Die strategische Ausrichtung der brasilianischen Außenpolitik

Sao Paulo, Hauptstadt des gleichnamigen Bundesstaates in Brasilien (Foto)

8. September 2009
Von Clóvis Brigagão
Von Clóvis Brigagão

Brasilien gilt in der Arena der internationalen Beziehungen als Global Player mit einer regionalen Machtposition und zunehmendem internationalem Einfluss. Seine Außenbeziehungen folgen drei strategischen Linien:

  • Die Ausweitung der Nuklearkapazität wird als Mittel zur Schaffung von Einflussmöglichkeiten in der internationalen Gemeinschaft betrachtet.
  • Das Bestreben nach nachhaltiger Entwicklung im Amazonasgebiet konkurriert mit sicherheitspolitischen Erwägungen.
  • Die Beziehungen zu anderen Schwellen- und Entwicklungsländern sind Teil der breit angelegten Außenpolitik Brasiliens.

Demokratisierung, regionale Integration und Globalisierung haben in den vergangenen Jahrzehnten zu Veränderungen in Brasiliens internationaler Stellung geführt. Viele einheimische Stellen haben an diesem Prozess Anteil, wobei das Außenministerium (unter der Bezeichnung Itamaraty bekannt) der sichtbarste Akteur ist. Andere Stellen mit sektorenspezifischen und multidimensionalen Interessen sind jedoch ebenfalls beteiligt, darunter verschiedene Ministerien, Behörden und Unternehmen. Regierungen auf bundesstaatlicher und örtlicher föderativer Ebene, die Geschäftswelt in Gestalt von Verbänden und Räten, Vertreter der Industrie und des Handels, der Landwirtschafts- und der Dienstleistungssektor sowie Brasiliens multinationale Kapitalgesellschaften und private Unternehmen haben die Ausrichtung der Außenpolitik des Landes erweitert.

Das Streben nach höheren Renditen auf dem globalen Markt, Verhandlungen im Agrarhandelsbereich und Kapitalflüsse, Technologien und Dienstleistungen sind Instrumente der brasilianischen Außenpolitik, stellen oft jedoch auch neue Herausforderungen für sie dar. Schon jetzt gewinnt Brasilien fortwährend an internationalem Einfluss. Gleichzeitig ist seine Außenpolitik zunehmend transparenter, demokratischer und repräsentativer für die Vielfalt der Gesellschaft geworden.

Brasiliens internationale Beziehungen

Drei strategische Linien sollen dabei helfen, Brasiliens internationale Beziehungen zu definieren:

  1. Der Faktor Kernenergie. Brasilien ist eine aufstrebende Nuklearmacht, wobei sein Kernenergieprogramm ausschließlich friedlichen Zwecken dient.
  2. Die Umwelt. Brasilien umfasst einige der größten Naturreserven der Welt und ist einer der wichtigsten Akteure bei der Erstellung von multilateralen Rahmenbedingungen für deren nachhaltige Verwaltung.
  3. Beziehungen zu anderen Schwellen- und Entwicklungsländern. Aufgrund seiner geografischen, wirtschaftlichen und demografischen Bedeutung spielt Brasilien eine wichtige Rolle in der neuen multipolaren Weltordnung. Darüber hinaus ist es gemeinsam mit anderen, nicht in der OECD vertretenen Ländern in Foren wie den G20, den BRIC-Staaten (Brasilien, Russland, Indien und China), dem IBSA-Dialogforum (Indien, Brasilien und Südafrika) und nun, auf regionaler Ebene der UNASUR (Union Südamerikanischer Nationen) engagiert, in denen die einzelnen Staaten einerseits ihren Einfluss bündeln, andererseits aber auch interne Rivalitäten bestehen.

Der Faktor Kernenergie

Das brasilianische Kernenergieprogramm wird von den führenden Eliten als wesentliches Instrument für die wirtschaftliche Entwicklung des Landes und als ein Mittel zur Entwicklung neuer Einflusschancen in der internationalen Gemeinschaft betrachtet. Die letzten Regierungen haben, immer mit dem Ziel der Ausweitung des Kernenergieprogramms, kontinuierlich in Wissenschaft, Technologie und Innovation investiert. Die Regierung strebt an, die Erzeugung von Atomenergie von gegenwärtig zwei auf vier Prozent des Energiebedarfs zu erhöhen und die Abhängigkeit von ausländischen Anbietern zu reduzieren, da Brasilien über die sechstgrößten Uranreserven der Welt verfügt.

Die Vereinigten Staaten und die Internationale Atomenergieorganisation äußern sich gelegentlich besorgt darüber, dass Brasilien Nuklearkapazität als Unterpfand zur Verstärkung seiner Machtposition einsetzt: Sie drängen auf eine Unterzeichnung des Zusatzprotokolls zum Atomwaffensperrvertrag. Brasilien verfügt über das zur Herstellung einer Atombombe nötige Know-how, hat sich jedoch verpflichtet, keine Kernwaffen herzustellen. Lula da Silvas Regierung verweigert die Unterzeichnung des Zusatzprotokolls mit der Begründung, dass die brasilianische Verfassung von 1988 (die eine ausschließlich friedliche Nutzung der Kernenergie vorsieht) sowie die bereits unterzeichneten internationalen Abkommen ausreichende Garantien bieten.
Darüber hinaus haben Brasilien und Argentinien eine Zusammenarbeit zwischen den Kernenergieprogrammen beider Länder vereinbart und planen ein binationales Unternehmen zur Urananreicherung. Dies soll eine stärkere Marktposition gewährleisten, aber auch die Sorge um einen eskalierenden Rüstungswettlauf in der Region zerstreuen.

