.000 angemeldeten Nutzer/innen mit etwa 100 Aktiven rechnen. Das wäre hinreichend, um den Bestand stetig wachsen und besser werden zu lassen. Ein ambitioniertes, aber kein unrealistisches Ziel. Schließlich gibt es derzeit mindestens 8.000 grüne Mandatsträger/innen, und die Aussichten sind gut, dass diese Zahl in den kommenden Jahren weiter steigt (und dass dabei auch der Anteil von internetaffinen Menschen zunimmt).

Vor allem wenn das Experiment erfolgreich ist, wird seine weitere Richtung offen sein, denn sie wird von den Aktiven bestimmt, die sich beteiligen. Ob in zwei oder drei Jahren noch das Zusammentragen von Informationen, das Erstellen eines "kommunalpolitischen Wissenspools" im Zentrum des Projektes bleibt oder ob eher Diskussion, Vernetzung, virtuelle Arbeitsgruppen oder Austausch von Ideen und Anträgen den Alltag bestimmen, kann heute niemand wissen. Die Heinrich-Böll-Stiftung muss damit leben, dass ihr Projekt sich um so stärker verselbständigen wird, je besser es ankommt.

Doch einstweilen sind wir nicht so weit. Erst einmal gilt es, die Idee weiterzuentwickeln und Aktive zu finden, die das Projekt gerade in der Startphase mit anschieben, durch eigen Beiträge und indem sie Andere motivieren, mit einzusteigen. Das Wiki ist online, in einem Blog (kommunal.boellblog.org) wird es konzeptionell begleitet und diskutiert. Ansporn und Angebote zur Mitarbeit sind ebenso willkommen wie kritische Fragen und Einwände.


Der Autor Wolfgang Pohl ist langjähriger ehrenamtlicher Redakteur der AKP sowie bei der Heinrich-Böll-Stiftung verantwortlich für die kommunalpolitische Infothek und das KommunalWiki. Er ist über seine Benutzerseite im KommunalWiki, aber auch ganz traditionell unter der Mail infothek@boell.de erreichbar.