Das Amazonasgebiet unter dem Gesichtspunkt der Außenpolitik

Brasilien steht in der Kritik, die Umwelt zu zerstören. Dabei wird auch auf die wirtschaftlichen Auswirkungen dieser Zerstörung und den Einfluss auf den Klimawandel hingewiesen. Sowohl innerhalb der Regierung als auch in der brasilianischen Gesellschaft wächst die Erkenntnis, dass Brasilien hinsichtlich des Weltklimas und der Nachhaltigkeit globaler Ressourcen große Verantwortung trägt. Brasilien ist sich dessen bewusst, dass es den Preis für die Abholzung des Amazonasgebiets zahlen muss. Der Amazonas-Fonds stellt in dieser Hinsicht eine positive Initiative dar, die jedoch auch neue Herausforderungen mit sich bringt.

Innerhalb Brasiliens wird die Amazonas-Region auf ganz unterschiedliche Weise betrachtet. Während die Diplomaten in multilateralen Foren die Oberhand behalten wollen, bewertet das Militär die Amazonas-Region unter dem Gesichtspunkt der nationalen Sicherheit und fürchtet eine Internationalisierung der Region.

Die Streitkräfte haben eine Doppelfunktion zu erfüllen – einerseits sind sie für die nationale Verteidigung und die Sicherung der Landesgrenzen zuständig, andererseits wollen sie soziale, umweltfreundliche und nationale Integrationsmaßnahmen fördern. Diese Funktionen haben, in Kombination mit Mängeln in der öffentlichen Ordnung, wesentlich zu einer Ausweitung der Verteidigungs- und Sicherheitskapazitäten der Streitkräfte beigetragen und gleichzeitig deren Rolle in Bereichen wie der nachhaltigen Entwicklung und der Einbeziehung der Amazonasregion in Brasiliens internationale Beziehungen gestärkt.

Beziehungen zu Schwellen- und Entwicklungsländern (Süd-Süd-Kooperation)

Die Regierung Lula da Silvas unterstreicht die Bedeutung der Beziehungen zu den Schwellen- und Entwicklungsländern als strategischen Achsen und Faktoren in der Vielfalt der Einflussmöglichkeiten Brasiliens auf internationaler Ebene. Diese außenpolitische Linie hat jedoch bisher keine wesentlichen Ergebnisse gezeigt. Das G20-Treffen, das zu einem Abschluss der Doha-Runde hätte führen können, war zwar – insbesondere auf dem Gebiet des Agrarhandels – entscheidend im Hinblick auf die Ausweitung von Brasiliens Einfluss innerhalb der internationalen Gemeinschaft. Aufgrund von Diskrepanzen über den Zugang zu verschiedenen Märkten und durch Widerstand von Indien, China und Argentinien war das G20-Treffen jedoch letztlich nicht von Erfolg geprägt. Die durch die Industrieländer (USA, EU und Japan) im Agrarsektor eingeräumten Zugeständnisse hatten zur Folge, dass die erhoffte Gemeinschaft der Schwellenländer, die als Schlüssel zum Erfolg in der „Entwicklungsrunde“ erachtet worden war, nicht zustande kam.

Auf dem Doha-Treffen von 2003 scheiterte die Strategie. Die Konzentration aller Bemühungen in einem Forum führte zu Isolation und zum Bruch der Solidarität zwischen den „Schwesterländern des Südens“, ohne die erwarteten Zugeständnisse der Vereinigten Staaten und der Europäischen Union einzubringen. Der Zusammenschluss der BRIC-Staaten hat Potenzial für die Zukunft und könnte in den Auseinandersetzungen zwischen den großen Mächten eine Rolle spielen. Das IBSA-Dialogforum zeichnet sich durch eine interessante interregionale Konstellation aus und hat dazu geführt, dass spezifische Kooperationsprojekte auf den Gebieten Entwicklung und Sicherheit ins Leben gerufen wurden.

Die Analyse der drei strategischen Linien legt nahe, dass Brasilien ein wichtiger internationaler Akteur ist, der nach größerem Einfluss in der Weltpolitik strebt. Dabei ist jedoch entscheidend, dass die multidimensionalen Interessen seiner Außenpolitik auf angemessene Weise verfolgt werden, um eine Umsetzung sowohl aktueller als auch zukünftiger Projekte zu gewährleisten.

Dieser Artikel wurde ursprünglich durch das Norwegian Peacebuilding Centre, Oslo, Norwegen veröffentlicht, E-Mail: webmaster@nupi.no.

Clóvis Brigagão ist Politologe, Direktor des Zentrums für Amerikastudien (CEAs) und Koordinator der Analysegruppe für internationale Konfliktvermeidung (GAPCon), Universität von Candido Mendes, Rio de Janeiro, Brasilien.

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